Jisoo und das Weiß
Jisoo gähnte stumm und rührte sich nicht. Sie war machtlos. Beide Arme über dem Kopf ausgestreckt und aneinandergepresst, die Beine ebenso mit einem Ring oberhalb der Fußgelenke zusammengeschnürt; spürte sie nichts; nicht Mal mehr Schmerz. Ihre Finger und Zehen waren längst taub und die Gelenke unter den Lichtmanschetten scharlachrot. Jede Bewegung brannte, als würden hunderte Stichflammen aus den Innenseiten der Leuchtringe schießen, um ihre Haut zu versengen.
Und Jisoo hatte viel probiert. Alles.
Nun fügte sie sich; äußerlich. Sie lag wie gestorben. Ihr Atem kroch zäh über ihre blassen Lippen und ihre Brust hob und senkte sich kaum sichtbar. Doch in ihren Augen brannte das Feuer, das an ihren Handgelenken und Knöcheln züngelte und sich in sie fraß. Sie würde es verwahren. Für sie. Für den richtigen Moment.
Bei Tag sah sie sie selten. Beide trugen Uniformen aus Schwarz, einem dunklen Rot und Gold. Der Kleinere von ihnen hantierte immer mit Licht herum, mit so albernen Lasergadgets. Doch seit ihrem letzten Konzert wusste Jisoo, zu was diese Dinger in der Lage waren.
Rosé. Jennie. Lisa. Hoffentlich hatten sie keine von ihnen erwischt.
Drei Tränen rutschten unter ihren Wimpern hervor und über ihre Wangen. Sie glänzten im weißblauen Licht wie kleine Diamanten. Schnell kniff Jisoo die Lider zusammen und zog die Nase hoch, entschlossen, das Brechen der Staumauer zu verhindern, doch die Bewegung allein genügte, um das Fegefeuer neu zu entfachen.
Diese Lichtringe waren Höllen. Jisoo biss sich auf die Lippe und kämpfte. Keuchte gegen den Schmerz, der wie Flammen über ihre Armen und Beine loderte, bis er verebbte und nichts als Taubheit zurückließ.
Die blauen Lichter in der Decke über ihr verdunkelten sich fast unmerklich. Hätte sie nicht ewig hiergelegen und darauf gestarrt, wäre es ihr mit Sicherheit verborgen geblieben, aber so erkannte sie, was sie die ganze Zeit schon vermutet hatte.
Sie beobachten sie.
Hastig heftete sich ihr Blick auf das Fenster. Oder zumindest dahin, wo sie es vermutete. Ein Vorhang verhüllte alles ringsum das Bett. Dichtes, undurchdringliches Weiß trennte Jisoo von der Welt und allem darin.
Trotzdem verriet ihr Gefühl ihr, dass das Gefängnis kaum größer war, als das, was vor ihren Augen lag; das halbrunde Bett und der Vorhang, der es umgab. Der ganze Raum war rund und erinnerte an ein Modul einer Raumstation. Die Tür war stets verschlossen: ein matt glänzender Gullydeckel, dessen Einzelteile sich aus allen Richtungen unbezwingbar ineinander schraubten.
Weder Licht noch Geräusche drangen hindurch. Nur ab und an die beiden Uniformierten.
Anfangs hatte Jisoo versucht, den Vorhang zu berühren. Ihn zu packen und wegzuzerren war ihr zweitgrößter Wunsch, seit sie hier mutterseelenallein zu sich gekommen war. Gleich nach dem Drang zu fliehen, versteht sich.
Beides war unmöglich. Die Schmerzen fraßen sie auf, bevor sie ihn erreichte.
Dabei musste sie dringend wissen, ob sie noch auf der Erde war. Auch wenn sie nichts mehr fürchtete, als diese Antwort.
Bisher hatte Jisoo nur die zwei Aliens gesehen. Nein, keine von diesen katzenhaiartigen Kreaturen, die die Konzertbesucher am Tag der Invasion in Schaaren durch die Straßen gejagt hatten.
Sondern Engel.
Leider hatten die jedoch rein gar nichts gemein mit den kleinen, kirchlichen Wesen, die Tugend und Frieden verkörpern. Nein. Es handelte sich um hochgewachsene Typen mit schrägen Frisuren, puppenhaften Gesichtern und Flügeln, so schwarz und glänzend wie mit frischem Teer bestrichen. Und so war auch ihr Wesen - alles andere als tugendhaft und friedfertig.
Reinster Bullshit!
Seit Wochen hielten sie sie fest. In diesem runden Kabuff, auf dem King-Size-Plus-Bett, im Kleid einer griechischen Göttin und gefesselt mit Höllenlicht. Und ihre Blicke sprachen Bände.
Eigentlich glich es einem Wunder, dass sie sie bisher nicht angerührt hatten.
Jedes Mal wenn sie eintraten, fürchtete Jisoo, dass ihre Zeit abgelaufen sei. Wenn die Blicke aus ihren rot glühenden Augen sie streiften, heiß lodernd wie die brennenden Ruinen in Seoul.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie über sie herfallen. Da war Jisoo sicher.
Doch zu ihrem Glück entfernten sie sich jedes Mal, verließen den Raum durch den Gullydeckel, ohne auch nur einen Finger an sie zu legen. Dennoch bemühte Jisoo sich, zu ihrer eigenen Sicherheit, so wenig wie möglich zu schlafen. Denn jedes Mal, wenn sie den Kampf verlor und ihre Lider sich schlossen, sah sie sie.
In ihren Träumen. Und dann taten die Engel all die Dinge, die sie am Tag so fürchtete.
Wenn nicht Weiß, sondern Schwarz die dominierende Farbe in ihrem kleinen Verließ war, legten sie ihre Uniformen ab. Ihre Haut glänzte hell wie zwei Sterne am nächtlichen Firmament und das Rascheln ihrer Flügel drang als lüsternes Flüstern an Jisoos Ohren.
Ihre Berührungen waren kühl und hart, doch gleichzeitig zart und sacht, wie ein auf teures Porzellan gehauchter Kuss.
Ihre Bewegungen und Gesten waren eindeutig, fordernd, bestimmend und absolut besitzergreifend. Ihr Verlangen lodernd und verschlingend.
Die Bezeichnung Engel war für diese Kreaturen ein Witz!
Es sei denn, es gab so etwas wie Engel der Lust - außerhalb von schlechten Pornos, versteht sich. Doch sobald Jisoo an die Träume dachte, richteten sich ihre Brustwarzen unter ihrem weißen Kleid auf und der Schauer, der zwischen ihren nackten Beinen hinaufwanderte, ließ sie wohlig erzittern.
Und das war das Schlimmste an diesen Träumen: sie waren so intensiv, dass sie sich absolut real anfühlten. Und die Engel waren nie grob. Sie forderten, drängten, bestimmten, aber sie hatten ihr nie Schmerzen zugefügt. Anders als am Tag das Licht der Fesseln.
Doch jedes Mal, wenn Jisoo erwachte, war sie allein.
Zu ihrer Erleichterung war ihr Körper stets unberührt - weder klebte Schweiß auf ihr, noch andere Körperflüssigkeiten; Federn oder Haare. Ja, sie wettete, dass nicht die kleinste Hautschuppe zu finden wäre.
Doch die Bilder blieben in ihrem Kopf lebendig.
Im Gegensatz zu den Träumen in ihrem früheren Leben. Wie oft war sie erwacht und hatte bereits nach einer halben Minute das Meiste daraus verloren. Doch hier gab es kein Vergessen. Alles blieb so deutlich, wie bei echten Erinnerungen.
Und diese Diskrepanz setzte ihr am meisten zu.
So froh sie beim Aufwachen über ihre körperliche Unversehrtheit war, so sehr zweifelte sie jedes Mal an ihrem Verstand. Je öfter sie erwachte, desto mehr Fragen kreiselten hinter ihrer Stirn.
Waren diese Träume echt? Und wie waren sie zu deuten? Sehnsüchte? Schon bei dem Gedanken stieg ein Brennen in ihrer Speiseröhre auf. Schutz? Sie konnte Teakwondo, warum zum Teufel vermöbelte sie diese Engel dann nicht wie es ihnen gebührte? Wenn schon nicht in Echt, dann wenigstens in den Träumen.
Doch Jisoo hatte keine Wahl. Noch nicht mal in ihren Träumen war sie mehr frei.
Den Gedanke verärgerte sie so sehr, dass ihre Augenbrauen sich zusammenzogen, ihr Kinn sich entschlossen senkte und ihr rechtes Knie zuckte. Und im selben Moment krampfte Jisoo am ganzen Körper vor Schmerz.
Arrgh, die hatten doch echt einen an der Waffel mit ihrem dämlichen Licht!
Doch sobald die Flammen erloschen, loderten die Fragen wieder auf.
Hatte ihr Körper alles so erlebt und ihr Geist verpackte es in Träume, um ihr die Chance zu geben, damit zurechtzukommen?
Der Brechreiz in ihrer Kehle brannte fast heftiger als die Lichtfesseln auf ihrer Haut.
Sollte sie sie fragen?
Doch das war das Letzte, das sie wollte. Sie neigte den Kopf; um einen halben Zentimeter. Der Ring um ihre Beine leuchtete auf und sie spannte sich an. Doch der Schmerz blieb aus. Die Bewegung war noch im Rahmen.
Wussten sie, dass sie diese Träume hatte? Waren sie dafür verantwortlich? Konnten Engel Menschen Träume einpflanzen oder übertragen? Wie träumten Engel? Taten sie es überhaupt? Und wie hatten sie Sex?
Sie wusste nichts davon und hatte auch nicht die geringste Lust es herauszufinden. Sie wollte weg. Schnellstmöglich.
Doch das Weiß versperrte ihr alles. Weder gab es Antworten, noch die Chance zur Flucht. Und das einzige, das Jisoo tun konnte, war warten. Darauf, dass die Engel sie besuchten oder sie den Kampf gegen den Schlaf erneut verlor. So oder so würde sie sie wiedersehen. Das war so sicher, wie das Amen in der Kirche.
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Hey liebe Leser!
da bin ich wieder ^.^
Nachdem ich die Venedig Story abgeschlossen habe, steige ich jetzt nach und nach in alle meine angefangenen Stories wieder ein.
Bei Abaddon fiel mir das irgendwie am leichtesten :)
Lasst gern ein paar Sternchen da - das würde mich freuen und motivieren tut es auch immer :)
Viele Grüße!
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