Kapitel 3
„Hey.", begrüßte mich Peter lächelnd, als wir oben an seiner Wohnungstür angekommen waren. „Hi.", erwiderte ich und lächelte zurück. Ein kleines Zupfen an meiner Hand erinnerte mich daran, dass ich nicht alleine war. Doch bevor ich die beiden einander vorstellen konnte, hatte sich Peter schon hingehockt und sagte zu Amy, die sich halb hinter mir versteckte: „Ich bin Peter. Wie heißt du denn?" Lächelnd wartete er, bis Amys Antwort kam. „Ich bin Amy." Meine Schwester sprach erstaunlich leise und schüchtern, doch Dank Peters nettem Lächeln, traute sie sich hinter mir hervor. „Hi Amy. Ich helfe deiner Schwester ein bisschen bei Mathe. Das ist für dich vermutlich ziemlich langweilig, also kannst du, wenn du möchtest währenddessen etwas bauen. Ich hab eine Kiste Lego gefunden, die leihe ich dir." Amy lächelte und nickte. Dann richtete er sich wieder auf. Er stand kurz nur da und sah mich an, bis ihm einfiel, dass wir immer noch im Flur standen. „Oh ja, kommt doch rein.", meinte er schnell und trat einen Schritt zur Seite, um uns reinzulassen. „Tante May arbeitet noch, sie kommt vermutlich erst gegen Abend wieder. Bis dahin sind wir also alleine.", informierte Peter mich, während Amy und ich unsere Schuhe auszogen. „Mein Zimmer ist direkt gegenüber der Küche. Du kannst schon mal vorgehen, wenn du möchtest.", wandte er sich wieder an Amy, die nickte und dann mit ihrem Rucksack in der Hand ins Zimmer flitzte. „Du kannst echt gut mit kleinen Kindern.", meinte ich lächelnd. „Es ist das erste Mal, dass ich überhaupt einem Kind so nahe gekommen bin, geschweige denn, dass ich mit ihm gesprochen hätte.", meinte Peter. Er hatte beobachtet, ob Amy ins richtige Zimmer lief, doch jetzt wandte er sich wieder mir zu. „Wie alt ist sie denn?" „Amy ist vor ein paar Monaten fünf geworden."
Wir folgten Amy in Peters Zimmer. Dabei fiel mir auf, dass die Wohnung der Parkers ziemlich ähnlich aufgebaut war, wie unsere eigene. In Peters Zimmer stellten wir fest, dass meine Schwester schon die besagte Kiste mit Lego entdeckt hatte und in einer Zimmerecke neben dem Doppelstockbett anfing etwas zu bauen. Was genau es werden sollte, war allerdings noch nicht zu erkennen.
Unschlüssig stand ich im Zimmer, bis Peter sich auf die untere Etage seines Bettes setzte und mir bedeutete, ebenfalls da Platz zu nehmen. Ich stellte also meinen Rucksack neben das Bett und setzte mich. „Danke, dass du mir hilfst.", bedankte ich mich nochmal bei Peter. Aus meinem Rucksack kramte ich mein Mathebuch hervor, sowie mein Heft und einen Bleistift.
„Okay, was weißt du denn generell von dem Thema?", fragte mich Peter. Eine logische Frage, doch ich musste verblüfft feststellen, dass ich nicht einmal unser Oberthema wusste. „Es geht um.....", fing ich zögernd an und lächelte gequält, als Peter meinen Satz beendete. „...um Parabeln.", sagte er und zog eine Augenbraue nach oben. „Wow, du weißt ja echt absolut gar nichts.", stellte er lachend fest. Verzweifelt zuckte ich mit den Schultern. Ich hatte in letzter Zeit einfach zu viele Gedanken im Kopf, aber das waren alles Dinge, die ich Peter nicht erzählen konnte. ‚Ja Peter, das liegt daran, dass meine depressive Mutter immer seltener aufsteht und ich mich stärker als jemals sonst, alleine um Amy kümmern muss. Außerdem hab ich komische Kräfte entdeckt, die denen von Spiderman ziemlich ähnlich sind, der ich natürlich nicht bin, aber die Kräfte spinnen bei mir irgendwie.'? Nein, das konnte ich nun wirklich nicht erzählen.
„Na gut, fangen wir einfach an. Die einfachste Parabel, ist die Normalparabel. Ihre Formel ist f(x)=x^2.", fing Peter an zu erklären. Er schnappte sich einen Zettel und einen Stift von seinem Schreibtisch und machte eine Skizze von einem Koordinatensystem. Dann zeichnete er eine Parabel hinein. „Siehst du, hier. Das ist die Normalparabel. Ihr tiefster Punkt, der Scheitelpunkt, verläuft in diesem Fall durch (0|0)." Ich nickte und notierte mir alles was Peter erzählte. Er konnte gut erklären und es fiel mir viel leichter, ihm zuzuhören, als Mr. Harrington. Doch nach einer Stunde voller Fachbegriffe, Zahlen und Koordinatensystemen, rauchte mein Gehirn. Ich hatte alles säuberlich notiert, aber ich konnte unmöglich den Stoff von vier Unterrichtsstunden an einem Nachmittag aufholen. Amy hatte inzwischen ihr Bauwerk beendet und sich an Peters Schreibtisch gesetzt, um etwas zu malen. Sie hatten im Kindergarten Ausmalbilder bekommen oder so, zumindest hatte sie Peter nach Buntstiften gefragt.
„Wie kannst du dir das alles merken? Ich hab das sobald wir ein neues Thema anfangen garantiert sofort wieder vergessen! Wenn nicht sogar früher.", fragte ich verzweifelt und ließ mich rückwärts auf das Bett sinken. Am Anfang war die Stimmung zwischen uns noch etwas angespannt gewesen, doch mittlerweile hatte sich das gelockert. „Keine Ahnung. Ich hab einfach ein Talent für wissenschaftliche Sachen.", meinte Peter schulterzuckend.
„Darf ich bitte was zu trinken haben?", fragte Amy in diesem Moment. „Ja klar. Möchtest du auch etwas?", fragte Peter mich. „Ja gerne." Ich richtete mich auf, nahm mein Heft von meinem Schoß und legte es neben mich aufs Bett. Dann stand ich auf und folgte Peter und Amy in die Küche. „Wir haben Wasser...Wasser...und Wasser.", teilte Peter nach einem Blick in den Kühlschrank mit. „Schwierige Entscheidung!", sagte ich grinsend. Peter schmunzelte und verdrehte die Augen. Dann holte er drei Gläser aus einem Küchenschrank und füllte sie mit dem einzigen Angebot, das der Kühlschrank der Parkers hergab. Er reichte jedem von uns eins.
Schnell waren die Gläser wieder leer. Peter bot noch mehr an, ich lehnte dankend ab, aber Amy trank noch ein bisschen Wasser.
„Peter, ich glaube ich kann das nicht alles heute in mein Gehirn quetschen.", gab ich zu, als wir wieder in seinem Zimmer waren. „Wir haben noch nicht einmal die Hälfte besprochen.", meinte er nachdenklich und betrachtete das Buch. „Wir könnten uns noch einmal treffen und dann einfach da weitermachen, wo wir aufgehört hatten.", schlug er vor. Erleichtert, dass nicht ich ein weiteres Treffen vorschlug, nickte ich. „Das wäre super." Ich überlegte kurz und meinte dann: „Ich kann mich auch gerne dafür revanchieren. Keine Ahnung, ich spendier dir ein Eis. Oder zwei. Oder so." Das erschien mir wie das Mindeste, das ich tun konnte. Immerhin hatte er ja kein Geld für die Nachhilfestunden verlangt. „Klingt gut.", stimmte Peter zu. Lächelnd sah ich ihn kurz an, bevor ich mich wieder zurücklehnte. Obwohl wir ja jetzt eigentlich für heute fertig waren, wollte ich noch nicht gehen. Hier war die Atmosphäre so entspannt. Ich wollte gar nicht an die Verpflichtungen denken, die ich zu Hause noch hatte. „Wollen wir Geschichte vielleicht noch zusammen machen?", riss mich Peter aus meinen Gedanken. „Geschichte? Achja Geschichte brauchen wir ja bis morgen.", fiel mir ein. Gut, dass er das erwähnt hatte, das hatte ich völlig vergessen. „Ja, können wir gerne machen." Ich lächelte und freute mich, dass es jetzt einen Grund gab, damit ich noch etwas hierbleiben konnte. Ich warf einen Blick auf Amy, aber die war völlig in ihre Malbilder vertieft.
„Also bei 3a) würde ich sagen...", fing ich an, als man einen Schlüssel hörte und die Wohnungstür aufging. „Pete, ich bin wieder da!", rief eine weibliche Stimme. „Hi, Tante May!", antwortete Peter. „Wir müssen mal wieder einkaufen gehen, der Kühlschrank ist fast leer. Was hältst du davon, wenn wir heute Abend essen gehen?" Während Peters Tante redete, war sie durch die Küche gegangen und stand am Ende in der Zimmertür. Überrascht wanderte ihr Blick, zwischen Peter, mir und Amy hin und her. „Hallo Ms. Parker, ich bin Catelyn und das ist meine Schwester Amy. Peter war so nett und hilft mir ein bisschen mit Mathe.", stellte ich uns lächelnd vor und stand auf, um Peters Tante die Hand zu schütteln. „Das ist nett von dir Pete." May schien sich ehrlich darüber zu freuen, dass Peter Besuch hatte. „Und nenn mich ruhig May, Ms. Parker klingt ja uralt.", bat sie mich. Dann wandte sich May noch einmal an Peter. „Also, auswärts essen? Ihr dürft natürlich mitkommen, wenn ihr wollt." Peter nickte und Amy sah mich bittend an. Ich fand es schrecklich, aber ich sagte entschuldigend lächelnd: „Das ist freundlich, aber wir müssen heute Abend leider wieder zu Hause sein. Aber ein anderes Mal lässt es sich bestimmt einrichten." Irre ich mich oder sah Peter fast ein bisschen enttäuscht aus? „Wann müsst ihr denn zu Hause sein? Es ist ja schon halb 8.", hakte May nach. Halb 8 schon?, fragte ich verwundert. „So in einer halben Stunde sollten wir schon los.", antwortete ich widerstrebend. „Na dann lass ich euch wieder in Ruhe. Viel Spaß!", verabschiedete sich May und zog die Tür hinter sich ran. „Was wolltest du gerade eben, wegen Geschichte sagen?", fragte Peter und sah mich aufmerksam an. „Ja genau, also.."
Eine halbe Stunde später hatten wir die Aufgaben erledigt. Es war ein gutes Gefühl, zu wissen, dass man am nächsten Tag nicht unvorbereitet in den Unterricht gehen würde.
Bevor wir jedoch nach Hause konnten, musste Amy uns noch ihre Kunstwerke zeigen. Als erstes kam ihr Bauwerk dran. Wir sollten sagen, was es war. Ich schlug den schiefen Turm von Pisa vor (was sich als falsch herausstellte) und Peter interpretierte mit viel Fantasie den Eifelturm hinein. Hinterher wusste ich gar nicht mehr, wieso wir dachten, dass eine Fünfjährige Nationaldenkmäler kennen sollte. Amy war zwar etwas beleidigt, dass wir ihr architektonisches Wunder nicht erkannten, erklärte sich aber dazu bereit, uns einzuweihen. Es stellte sich als der Avengers-Tower heraus. Dann lief sie die paar Schritte zu Peters Schreibtisch und nahm ihre ausgemalten Bilder in die Hand. Das erste war ein Iron Man Bild. Größtenteils war es in den richtigen Farben ausgemalt worden und meistens war Amy auch innerhalb der Linien geblieben. Beim zweiten Bild riss Peter die Augen weiter auf. „Das ist Spiderman!", erklärte Amy uns begeistert. „Er ist so...pink.", stellte Peter fest. „Ja, so sieht das viel besser aus, als in rot!", meinte Amy und betrachtete ihr Bild, wie um sicher zu gehen, dass es in pink wirklich schöner war. Ich konnte Peters Gesichtsausdruck nicht ganz deuten, es war irgendwie eine Mischung aus Entsetzen und Belustigung. „Die sind sehr schön geworden, Amy.", lobte ich meine Schwester. „Hier, das schenke ich dir!" Mit leuchtenden Augen hielt Amy Peter ihr Spiderman Bild hin, der es lächelnd entgegen nahm. In einer Ecke hatte Amy ihren Namen hingeschrieben. Das y war noch spiegelverkehrt und der ganze Namenszug war noch etwas ungelenk, aber dafür so groß, dass die 3 Buchstaben die gesamte Ecke einnahmen.
„Tante May! Ich bringe Cathy und Amy noch nach Hause, dauert nicht lange.", teilte Peter seiner Tante mit, die im Wohnzimmer saß. Ich bemerkte, dass er meinen Spitznamen sagte. Es überraschte mich, freute mich aber auch irgendwie. „Tschüss!", verabschiedeten Amy und ich uns auch von May, die uns zuwinkte.
Im Flur zog Peter die Wohnungstür hinter uns zu und ging dann die Treppe hinunter.
„Das ist nett, dass du uns noch begleitest.", sagte ich leise zu Peter. Amy hüpfte ein paar Meter vor uns auf den Pflastersteinen herum, während ich ihren Rucksack in der Hand und meinen auf dem Rücken trug. Peter hatte zwar angeboten, mir einen der Rucksäcke abzunehmen, aber ich hatte abgelehnt. So schwer waren sie nicht. „Kein Problem, mach ich gerne.", erwiderte Peter und blickte sich um. Es war schon nach Sonnenuntergang, doch durch die vielen Straßenlaternen war es nicht besonders dunkel. „May ist deine Tante?", fragte ich vorsichtig nach. Ich wollte kein Thema anschneiden, das ihm unangenehm sein könnte. „Ja. Ich lebe schon seit ich klein bin bei ihr. Meine...meine Eltern sind gestorben, als ich noch ziemlich klein war.", erzählte er zögernd. Ich nickte. Ein ‚Tut mir leid', kam mir unangebracht vor. Ich weiß noch genau, wie sehr ich es hasste, wenn jemand sich dafür entschuldigt. Immerhin waren die Leute ja gar nicht schuld daran. „Mein Dad ist gestorben als ich zehn war. Amy ist eigentlich meine Halbschwester.", erzählte ich ihm. „Oh. Das muss hart gewesen sein. Ich meine, ich erinnere mich nicht mehr wirklich an meine Eltern, aber mit zehn...da ist man ja schon etwas älter." Ich nickte und lächelte ein wenig traurig. Dann blinzelte ich aber und zuckte mit den Schultern. „Naja ändern kann man es leider nicht. Man kann nur weitermachen." Oder daran zerbrechen, dachte ich im Stillen. „Weißt du schon, was du später machen möchtest? Langsam müssen wir uns ja schonmal grob entschieden.", wechselte ich das Thema. „Also im Moment mache ich ein Praktikum bei Stark.", erzählte Peter lächelnd. „Ich hoffe, dass daraus etwas wird und ich später eine...feste Stelle bekomme." „Wirklich? Bei Stark? Cool!", meinte ich begeistert. „Das klingt aber irgendwie zeitaufwendig.", sagte ich nachdenklich, obwohl ich keine wirkliche Vorstellung hatte, was Peter bei dem Praktikum machen musste. Aber da er es nicht von selbst erzählte, fragte ich nicht nach. Vermutlich würde ich sowieso nur die Hälfte verstehen. „Und du?", fragte Peter mich nun ebenfalls. Ich zuckte mit den Schultern und grinste ein wenig schief. „Ich bin da noch ziemlich offen. Vielleicht etwas in Richtung Schauspiel, das wäre toll." „Ich will später eine Prinzessin werden! Oder eine Superheldin!", meldete sich Amy von vorne. Sie hatte wohl doch auf uns geachtet. „Superheldin? Das ist aber ein gefährlicher Job.", warf Peter ein. „Zur Prinzessin fehlt dir aber gar nicht mehr viel.", meinte er grinsend. Amys Augen leuchteten auf. Spätestens jetzt hatte er meine kleine Schwester für sich gewonnen.
„Danke Peter. Wir sehen uns dann morgen in der Schule?", verabschiedete ich mich, als wir vor dem Haus angekommen waren. „Tschüss Peter!", rief Amy fröhlich und lief schonmal die Treppe bis zu unserer Wohnung hoch. „Warte kurz.", meinte Peter und holte sein Handy raus. „Wir könnten Nummern tauschen. Dann ist das vielleicht etwas einfacher sich abzusprechen, wann wir uns das nächste Mal treffen. Wegen Mathe.", schlug er vor. Ich nickte und holte schnell mein Handy raus. „Ich hab dir jetzt theoretisch eine Nachricht geschickt.", meinte Peter nachdem er meine Nummer eingespeichert hatte. „Jap, ist da.", bestätigte eine Benachrichtigung. „Super dann bis morgen!" Lächelnd winkte ich kurz, bevor ich in den Flur ging. Durch ein Fenster sah ich, wie Peter sich abwandte, sobald die Tür zufiel und den kurzen Weg bis zu Straße entlangging. „Na dann, lass uns mal was zu Abend essen.", schlug ich Amy vor und schloss die Wohnungstür auf.
Später, als Amy schon im Bett war, lag ich noch wach. Immer wieder versuchte ich einen Spinnenfaden aus meinem Handgelenk hervorzulocken. Ich konzentrierte mich, suchte mir ein Ziel an der Wand aus, aber nichts half. Irgendwann schlief ich frustriert ein.
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