Ein Paar geht einen windigen Weg entlang. Sie sind in den Flitterwochen in Schottland. Verliebt halten sie sich an den Händen und erklimmen die steilen Felsen an der Küste.

Die beiden könnte ungleicher nicht sein: Er groß, breitschultrig, muskulös und mit blasser Haut , sie klein, zierlich, mit vertrauensvollen Rehaugen und Haut so dunkel wie bittere Schokolade.

Doch trotz der äußeren Ungleicheit strahlen sie eine überwältigende Zuneigung zueinander aus. Die Ehe ist noch jung, doch die Liebe über eine lange Zeit gewachsen. Lange haben sie mit der Hochzeit gewartet, wollten sich wirklich sicher sein, dass ihr Umfeld ihre Verbindung akzeptiert. nun haben sie sich endlich getraut. 40 lange Jahre hatte ihre Liebe Zeit zu wachsen, stark zu werden und alle Zweifel nieder zu reißen. 40 Jahre lang waren sie ein Paar, von dem niemand wusste. Sie trafen sich öffentlich, gingen gemeinsam zu Festen, Veranstaltungen und Anlässen und doch waren alle überrascht, als sie ihre Verlobung verkündeten. Niemand hatte etwas geahnt, alle dachten, sie wären nur Freunde.

Liebevoll schaut er zu ihr, prägt sich jede Falte ein, die sich im Laufe der Zeit in ihr Gesicht gegraben hatte, bemerkt, dass sie kleine Grübchen an den Wangen hatt, wenn sie angestrengt gegen die Sonne schauteund dass ihre Haare inzwischen fast komplett grau sind. Sie waren beide alt geworden, doch er liebt sie noch wie am ersten Tag, wenn nicht mehr. Die Falten liebt er, weil sie von den vielen Stunden zeugen, die sie gemeinsam gelacht haben und den wenigen Momenten, in denen sie stritten. Die Grübchen liebt er, weil sie zeigen, dass sie gesund ist, sie hatt tolle Kurven für ihr Alter, die er jeden Abend aufs neue bewundert. Und ihre grauen Haare liebt er, weil er selbst auch grau wird und sie sich so ein bisschen ähnlicher sehen. Ihre Haare trägt sie heute zum Wandern in einem straffen Knoten, aus dem sich ein paar widerspenstige Strähnchen befreit haben. Er hält sie kurz an, streicht ihr die Haare aus dem Gesicht und küsst sie sanft auf die Nase.

"Ich liebe dich mit jedem Tag ein bisschen mehr, weißt du das?"

"Das weiß ich. Mir geht es nicht anders.", antwortet sie und zieht ihn ein eine schwungvolle Umarmung. Sie sprechen nicht oft über ihre Gefühle zueinander und noch seltener zeigen sie diese offen, aber in jeder Geste, in der Mimik und in  enfachen Worten machen sie einander jeden Tag klar, wie viel der andere ihnen bedeutet. 

Fast wären sie gestolpert und gestürzt, doch sie finden lachend ihr Gleichgewicht wieder und setzten immer noch heiter ihren Weg fort. Ab und an durchbricht einer von beiden die Stille, indem er den anderen auf ein besonderes Blatt, eine schöne Blume oder eine wilde Maus aufmerksam macht, doch den Großteil des Weges schweigen sie und genießen es, einfach beisammen zu sein.

Als sie schließlich ankommen, zerren salzige Böen an ihrer Kleidung und an ihren Haaren. Immer mehr Strähnen lösen sich aus ihrem Zopf, bis sie ihn schließlich genervt auf macht und ihren Haaren ihren Willen lässt. Verzaubert schaut er sie an, wie sie da steht, die Mähne vom Wind zerzaust, stolz, den Rücken gerade durchgedrückt und den Blick in die Ferne schweifen lässt.

"Du bist wunderschön.", stellt er fest, fast versteht sie ihn nicht, da der Wind seine Worte weg trägt. Doch sie hat ihn gehört, wenn auch leise und dreht sich zu ihm um, um ihn ihrerseits aufmerksam anzuschauen. Seine klaren Augen strahlen wissend, seine Haare sind vom Wind ebenfalls zerzaust und an seinem Pullover haben sich kleine Tröpfchen gebildet, so feucht ist die Luft hier, direkt an der Klippe. Bedächtig nimmt sie seine Hände in ihre.

"Vertraust du mir?", fragt sie ihn, auch wenn sie die Antwort schon seit 40 Jahren kennt.

"Bis ans Ende.", gibt er zurück und nimmt sie fest in den Arm.

Dann lassen sie sich lachend vom Wind in eine andere Welt tragen.