62 ⚜ Hello mother
REBEKAH
Es dauerte 21 Tage.
21 Tage, nur um auf ihren reglosen Körper im Schnee herabzusehen.
,,Nein, nein, nein", murmelte ich und sank auf die Knie. Elizas Haut war eiskalt. Kalt wie der Tod. ,,Ich brauche dich. Ich... Ich liebe dich, verdammt!" Meine Stimme zitterte. ,,Ich habe dich ein halbes Jahrtausend lang geliebt - jeden einzelnen Tag. Vor fünfhundert Jahren bin ich dir hoffnungslos verfallen und in weiteren fünfhundert werde ich es immer noch genauso tun, wie am allerersten Tag. So darf es nicht enden.."
Das merkwürdige war, dass Eliza nicht Vampir - tot aussah. Eher... menschlich-tot. Die blassen, fast blauen Lippen, ihre noch hellere Haut und die weit aufgerissenen Augen, die ins Leere starrten.
Ich nahm meinen Mantel ab und deckte sie damit zu. ,,Wenn du mich hörst, dann sag es mir bitte. Vampire erfrieren nicht. Ich... Ich kann diese Unwissenheit nicht ertragen." Meine Augen brannten, bis ich die Tränen zuließ, die über meine Wange kullerten.
,,Es tut mir Leid, Rebekah. Als ich auf der Suche nach euch hier angekommen bin, lag sie schon dort." Jemand legte eine Hand auf meine Schulter. Die Berührung war so... vertraut.
,,Mutter", hauchte ich.
Sie schwieg und schenkte mir eine schützende Umarmung. Wenn ich die Augen schloss, war ich wieder ein Kind, das ihre Nähe suchte. Früher hatten sich meine Probleme einfach in Luft aufgelöst, wenn sie mir ihre Aufmerksamkeit schenkte. Heute wartete ich vergeblich darauf, dass der Schmerz verebbte.
,,Wie ist das möglich?", wisperte ich in die Stille hinein. Mit dem Ärmel wischte ich die Tränen aus dem Gesicht. Einer plötzlichen Eingebung folgend sah ich Vater vor mir, der Tränen immer mit Schwäche verband und uns stets ermahnte, uns zusammenzureißen. Mir war das immer schwer gefallen.
,,Du stellst die falschen Fragen, mein Kind. Das Warum spielt eine viel größere Rolle, nicht wahr? Ich möchte unsere Familie wiedervereinen. Als ich Elijah und dich in Mystic Falls erlebt habe, als ihr meinen ewigen Schlaf unterbracht, da wusste ich sofort, dass ich einen Weg finden muss, um zu euch zurückzukehren."
,,Welche Familie denn? Eliza war Teil der Familie", antwortete ich. Alles andere war jetzt nicht wichtig. Ohne sie war mein Leben düster und grau.
Mutter seufzte. ,,Rebekah, warum habe ich euch in Vampire verwandelt?"
,,Um uns vor den Werwölfen zu schützen. Du konntest es nicht ertragen, dass uns dasselbe zustößt wie Henrik", sagte ich und schluckte beim Gedanken an meinen kleinen Bruder. ,,Anfangs habe ich dich dafür gehasst. Du hattest es nicht beabsichtigt, aber wir sind Monster geworden. Nichts habe ich mir sehnlicher gewünscht, als wieder ein Mensch zu sein. Beinahe hätte ich deswegen einen Vampirjäger geheiratet." Den Wunsch nach einem menschlichen Leben hatte ich immer noch. ,,Aber dann sind Eliza und ich uns nähergekommen und plötzlich war das alles nicht mehr wichtig. Eliza hat mein Leben wieder lebenswert gemacht, aber diese Ewigkeit halte ich nicht alleine aus. Nicht, wenn alle Welt mir ständig einen Dolch in den Rücken stößt."
Letzteres war symbolisch gemeint, aber Klaus besaß diesen Dolch auch jederzeit griffbereit. Ich liebte meine Familie über alles, aber ich brauchte auch Eliza, um glücklich zu sein.
Ich hob meinen Kopf und sah Mutter an. Sie sah aus wie immer, angefangen von ihrem goldblonden Haar, über die blauen Augen, die so viel Wärme und Weisheit ausstrahlten. Früher wollte ich aussehen wie sie, sein wie sie. Sie war mein ein und alles. Und dann machte sie dieses Monster aus mir.
Meine eigenen Worte holten mich in die Realität zurück. Meine Trauer um Eliza hatte mich verdrängen lassen, was in Mystic Falls geschehen war. Mutter hatte Elizas Magie an sich gerissen, um stärker zu werden. Was, wenn...
Ich stolperte zurück. ,,Du warst das. Du hast sie mir weggenommen. Warum?"
,,Was ich euch angetan habe, war falsch. Ich hätte diesen Unsterblichkeitszauber nie sprechen dürfen. Es bricht mir das Herz zuzusehen, was aus euch geworden ist. Finn habt ihr in einen Sarg gesperrt, Elijah ist ein kaltblütiger Mörder, der sich hinter seiner Nobilität versteckt, Niklaus ist der gefährlichste Mann der Welt geworden und von Kol brauche ich nicht anzufangen, oder?" Sie sah zu mir. ,,Ich habe Angst, dass du so wirst wie dein Bruder Klaus."
Es stimmte, dass mein Temperament nahe an das meines Bruders herankam. Es stimmte, was sie über unsere Familie sagte. Aber es war nicht unsere Schuld. Es war ihre. ,,Wenn Eliza nicht auf der Stelle wieder aufwachst, demonstriere ich dir, wie sehr ich Nik bereits ähnle", knurrte ich und ging auf Abstand.
Es könnte so einfach sein. Ich wäre Mutter haushoch überlegen, aber sie bezog Magie von Eliza. Das verdoppelte oder verdreifachte sogar ihre Kräfte.
,,Hör mir zu..."
,,NEIN", sagte ich wütendender als beabsichtigt. ,,Du nimmst mir die Frau, die ich liebe und spielst dich anschließend als unsere Retterin auf. Wie kannst du auch nur eine Sekunde von mir erwarten, dass ich dir zuhöre!"
,,Rebekah, ich..."
Wieder schnitt ich ihr das Wort ab. In Vampirgeschwindigkeit raste ich auf sie zu und drückte ihre Luftröhre zusammen. ,,Ich sagte, dass ich dir nicht zuhören werde."
,,Ich bin gekommen, um..." Mutter röchelte. ,,Ich kann dir helfen... ein M... ein Mensch zu werden."
Ich lockerte den Griff um ihren Hals schlagartig. Mutter atmete hektisch, um wieder Sauerstoff einzuatmen. ,,Wie war das?"
,,Ich bin zurückgekommen, um dir deinen größten Wunsch zu erfüllen", wiederholte sie schwer atmend.
,,Hast du das Heilmittel?"
,,Nein, aber die Magie, die ich von Eliza beziehe, macht mich mächtig genug, um den Unsterblichkeitszauber rückgängig zu machen. Ich bin die Hexe, die ihn gesprochen hat, also kann ich ihn wieder aufheben."
Ein menschliches Leben. Fünfhundert Jahre hatte ich mich danach gesehnt, mit jeder Faser meines Körpers. Ich beneidete Familien mit ihren schreienden Kindern, alte Menschen auf den Straßen, die ihr Leben bereits mit bedeutsamen Erinnerungen füllten und jüngeren ihre Weisheiten berichteten. Ich tanzte auf Bällen, blickte in den Saal und erinnerte mich daran, dass ich sie alle überleben werde. Aber am allermeisten schmerzte es, wenn ich den Männern an meiner Seite erzählte, dass ich keine eigenen Kinder gebären konnte. Niemals. Und so sehr ich Eliza liebte, war das immer ein Herzenswunsch von mir gewesen.
Es war verlockend.
,,Ich kann dir alles ermöglichen, wovon du jemals geträumt hast. Du wärst endlich frei von der Bürde, ein Vampir zu sein. Deinen Brüdern werde ich dasselbe Angebot machen und danach kümmere ich mich um Mikael. Ihr könntet endlich sesshaft werden und frei sein."
Frei sein. Ich war müde von der Flucht vor Vater, müde von den Streitereien mit Nik.
Mutters Angebot war ein Ausweg. Der Fluch wäre endlich gebrochen.
Und dann sah ich Eliza auf dem Boden liegen. Sie ist das einzige, dass ich aufgeben müsste. Ein Leben dafür, dass meine Träume endlich in Erfüllung gingen. Ich war einst selbst eine Hexe gewesen. Für diesen Zauber brauchte Mutter viel Energie. Alles, um genau zu sein. Eliza würde danach nicht aufwachen, da brauchte ich mir nichts vorzumachen. War es das nicht wert? Ich könnte endlich Kinder haben, alt werden und ein richtiges Zuhause finden. Klaus, Elijah, Kol und ich wären wieder ganz normale Geschwister. Ohne Dolche, ohne Opferrituale, ohne Hybridflüche und dieser finsteren Wut. Wir wären glücklich.
,,Frei sein. Das würdest du wirklich für mich tun", wiederholte ich die Worte meiner Mutter und lächelte. Ich umarmte sie stürmisch.
,,Natürlich. Ich würde alles für dich tun, meine Tochter."
,,Mama?"
,,Ja?"
Ich schluckte. ,,Bitte vergiss niemals, dass ich dich liebe - und zwar für immer und ewig. Es tut mir Leid."
Ich hatte schon viele Male ein Genick gebrochen. Nie erschauderte ich so sehr von dem Geräusch wie diesmal. Es schien in meinen Ohren zu hallen wie ein Donnerschlag. Mutters lebloser Körper hing in meinen Armen. ,,Es tut mir Leid, aber ein menschliches Leben ohne Eliza will ich nicht. Ich würde es bis in alle Ewigkeit bereuen. Wenn ich eines Tages sterbe, soll sie meine Hand halten, damit ich ihr sagen kann, wie sehr ich sie liebe. Der sehnlichste Wunsch in meinem Herzen ist es nicht, menschlich zu sein. Jedenfalls nicht dann, wenn der Preis dafür so hoch ist. Weißt du, was ich wirklich will?"
Ich legte Mutters Körper in den Schnee und küsste sie auf die Stirn. Dann lächelte ich Eliza an, die gerade erwachte. ,,Mein sehnlichster Wunsch ist es, geliebt zu werden."
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