Veränderungen
Die restliche Zeit der Ferien verbrachte ich damit zu lesen, mit Leonie shoppen zu gehen, gegen Lennard und Viktoria Kartenspiele zu verlieren und dann kam Weihnachten. Wir fuhren zu Lennards Familie, die ich endlich mal kennenlernen durfte. Alle waren auf Anhieb sehr nett zu mir, vor allem seine Schwestern, von denen besaß er drei. Nur Lennards Mutter, Kathi, für mich Katharina, hielt mich für einen inkompetenten Tollpatsch, der nichts auf die Reihe kriegt. Das mochte ich vielleicht auch sein, aber trotzdem sollte das kein Grund sein, mich böse oder gar angewidert anzuglotzen. Mein Vater sagte mir, dass ich sie ignorieren solle, da sie wohl nicht mehr ganz bei Trost sei.
Silvester feierten wir mit den Freunden von Lennard und Viktoria. Echt komische Leute, total verrückt. Da war ich schon etwas froh, dass meine Erkältung mich zwang, früh ins Bett zu gehen.
Und dann kam auch schon der Tag, an dem wir den orangen Koffer, den mir Lennard zu Weihnachten geschenkt hatte, und meine hellblaue Tasche in den Kofferraum luden. Wir stiegen ein und fuhren los. Mir wurde bewusst, dass ich alle unglaublich vermissen würde, vor allem Leonie und Dad. Zugleich konnte ich es aber auch kaum erwarten, meine Freunde im Internat wiederzusehen. Über die Ferien hinweg hatten Claire und ich kaum gesprochen, da sie fast nie Netz hatte. Mit Emilia wechselte ich per SMS ein paar Worte, wusste aber bald auch schon nicht mehr über was wir uns unterhalten sollten. Von den anderen hatte ich gar nichts gehört, da sie ja auch nicht erreichbar waren. Vielleicht wäre es möglich gewesen Briefe zu schreiben, aber wer tut das heutzutage schon.
Das Auto fuhr über die glatten Straßen und verschwand hinter dem nächsten Häuserblock. Ich genoss die Autofahrt. Auf den Straßen war wenig los und meine Musik entspannte mich. Nur hin und wieder versuchte Lennard mit mir zu reden, woraufhin ich genervt einen Stöpsel, meiner weißen Kopfhörer, aus dem Ohr nahm. Endlich waren irgendwann die Türme und Spitzen Dächer des Internats über den Bäumen hinweg zu erkennen. In dem Moment kam Freude in mir auf. In den Ferien war so viel neues und aufregendes passiert, sodass es mir wie eine gefühlte Ewigkeit vor kam, seitdem ich das letzte mal da war. Langsam kam das Auto zum stehen und vor uns erschien das riesige, prachtvolle Gebäude.
Nach einer Verabschiedung stürmte ich mit meinem Gepäck durch die wunderschöne Tür. Endlich wieder da. Schwer atmend musterte ich glücklich das Foyer. „Sophie! Schön, dass du wieder da bist." Es dauerte einen Moment, bis ich Tim zwischen den ganzen Schülern hindurch erblickte. „Oh, hey!" Ich umarmte ihn kurz und lächelte, „Claire ist noch nicht da oder?" „Jop, die kommt morgen erst ... soll ich dir mit deinem Gepäck helfen?" „Oh, das wär nett" Er nahm mir die Tasche aus der Hand und lief neben mir die Treppen hoch. „Und was machen Alina und Finn so?" „Keine Ahnung was Alina macht, aber Finn verspottet wahrscheinlich mal wieder andere Kinder." Meine Augen weiteten sich, ich blieb kurz stehen. Was?? Das würde er doch niemals machen! „Wieso??" „Wie wieso? Du kennst den Idiot doch, warum interessierst du dich überhaupt für den?" Tim sah mich erst irritiert und dann mit einem Blick an, den ich nicht deuten konnte „Alles okay bei dir?", fragte er schließlich. „Äh, jaja lass uns weitergehen." Was geht hier vor sich? Entweder Tim verarscht mich oder ich habe gewaltige Gedächtnisschäden oder hier ist irgendein Hokuspokus am werkeln...
Irgendwann, vorbeigequetscht an den vielen Schülern, hielten wir vor meinem Zimmer an. „Danke für deine Hilfe", sagte ich lächelnd. „Ach, kein Problem" der Junge streckte seine Hand vor seine Stirn „Stehts zu Diensten." Wir kicherten und plauderten noch eine Weile, bis ich durch meine Zimmertür verschwand, meine Sachen auspackte und schlafen ging.
„Piep piep piep"... „Piep piep piep" Ich stöhnte „Piep piep piep" Mit Wucht knallte ich den Wecker vom Nachttisch. Ups... Oh nein Schule! Mittlerweile waren die Ferien leider Gottes vorbei und nun ging der normale Alltag wieder los.
Was mit Finn passiert war oder was hier vor sich ging, kapierte ich zwar immernoch nicht, entschied mich jedoch zunächst einfach unter den Umständen zu leben. Was ich aber mittlerweile herausgefunden hatte, war, dass ich wohl die einzige war, die sein anderes ich kannte. Selbst Jacob konnte ihn nicht ausstehen.
Gähnend stieg ich aus dem Bett und suchte mir eine blaue Jeans, mein neues schwarzes mit roten Blumen besticktes Shirt und Unterwäsche aus dem Schrank heraus. Kurz danach schlurfte ich in meinen türkisenen Hausschuhen zum Bad, um dort eine erfrischende Dusche zu nehmen. Fertig geföhnt und geschminkt fühlte ich mich gleich besser und wacher und ging sogar mit einem Hauch von Motivation runter zum Frühstück.
Es war ungewohnt Finn nicht an unserem Tisch sitzen zu sehen.
„Guten Morgen", flötete Claire. Anscheinend war sie mal wieder bester Laune.
„Hallo", murmelte ich mit einem leichten Lächeln. „Wieso so gut gelaunt?"
„Ich freue mich!", strahlte sie.
„Weil Schule wieder anfängt? Hast du nichts Besseres zu tun?", grinste ich.
„Ach was, als ob ich mich darauf freue!"
„Warum dann?"
„Herr Schmidt geht in Rente!" Alle jubelten auf.
„Nein! Wirklich?"
„Wirklich", entgegnete Tim fröhlich.
„Juhu, es wurde auch mal Zeit!"
„Das kannst du laut sagen", erwiderte Alina.
Herr Schmidt, auch Schmiddi genannt, war der langweiligste Geschichtslehrer, den man sich nur vorstellen konnte. Allein sein Anblick brachte einen zum Einschlafen. Dieser alte Mann besaß kaum noch Haar, hatte ein mit Falten übersätes Gesicht und sah aus, als ob er jeden Moment an Altersschwäche sterben würde. Dazu noch diese elend langsame und kratzige Stimme, die wie eine Art Schlaflied wirkte. In seiner Gegenwart verging keine Unterrichtstunde, in der niemand einnickte.
„Wisst ihr, wer ihn ersetzten wird?", fragte ich neugierig.
„Und da wären wir am Haken der ganzen Sache", brummte Emilia.
„So schlimm finde ich das gar nicht", entgegnete Claire grinsend.
„Oh Gott, sag nicht du gehörst auch zu diesen Tussies!", warf Tim angeekelt ein.
Schmunzelnd schüttelte sie den Kopf.
„Sagt doch endlich, wer ist es?"
„Der angeblich sexyste Lehrer überhaupt, Herr Elbert. Er kommt morgen zusammen mit seinem Sohn Luis, der ein sehr unattraktiver Streber sein soll. Ursprünglich kommen sie aus Italien", informierte mich Claire.
„Oha, interessant"
„In der Tat", gab Alina ihren Senf dazu.
Gemütlich brachten wir unsere Tabletts weg und gingen dann zum Unterricht. Zum Glück fingen wir leicht an, um uns von den Ferien erstmal wieder an die Schulzeit zu gewöhnen. Da ich mir gestern den Schulstoff nochmal angeguckt hatte, konnte ich gut mitarbeiten, wenn es mir nicht sogar ein bisschen Spaß bereitete, was, wenn man mal darüber nachdachte, ziemlich schockierend war. Schule gleich Spaß? Nein nein! Wohl eher nicht. Die Lehrer waren so nett uns nicht mal Hausaufgaben aufzugeben, was mir allein schon den Tag versüßte.
Gerade wollte ich die Wendeltreppe hochgehen, als ich ein hartes tippen spürte. Schwungvoll drehte ich mich um und wäre fast in die Person vor mir geraten. Glücklicherweise konnte ich es verhindern, denn es war Finn.
„Oh hey", ich lächelte, welches er ganz und gar nicht erwiderte.
„Du musst nicht mehr zu Frau Ludwig gehen, da du das wichtigste jetzt weißt und sonst dein Vorsprung an Wissen gegenüber deinen Mitschülern zu groß wäre", sprach er in einem abwertenden Ton.
„Ok... alles klar"
Der Junge hatte sich schon zum Gehen abgewandt, als ich ihn festhielt. Sein Blick stach in meine Augen, einen riesigen Abscheu strömte er aus, welcher mir Gänsehaut verlieh.
„Was ist los?", fragte ich besorgt.
Aber anstatt zu antworteten, schubste er mich grob gegen die Wand und ging davon. Mit einem schmerzenden Rücken und Mühe fand ich wieder halt und blieb einfach fassungslos stehen. Was ist mit ihm passiert?? Was ist mit allen passiert?
Völlig platt wollte ich mich nun den Stufen zu wenden, als ich plötzlich leises Gesänge wahrnahm. Es hörte sich unglaublich schön an, mal sanft, mal mächtig, mal magisch. Langsam kehrte ich um und folgte meinen Ohren, bis ich vor einem Musikraum stehen blieb. Jetzt hörte ich die angenehmen Klänge noch viel klarer und lauschte ihnen begeistert. Wow, das ist echt der Wahnsinn. Ich schätze ich sollte Viktoria danken, dass sie mich auf diese Bahn geführt hat. Plötzlich stoppte die Musik und kurz darauf wurde vor meiner Nase die Tür aufgerissen. Die unterschiedlichsten Schüler strömten heraus, aber beachteten mich nicht. Irgendwann nahm ich meinen Mut zusammen und trat in den Raum. Er war fast leer, nur Herr Kimson und meine Deutschlehrerin unterhielten sich leise. Doch dann bemerkten sie mich, hörten auf zu reden und musterten mich neugierig.
„Oh, hallo Sophie können wir der Helfen?", fragte mein Musiklehrer. „Ähm, naja ich wollte fragen ob ich dem Chor beitreten darf." „Aber gerne, folg mir zum Klavier, dort singen wir was. So finden wir heraus ob du zum Sopran oder Alt gehörst. Ich denke mal, dass wir den Tenor und Bass ausschließen können." Meine Lehrerin kicherte. „Ich verstehe nicht ganz" „Also der Chor ist in Tonlagen aufgeteilt. Der Sopran singt am höchsten, der Alt singt etwas tiefer und darauf folgt der Tenor und danach der Bass" „Achso, okay." Der Mann setzte sich auf den Hocker vor das Klavier. „Hast du vielleicht ein Lied was du vortragen möchtest oder soll ich dir etwas geben?" „Da wäre eins, das mir schon die ganze Zeit auf der Zunge brennt. Aber ich weiß nicht ob..." „Probiere es einfach" „Okay" Ich räusperte mich.
„The wind is cold,
so heavy it is,
on my skin,
the sun is hot,
my mouth's so dry,
how dumb have I been?
this feeling tastes like freedom,
in the forrest's and the jungel's,
how great it is,
to be at the place,
where I have been..."
„Interessant, woher kennst du das Lied?"
„Weiß nicht, es kam irgendwie in meinen Kopf..."
„Hmm, auf jeden Fall sehr schön, aber kommst du auch noch höher? Probier das Lied mal."
Dieses war viel schwieriger zu singen, denn ich hatte nie wirklich versucht soo hoch zu kommen. Trotzdem gelang es mir und Herr Kimson beschloss mich in den Sopran zu schicken. Ab dem Tag an hatte ich jeden Montag hier im Musikraum Chor.
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„Hey", rief Claire mir aufgeregt zu und setze sich neben mich. Wieso alle wegen einem Lehrer durchdrehten, konnte ich wirklich nicht nachvollziehen. Aber langsam fragte ich mich schon, wann der Mann endlich in unseren Klassenraum treten würde. „Hey", entgegnete ich. Sobald ich meinen Kopf wieder zur Tür gerichtet hatte, kamen wie gerufen zwei Gestalten herein. „Guten Morgen, wie ihr wahrscheinlich schon mitbekommen habt, bin ich euer neuer Geschichtslehrer, Herr Elbert" Er räusperte sich und schaute die Person neben sich erwartungsvoll an. „I.. Ich bin Luis", schnell setzte er sich auf den einzigen freien Stuhl, der zufälligerweise neben mir war. „Hallo, ich bin Sophie und das ist Claire", sprach ich und wir lächelten ihn an, welches er nur zögernd erwiderte „Hallo" Unser kleines Gespräch bemerkte niemand, da alle anfingen rumzuschwärmen. Naja, ich musste schon zugeben, dass seine sportliche Statur, kantiges Gesicht und sein 3-Tage-Bart ihm sehr gut standen. Eine Ähnlichkeit unter Vater und Sohn konnte man jedoch nicht erkennen. Während der Lehrer uns selbstbewusst anlächelte, versteckte sich der Junge neben mir hinter seinen recht langen Haaren, die ihm bis zu Mund reichten. Ihm schien die Situation etwas peinlich zu sein. „Also gut, wenn ihr nun alle eure Namen nennen könntet, fang du an" Der Mann zeigte auf ein Mädchen, das ihn anstrahlte. „Ich heiße Ashley", sie streckte ihre Brust raus und blinzelte ihn an. Angewidert sah ich ihr zu. Was hätte ich mir auch anderes bei einer unserer Klassenzicken erwarten sollen. „Ich bin Halsey", ging es dann weiter. Irgendwann war ich dran. Nachdem ich mich vorgestellt hatte, musterte Herr Elbert mich interessiert, was ich als ziemlich unangenehm empfand.
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