Das Ende vom Anfang
Ich stand zwischen Tür und Angel und linste in ein recht düsteres Zimmer hinein.
„Okay", seufzte eine Frau mit zittriger Stimme.
Ein Junge ging auf sie zu und streichelte ihr über die Schulter.
„Ich weiß, dass es nicht die beste Lösung ist, aber ich sehe da keinen anderen Weg und du anscheinend auch nicht..."
Ihre Augen glitzerten im trüben Kerzenlicht. Doch trotz der beinahe vollkommenen Dunkelheit waren die Anzeichen ihres ununterbrochenen Weinens unübersehbar. Ihre Nase war rot, die grünen, von Schatten betonten Augen angeschwollen und ihre Wangen schimmerten vor Nässe.
„Ich würde jeden anderen Weg nehmen, wenn es einen gäbe", ihre Stimme war so leise und schwach, dass es beinahe wie Flüstern klang.
„Vielleicht ist es einfacher zu akzeptieren, wenn du dir immer und immer wieder ins Gedächtnis rufst, dass wir es nicht nur für ihre Sicherheit tun. Denn auch die ganze Menschheit und das Leben aller Gaitasunos hängen davon ab."
Die Frau erwiderte mit einem vorsichtigen Nicken.
„Vergiss nicht, ich liebe dich. Wir alle tun das", schluchzte sie, zog seinen Kopf mit ihren knöchrigen Händen auf ihre Höhe, gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn und drückte ihren Jungen fest an sich.
„Le...Leonie?", meine Stimme war kratzig und brüchig. Außerdem fühlte ich mich unglaublich schwach und kraftlos. Trotzdem entging mir nicht, dass meine ehmalig beste Freundin neben mir auf dem Bett saß.
Dazu lächelte sie mich an, viel zu übetrieben für meinen Geschmack.
„Bin ich tot?"
Sie lachte „zum Glück nicht"
„Aber was machst du dann hier? Ich meine wir sind hier im Camp für Gaitasunos und gerade... Finn!"
Ich schreckte schlagartig hoch, was meinem Kreislauf überhaupt nicht gefiel.
Vor Schwindel drückte ich meine Hand gegen die Stirn und verharrte für einen Moment in dieser Position, bis ich mich wieder gefangen hatte und schon losstürmen wollte.
Leonie hielt mich jedoch ab „Halt! Du bist zu schwach um aufzustehen. Außerdem, wo willst du hingehen?", fragte sie saft.
Darüber hatte ich tatsächlich nicht nachgedacht.
„Aber... aber wo ist er?", Tränen traten mir in die Augen.
„Das weiß ich nicht."
Ich befürchtete schon, dass jetzt sowas kommen würde wie „Vielleicht im Himmel, vielleicht in der Hölle."
Aber sie seufzte einfach nur.
„Das heißt?"
„Wenn du Glück hast, wird Sabrina ihn heilen und am Leben lassen"
„Wer zur Hölle ist... Warte, woher weißt du das alles? Wieso bist du hier?"
„Ich bin hier, weil du fast gestorben bist. Du hast so viel Kraft in deine Fähigkeit gesteckt, dass es dich fast umgebracht hätte."
Jetzt quollen die Tränen ungestürm aus meinen Augen. Nichtmal wegen Finn, sondern aus Frust. Mir wurde gerade etwas klar.
„Dann nehme ich mal an, dass du eine weitere Lüge meines Lebens bist! Also wer bist du?!", ich schrie beinahe.
Das Mädchen, die Freundin, von der ich eigentlich gedachte hatte sie zu kennen, ob nett oder Zicke, erschien mir wie eine Fremde.
„Ich glaube ich sollte dich lieber ausruhen lassen."
„Halt! Du erklärst mir jetzt auf der Stelle, was los ist!"
Leonie musterte micht mitleidig, bis sie schließlich ein Seufzen von sich gab.
„Ich bin eine Hexe, die deinen Eltern geschworen hat, dich zu beschützen."
Eine was?!
„Du...du bist eine Hexe?", stieß ich unter Tränen hervor. Das Mädchen streckte sich über mich, wie als wollte sie mich umarmen, aber ich hielt sie mit einer Handbewegung ab.
Völlig fertig nahm ich zum ersten Mal meinen Blick von ihr ab und schaute mich um. Überall, auf jedem einzelnen Krankenbett lagen Verwundete, lagen Gaitasunos im sterben und daneben standen welche herum, trauernd.
Panisch suchte ich genau ab, wer da alles lag, bis Leonie micht sanft unterbrach „Keine Sorge, deinen Freunden geht es hauptsächlich gut."
„Dir gleich nicht mehr!"
Ich stülpte die Decke, die nur bis zu meinem Bauch ausgebreitet war, über meinen Kopf und weinte.
„Hey..." vorsichtig zog sie das Tuch von meinem Gesicht, woraufhin ich sie gequält anstarrte.
„Man, man kann sich nicht vor der Wahrheit verstecken."
„Wieso wurde sie mir dann im vorhinein enthalten?"
„Um dich zu schützen! Apropos schützen, wo ist das Amulett?"
Eine Wut breitete sich in mir aus, ich hätte sie anbrüllen können, doch ich versuchte mich zurückzuhalten.
„Dieses verdammte Amulett! Zuletzt war es in meinem Zelt! Bist du etwa auch auf Weltherrschaft aus?"
Sie musterte mich verwirrt, „Oh Sophie, da steckt viel viel mehr hinter."
„Schon wieder ein Geheimnis, großartig!"
„Hoffentlich ist es da noch", murmelte sie und wollte schon aufstehen, als ich ihre Hand ergriff. „Warte, du bist mir Antworten schuldig!"
Ich hatte schon erwartet, dass Leonie mich ignorieren und einfach gehen würde, doch sie blieb sitzen und antwortete sogar schließlich, „Du hast recht."
Ich schluckte, „Woher kanntest du meine Eltern?"
„Ich wohnte in ihrer Nachbarschaft, als sie mir die große Aufgabe übergaben, dich zu beschützen und auf die richtige Spur zu weisen."
„Nachbarschaft... he, wie bescheuert. Wer ist Sabrina und wie kann ich Finn finden?"
„Oh, das äh... ist eine schwierige Angelegenheit..."
„Leonie!"
„Naja, also Sabrina ist sozusagen die Anführerin der Unterwelt."
„Das heißt er ist in der Unterwelt?"
„Ja..."
„Wie komme ich dahin?"
„Sophie! Du kannst doch nicht einfach"
„Wie?", wiederholte ich mich und sah ihr direkt in die Augen.
„Naja, schlauerweise kannst du nicht einfach in den Flieger steigen und..."
„Na, jetzt sag schon!"
„Du bist viel zu schwach dafür! Außerdem ist es bestimmt eine Falle."
„Eine Falle? Wieso sollten die mich erwarten?"
„Weil sie das Amulett erwarten"
„Dann nehme ich es halt nicht mit"
„Du musst aber"
Ich musterte sie verwirrt „Hä, ich dachte es ist so wertvoll, das ergibt doch gar keinen Sinn!"
„Du brauchst es um Finn zu finden. Es leidet dich zu ihm."
„Dann los!"
„Aber bedenke, damit setzt du alles auf eine Karte."
Leonie und ich verließen die Herberge unzähliger Verwundeter und traten raus in eine zerstörte Landschaft. Hier und da konnte man Gaitasunos rummstehen sehen, die wie aus Zauberhand die kaputten Dinge wieder ganz machten.
Überall waren Krater, zerstückelte Überreste und vorne eine Gruppe, die Leichen zudeckte und verabschiedete.
Leise hörte man ihre Gesänge, die unglaublich schön und zugleich ungeheuer traurig waren.
„Sag mal, heißt das, dass wir gewonnen haben?"
Leonies Blick verharrte auf den Toten, „Einen Sieg würde ich es nicht gerade nennen, aber... wir sind nicht alle gestorben."
Jetzt sah sie mir in die Augen, „Viele Fabelwesen sind geflohen.... Du hast sie vertrieben Sophie."
„Aber wie?"
„mit deinen Fähigkeiten! Du besitzt eine unfassbare Kraft. Es war als wärst du eins mit der Natur, als könntest du sie kontrollieren."
Ich dachte krankhaft nach, bis mir die Szene wieder einfiel, als ich die Energie in meinem Körper spürte. Sowie ich sie mir ins Gedächtnis gerufen hatte, fühlte ich wieder dieses Kribbeln.
„Sophie?"
„Äh, was?"
„Du wirktest gerade so... abwesend."
„Oh ähm, komm, wir sollten uns beeilen."
Ich hatte das Gefühl, dass Leonie sich verändert hatte. Ja, ich wusste jetzt Dinge über sie, die ich mir nie hätte auch nur ansatzweise vorstellen können. Aber irgendwie hatten sich auch ihre Ausstrahlung und Charakter verändert. Sie schien viel weiser und erfahrener zu sein. Es war als hätte sie mir mein ganzes Leben ein zickiges Ich vorgegaukelt, dem sie gar nicht entsprach.
Zusammen durchquerten wir den verwüsteten Grund und gingen dort hin, wo mein Zelt mal gewesen war.
Aber auch dort war nur ein Trümmerfeld vorzufinden und nichts, was meiner Tasche glich.
„Los, lass uns alles absuchen."
„Sophie... ich weiß nicht. Vielleicht sollte ich lieber weitermachen und du gehst dich ausruhen zurück beim..."
„Leonie! Ich muss Finn finden!"
Ich spürte wie meine Sicht schwammig wurde, da sich abermals Tränen in meinen Augen bildeten.
„In Ordnung."
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, die wir verbrachten das Amulett zu suchen.
Wir krochen zwischen Holzresten hindurch, wülten zwischen Stofffetzen und suchten zwischen Büschen, nur um erfolglos an der nächsten Stelle weiterzumachen.
„Sucht ihr das hier?", äußerte sich eine tiefe Stimme.
Wir schauten hoch, der Anblick verdutzte und überraschte mich.
Es war der goldäugige Mann, mit dem komischen Gewand, der das Amulett in seiner Hand hielt.
„Wie?", brachte ich hervor.
„Gernot? Was machst du hier?"
„Dafür sorgen, dass die Prophezeiung wahr wird", erwiderte die tiefe Stimme.
Ich sah verwirrt von einem zum anderen.
Eine Prophezeiung? Und wieso kennen die sich? Ach, was mache ich mir vor, es wäre doch eher fragwürdig gewesen, wenn die sich nicht gekannt hätten.
„Kann mich bitte jemand aufklären?"
„Ich werde dich in die Unterwelt begleiten", antwortete Gernot
„Ähm ok."
Ja gut, das beantwortet zwar nicht meine Frage, aber vielleicht kennt er sich ja dort aus.
„Und du?", fragte er an Leonie gewand.
Sie schüttelte den Kopf, „Ich werde hier Stellung bewahren."
Der Mann erwiderte ein anerkennendes Nicken.
~~~~~~~~~~~~~~~
Wir versammelten uns auf einer relativ freien Fläche. Ich blickte in die Gesichter meiner Freunde, die bei mir standen.
Ängstliche, verunsicherte, entschlossende und erschöpfte Emotionen machten sich bemerkbar.
„Ich komme mit", sagte Alina als erste, was mich mehr als überraschte.
„Ich weiß nicht...", entgegnete ich.
„Ich auch", sprach meine beste Freundin.
„Nicht ohne mich", fügte Tim schnell hinzu.
„Ich möchte euch wirklich nicht in Gefahr..."
„Wir begleiten dich, ohne Wiederspruch", unterbrach Claire mich lächelnd und griff nach meiner Hand. „Finn", ich bekam eine Gänsehaut, als sie seinen Namen aussprach „war immer ein guter Freund, doch wir alle haben in plötzlich nicht wiedererkannt. Nun wissen wir wer er wirklich ist und diesen Menschen, würde ich niemals weder im Stich lassen noch aufgeben."
Ich drückte kurz gerührt ihre Hand.
„Naja, wann bekommt man schon die Chance in die Unterwelt zu gehen?", erwiderte Emilia.
So ergab es sich, dass sie mich schließlich überedet hatten.
Leonie begann irgendwelche gruseligen Wörter aufzusagen und dabei auf dem Rasen zu Knien. Gernot hielt immernoch das Amulett in seiner Hand, doch jetzt erhob er es gegen den Himmel.
Auf einmal begann Leonie schneller und lauter zu reden. Sie stellte sich hin und streckte ihre Arme in die Höhe, die Augen geschlossen.
Vor uns bildete sich plötzlich eine große rosa Scheibe, die immer dunkler wurde, bis sie ein tiefes lila besaß. In ihr begannen sich die Farben blau, grün und schwarz zu schlängeln. Sie bewegten sich linienartig auf die Mitte zu und begannen dort angekommen sich spiralförmig nach außen zu drehen.
„Abgefahren!"
Wir drehten uns alle um, wo Kathrin, der Lauch und Tyler standen.
„Oh, hey", sprach ich lächelnd.
„Da werdet ihr also jetzt durchfliegen?", fragte Tyler.
„Wohl eher durchgehen", murmelte Emilia.
„Ja... Viel Spaß!", rief der Lauch.
Ich wendete mich wieder der merkwürdigen Scheibe zu. Sie strahlte so etwas Kaltes, Mysteriöses, aber auch Vertrautes aus.
„Es ist vollbracht", sprach Leonie.
Ich holte tief Luft. „Ich muss euch noch was sagen."
Meine Freunde schwiegen und sahen mich neugierig an.
„Ich war die ganze Zeit über Sven."
Ich hatte damit gerechnet, dass Claire flucht, Tim meckert oder Kathrin aufschreit, doch die erste Person, die was sagte, war Gernot.
„War ja klar"
„Ist das dein Ernst?", erwiderte Tim daraufhin.
„Sven! Deswegen warst du so komisch!", entgegnete der Lauch.
„Und ich habe es nichtmal durchschaut...", murmelte Luis.
„Wie konntest du nur so egoistisch sein! Weißt du was für Sorgen ich mir gemacht habe!?", brüllte Claire.
„Sven lebt!", schrie Kathrin und schloss mich in eine stürmische Umarmung.
„Ich möchte eure Auseinandersetzung ja ungern unterbrechen, aber... die Zeit rennt!"
Gernot machte den Anfang. Er hielt seine Hand zunächst vorsichtig in das Portal, bevor er dadurch verschwunden war.
„Ich geh als zweite", nuschelte Claire mit verschränkten Armen. Sie war sichtlich sehr verärgert über mich.
Leonie nickte, „Mach es so wie Gernot, erst kurz die Hand reinhalten und dann durch."
Claire verabschiedete sich von Luis, der von seinem Vater gezwungen wurde hierzubleiben, dem Lauch, Kathrin und Tyler. „Danke Leonie", sagte sie noch und verschwand.
Nachdem alle, die gehen wollten, gegangen waren, kam ich an die Reihe.
Als ich meine Freunde so ansah wurde ich ganz traurig.
Vielleicht werde ich sie nie wiedersehen.
„Sag sowas nicht, Sven! Äh Sophie", sprach der Lauch.
Meine Freunde waren mir sehr ans Herz gewachsen, sie jetzt hinter mir zu lassen, tat ganz schön weh.
Als erstes wendete ich mich an Luis.
„Hey du", meine Stimme wurde zerbrechlich,
„Du, du bist...", mir fehlten die Worte, „du bist ein Streber."
„Wow, ich fühle mich sehr berührt."
„Ach, halt die Klappe."
Ich zog ihn in eine feste Umarmung und hätte ihn am liebsten nie wieder losgelassen.
„Du bist ein guter Mensch", sagte ich an Tyler gewand,
„Logan würde mir da bestimmt auch zustimmen" und zwinkerte ihm zu.
„Bitte was?", erwiderte er in unsere Umarmung hinein, doch ich ging gar nicht mehr darauf ein.
Als Leonie sich beklagte, dass ich mich doch beeilen solle, verabschiedete ich mich noch kurz von Kathrin und dem Lauch.
„Richtet Logan bitte noch aus, dass ich ihm sehr dankbar für seine ganze Hilfe bin."
Als ich bei Leonie angelangt war, begann das Portal bereits zu schrumpfen.
Ich drückte die Hexe so fest ich konnte.
„Auch wenn du mich an der Nase rumgeführt hast, warst du mir eine tolle Freundin"
Tränen, die sich bereits in meinen Augen angesammelt hatten, quollen heraus und befeuchteten ihre Schulter.
„Wir teilen einzigartige Erinnerungen, die ich niemals vergessen werde."
Leonie schaute mich ungeglücklich an, „jetzt mach schon!"
„Ich werde euch vermissen!", rief ich, drehte mich um und ging in letzter Sekunde noch hindurch.
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