15. Gespräch unter Frauen
Am Wochenende treffe ich mich mit Ava. Ich kann immer noch nicht fassen, dass inzwischen drei Monate herum sind. Auch wenn ich Reece im Moment nicht in die Augen sehen kann, gab es doch auch schöne Momente zwischen uns. Dann wenn wir gemeinsam zur Schule gefahren sind und über alles Mögliche geredet und gelacht haben, dann wenn wir gemeinsam im Zimmer saßen und über unsinniges Zeug geredet haben. Selbst die Momente, in denen er mich aufgezogen hat, behalte ich gerne in Erinnerung. Und Gott, dieser Kuss - ob ich den je vergessen werde? Ich glaube nicht. Dieser Kuss war noch schöner, als ich mir hätte vorstellen können. Dass ich am Tag danach so reagiert habe, lag einfach nur am Schock. Es war Angst, Panik und Entsetzen, alles in einem und noch viel schlimmer. Natürlich ist es nicht einfach, aufzustehen und festzustellen, dass man seinen Freund betrogen hat. Ich hätte natürlich auch anders reagieren können, aber wenn man nicht selbst in dieser Lage steckt, dann kann man viel reden. In diesem Moment, als mir alles bewusst wurde, konnte ich einfach nicht mehr klar denken. Alles ist auf mich eingestürzt und hat mich erdrückt und ich habe aus einem einfachen Reflex reagiert. Ich weiß aber nicht, ob alles anders gelaufen wäre, wenn ich anders reagiert hätte.
Ich schüttele innerlich den Kopf und befehle mir selbst, damit aufzuhören. Aufzuhören an ihn zu denken. Ich sollte Reece vergessen, jedenfalls fürs Erste. Es verletzt mich zu sehr, daran zu denken, deshalb schiebe ich die Gedanken an ihn jetzt beiseite und streiche den Namen Reece aus meinem Wortschatz.
Die Zeit vergeht schnell und ich merke, dass bald mein Geburtstag vor der Tür steht. Ich fand den Gedanken daran, meinen Geburtstag in einem fremden Land zu feiern aufregend, doch inzwischen frage ich mich, ob das überhaupt was wird. Was ich an dem Tag wohl machen werde? Ob Maria und Jack irgendetwas geplant haben? Werden sie Leute einladen?
Ava und ich gehen durch einige Läden, probieren hier und da mal was an und lästern über ein paar Leute aus der Stufe. Es ist toll, eine Freundin hier zu haben, wenn deine eigentlichen Freunde dich ignorieren. Und ich merke, dass ich Ava wirklich mag. Es ist nicht so, dass ich sie als Ersatz von Larissa und Jule sehe - nein, ich hoffe wirklich, dass wir befreundet bleiben, auch wenn ich wieder in Deutschland bin.
Ich habe Ava gefragt, ob sie keine anderen Freunde hat, weil ich es irgendwann seltsam fand, dass ich die einzige bin mit der sie redet. Sie hat mir erzählt, dass sie nie wirklich in irgendeine Clique hineingepasst hat.
»Lieber bleibe ich alleine, als mich mit Leuten abzugeben, die ich nicht wirklich mag«, hat sie gesagt.
Als Ava gerade in der Umkleidekabine steckt und sich einen schicken Pulli überzieht, lehne ich mich draußen an die Kabine und frage sie, wie es im Moment mit Lucian läuft. Sie steckt bloß den Kopf aus der Kabine und schüttelt den Kopf. Diese Geste signalisiert mir eindeutig, dass sie nicht darüber reden möchte. Also akzeptiere ich ihre Entscheidung und lasse das Thema fallen. Es tut mir natürlich weh, sie so zu sehen, aber wenn sie nicht darüber reden möchte, dränge ich sie nicht. Wenn sie irgendwann darüber sprechen will, wird sie schon auf mich zukommen. Da bin ich mir sicher.
Nachdem wir durch einige Läden gelaufen sind und uns ein paar neue Sachen für den Winter gekauft haben, setzen wir uns in ein kleines Diner in der Nähe und bestellen etwas zu Essen. So hungrig wie ich bin, kippe ich schon alleine bei dem Geruch nach Nahrung um. Das Wasser läuft mir wortwörtlich aus dem Mund.
Ava sitzt mir gegenüber, grinst mich an und sagt: »Hab' gehört mein kleines Emmachen wird bald siebzehn.«
Ich nicke eifrig und freue mich darüber, dass sie sich meinen Geburtstag, von dem ich ihr vor ein paar Monaten erzählt habe, gemerkt hat.
»Ja, in ungefähr zwei Wochen.«
Sie beugt sich weiter zu mir vor. Wenn sie so etwas tut, bedeutet das immer, dass sie irgendeinen Plan ausheckt oder eine Idee hat. »Hast du schon irgendetwas geplant?«
Ich zucke bloß mit den Schultern und seufze, denn eigentlich habe ich noch überhaupt keine Idee, wie ich meinen Geburtstag verbringen könnte. Mir ist auch erst vor Kurzem bewusst geworden, dass mein Geburtstag so gut wie vor der Tür steht. Ich schüttele den Kopf. »Nein. Aber ich denke mal, dass Maria und Jack sich etwas einfallen lassen werden.«
Ava scheint nachzudenken. Plötzlich erhellt sich ihre Miene. Das Lächeln, das ihr auf den Lippen liegt, wirkt boshaft. »Was hältst du davon, wenn wir die Nacht vorher in deinen Geburtstag hineinfeiern? Wir könnten auf eine Hausparty gehen. Reece wird uns bestimmt fahren«, sagt sie grinsend, woraufhin ich das Gesicht verziehe. Warum muss alles immer von Reece abhängig sein?
Ich schüttele den Kopf. »Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben.«
»Was? Warum nicht?«
Ich habe ihr zwar von dem Kuss erzählt, aber nicht von dem Gespräch, das wir eine Woche später geführt haben. Nicht, weil ich ihr nicht vertraue, aber es hat sich einfach nicht ergeben. In letzter Zeit habe ich versucht, mich mehr auf die Schule zu konzentrieren. Auf Referate und Hausarbeiten, die ich in den letzten Wochen vernachlässigt habe. Dabei haben mich Reeces Worte immer wieder verfolgt und sich in meinen Kopf geschlichen. Worte, die mir das Herz gebrochen haben. Du darfst dich nicht in mich verlieben. Niemals.
Ich beginne meine Geschichte. Ava klebt förmlich an meinen Lippen, nickt ab und zu, aber sagen tut sie nichts. Als ich am Ende meiner Geschichte bin, lächelt sie schwach und weicht meinem Blick aus. »Ihr seid so süß zusammen. Oh Gott, ich wette, wenn ihr ein Pärchen wärt, dann eins dieser nervigen Sorte.«
Spinnt sie? Ich habe ihr gerade erzählt, dass er mir einen deftigen Korb gegeben und mich abserviert hat und das ist alles, was sie dazu zu sagen hat?
»Eins der nervigen Sorte?«, frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen. Ava fängt an, zu kichern. »Du weißt schon. Diese Pärchen, die andauernd aneinanderhängen und alles zusammen machen müssen, die sich am Telefon tausend ich-liebe-dichs zuflüstern und einfach perfekt zusammenpassen.«
»Du hast ziemlich verdrehte Vorstellungen, Ava«, sage ich lachend. »Reece und ich wären nie im Leben so ein Paar. Mal davon abgesehen, dass wir überhaupt nie ein Paar sein werden.«
Sie sieht mich traurig an. »Du hast wohl recht. Er ist ein Weiberheld, der den Mädchen seine Liebe und seinen Charme vorgaukelt, um sie ins Bett zu bekommen. Es ist traurig, aber ich schätze dein Seelenverwandter ist ein Arschloch.«
»Danke aber auch. Das muntert mich gerade spitzenmäßig auf«, nuschele ich hinter meinen vorgehaltenen Händen. Ich schaue durch meine gespreizten Finger zu Ava, die mich aufmunternd anlächelt. »Wie läuft es mit Prince Charming?«
»Gar nicht«, antworte ich, als sie mich nach Max fragt. Sie macht sich gerne über ihn lustig und es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass sie ihn nicht ausstehen kann. »Er ruft mich andauernd an, schreibt mir seit über einer Woche und ich ignoriere es einfach. Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll, wenn er mich fragt, was los ist. Ava, ich kann ihn nicht einfach anlügen.«
»Dann sag ihm die Wahrheit«, flötet sie und lächelt mich herzlich an. Mein Blick fällt auf meine Hände, die auf dem Tisch liegen und ich schüttele den Kopf. »Und was ist die Wahrheit? Es tut mir leid, aber ich habe dich betrogen. Ich habe auf einer Party einen anderen Kerl geküsst. Verzeih mir bitte. Oder doch eher es tut mir leid, aber ich glaube, dass zwischen uns geht nicht mehr gut. Wir sollten uns trennen. Oder-«
»Moment! Hast du gerade in Erwägung gezogen, mit ihm Schluss zu machen?«, fragt sie ungläubig, wirkt dabei aber alles andere als unzufrieden. Sie freut sich regelrecht. Ich nicke vorsichtig. Schon seit ein paar Tagen denke ich darüber nach, dass ich Max nicht mehr so liebe, wie ich es zuvor getan habe. Es war nicht einmal annähernd so intensiv und auch nicht vergleichbar mit dem, was ich bei Reece gespürt habe. Vor allem aber kann ich ihm, nachdem ich ihn betrogen habe, nicht mehr in die Augen sehen. Ich schäme mich einfach viel zu sehr.
»Ich habe darüber nachgedacht. Aber wie soll ich das anstellen? Ich will nicht einfach so per Telefon Schluss machen, aber noch warten, bis ich wieder in Deutschland bin, ist auch keine Lösung«, überlege ich laut. Natürlich muss ich erst einmal gründlich darüber nachdenken, aber wenn es denn so sein sollte und ich mich wirklich von Max trenne, wie soll ich das am besten anstellen, ohne als Vollidiot dazustehen?
»Ich schätze, du musst wohl so Schluss machen. Aber du kannst es ja am besten per Skype machen, sodass ihr euch seht und wenn er unbedingt darauf besteht, dann wirst du wohl noch einmal mit ihm reden müssen, sobald du wieder in Deutschland bist.«
Ich schätze, Ava hat recht. Das Ganze in die Länge zu ziehen und Max weiterhin etwas vorzuspielen, wäre viel zu kaltherzig. Vielleicht sollte ich aber auch noch ein paar Tage mit meiner Entscheidung warten. Ich sollte noch keine zu voreiligen Schlüsse ziehen.
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