76.
76.
Rain
Der Spiegel zeigte einen weißen Haufen, hundert Stoffblumen und irgendetwas atmendes.
Darunter lugte ein repräsentativer Kreis, als mein Gesicht hervor und darin kreisten – ja es kreisten zwei braune Augen herum.
Und sie sahen wirklich sehr panisch aus.
Und dahinter stand eine in einem blauen Kleid gekleidete Brautjungfer mit einer Art Müllsack über den Kleid, um das schöne Teil nicht mit Haarspray zu verschmutzen.
Céline keuchte anhand des Schleiers.
Nach einer Riesendiskussion mit einer beleidigten kleinen Schwester (ich hatte ihr so was ähnliches mit Jugendorganisation erklärt, damit klar war, wieso ihre große Schwester kurz vor der Verlobung die Schlosswand heruntergeklettert war, Eli jedoch die Wahrheit gesagt), hatte ich dem Schleier zugestimmt.
Ich hatte mir ein ganz bestimmtes Kleid ausgesucht, dass sicher und wohlbehalten in einem eigenen Tresor stand.
Und der Tag war lang, denn die Hochzeit wurde mit der Krönung Jem's zum neuen König und ich zu der neuen Königin verbunden.
Verdammt, ich war neunzehn!
Gerade geworden.
Und ich hatte mein Kabinett mit einer sensationellen Beraterin namens Annie, einer Ministerin für Sicherheit von chemischen Stoffen - bitte raten – Leony erweitert, die aufgrund der Not auch mit etwas stärkeren Waffen beauftragt wurde und einigen Wachen aufgefüllt.
Milla war jetzt im vierten Monat und glücklich mit Christian Morgenstern verlobt.
Außerhalb der Öffentlichkeit natürlich.
Ich hatte noch meine guten alten Zofen.
Den König? Vermisste keiner mehr. Jem hatte schon vorher alle Aufgaben übernommen, für ihn würde es also keinen Unterschied mehr machen.
Und wenn ich ihn unterstützte, dann würden wir das gemeinsam meistern.
Eli fing mit Maschinenbau an, was perfekt zu ihm passte.
Und gnädigerweise hatte ich Ian bei dem ganzen auch noch mitmachen lassen.
Die turbulente Verlobung war jetzt auch noch Thema, aber Stellung hatte ich nicht dazu genommen. Und an die ganze Peinlichkeit wollte ich ehrlich gesagt auch nicht denken.
Nein, wirklich nicht.
Und alle anderen Sachen auch nicht.
Cecilia war dabei meinen Schmuck fertigzustellen.
Ich sah auf meine Hand, wo der schlichte Ring meinen Finger zierte.
Als Jem mir erklärt hatte, was er wirklich war, musste ich für einen Moment wirklich weinen.
Es war eine silberne Metallplatte, wo eine Mohnblume verschmolzen mit dem Zeichen von Jéla, den blauen Spatzen zeigte.
„Der Siegelring der Königin.", hörte ich ihn sagen.
Ja, ein Siegelring. Und heute Abend würde ich meinen ersten Brief damit versiegeln, der dann kopiert wurde und an alle Bewohner Jélas verschickt werden sollte.
„Mylady – wir sind fertig. Die Hochzeit beginnt erst in zwei Stunden – aber ich denke Sie wollen noch ein wenig alleine sein – in einer Stunde legen wir Ihnen das Hochzeitskleid an."
Ich nickte Camille zu.
Die drei Zofen knicksten und verließen den Raum.
Ich musste an Anne, der Zofe aus Illéa denken, die wirklich Oberste Zofe geworden wäre. Lady America war jetzt Königin.
Maxon war mit allen Händen voll beschäftigt, das Kastensystem abzuschaffen.
Rhea war in ihrem Element.
Sie hatte mit mir Schmuck und alles mögliche bis zur Deko ausgewählt – weil sie das bei ihrer Hochzeit nicht konnte.
Ich ließ sie gewähren.
Als ich Trish fragte, ob sie Trauzeugin sein wollte, war sie mir in die Arme gefallen und ich musste lachen, als Jem mir erzählte, dass er Emilio nehmen wollte.
Wie passend.
Elvira hatte ich viel mit Jeremy gesehen.
Sie und Trish redeten jetzt wieder viel miteinander.
Éd war mein technischer Assistent geworden.
Königin – ich wurde Königin.
Ein Fiepen ließ mich aufhorchen.
Ich schnaubte.
„Na, Kat?", fragte ich meine kleine Haselmaus, die auf meinem Tisch herumlief. Ich hielt ihr meine Hand hin und musste lächeln, als die kleinen Pfoten auf meine Hand trippelten.
„Was hältst du davon? Königin der Mäuse."
Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war die Verkaufszahlen von Mäusen und Vögeln in der letzten Woche um ein dreifaches gestiegen.
Ein Flattern ertönte und mit einem Flattern flog Blue durch das offene Fenster hinein.
Er krallte sich in meine Schulter.
Er zwitscherte eine Begrüßung und sah suchend zu einer Futterstange, die total leer geknabbert war.
Mit einem Seufzen bot ich ihm ein paar Sonnenblumenkerne an. Er pickte sich ein paar heraus und flog auf die Lampe.
„Weißt du was?" Ich setzte Kat auf mein Bett und sie flitzte los. „Ich bin total aufgeregt. Ehrlich."
Alle meine Sachen waren gepackt, weil das fortan nicht mehr mein Zimmer sein würde. Blitzblank geputzt. Sogar meine Bilder sollte man zumindest haargenau so wie vorher aufgehängt haben.
Natürlich hatte ich dieses Zimmer noch nicht gesehen.
Laut meinen Zofen war es eine Riesen – Überraschung und ich durfte nicht gucken und lauschen. Alles klar.
Ich ging zum Fenster und schloss es wieder. Für eine Sekunde fiel mein Blick auf die tausenden Menschen, die gleich nach meiner Verlobung mit Jem ihre Lager aufgeschlagen hatten und jetzt kostenlos Dauercampen machten.
Der andere Teil hatte teuer seine Karten für die alte Basilika gekauft – die völlig überfüllt sein würde.
Überall flatterten Flaggen mit den Wappen von Jéla, mit Bildern von Jem und noch mehr Bildern von mir.
Es klopfte.
„Herein!"
Es war ein Diener.
„Lady Day, ein paar Geschenke für Sie."
Ich drehte mich überrascht um. „Geschenke – jetzt schon?"
Er lachte. „Nicht von jemanden den sie kennen – aber von ihren Verehrern."
„M-meinen was?"
Der Diener lachte. „Okay – ihren Verehrern – Fans – wie auch immer Sie das nennen." Er trug drei Kisten herein.
Drei große Kisten.
Mir blieb der Mund offen stehen.
„Was?"
Er lachte. „Das sind die ersten drei Kisten – die mit Karten kommen noch."
Ich setzte mich hin.
„Ich weiß nicht so richtig, was ich sagen soll."
„Das sollen sie auch nicht – lassen Sie das Geschenkpapier fliegen."
Er harkte etwas auf seinem Klemmbrett ab.
Ich sah auf. „Wie ist ihr Name – bitte Vorname."
„Oh ich?" Ich nickte. „Camden. Camden Jones."
Ich nickte. „Na dann danke schön, Camden."
Lahm nahm ich meine Schere.
„Noch etwas?"
Camden sah verlegen zur Seite. „Ich habe noch eine Karte von meiner Tochter Leah."
Ich sah ihn freundlich an. „Okay?"
Er zog einen Umschlag aus der Tasche heraus. „Da ist noch ein Foto von ihr."
Ich sah ihn neugierig an. „Danke – richte deiner Tochter doch bitte aus, dass ich es in Ehren halten werde."
Zögerlich trat er einen Schritt vor. „Darf ich ein Autogramm von dir haben?"
Ich zuckte überrascht zurück. „Klar."
„Wenn es sie stört..." Ich schüttelte den Kopf. „Nein überhaupt nicht – wirklich."
Ich sah mich suchend nach einem Stück Papier um. Schließlich fand ich eine Einladung zu der Hochzeit und unterzeichnete einmal unter dem Herz.
Ich reichte die Karte Camden. „Bitteschön – richten Sie Grüße aus."
„Dankeschön, Majestät."
Ich winkte ab. „Meine Güte bitte jetzt nicht. Noch nicht."
Camden lachte und verbeugte sich. „Bitte – und viel Spaß beim Auspacken.
Ich nickte unsicher und die Tür schloss sich wieder.
Langsam öffnete ich den Umschlag.
Es war ein kleines Stück Papier mit einer krakeligen Handschrift.
„Liebe Rain.", las ich vor.
Ich schmunzelte über die Wortwahl.
„...ich hoffe du bekommst den Brief – ich finde dich so hübsch und du wir die beste Königin der Welt sein. Ich hab da ein Foto von mir beigelegt. Und ein Bild von dir und Jem. Ich hoffe es das gefällt dir. Deine Leah."
Leah war ich im Kleinformat.
Wirklich.
Mir traten die Tränen in die Augen, als ich die liebevoll gemalte Kinderzeichnung sah.
„Wow."
Es klopfte und ich fuhr herum.
„Tränen vor der Hochzeit? Das geht gar nicht."
Sie war wieder einmal in eine ihrer roten Kleider gekleidet und ihre braunen, kräftigen Haare waren zum Teil hochgesteckt.
„Schon in voller Montur, was?"
Sie nickte. „Wieso weinst du?"
„Ist das nicht offensichtlich?"
Sirnrunzelnd sah sie auf die Kisten. „Nein."
Ich zog den Vorhang auf. „Siehst du das Trish?" Gerade wurde ein Plakat mit meinem zukünftigen Wappen hochgehalten. „Sie alle da draußen – sie verlassen sich auf mich."
Sie bedeutete mir fortzufahren.
„Glaubst du ich bin dem gewachsen? Dem allen? Ich weiß doch gar nichts."
„Ist das der Grund wieso du vor ein paar Tagen einfach wieder abgehauen bist?"
Meine Schultern sackten herunter.
„Ja."
Sie setzte sich auf mein Bett.
„Ging alles aber auch sehr schnell."
„Was?"
„Ich meine: Keiner hat dich darauf vorbereitet."
Ich wälzte mich neben ihr auf das Bett. „Worauf denn?"
„Auf den ganzen Trubel – die Autogramme – was das alles bedeutet."
Ich schwieg.
„Du bist völlig überfordert – das ist normal."
„Ach ja? Ich werde gleich Königin."
Trish öffnete den Mund um etwas zu sagen, ließ es aber dann.
„Ich hab einfach nicht nachgedacht! Weißt du – ich weiß überhaupt nichts über Politik oder so. Gar nichts. Was soll ich denn machen?"
„Aber hey – das kannst du doch alles lernen!"
Ich schnaubte. „In so einer Position kann man sich keinen einzigen Fehler leisten, Trish – ich glaube, das weißt du ganz genau – denn all die Menschen hier..."
Ich öffnete eine der Kisten und ein Stapel von Briefen, Zeichnungen und allen möglichen Geschenken kam in Sicht.
„Sie verlassen sich auf mich!"
Ich nahm eine handvoll.
„Du wirst eine wundervolle Königin.", las ich vor. „Ich liebe dich – feiere deine Verlobung."
Verzweifelt warf ich die Hände in die Luft. „Du bist die Beste – ich möchte genau mal so werden wie du."
Vor Aufregung liefen mir wieder die Tränen über das Gesicht. „Weißt du -", ich hustete, „Ich weiß nicht ob ich das kann!"
„Doch, das kannst du, Rain, ich glaube an dich."
„Ach ja? Ich bin weder eine Anführerin noch sonst etwas – und alle erwarten das von mir – und wenn ich irgendetwas falsches sage oder so..."
Trish legte mir die Hand auf die Schulter und umarmte mich.
„Dieser Zweifel ist ganz normal."
„Aber was – was wenn ich die falsche Entscheidung getroffen habe? Ich habe nicht nachgedacht."
Trish's Griff wurde fester.
„Deine Entscheidung war richtig – und weiß du wieso, Rain?"
Ich schüttelte den Kopf.
„Weil du nicht die Krone haben wolltest – du warst nie auf die Krone aus – wird dir erst gerade bewusst, hm?"
Ich blinzelte überrascht.
„J-ja."
„Also – schau mal mindestens die Hälfte der Mädchen fanden es toll eine Königin zu sein – du hast nicht daran gedacht, und wenn, dann fandest du den Gedanken beängstigend. Und das ist auch richtig so."
„Das ist richtig?", fragte ich dumpf. „Richtig?"
„Aber sicher, Rainy Day, aber sicher. Weißt du, weil genau deswegen hat das Volk dich auch so gut aufgenommen, weil sie genau wissen, dass du es wirklich vertrittst."
Ich schwieg.
„Aber ich habe trotzdem Angst.", flüsterte ich.
Sie schnaubte. „Angst – nicht du musst Angst haben. Dafür hast du jemanden, schon vergessen – und dieser jemand kann dich sogar sehr gut beschützen." Sie blinzelte irritiert. „Meine Güte was für ein Wortspiel."
Ich bekam es noch nicht einmal mit.
„Jem."
„Ja. Und du hast damals einfach ja gesagt, weil du ihn verdammt noch mal LIEBST – ist das denn so schwer zu verstehen?"
„Ja."
„Du wirst wieder stur wie ein Esel."
„Mag sein.", erwiderte ich trotzig.
„Ernsthaft jetzt? Emilio will das mit mir in Spanien durchziehen – ich muss Angst haben."
Ich lachte jetzt doch und Trish grinste triumphierend.
„Meine Güte Rain."
„Du hast ja Emilio zum aufpassen."
„Nun gut..."
„Hey – ich will auch Trauzeugin sein!"
„Immer mit der Ruhe.", meinte Trish benommen.
„Aber du schaffst das." Sie klopfte mir auf die Schulter. „Wirklich – und ich mag deine Art, wie du denkst."
Ich schnaufte. „Ja. Stell dir bitte mal Emilio in rot und einmal in rosa vor."
Trish riss die Augen auf. „W-was?"
„Gut. Also: Im welchen Kostüm kann er am besten heiraten, rein praktisch."
Sie sah mich an. „Das in rosa."
Ich grinste sie wie ein Honigkuchenpferd an. „Nein, das was er am gemütlichsten findet. Ich mag deine Art zu denken, Trishy."
Herablassend sah sie zurück. „Der war platt."
Ich zuckte die Schultern.
„Mir egal."
„Okay du bist definitiv wieder gut drauf."
Ich nickte vorsichtig.
„Also – wie sieht es mit dem Hochzeitskleid aus?"
Jem
„Das war mein letzter.", meinte ich lässig, als Emilio den Rest Champagner ausleerte.
„Na und?", Emilio grinste zurück.
Wir saßen in meinem Zimmer neben mir war Eli und wir saßen in einer wunderbaren Junggesellen – Runde auf meinem Bett. Eher nebeneinander. Daneben noch Jeremy, Ian und Éd auf ein paar Stühlen.
„Du hast nur vier Flaschen Champagner im Raum?", fragte Ian gereizt.
„Na ja. Die höher Prozentualen wären jetzt nicht so ideal.", druckste ich herum.
Emilio lachte. „Trish hat ihm gesagt, dass er ihn köpft, wenn er besoffen zur Hochzeit kommt."
Ich schnaubte.
„Oh, da würde ich meinen zukünftigen Schwager vermissen.", sagte Eli belustigt. Ich sah in böse an.
„Meine Güte Kindersekt?"
Ich drehte mich um und sah den Bruder meiner Verlobten in meinem „geheimen" Schrank herumkramen.
„Na und?"
„Blaubeergeschmack? Geht es noch?" Eli starrte fassungslos auf die bunte Flasche. Ich zuckte nur mit den Schultern.
„Wieso bestellst du denn nicht nach?", brummte Ian gereizt.
Ich seufzte. „Also Trish war nicht die Einzige, die mich gewarnt hat. Also Rain's Zofe Camille hat mir das ebenfalls gesagt."
„Und?"
„Camille ist mit Liénne sehr gut befreundet. Liénne hat eine Schwester namens Lacy...." Ich setzte mich auf. „Und Lacy ist immer die Zofe die mir die Getränke auf das Zimmer bringt, aber manchmal ist es Feli – aber um es mal grob zusammenzufassen: Die erfahren das sehr schnell und Zofen sind Tratschen ohne Ende. Drei Sekunden später würde Trish hier aufkreuzen, fünf Sekunden später meine Mutter, soll ich das noch weiter ausführen?"
Éd schüttelte den Kopf.
„Ich dachte Prinzen haben ihren eigenen Weinkeller."
„Nur spanische." Ich sah Emilio wütend an.
„Oh oh oh."
Ich sah Eli genervt an. „Das geht ja gar nicht."
„Eli, hast du etwas in deinem Zimmer?" Eli's Zimmer war nur einen Gang von meinem Zimmer entfernt, genau wie Vi's und Ben's.
„Nein."
„Nein?"
„Nein. Da war eine Flasche oder auch zwei – habe ich jedenfalls gebraucht, als mein kleines, schlaues Viech von Schwester mir offenbart hat, dass sie eine Nordrebellin ist und noch eine Prinzessin und sonst was."
„Du nimmst es gelassen auf."
„Sie hat schon immer gemacht was sie will. Punkt."
„Na dann."
„Du hast es aber auch gelassen aufgenommen."
„Warst du schon mal verliebt?"
Eli sah mich an. „Jep."
„Na also."
Ich stand auf. „Sollte ich mich nicht irgendwann fertig machen?"
„Was ziehst du denn an?", fragte Emilio.
„Uniform. Mit allen möglichen Bling – Bling."
„Und diesem Band und das darfst du dann mit Rain's vereinen oder so, nicht wahr?"
„Irgendwie so. Was ziehst du an?"
„Zu meiner Hochzeit?", fragte Emilio. „Das dauert noch ein bisschen."
„Ja klar.", johlte Ian.
„Halt Fresse."
„Sehr präzise ausgedrückt – andere Frage was zieht ihr an?"
„Anzug – alle von uns."
„Farblich aufeinander abgestimmt?"
„Ja. Wir haben beschlossen alle schwarz zu nehmen."
Wow. Wie kreativ.
„Und haben natürlich schon eigenes Programm gemacht."
„Oh nein.", murmelte ich.
„Das haben wir gehört."
„JA!", brüllte ich zurück.
Es klopfte. „Majestät – bitte zum ankleiden kommen!", rief der Diener.
Ich sah zu den anderen, die mich amüsiert anschauten.
„Viel Spaß! Besonders wenn du ihren Strumpf ausziehen darfst. Der Geschmack von Strumpfband!", brüllte Eli.
Ich murmelte etwas sehr unhöfliches, auf jeden Fall nichts, was an einem Hochzeitstag gesagt werden sollte.
Rain
Das Kleid schmiegte sich locker an meine Beine.
Es war perfekt.
Durch den Schleier konnte ich Vi's glückliches Gesicht sehen, die schniefend lachte und Ben der ganz rot im Gesicht war.
Ich nahm sie beide in den Arm. „Wenn die Musik ertönt, meine Lieben, dann geht ihr ganz langsam vor – genug Blumen, Vi?"
Meine Sis lächelte. „Lauter Mohn. Blauer Mohn – und Ben hat die Ringe."
Ich sah zu meinem kleinen Bruder. „Gut festhalten."
Das war wirklich etwas unnötig.
Er presste das Kissen so fest an seine Brust, als ob er mit ihm verschmelzen wollte. „Na – nicht so fest.", sagte ich amüsiert.
„Bist du aufgeregt?"
Ich nickte benommen.
Trish erschien an meiner Seite. „Hi, Rainy Day."
„Sag das bloß nicht – bis jetzt ist strahlender Sonnenschein."
Sie lachte und reichte mir einen komplett weißen Strauß. „Dein Hochzeitsstrauß."
„Mal sehen ob ich dich treffe – kann sein, dass er an deinen Kopf fliegt."
Trish wurde rot. „Hör auf – das ist deine Hochzeit."
„Hoffentlich hält mein Make – Up.", meinte ich.
„Die Foundation hat schon ein Vermögen gekostet – es sollte halten!"
Sie straffte mein Kleid.
„Das Kleid ist perfekt – für dich."
Ich nickte. „Find ich auch – glaubst du, es gefällt Jem?"
Sie machte große Augen. „Aber hallo! Wo ist dein Bruder – also Vi du gehst mit Ben voran, du links, Ben rechts auf die Bank." Sie drehte sich zu Eli um. „Du passt dich ihren Schritt an, übergibst sie aber langsam an Jem und setzt dich neben Vi. Wenn Ben die Ringe übergibt..." Sie sah zu meinen völlig überforderten Bruder, „Gehst du zu deinen Geschwistern – so sitzt ihr auf einer Bank."
Das alles rasselte sie in einem Affentempo herunter. „Dann komm ich mit – MIL!", brüllte sie.
Emilio erschien und knotete sich hastig die Krawatte zu.
„Ja, Rosa?"
„Hierher!", sie zeigte neben sich und ich musste ein bisschen lachen. „Emilio du rechts ich links – verstanden? Und wenn sie dann das Eheversprechen ablegen..."
„Alles geht in Ordnung", unterbrach ich sie.
Sie seufzte. „Aber ich will das es perfekt wird."
„Wird es nicht." Sie riss die Augen auf. Ich umarmte sie. „Du feierst deine eigene perfekte Hochzeit, Trish. Aber es wird meine ganz perfekte."
Sie lächelte erleichtert.
„Nun gut – es ist der Hochzeitsmarsch aus..."
„....dem Sommernachtstraum – ein wenig habe ich über meine eigene Hochzeit doch auch mitentscheiden können."
„Danach kriegst du – mit Jem so einen komischen Umhang und wirst gekrönt."
Ich nickte. Meine Handflächen waren schweißnass.
„Okay?"
„Also wegen dem Schleier." Sie winkte Leony, Annie und Liza her. „Das werden die hier erledigen."
Als ich Leony erblickte musste ich lachen. „Ha! Wieder rote Haare?" Erst jetzt fielen mir ihre Sommersprossen auf.
„Ja. Hat so eine Haarstylistin wieder in Ordnung gekriegt – passend auch mit Annie – und Liza hat sich auch einen Rotstich rein färben lassen."
Ich nickte begeistert. „Ihr seht toll aus Mädels."
„Nicht so toll wie du."
„Die Ministerinnen für Wirtschaft, Chemie und Tierschutz sind Brautjungfern. Toll!", murmelte ich überwältigt.
Ein Gong ertönte. „Bitte erheben Sie sich.", hörte ich den Pfarrer sagen.
Ich spähte heraus und sah, wie viele Menschen sich erhoben. Ich war in einer Art wunderschönen Blumenzelt , denn die Hochzeit fand in einem Art Wintergarten statt, der fast so groß wie ein Fußballfeld war. Hier blühte noch alles wie im Sommer – was wunderschön mit dem fallenden Schnee, der mittlerweile einige Zentimeter hoch war, harmonierte – dazu die strahlende Sonne.
Es war wirklich wie in einem Märchen.
„Begrüßen Sie mit mir, die Braut."
Der Marsch fing an.
Ich sah zu meinem Bruder – herausgeputzt in einem Anzug.
„Bereit?"
„Bereit.", sagte ich.
Jem
Die Duft war geschwängert von zarten Mohn und anderen Blumendüften und selbst die vielen Menschen nahm ich nicht wahr.
Meine Mutter saß in einem relativ einfachen Gewand auf ihren Thron, der neben ihr frei war und den ich gemeinsam mit Rain besteigen würde.
Es wehte ein leichter Wind, was wirklich super war, da ich meine Aufregung überhaupt nicht kontrollieren konnte.
Ich sah wie Mum schniefte. Sie hatte Liv auf den Arm, meine kleine Schwester schlief friedlich. „Das wird so toll."
„Hast du sie schon gesehen?", fragte ich.
„Aber nein – sie hatte schon ein Kleid und ich bin mir sicher es wird wundervoll."
Ich nickte.
„Ich bin aufgeregt."
„Das ist normal."
„Hab dich lieb Jem – und ich habe auch noch was ganz persönliches zum Vortragen."
„Leony und die Elite wollen einzeln was sagen – dann hat sich Lady Yuki stellvertretend für die Erwählten gemeldet, die ein Theaterstück aufführen wollen, Emilio, Éd, Jem, Ian und August -" Ich sah zu dem jungen, blonden Mann neben Elvira, die Jeremy's Hand gehalten hatte. Er war heute Morgen erst angekommen und ich hatte es noch nicht geschafft ihn persönlich zu begrüßen. „Jeremy und noch wer haben auch was vorbereitet. Cohen hat eine Rede. Wir werden mit dem Unterhaltungsprogramm gar nicht fertig."
Mum kicherte. „Du hast die Zofen vergessen – übrigens, ein Vöglein namens Lacy hat was von Champagner gesagt – sie hat sich sicherlich geirrt."
Verräterin.
„Natürlich nicht – Mum."
Sie lehnte sie fröhlich zurück. „Dann bin ich ja erleichtert, so einen verantwortungsvollen, vernünftigen, selbstsicheren jungen Mann als Sohn zu haben."
„MUM!", murmelte ich empört.
Bevor sie etwas antworten konnte, ertönte der Gong. Der Priester erhob sich, neben ihn der Bischof. „Begrüßen Sie mit mir die Braut."
Sofort ging mein Blick auf den leeren Eingang.
Die dröhnenden Orgeltöne erklangen in meinen Ohren, ein typischer Hochzeitsmarsch.
Auf den Bildschirmen war mein angespanntes Gesicht zu sehen.
Und dann erblickte ich zwei kleine Gestalten, die eine streute blaue Mohnblumen auf den Boden und hinter ihr, jemand, der die Ringe trat.
Ich lächelte, als ich Vi und Ben sah.
Sie passten hier so perfekt herein.
Vi sah jetzt schon aus wie eine Prinzessin und Ben ging schon sehr hoheitlich und majestätisch.
Und dann erschien sie.
Nach einigen Takten.
Ein paar kurze Haarsträhnen fielen auf ihr Gesicht.
Durch den Schleier erhaschte ich nur einen Bruchteil ihres Gesichtsausdruckes.
Sie war...unbeschreiblich.
In perfekter Haltung schritt sie den Gang entlang, schaute mal nach links und rechts, aber ließ mich nie aus den Augen.
Ich schluckte.
Es war ein glockenförmiges Kleid, mit fast durchsichtigen Ärmeln. Der Schleier ging ihr bis zur Brust und schien in der Luft zu schweben.
Eli führte sie locker an der Hand.
Ich nahm einfach nur noch sie wahr.
Als ich genauer hinsah, sah ich neben den feinen Perlenschmuck noch einen kleinen Nordstern als Armband – Anhänger an ihrem Handgelenk aufblitzen.
Als sie näher kam, sahen mich die zwei schokobraunen Augen sanft an. Und ich schmolz förmlich dahin.
Mit jeder Note des Marsches, kam sie einen Schritt näher.
Und noch einen.
Und als die letzten Töne des Stückes in meinen Ohren erklangen, stand sie direkt vor mir.
Und was ich sah, raubte mir den Atem.
Sie gab sich mir hin.
Sie öffnete sich mir.
Und das war das schönste Geschenk, dass sie mir jemals hätte machen können.
Sie machte einen tiefen Knicks.
Und dann schien es mir, als würde uns ein unsichtbares Band zusammenhalten.
Oh, sie war schon so eine Königin.
„Sie gehört dir.", sagte Eli.
Rain
Es war wie ein Traum.
Wie eine federleichte Seifenblase.
Ich war wie gefangen.
Seine grünen Augen sahen mich eindringlich an, die durch einzelne Strähnen seines dunklen Haares verdeckt waren.
Gefangen in meiner eigenen Welt. In unserer Welt.
Ich liebe dich, dachte ich.
Ich kann es nicht genau beschreiben.
Aber ich wusste, dass es die richtige Entscheidung war.
Und ich wusste, egal ob ich rechts oder links gegangen wäre – Jem wäre immer mein Ziel gewesen.
Immer.
Ich nahm alles nur verschwommen wahr.
Und ich konnte ihn einfach nicht aus den Augen lassen, als ob er mir gleich wegfliegen würde, wenn ich es täte.
Alle Aufregung – aller Zweifel – sie schienen verschwunden zu sein.
Einfach verschwunden.
In diesem einen Augenblick.
Nie hätte ich das für möglich gehalten.
Trish hatte Recht gehabt.
Vereinzelt hörte ich Lachen, Weinen oder Jubelrufe, aber ich konnte einfach nichts von alldem tun. Nichts.
Es war verrückt.
Es war wirklich verrückt.
Mein altes Leben – alles schien Jahre entfernt zu sein, als wäre ich irgendwann ein anderer Mensch geworden, hatte es aber verpasst zu bemerken.
Aber ich wusste, dass der Schlüssel zu diesem neuen Ich und die Verbindung zu meinem alten Ich direkt vor mir stand.
Vielleicht war es Schicksal, dass es genau Jem war – ich weiß es nicht.
Aber er war es .
War es Liebe? Oder irgendetwas höheres – ich weiß es nicht.
Aber ich wusste genug.
Ich würde Fehler machen.
Ich würde mit ihm Streit haben, aber auch die Sekunden, Stunden zusammen mit ihn durch New Vancouver streifen.
Ich würde glücklich meine Geschwister und vielleicht irgendwann meine eigenen Kinder aufwachsen sehen.
Das alles sah ich in dieser einen Sekunde.
Ich durfte es, das hatte ich gelernt.
Ich durfte diese Hochzeit feiern, mit den vielen Blumen, dem Schnee und den aufwendigen Dekorationen – eine Hochzeit, die manchen Mädchen vielleicht für immer verschlossen bleiben wird, aber ich konnte ihnen allen das Recht oder die Möglichkeit zum Träumen geben.
Und es einfach selbst und für mich genießen.
Mit ihm.
Mit einem Beschützer und Mann an meiner Seite.
Mein Verlobungsring hing jetzt an meiner linken Hand, der Ringfinger an meiner Rechen war frei, bereit dafür, den Ring der Ehe zu empfangen.
Alles war bereit dafür.
Und der Schleier vor meinen Gesicht war bereit angehoben zu werden und mein Mund bereit geküsst zu werden.
„Wie war das Wort?"
„Ja.", Trish's Stimme hatte belustigt geklungen.
„Wirklich?"
„Ja."
„Sicher?"
„Ja."
„Ich habe Angst, das falsche Wort zu sagen."
„Nein."
„Okay."
Ich musste schmunzeln.
Der Priester war ein kleiner, untersetzter Mann, der mir freundlich zulächelte.
Und als er mich feierlich fragte, konnte ich nicht anders.
Ich sah zu Jem.
Grün. Seine Augen waren grün.
Wie die Hoffnung.
Und es war dieses eine, kleine Wort, welches aus meinem Mund kam und mir klar machte, dass ich hier wirklich war.
Dass das keine Seifenblase war sondern eine unzerbrechliche Schneekugel aus Panzerglas.
Dass es kein Traum war.
Ich lächelte.
Natürlich wusste ich das Wort.
Ich sah ihn an, als ich es zum zweiten Mal sagte, um den Bund der Ehe abzuschließen.
„Ja."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro