Kapitel 3
Rayan wartete ungeduldig darauf, dass Adora herauskam. Er wusste nicht wieso, doch sie ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte sie zwar gerade eben erst gesehen und sie eigentlich sogar weggeschickt, doch er hatte seine Meinung geändert.
Ihr tiefer, brauner Blick hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt und er wollte sich in ihren Augen verlieren. Dazu kam diese wunderschöne Haut und ein Körper, der jedes Männerherz höherschlagen ließ. Auch ihre Stimme, die all seine Sinne ansprach, ließ ihn bei bloßer Erinnerung daran schaudern. Sie war so zärtlich und melodisch, wie es Rayan noch nie gehört hatte.
„Hier ist sie, Eure Hoheit", sagte Estrella, das Dienstmädchen seines Oberstallmeisters und führte Adora in den kleinen Salon, in dem Rayan wartete.
Er ließ seinen Blick über sie wandern. Das Kleid, das sie trug, unterstrich ihre Schönheit nur noch. Mit den Haaren, die ihr zu einer Art Krone aus Zöpfen geflochten waren, wirkte sie wie eine Puppe. Dazu kam dieser Blick, der Rayan anzog, gleichzeitig aber so abwesend und weltfremd wirkte. Vielleicht sogar ein wenig verloren.
Rayan erhob sich und reichte ihr die Hand. Dabei bemerkte er, dass Adora nicht sofort reagierte. Es wirkte nicht so, als würde sie wirklich zögern. Mehr, als wüsste sie nicht, was sie tun sollte. Schließlich reichte sie ihm allerdings ihre Hand. Dabei machte sie den Eindruck einfach seine Bewegungen nachzuahmen.
Als sie Rayans berührte, spürte dieser die Kühle ihrer Haut. Es kam überraschend, denn nach dem Bad hatte er erwartet, dass sie warm war.
Er hob ihre Hand und küsste ihren Handrücken.
Als seine Lippen ihre Haut berührten, konnte Rayan nicht erklären, was er fühlte. Sie schmeckte nach Leben und sorgte dafür, dass Wärme ihn flutete.
Er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, weshalb er sie einfach nur anstarrte, bevor er ihre Hand losließ und sich langsam wieder fing. „Konntet Ihr Euch an etwas erinnern?", fragte er höflich, da er erpicht darauf war, herauszufinden, woher sie kam.
Adora neigte leicht den Kopf, was wie ein Kopfschütteln wirkte.
Es war schade, doch Rayan konnte nichts dagegen tun. Erinnerungen zurückzubringen war keine einfache Angelegenheit.
„Ich denke nicht, dass ich mich erinnere", sagte sie mit ihrer seidigen Stimme, die Rayan sofort in ihren Bann zog. Daher brauchte er auch einen Moment, bevor er antworten konnte.
„Ich möchte, dass Ihr mich begleitet", sagte er, bevor er ihr den Arm anbot. Er hoffte, dass sie zum Adel gehörte und daher instinktiv wusste, was sie tun sollte. Eigentlich hatte er gewollt, dass ein Arzt sie untersuchte, doch Estrelle hatte versichert, dass sie keine Verletzungen hatte.
Adora betrachtete ihn und schien zu zögern, oder nachzudenken. Dann griff sie nach seinem Arm und trat auf ihn zu. Es hatte etwas sehr Angenehmes, sie so bei sich zu spüren. Ihre Gegenwart hatte etwas Erfrischendes und Entspannendes. Lag das an ihrer Ausstrahlung?
Rayan lief langsam, während er sie immer wieder aus den Augenwinkeln anblickte. Er machte sich keine Gedanken darüber, ob das vielleicht unhöflich war. Er war der Prinz und sie wusste nicht einmal, wer sie war. Im Grunde hätte er sie auch in den Kerker werfen können, doch diese Vorstellung hatte etwas sehr Erschreckendes an sich. Als würde er eine Blume verwelken lassen.
„Ich zeige Euch das Schloss. Vielleicht könnt Ihr Euch dann an etwas erinnern", bot Rayan zuvorkommend an. Diese Idee war ihm kurz nach ihrem Verschwinden gekommen. Zudem war das eine gute Ausrede, Zeit mit ihr zu verbringen. Er brauchte zwar eigentlich keine, doch so fühlte er sich besser. Nur Zeit mit ihr zu verbringen, weil sie so spannend war, fand er irgendwie unhöflich.
Zudem brauchte er Ablenkung und etwas Ruhe. Der Stress der letzten Tage lag ihm noch in den Knochen.
Es überraschte Rayan, dass sie schwieg. Sie schien kein gesprächiger Mensch zu sein, was er irgendwie schade fand. Er hätte sich gern mit ihr unterhalten. Dann würde sie vielleicht auch ein wenig schneller ihre Erinnerungen zurückbekommen.
Adora ließ ihren Blick schweifen und blickte dann auf das Banner, das über dem Eingangstor hing. „Was ist das für ein Wesen?", wollte sie wissen.
Rayan folgte ihrem Blick und entdeckte den goldenen Drachen auf dem schwarzen Banner. „Ein Drache", erklärte er und fragte sich, wieso sie diesen plötzlich so interessant fand.
„Er sieht ... wunderschön aus", brachte sie hervor, doch Rayan hatte irgendwie das Gefühl, dass ihre Worte nicht ganz das ausdrückten, was sie sagen wollte. Als würde sie nicht genau wissen, was diese Worte bedeuteten. Eine seltsame Empfindung. Lag das an ihrer Amnesie?
„Drachen sind fantastische Wesen", stimmte Rayan ihr zu. Er führte sie durch den Torborgen hindurch und in das Innere der Burgmauern auf einen großen Platz, der gepflastert war.
Dabei kamen sie an einigen Gebäuden vorbei, die für Rayan ein normaler Anblick waren. Er bemerkte jedoch, dass Adora sich fasziniert umsah. Vor allem das Gebäude, aus dem der Klang von Hämmern auf Metall drang, schien sie zu faszinieren. Ob sie vielleicht eine Schmiede kannte? Vielleicht war sie auch die Tochter eines Haushofmeisters oder vielleicht sogar Torwächters.
Rayan grübelte noch darüber, während Adora sich die Gegend genau ansah. Da auch Rayan seinen Blick wandern ließ, bemerkte er, dass sie keine Schuhe trug. Etwas, was ihn überraschte. Gerade, weil es recht kühl war.
„Ist Euch nicht kalt?", fragte er und deutete auf ihre Füße.
Adora folgte seinem Blick, bewegte ihre Zehen und blickte dann irritiert zu Rayan. „Kalt?", fragte sie, als wüsste sie nicht, was dieses Wort bedeutete. Oder als verstünde sie nicht, warum ihr kalt sein sollte.
„Ja, es ist kühl und Ihr tragt keine Schuhe. Ist das nicht ... unangenehm?", fragte er, da er nicht verstand, dass es sie nicht störte. Vielleicht war sie doch keine Adelsdame und es gewohnt barfuß zu gehen.
„Nein. Ich spüre die Natur am Boden", sagte sie mit Unverständnis in der Stimme. Als wüsste sie nicht, warum es ihr unangenehm sein sollte.
Diese Frau war ein Rätsel. Wie sie reagierte konnte in alle möglichen Richtungen interpretiert werden. Es schien, als würde sie somit sogar verschleiern wollen, wer sie war, obwohl sie es scheinbar nicht wusste. Oder spielte sie vielleicht sogar etwas vor?
„Mögt Ihr die Natur?", fragte Rayan neugierig. Er versuchte herauszufinden, was sie wusste und wie sie war. Von Schönheit ließ er sich nicht so leicht blenden, auch wenn er das Gefühl hatte, sie würde von innen heraus strahlen. Ja, richtig leuchten.
„Ich ... denke", antwortete Adora, die unsicher klang.
Rayan runzelte die Stirn. „Ihr denkt?", fragte er leicht belustigt. Diese Frau schien nicht zu wissen, was sie wollte. Das amüsierte ihn irgendwie.
„Ich vermisse die Ruhe der Wiese", gestand sie plötzlich, wobei ihre Stimme sehnsüchtig klang.
„Die Wiese, auf der Nil Euch gefunden hat?", fragte Rayan weiter, während er sie über den Hof zu einem Turm führte, der sie hinauf in die Gemächer des Hofes bringen würden.
„Ich ... denke", antwortete Adora. Sie wirkte noch immer nicht sonderlich gesprächig, was Rayan aber nicht störte. Vielleicht war sie einfach so. Das war für ihn in Ordnung.
„Wie seid Ihr dorthin gekommen?", wollte er wissen, während er sie den Turm nach oben führte. Es kam ihnen niemand entgegen, denn für den Weg nach unten gab es eine weitere Treppe, da diese an sich nicht sehr breit waren und es oft zu Unfällen kam, wenn nur eine Treppe benutzt wurde.
„Ich ... bin dort aufgewacht", sagte sie zögerlich und irgendwie in Gedanken versunken.
„Und vorher?", fragte Rayan, der nun mit ihr in einen Flur trat, an dem sehr schöne Bilder hingen. Portraits von früheren Königinnen und Königen. Darunter auch ein Bild seiner Eltern.
Obwohl Adora die Bilder betrachtete, schien sie niemanden zu erkennen. „Das weiß ich nicht", flüsterte sie, bevor sie an ein Landschaftsbild mit einem Einhorn trat. Es war eines der Bilder, die seine Mutter gemalt hatte. Sie war als Künstlerin sehr bekannt, hatte aber nur wenige Werke geschaffen.
„Habt Ihr bereits gegessen?", fragte Rayan, da er wissen wollte, ob sie vielleicht zusammen speisen konnten.
„Ja", antwortete Adora mit ruhiger Stimme, die Rayan wie eine Melodie vorkam. Wie konnte er sie nur dazu bringen, weiter zu sprechen? Er genoss ihre Stimme sehr.
„Möchtet Ihr dann vielleicht die Räume sehen? Vielleicht könnt Ihr mit der Umgebung etwas anfangen", sagte er, auch wenn er nicht glaubte, dass sie bereits einmal hier gewesen war. Er hätte sich an ihr Aussehen, aber vor allem an ihre Stimme, erinnert.
Rayan wartete nicht auf eine Antwort, denn eigentlich rechnete er nicht damit. Er führte sie einfach in die Empfangshalle, in der normalerweise Gäste, die zu ihm wollten, warteten.
Es war einer der seltenen Tage, an denen er Ruhe vor Besuchern und Audienzen hatte. Erst heute Abend würde er einige Dinge mit seinen Beratern besprechen. Diese waren aktuell noch unterwegs.
„Das hier ist der Empfangsraum", sagte er, wobei er nicht verhindern konnte, dass er stolz klang. Das Schloss war wirklich ein kleines Juwel, das von Generation zu Generation verbessert worden war.
Rayan konnte sehen, wie sich Adora umsah. Sie schien zwar irgendwie neugierig, aber nicht so überrascht, wie er erwartet hatte. Auch nicht so bezaubert.
Erst, als sie das Deckengemälde bemerkte, blieb sie stehen und so etwas wie Staunen legte sich auf ihr Gesicht.
Rayan folgte ihrem Blick und musste schmunzeln. Auch er war von dem Gemälde des Himmels noch immer überrascht. Es wirkte wirklich, als stände man unter dem Himmel durch den geflügelte Pferde, Engel und Vögel flogen und weiche Wattewolken schwebten.
Adora hob die Hand, als würde sie den Himmel berühren wollen. Dabei wirkte sie sehnsüchtig.
„Gefällt Euch das Gemälde?", fragte Rayan, der nicht so ganz verstand, wieso sie so aussah. Es wirkte fast, als wäre sie ein gefallener Engel, der sich nach dem Himmel sehnte. Dabei war das Quatsch. Engel gab es nicht und wenn, dann hatten sie Flügel. Er hatte jedoch auch keine Narben auf ihrem Rücken gesehen, die einst Flügel gewesen waren.
Adora senkte ihre Hand, blickte jedoch weiterhin nach oben. „Es wirkt so ruhig und friedlich", flüsterte sie sehnsuchtsvoll.
Diese Frau war Rayan ein einziges Rätsel.
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Danke fürs Lesen. Würde mich sehr über Kommentare und Votes freuen.
Wie hat euch das Kapitel aus Rayans Sicht gefallen?
Habt ihr schon Idee, was es mit Adora auf sich haben könnte?
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