70.
70.
Rain
Meine Sicht klärte sich nur langsam.
Sehr langsam.
Ich fühlte mich so müde.
Und alles sprach dafür, dass ich mich zurück in den Kokon des Schlafes zurück wiegen konnte.
Ich wollte nicht aufwachen.
Es war so warm.
Trotzdem drang ein schmaler Lichtstrahl durch meine Augenlider.
Ich sah in ein Paar grüne Augen.
Jem?
Ich schluckte, konnte aber noch nicht sprechen.
Was war passiert?
Alles war noch so verschwommen.
Alles.
Die grüne Iris bewegte sich noch ein Stück nach rechts.
„Jem?", fragte ich.
„Nein. Leider nicht."
Sofort war ich wach.
Nein.
Ich stöhnte und riss meine Augen ganz auf.
Sofort blendete mich die Lampe und ich war gezwungen sie wieder zu schließen.
„Nein!", stöhnte ich.
Endlich sah ich klar und sah in sein Gesicht.
„Nein. Leider bin ich nicht mein Sohn – aber fast."
Er war unrasiert.
Und tiefe Falten zogen sich durch sein Gesicht.
„ARSCHLOCH!", fauchte ich.
Erst jetzt bemerkte ich, dass meine Hände gefesselt wurden. Mit einem Kabelbinder. Scheiße.
„Och – wie süß – das bringt dich überhaupt nicht weiter."
Ich ruckte wütend an dem Plastik, musste mich aber geschlagen gegeben, als das Plastik sich tief in mein Fleisch schnitt.
Ich sog die Luft ein.
„Glaub mir. Alles ist gesichert. Diesmal entkommst du nicht."
Ich entspannte mich.
„Na schön. Sie haben mich."
Er sah mich kühl an.
Mir fiel auf, dass ich ihn noch nie genau angesehen hatte.
Ich schmiss meinen Kopf wieder auf den Boden.
„Du bist verdammt clever, Rain."
„Na schön, dass wir uns einig sind.", meinte ich bissig.
Er schnaubte.
„Ja. Schön. Gut. Deine Freundin war auch mehr, als sie zu sein schien. Zum Glück ging es schnell.
Ich spannte mich an, rührte mich aber nicht.
„Schon okay – die Masche geht bei dir nicht mehr. Interessant."
Er stand auf und ging im Raum herum.
„Nun – bis jetzt läuft alles gut. Zwar habe ich die Uhren noch nicht – aber ich denke deine kleinen Freunde werden sich dann doch irgendwann melden – wenn sie in ein paar Stunden sowieso tot sind."
Ich rang nach Luft. „Das ist ihr Sohn!", spuckte ich aus.
Er lachte.
„Ach wirklich? Er war immer ein wenig zu einfältig! Er will immer alles irgendwie anpacken." Er nahm ein Messer in die Hand.
„Nun gut – er schlägt sich jetzt überraschend gut. Aber das spielt jetzt keine Rolle."
Ich starrte ins Leere.
„Rain, du bist überraschend still?"
Ich schwieg weiter.
Er hob eine Augenbraue. „Wieso ich das tue? Nun weil in diesen raffinierten Uhren sich ein ziemlich großer dunkler Fleck in der Geschichte von Gregory Illéa befindet."
Er machte einen Schritt wieder in meine Richtung. „Was braucht man um mächtig zu sein?"
Ich sah ihn an. „Macht und Geld."
„Gut.", lobte er sarkastisch. Er war immer noch in einem Clowns Kostüm. „Da hat jemand bei Cohen aufgepasst."
Ich versuchte meinen Rücken zu dehnen.
„Also. Überzeugungsarbeit hatte er. Reichlich – aber dann gab es so ein Problem mit dem Geld."
Mühsam setzte ich mich auf. Mein Bauch spannte sich und ich lehnte mich schwer atmend an die Wand.
„Ja mit dem Geld. Er war praktisch nur ein Mann aus normalen Hause. Bis er meinen Vorfahren Montgomery Jéla traf."
„Machen Sie es kurz, König.", sagte ich und verzog mein Gesicht, als ich meine Beine ausstreckte.
„Gut. Er hatte keins. Fertig."
„Sehr präzise.", schnaubte ich. „Ich habe verstanden – aber das ist nicht die Sache nicht wahr?"
„Natürlich nicht. Aber jetzt beenden wir die Märchenstunde: Geld ist Geld. Es sichert den Staat. Wenn ich es aber schaffe, den größten Besitz dieses Königreiches zu zerstören...wird es brenzlig – nicht wahr?"
Ich lachte.
„Ziemlich primitiv, König.", sagte ich spöttisch. „Dann wünsche ich Ihnen mal viel Glück."
Seine Augen zuckten.
„Nun. Du hast die Wahl, Miss Illéa – entweder du trägst das Kind meines Sohnes aus oder meins."
„Wow. Gleich so direkt."
„Du hast etwas vor."
Das überraschte mich selbst. Das Ding war: Ich hatte nichts vor.
„Ach wirklich?"
„Du hast keine Angst, Rain."
„Doch habe ich."
Er lächelte dreckig. „Gut. Aber solange ich die Uhren noch nicht habe – geht nichts – wieso unterhalten wir uns nicht noch ein bisschen?"
„Schön. Wieso wollen Sie keine Forderung stellen?", fragte ich kühl.
„Ich dachte, dass wäre offensichtlich!"
„Ja. Sie glauben, dass meine Freunde sie holen."
Er breitete die Arme aus. „Zehn Punkte für Illéa!" Es schallte laut, als er in die Hände klatschte und ich zuckte ein wenig zusammen.
Lachend zog er einen Stuhl in mein Sichtfeld. „Du amüsierst mich, Rain. Pass auf – lass uns Freunde werden."
Ich zog beide Augenbrauen hoch. „Ich dachte, das wären wir schon, Majestät."
„Ja. Sind wir." Sein Lachen verschwand. „Solange du tust was ich sage."
Ich tat so, als ob ich genervt sein würde. „Ich bitte Sie – ich mache nichts."
Er kam ganz nah an mich heran. „Wenn du nur eine Bewegung machst – töte ich Trish. Oder Elvira. Auf der Stelle."
Ruhig erwiderte ich seinen Blick. „Nun, ich hatte das schon mal? Schon vergessen – also wieso sollte ich das tun?"
„Du bist zu locker."
Und das war noch nicht einmal gespielt. Nein. Ich war total ruhig.
„Mag sein. Aber das heißt eines nicht wahr – und schon haben sie mir etwas verraten, Holder."
Seine Wangen zuckte.
„Sie sind angespannt. Also gibt es noch ein paar Dinge, die nicht so richtig hinhauen, nicht wahr? Zum Beispiel könnte Jem – was ich nicht hoffe – mich einfach töten. Wäre sehr praktisch. Allerdings wäre da noch ihre Tochter Liv. Sie ist erst zwei. Also müssten sie noch einmal zwanzig Jahre warten. Und ich würde nicht fliehen – wieso? Ich bin die einzige weibliche der Illéa - Familie die noch lebt. Also, würde ich mich sogar einfach selber töten. Dann hätte ich die Probleme gelöst. Was ich aber nicht hoffen will, da mein Leben gerade sehr gut ist. Und es kann nicht alles nach Plan laufen, Holder."
Er grinste. „Und wieso nicht?"
„Jemand der sich verbergen will, will unter keinen Umständen aufgedeckt werden. Ich habe Sie erkannt."
Er schaute mich noch eine Weile an. „Du weißt mehr über manche Menschen, als sie selbst."
„Vielleicht.", sagte ich eisig, „...habe ich diese ganz besondere Ausstrahlung."
„Du bist nicht dumm – aber ich kann dir versichern, dass du diesen Raum nicht verlassen wirst."
„Wieso muss ich das?", fragte ich unbekümmert.
„Ja, wieso denn?" Er tat überrascht.
„Noch einen Fehler, den sie gemacht haben – ich war nicht wirklich überrascht."
Er kniff seine Augen zusammen. „Ja, gut. Du warst nicht überrascht – aber im letzten Moment wusstest du, dass es nicht Jem ist – wie gut. Du hast meinen Fratz von Sohn nicht getötet."
Ich lächelte. „Ach? Dachten Sie, dass war zufällig, alter Mann?"
Seine Augen weiteten sich. „Welches Potrait habe ich den getroffen? Ich dachte, dass hätten sie schon längst heraus – die anderen wissen wer sie sind – auch ihr Fratz von Sohn."
„Hure!", fauchte er.
Ich lehnt mich langsam und entspannt zurück. „Also – wieso sollte ich hier raus wollen ? Lass uns Freunde werden, Majestät. Wieso machen wir nicht eine schöne Kaffeerunde?"
Bevor ich sehen konnte, was geschah, würgte er mir schon die Luft ab.
„Du raffiniertes, kleines Biest."
Ich nickte. „Ja. Sehr praktisch, nicht wahr? Einfach mal daneben schießen."
Ich röchelte.
Schwach versuchte ich mich zu wehren.
„Du. Wirst. Mich. Nicht.Provozieren.", zischte er. „Du hast mir schon so viele Probleme beschert. So viele. Und an dir, Kleine wird es nicht scheitern!"
Er drückte noch fester zu.
Meine Luftröhre wurde blockiert und ich keuchte.
Plötzlich hörte ich ein Krachen, dann eine Männerstimme,
„Lassen Sie sie frei, Holder!"
„Aber nicht doch. Wie haben Sie uns gefunden?" Holder ließ von mir ab und ich erblickte Cohen,
dahinter Trish, die mich besorgt ansah, Emilio, Éd,Elvira und...Jem.
Alle waren bewaffnet.
Sie waren meine Freunde.
Sie waren da um mich zu retten.
Der Knoten in meinem Magen wurde immer größer. Womit hatte ich das verdient?
Er versuchte meinen Blick einzufangen, doch ich wich ihm aus.
„Rain? Ist alles okay?", rief Trish panisch und ich nickte.
„Es ist der einzige Raum, wo ein Geheimgang zum Portrait Raum geht – sonst hätten Sie Day nicht so schnell verschwinden lassen können.", hörte ich Cohen sagen.
„Nun gut. Finden ist übertrieben.", meinte Holder sarkastisch. „Es war ein Wink mit dem Zaunpfahl – aber ich denke Sie haben die Gesuchte gefunden."
Er machte einen imaginären Trommelwirbel „Tadadada - Sie haben die Prinzessin gefunden."
Ich holte tief Luft.
„Lassen Sie sie frei, Holder!", schrie Ian.
„Sonst was? Erschießen Sie mich? Das tun Sie doch sowieso!"
„Langsam, langsam, langsam.", sagte ich zu Cohen. Trish sah mich verzweifelt an, aber ich bedeutete ihr leise zu sein.
„Wieso fahren wir nicht mit dem Gespräch fort, Holder?", sagte ich.
Cohen sah mich warnend an. „Sie halten besser den Mund, Day."
Daran dachte ich noch nicht mal.
„Nein – ich werde nicht den Mund halten.", schrie ich. Ich lächelte den König strahlend an.
„Wollen wir nicht einen Schnellkurs in Stammbaumkunde machen?"
Irritiert sah mich Cohen an, doch ich ignorierte ihn.
Trish schüttelte verzweifelt den Kopf . „Nicht – Rain wir haben die Uhren wir -", doch ich unterbrach sie.
„Gut. Jéla war nicht ganz bescheuert. Bis überhaupt eine Konstellation entsteht, dass ein Jéla und ein Illéa zusammenkommen und ein Kind bekommen dauert. Und genau das war ja auch sein Plan. Doch irgendjemand sollte dieses Geheimnis doch wissen. Spencer Illéa ist nicht gestorben, sondern hat eine Illéa – Linie vorgebracht. Wie hätte Spencer es schaffen sollen, alleine zu überleben und für tot erklärt zu werden? Und wer hat ihn dabei geholfen? Richtig, Montgomery Jéla. Also konnte Spencer Nachkommen zeugen. Aber ich bin – was sehr offensichtlich ist, eine aus dem Volk – damals gab es das Casting noch nicht – also wie hätten sich da zwei Personen finden sollen?"
Holder's Augen verengten sich. „Komm zur Sache, kleine Schlampe."
„Nenne Sie nicht so!", Jem machte einen Schritt vor.
Holder fuhr herum. „Ach dich habe ich gar nicht bemerkt – Sohn." Jem verzog noch nicht einmal das Gesicht. „Wie süß. Prinz und Prinzessin."
„Du, du wirst sie nicht anrühren!"
„Noch immer bin ich der König, Jemirah.",sagte Holder spöttisch. „Und ich habe zu tun – wieso verziehst du dich nicht einfach?"
„Ach wirklich? Du bist ein Mörder.", schrie Jem.
„Du warst schon immer zu schwach gebaut – du kleiner Mistkerl – du..."
„Aufhören – alle!"
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass meine Stimme so laut war und erschrak vor mir selber.
Sofort hatte ich alle Aufmerksamkeit. Trish schüttelte den Kopf und flehte mich an leise zu sein, Ian sah grimmig zu mir und Éd hielt ihn zurück, damit er sich nicht auf Holder stürzte.
Ich sah in die Runde. „Wieso erzähle ich jetzt nicht ein bisschen?. Nein, sie hätten sich nicht finden können! Also was tun?" Ich sah zu Cohen. „Keine Idee? Ganz einfach: Jéla hatte eine Frau und sein Königreich. Aber er war schließlich nicht ganz doof, um es mal einfach auszudrücken. Er hatte vorgesorgt. Immerhin war er für seine zahlreichen Affären bekannt – und irgendwann...muss da wohl noch ein Kind dazwischen gekommen sein. Klingelt es jetzt?"
Holder schüttelte den Kopf. „Das kann nicht sein."
„Doch. Es gibt noch einen Jéla – Nachkommen. Ja. Wirklich. Es gibt sogar mehrere. Aber der Fakt ist: Wer sind sie? Dieses kleine Detail haben Sie wohl vergessen, hm?"
„Du lügst."
„Ach wirklich? Nun."
„Rain? Was tust du da?"
Jem's sanfte Stimme unterbrach mich.
Ich sah in seine Augen.
Sie hatten die gleiche Farbe, wie die seines Vaters, waren aber doch so anders.
So voller Gefühle.
Und er zeigte mir was er fühlte.
Ich schloss die Augen.
Nein.
Das würde die Sache nicht leichter machen.
„Du lügst!", fauchte Holder.
„Nein, tue ich nicht – nun ich denke, Sie wissen auf wen ich herauswill? Vor exakt neunzehn Jahren ist ein Soldat gestorben, nein sie werden ihn nicht kennen. Er ist in New Asia gestorben. Aber worauf ich hinaus will, Holder ist, dass sie es nicht kontrollieren können – niemanden von uns. Denn wir sind überall. Genau wie ein namenloser Soldat, der vor neunzehn Jahren gestorben ist. Sein Name war David Montgomery."
Cohen sah mich verwirrt an. „Ich verstehe es nicht, Day. Was war mit Montgomery?"
„Woher glauben Sie, habe ich den Schlüssel, Cohen? Den Schlüssel hatte nur ein Jéla. Nun wie kommt er dann in meinen Besitz?"
Ich holte tief Luft und sah Jem an.
„Es ist egal, ob du das jetzt verstehst – oder ob es irgendjemand noch versteht. Aber David Montgomery war mein Vater. Er war ein Nachkomme Jélas." Ich schluckte. „Und was schließen Sie daraus, Holder? Der ganze Zirkus war umsonst."
Ich sah zu der Uhr, die hinter Cohen hing.
Als der Minutenzeiger auf Zwölf Uhr zeigte, biss ich mir auf die Lippen. Ein neuer Tag.
Es war der vierundzwanzigste November.
In die Stille des Raumes, flüsterte ich: „Happy Birthday Rain Day. Sie brauchen Jem nicht. Weil ich bereits eine Nachkomme von Jéla und Illéa bin."
Tränen sammelten sich in meinen Augen, als ich zu Holder von Jéla sah.
„Sie brauchen nur mich. Nur mich."
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