Jisoo und das Kleid
Sie trugen etwas Schwarzes. Eine Decke? Nein, dafür war der seidene Stoff, der wie ein Wasserfall über den Arm des einen Engels floss, zu kurz und zu schmal. Ein Kleid? Wurde ihnen weiß zu langweilig?
Jisoo kniff leicht die Lider zusammen, um besser zu sehen.
Erst da bemerkte sie, dass der Größere etwas Glänzendes in der Hand hielt. Jisoo dachte zunächst an einen Spiegel, stellte dann aber fest, dass es ein Tablett war.
Das helle Licht, das durch die geöffnete Luke fiel - Tageslicht, war es nicht; dazu war es zu weiß - strahlte wie ein Scheinwerfer, der Jisoo blendete und die harten Konturen der Engel herausstrich.
Alles an ihnen wirkte messerscharf und wie mit dem Lineal gezogen: die akkurat getrimmten Augenbrauen, die schmalen Nasen, die hohen Wangenknochen bis hin zu den Kieferlinien. Und wie immer trugen sie Uniformen, die dieses Mal noch prunkvoller dekoriert waren als sonst. Goldene Ketten klimperten an den Schultern und über den Reviers. Kurz stellte Jisoo sich vor, wie es wäre, beide damit zu erwürgen.
Doch jetzt war nicht die Zeit zum Träumen; sie musste achtsam bleiben. Die hatten doch was vor ...
Die Augen des Kleineren, der immer locker zwanzig Zentimeter größer war als sie, funkelten lebhaft. Grün.
Die erste Farbe, seit ....
„Wie lange bin ich hier? Und was habt ihr vor?" Das nun schon wieder, das ihr auf der Zunge lag, verkniff sie sich, da sie nicht wusste, ob sie sich die Träume nicht vielleicht doch nur eingebildet hatte.
Sie wollte Antworten und wenn sie sich aufs Fragen stellen konzentrierte, lenkte sie das von den Engeln ab. Denn auch wenn sie es nie zugegeben hätte: die Engel bei Licht zu sehen, machte etwas mit ihr.
„Ist das wichtig?" Der Größere hielt das silberne Tablett, in dem sich alle Helligkeit sammelte und hell wie tausend Sonnen reflektierte, gegen seine schmale Hüfte gestemmt. Jisoo wurde schwindelig allein von dem Anblick.
Durch die offene Luke hinter ihm hörte sie fremde Stimmen und ein vertrautes Klirren.
„Zeit, dass du dich nützlich machst." Er lächelte eisig und seine Augen glichen schwarzen Kristallen - klar und scharfkantig, fast so, dass man aufpassen musste, sich nicht daran zu schneiden. Und doch irgendwie geheimnisvoll. Sie spürte, dass sein Blick etwas verbarg, etwas, das tief im Inneren eingeschlossen war. Sie zuckte zusammen, als glatter Stoff sie an der Stirn traf.
Der andere Engel hatte ihr das Bündel einfach ins Gesicht geworfen! Ihr wurde heiß und sie kochte innerlich. Ob mehr aus Scham oder Wut, ließ sich nicht sagen. Am Ende macht es keinen Unterschied. Sie würde ihre Gefühle für sich behalten. Gegen beide hatte sie ohnehin keine Chance.
Mit roten Wangen betrachtete sie das Bündel vor ihr auf dem Bett. Doch so wie sie die Finger danach ausstreckte, leuchteten die Ringe an ihren Gelenken. Schmerz brannte sich heiß und tief in ihre Haut. Jisoo schrie auf.
Es schepperte. Und die Engel waren zur Stelle. Einer berührte die Fesseln, der andere ihre Haut. Die Ringe wechselten die Farbe und leuchteten in einem kalten Blau. Ein wohliges Gefühl schwappte über Jisoos Arme und Beine, wie ein kühlender Balsam.
Und das war noch nicht alles: Die Eisenringe fielen ab wie kaputtgerissene Schnippgummis. Das weiche Gefühl auf der Haut blieb. So, als hätte ihr jemand eine heilende Salbe aufgetragen. Jisoo konnte zusehen, wie die Abdrücke und Male, die die unsäglichen Dinger hinterlassen hatten, verheilten und verblassten.
„Wie?", hauchte sie.
„Heilendes Licht", antwortete der Kleinere knapp, was Jisoo noch mehr Respekt einflößte. Die Engel konnten allein mit Licht verletzen und heilen - je nachdem, wie es ihnen in den Kram passte.
Als sie merkte, dass sie soeben das erste Mal eine Antwort erhalten hatte, verbuchte sie das als kleinen Erfolg.
Endlich redeten sie mit ihr.
„Ausziehen!" Der Engel deutete mit dem Kinn auf Jisoo und dann auf das schwarze Bündel neben ihr. „Anziehen!" Da sie spürte, dass ihr keine Wahl blieb, faltete sie es vorsichtig auseinander. Der Stoff war glatt und roch angenehm. Ein Hauch von Rosen wehte ihr entgegen, als nacheinander ein knapper Rock, eine taillierte Bluse und dazu eine Schürze mit gestanzter Spitze zum Vorschein kam. Zuletzt hielt sie ein albernes Häubchen in den Händen. Alles in tiefem, abgründigen Schwarz.
Die Garnitur eines Dienstmädchens! Sie schnappte nach Luft.
Der Kleinere sagte etwas, das Jisoo nicht verstand, doch da er ungeduldig mit zwei Fingern vor ihrer Nase herumschnippte, war die Botschaft klar.
Er hatte es unfassbar eilig, sie in der neuen Robe zu sehen. Nun, sie nicht. Auch wenn ihr jetziges Kleid durchgeschwitzt war; es war das Kleid einer Göttin. Und sie hatte das untrügliche Gefühl, dass mehr hinter dem Ganzen steckte als ein bloßer Garderobenwechsel.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Wozu?"
Die Engel wechselten einen kurzen Blick. Doch noch hatte der Mut Jisoo nicht verlassen. „Wenn ihr wollt, dass ich das trage, dann sagt mir wozu!" Ihre Finger krallten sich in den Stoff und sie drückte ihr Rückgrat durch für mehr Autorität. Wie man selbstsicher auftrat, hatte sie schließlich gelernt, das gehörte zur Grundausbildung eines Idols.
Die Brauen des Kleineren zuckten und seine Hand griff gezielt nach dem Gurt mit den Laserwaffen. Jisoo schluckte, hatte sie sich doch eine andere Reaktion erhofft. Sie wollte gerade nachgeben, da trat der Größere einen Schritt auf sie zu. Er beugte sich so nah zu ihr herunter, dass sein Atem ihre Wange streifte.
„Wenn DU es nicht tust, übernehmen WIR das für dich." Er sprach so dicht in ihr Ohr, dass sie seinen Mund nicht mehr sah, aber das frivole Lächeln hörte sie trotzdem.
Das schwarze Kleid fest an ihre Brust gepresst, wich sie zurück. Sein Blick war unergründlich, doch sie zweifelte keine Sekunde daran, dass er es ernst meinte.
„Ich tue es selbst!", versicherte sie schnell.
Er nickte zufrieden und bedeutete seinem Kameraden, mit vor die Tür zu kommen. Die Luke blieb offen.
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