39.
39.
Rain
Es ist dunkel.
Wie können meine Haare sich bewegen, wenn keine Brise weht?
Nein, es ist nicht dunkel.
Sondern grau.
Wie die trostlosen Städte Jélas.
Oder die Wolken.
Aber hier sind es nur die grauen Betonwände der Zelle.
„Tiiu?"
Meine Augenlider heben sich. Sie sind schwer. Als meine Sicht klarer wird, erkenne ich Leslie. Ihr sonst kräftiges, blondes Haar hängt ihr in Strähnen herunter und sehen dünn aus. Und zwei ängstliche blaue Kugeln sehen mich an.
„Was glaubst du was sie mit uns machen?"
Ich zuckt mit den Schultern.
„Wie lange habe ich geschlafen, Les?"
Sie schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht.", sagt sie. Fluchend setze ich mich auf.
„Glaubst du sie kommen?", wispert sie.
Ein Schauer läuft mir über den Rücken.
„Ich weiß nicht."
„Vielleicht kommt Ian zurück."
Ich schnaube. „Das glaube ich kaum."
Sie schluckt.
Ich lege ihr eine Hand auf die Schultern.
„Uns passiert schon nichts."
Sie nickt. „Aber was ist mit dem Code?"
„Es gibt keinen Code."
Sie zuckt zusammen. „Was?"
„Sie brauchen Blut." Ich zeige auf meine Handgelenke, die von der Fessel wund und blutig geschabt worden waren.
Leslie starrt auf meine Hände.
„Okay. Aber das haben wir nicht."
Ein Schweigen breitet sich aus.
„T?"
„Ja?"
„Was ist in diesem Safe drinnen? Was ist so wichtig, dass Jéla es hätte verstecken wollen?"
Meine Hände umschließen den kleinen Zettel in meiner Hosentasche.
„Ich weiß es nicht."
Sie stöhnt.
Erst jetzt merke ich, dass es hier so kalt ist, dass unser Atem kondensiert.
„Wer ist er?"
„Wer?"
Ich schweige, obwohl ich genau weiß, wovon sie redet."
„Der Mann mit der Maske."
„Keine Ahnung, Leslie - woher soll ich das wissen?"
Schweigen.
„Ich glaube wir kennen ihn." Ihre Stimme klingt anders. Allerdings kann ich nicht sagen, was anders ist.
Ihre Augen sind einen Ton dunkler als sonst.
Ich rücke ein wenig von ihr ab und hoffe, dass sie es nicht merkt, doch sie legt mir ihre kalte Hand auf den Arm und umarmt mich.
„Ich weiß nicht, meinst du?", bringe ich heraus.
„Auf jeden Fall. Sonst würde er es nicht so unbedingt wollen, dass die Nordrebellen ausgelöscht werden.", flüstert sie.
„Stimmt."
„Aber du weißt es, Rain."
Ich zucke zusammen und sehe sie an. Die einst blauen Kugeln wirkten auf einmal schwarz.
„Du nennst mich nie Rain, Leslie. Woher kennst du den Namen - ich habe ihn bisher noch niemanden gesagt." Meine Stimme zittert und ich bemerke, dass sich eine dunkle Angst in mir breit macht.
„Weil du es weißt."
Ich wich zurück, ihre schwarzen Augen sahen mich bittend an.
„Du weißt es - bitte erinnere dich!"
Ich fange an zu weinen.
„Nein Leslie, ich weiß es nicht - ich schwöre..."
„Doch!"
Wimmernd krieche ich auf Knien zu der Wand.
„Er ist ganz nah!" Ihre Stimme klingt schrill - so schrill. Es tut in den Ohren weh. So schrill und laut. Ich hasse hohe Töne.
„Ich weiß es nicht!", keuche ich.
„Du weißt es - Rain er ist in deiner Nähe." Wer? Wo?
„Wer?"
„Der Maskenmann, bitte pass auf." Maskenmann. Maskenmann.
Sie sieht mich wieder an. So fremd.
„Du darfst nicht auch sterben - bitte erinner dich - oh er ist hier." Ich halte mir die Ohren zu und schließe die Augen. Als ich sie öffne sieht sie mich immer noch an.
Sie dreht sich um und wir sind nicht mehr in der Zelle, sondern in dem Wald. Es ist dunkel.
„Lauf Rain!", schreit sie und ist verschwunden.
Ich renne.
Lauf.
Lauf.
Versuche von hier weg zu kommen.
Zweige peitschen mir ins Gesicht und meine nackten Füße zerschrammen auf dem Waldboden.
Doch ich laufe weiter.
Ich schaffe es nicht, denke ich.
Mein Herz rast und meine Lunge ist kurz vor dem zerbersten.
„Leslie!", schreie ich.
Es wird immer mehr finster.
Wo bin ich?
Lauf weiter!, ertönt eine Stimme in meinem Ohr.
Er ist schon ganz nah.
Ich will das nicht.
Tränen laufen mir über das Gesicht und ich setze mich wieder in Bewegung.
Wo bin ich?
Plötzlich ist da eine Lichtung. Meine Füße versinken tief im Morast.
Eine runde Lichtung.
Ich drehe mich um.
Wo bin ich?
Da! Da lugt etwas aus dem Schlamm hervor! Ich beuge mich hinunter und knie mich hin. Erst jetzt bemerke ich, dass ich ein Kleid anhabe. Es ist zerfetzt, doch man kann das gelb noch erahnen.
Pastellfarbenes Gelb. Wie eine verblasste Sonne.
Mit bloßen Händen beginne ich zu graben.
Alles tut weh.
Und dann sehe ich sie. Silbern. Gefährlich. Wunderschön.
Was ist das?
„Nein!", schreit eine Stimme plötzlich und ich sehe wieder Leslie vor mir. „Bitte nicht - Rain!"
Zu spät.
Ich halte sie ans Licht.
Und mir bleibt das Herz stehen.
Plötzlich ist sie aus meinen Händen verschwunden.
Als ich aufsehe, erblicke ich Lelies Augen durch die Sehschlitze.
„Du weißt wer es wirklich ist.", flüstert sie.
Ich nicke.
„Ich weiß. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, Les."
Sie schüttelt den Kopf.
„Aber du musst."
Sie beugt sich vor.
„Sie ist eigentlich wunderschön.", flüstere ich und fasse das Silber an. Die Maske.
Es ist eine ganz schlichte, solche, die wir auch zum Faschingsball anhatten.
Die schlichten sind am schönsten.
Sie sind nicht so kitschig wie die anderen mit Glitzer.
„Es war ein schönes Märchen.", antworte ich.
Leslie nickt.
Sie hat die Maske immer noch auf.
„Aber leider..."
Ihr Gesicht beginnt zu verschwimmen.
„...ist er ein Mörder."
Die Maske fällt zu Boden.
„Ich weiß es."
„Ja.", ertönt Les Stimme wieder in meinem Ohr.
„Ich muss es tun."
Die Maske liegt jetzt wieder im Schlamm und versinkt in der feuchten Erde.
„Und wenn, tu es bitte für mich.", bittet sie.
„Ja, Les. Das werde ich."
Dann sehe ich ihr lächelndes, warmes Gesicht wieder vor mir.
Ihre Haare sind wieder kräftig, und ihre himmelsblauen Augen sehen mich an.
„Dann schlaf, Rain."
Das letzte was ich sehe, ist ein grauer Himmel, und dass kleine Perlen auf meinen Armen landen.
„Es sind wirklich kleine Kunstwerke, die das Wasser erschafft.", sage ich zu Les.
Regentropfen.
Dann ist da nur noch eine tiefe Schwärze. Das endlose, undurchdringbare Schwarz.
„Oh mein Gott! Er hat mich geküsst."
Desinteressiert höre ich Milla zu, die gerade jede Einzelheit über die Knutscherei von ihr und Jem erzählte.
Ich war viel zu müde um eifersüchtig oder sonst was zu sein.
Der Traum von heute Nacht hing mir immer noch in den Knochen und ich hatte einfach keine Kraft für so einen Mist.
Du weißt es. Ihre Stimme hallte immer und immer wieder in meinem Kopf.
Ich kann nichts dagegen tun.
Auch Trish ist an diesem Morgen wortkarg. Sie saß neben mir und sagte nichts.
Meine Zofen hatten nichts gesagt, als ich am Morgen mit allzu gut sichtbaren Augenringen wach geworden war.
Mein Magen knurrte, aber Frühstück war erst in einer viertel Stunde.
Wenn man Hunger hatte, war das verdammt lange. Zu lange.
Hilflos rieb ich meine kalten Arme.
Wieso sind meine Kleider immer kurzärmlig? Wieso können sie nicht einmal langärmlig sein? Das Problem war allerdings auch, dass ich meine Sachen immer vergaß.
Dieses Problem war ein ernsthaftes Hindernis bei meiner Zeit bei den Nordrebellen gewesen.
Mal ein Funkgerät, ein Pad - alles schon gehabt.
Und so war dieses Mal auch meine Jacke vom Erdboden verschluckt gewesen, doch da ich absolut keine Lust hatte mit Leony herunterzugehen, war ich schnell mit Trish mitgerannt.
„Blöde Angeberin.", murmelte Trish neben mir.
Ich zuckte nur mit den Schultern.
„Ich habe Hunger und du?"
Ich bemerkte, dass ihr Akzent langsam verschwand. Als sie meinen Blick bemerkte, zuckte sie nur mit den Schultern.
„Annie hat mir geholfen."
Ich sah zu Miss Rothaar neben mir die ebenfalls kurz nickte und sich wieder dem Buch auf ihren Schoß widmete.
Nach ewigen fünfzehn Minuten wurde endlich das Essen serviert.
Lustlos knabberte ich an meinem Toast.
Mein Appetit war mir vergangen.
Er ist hier. Der Maskenmann.
Meine innere Stimme hat mich noch nie getäuscht. Noch nie. Und das schon ewig anhaltende Gefühl von Unruhe machte mich wahnsinnig.
Ich schlief immer schlechter.
Die Träume wurden immer dunkler.
Und die Lage viel zu brisant.
Wie lange würde ich noch durchhalten? Wie lange wird das noch gut gehen? Konnte das überhaupt noch gut gehen?
Jemand tippte mich an und ich fuhr zusammen. Meine Hand knallte auf den Tisch und ich fuhr herum.
Trish sah mich ängstlich an.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich in völliger Abwehrhaltung da saß. Mein ganzer Körper war angespannt. Ich bebte regelrecht. Hätte ich nicht aufgepasst, hätte ich Trish verletzt.
„Rain?", fragte eine Stimme.
Alle starrten mich an.
Ich drehte mich um und erblickte Jem, der mich vorsichtig ansah.
„Alles klar"
Er ist schon ganz nah.
Sie ist eigentlich wunderschön, die Maske.
Ich zitterte am ganzen Leib.
Selbst Aragheta verkniff sich einen Kommentar.
Ein brennender Schmerz überzog meine Handfläche.
Wie in Trance hob ich meinen Arm.
Ich hatte den Teller zerbrochen und mich an den scharfen Scherben geschnitten. Ausdruckslos betrachtete ich meine blutige Hand.
„Rain?"
Ich zuckte wieder zusammen und schaute in Trishs besorgte Augen. Ich verbeugte mich.
„Entschuldigen Sie mich."
Jemand griff mir an die Schulter und ich sah auf. Ian. Ich nickte. Er packte mich am Arm und wir verließen den Raum.
„Was zur Hölle, Ti - ich meine Rain -"
Müde sah ich ihn an.
„Ich hab mich an etwas erinnert."
Er sah mich überrascht an und seufzte.
„Und was?"
„Ich hatte letzte Nacht einen Traum oder Flashback - keine Ahnung wie man das nennt - oder eine Mischung aus beidem. Jedenfalls ist mir etwas eingefallen..."
Mein Cousin sah mich auffordern an.
„Sie muss ihn gesehen haben. Den Mann mit der Maske."
Ein Aufflackern von Schmerz huschte über Ians Gesicht. „Und?", fragte er kalt.
Schluckend lehnte ich an die Wand.
„Deswegen wurde sie getötet, Ian."
Er zuckte zusammen. „Was?", fragte er leise.
„Sie hat gesagt, dass ich es auch wisse. Also wer es ist." Eine Träne bahnte sich aus meinen Augenwinkeln. „Aber ich weiß es nicht."
„Wieso...", fragte Ian mit beherrschter Stimme, „...weißt du es nicht - wieso hast du es vergessen?"
„Ich weiß es nicht."
„Aber wieso weißt du es nicht?"
„ICH WEIß ES NICHT!", brüllte ich. „Ich kann mich verfickt noch mal nur noch daran erinnern, dass ich in einem Betonraum sowie in einem Wald war! Dann hab ich in das Gesicht von Georgia gesehen. Was dann war weißt du ja sicher.", murmelte ich erschöpft. „Filmriss. Blackout. Schwarz."
Er hob die Hände. „Rain, ich denke es wird langsam echt zu viel für dich. Ich denke du solltest..." Der Blick. Der vorsichtige Blick mit den er mich anschaute.
„Nein!", fauchte ich.
Er wich zurück.
„Ich werde nicht gehen, weder die Mission abbrechen, noch sonst was machen, kapiert? Seit Jahren, JAHREN, weiß ich nicht, was wirklich passiert ist - und es macht mich komplett fertig. Das hier ist meine einzige Chance es herauszufinden!"
Er schnaufte. „Also gut. Das ist deine allerletzte Chance, Rain."
Ich nickte.
„Wenn du wieder schlecht schläfst, meldest du dich krank, verstanden?"
„Okay."
Er seufzte. „Ich will es auch wissen." Seine Schultern sackten herrunter. „Es ist alles meine Schuld."
Ich schüttelte heftig den Kopf.
„Nein, Cousin."
„Doch! Wenn ich mich nicht davongemacht hätte..."
„Es war richtig, der Plan war Mist. Und sonst hätten sie uns alle getötet."
Er nickte.
„Geh Jem eine Weile aus dem Weg, Rain. Es würde zu viele Fragen aufwerfen. Er ist auch eine Person die viel zu viel fragt."
„Verstanden."
Ian nickte knapp, bevor er jedoch gehen konnte, wandte er sich an mich und sagte: „Ich möchte dir noch etwas zeigen..."
„Aha - was machst du denn da?", fragte ich, eher damit beschäftigt meine brennende, blutende Hand notdürftig mit den Seidentaschentuch aus dem Ausschnitt zu verbinden.
Ian kniete auf dem Boden und klopfte den Boden ab. Staub wirbelte auf und ich musste husten.
Ich ahnte, was mein Cousin da suchte und kniff die Augen zusammen. Mit dem Fuß stupste ich gegen etwas, das aus dem Staub herausragte und verzog das Gesicht, als ich mit dem Fuß an etwas hartes anstieß.
„Hier!", japste ich und tippte mit der - inzwischen staubbedeckten - Fußspitze auf den Boden. Er blickte auf und nickte.
„Ja, wie du sicher schon vermutet hast, eine unser berüchtigten Falltüren. Dann muss die schwedische Prinzessin das nächste Mal nicht auf einem Styropor - Sack sitzen."
Beleidigt sah ich ihn an. „Und ich?"
Er lachte. „Bist der Arsch vom Dienst."
Ich schnaubte nur und stolzierte durch die offene Falltür - solange es mit hochhackigen Schuhen, sowie mit einem Kleid geht, wenn man eine Leiter herunterklettert. Auf der letzten Sprosse knickte ich auf der Stufe mit dem Fuß um.
Ich fluchte.
Heute war wohl einfach nicht mein Tag.
Ich sah mich um.
In dem kleinen Raum befanden sich ein Schreibtisch, sowie ein paar Computer und ein kleiner Schrank mit Ausstattung. Eine kleine LED - Lampe beleuchtete das Ganze spärlich.
Langsam ging ich zu einem Bildschirm und schaltete ihn an. Ein Gitternetz erschien und zeigte verschiedene Kameras an.
Zwar nicht so ganz präzise wie die Pads, jedoch konnte man sie unmöglich knacken. Daneben war ein Suchsystem mit verschiedenen Stadplänen und eine Abhöranlage aufgebaut.
Nickend wandte ich mich an Ian.
„Ganz okay hier. Wieso habt ihr mir das nicht schon früher gesagt?"
Er sah mich an. „Ich dachte du wüsstest das schon." Strinrunzelnd sah ich ihn an.
Er wand sich ein wenig, zuckte jedoch dann mit den Schultern und sah auf meine Hand.
„Verdammt Rain! Deine Hand!"
Tja, ein wenig blutig war die schon. Ian ging zum Schrank und kramte ein wenig in dem überfüllten Regal und zog eine Rolle Verbandsmaterial heraus.
Er reichte mir ein Taschentuch und ich säuberte halbwegs die vielen Schnitte. Dann ging ich mit „Alkohol - Tupfern" über die Wunden. Widerliche kleine Tücher. Getränkt mit einer Alkoholart namens xy, desinfizierte zwar super, brannte aber wie Sau.
Dann bekam ich noch eine halbe Tube Salbe auf die Hand geklatscht und das Ganze wurde dann dilettantisch mit ein paar Schichten Verband zusammengehalten.
Ich sah auf den Boden. Ein Tropfen Blut war heruntergefallen. Mann, die Verletzung war schon einfach fies.
Mit schnellen Schritten ging ich zu dem Schrank und begann darin herum zu wühlen.
Massenhaft Erste - Hilfe Zeug.
Verschiedene nachgemachte Schlüssel. Interessiert inspizierte ich einen kleinen goldenen Schlüssel.
JEM stand da in hastig geschriebener Schrift auf dem kleinen Schild.
Ich steckte ihn ein, allerdings beschloss ich ihn nicht zu benutzen.
Der Andere war ein Schlüssel mit der Aufschrift SR-234a-IÉ. Ein Schutzraum in Illéa, könnte mir wirklich helfen.
Sonst fand ich noch einige Wanzen und Folien, die es Kameras ermöglichten, von den Schloss - Sicherheitssystem entdeckt zu werden, allerdings waren sie durch die goldene Farbe nicht gerade unauffällig, eine Flasche eines ziemlich fiesen Giftes, die bei Kontakt mit Sauerstoff einen Nebel auslöste, in den man absolut nichts sehen kann.
Verwundert strich ich über das schmutzige Brett. Hier war wohl schon länger niemand gewesen.
Ganz unten fand ich eine blaue Mappe.
Ich atmete einmal tief aus und öffnete sie.
BERICHT
Ich ließ sie sinken, als ich es sah und ließ den Deckel mit einem lauten Knall zufallen.
„Ja, ihr wart die Letzten, die diesen Raum genutzt haben.", hörte ich Ians Stimme neben mir. Dann machte er eine kleine Pause. „Du erinnerst dich wirklich nicht? Nicht an diesen Raum?"
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein." Meine Stimme klang fremd.
Er atmete abrupt aus.
„Okay. Es ist wirklich okay." Ich antwortete nicht. „Ich weiß, dass du nicht bereit bist, sie anzuschauen aber -" Er griff über mich und zog ein Stück Papier heraus.
Ich lächelte. Es war ein Gruppenfoto von Les, meinen Cousins mir und Édouard. Édouard war ebenfalls auf dem Einsatz umgekommen.
„Behalte es, ich denke, ich benötige es nicht mehr."
Schweigend faltete ich es ganz klein und steckte es ein.
Ich blickte auf das kleine Tütchen vor mir.
„... ich denke, die Akte braucht sowieso niemand mehr - alles klar?" Grinsend drehte ich mich zu ihm um und sagte: „Alles bestens."
„Ich verstehe nicht ganz.", sagte Cohen und betrachtete das Tütchen. „Was ist das?"
Ich holte tief Luft und legte die kleinen, stecknadelkopf großen Kügelchen auf den Tisch.
„Éd hat es mir vorher gezeigt, allerdings war er nicht so sicher, ob sie noch funktionierten, da Tricks ja zu diesem Zeitpunkt ja nicht verfügbar war, ist er eingesprungen."
„Und das sind - was?"
„Abhörgeräte in Kleinformat. Sie benötigen ein Minimum an Elektrizität, so wenig, dass der eigene Körper in der Lage ist, sie in Betrieb zu nehmen."
Ian hob eine Augenbraue. „Und?"
Ich schnaufte. „Ihr blickt gar nicht durch, oder?"
Cohen und mein Cousin sahen mich blöd an.
„Der eigene Körper kann sie in Betrieb nehmen."
Als immer noch keine Reaktion kam, seufzte ich.
„Somit kann man, meine Herren, jemanden abhören und zwar dauerhaft weil....?"
Ich sah sie auffordernd an, aber man sah gleich, dass es hoffnungslos war.
„...sie sich im Körper befinden."
Jetzt ging im Oberstübchen das Licht an.
„Oh.", sagte Ian.
Ich schnaufte. „Ja oh."
„...wenn ich das also richtig verstehe, kann man diese kleinen Kugeln in den Körper einspritzen und dann jemanden dauerhaft abhören."
„Ja. Allerdings muss man den Punkt hinter dem Ohr nehmen. In der Brust würde man nur den Herzschlag der gewissen Person hören. Da die Haut dort relativ dünn ist, kann man das filtern."
„Wie lange sind sie nutzbar?"
„Hmm. So einen Monat. Das ist ein Prototyp. Wir haben nur noch zehn Stück. In einem Monat hoffen wir, dieses Projekt schon zu Ende zu führen."
Ich nickte.
„Was passiert mit den Kugeln danach?"
Ich schüttelte den Kopf. „Sie lösen sich auf. Passiert nix."
Cohen nickte. „Tolle Idee - glaubst du Tricks könnte sie kopieren?"
„Keine Ahnung."
Er seufzte.
„Den Prinzen verwanzen? Schwierig. Impfungen kriegt er einmal im Jahr, funktioniert also nicht. Spritze bezüglich Vitamine? Nee."
Ian räusperte sich.
Ich sah ihn an.
„Es gibt eine Möglichkeit." Seine braunen, dieselben Augen wie meine, starrten mich an.
Als ich begriff, was er wollte sah ich ihn herablassend an.
„Soll ich ihm ein Ohrloch stechen wenn ich ihn fick...?"
„DAY!", fiel mir Cohen abrupt ins Wort. Allerdings war er ein wenig rot geworden. „ Natürlich nicht! Um Himmels Willen!"
„Das wäre kein Problem für mich.", sagte ich laut.
Abrupt wurde es still.
Cohen sah weg, Ian biss die Zähne zusammen.
Seine Miene verdunkelte sich. Absolut kein gutes Zeichen.
Gar nicht gut.
„Nein," presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Das hier ist kein Bordell, Rain - und falls dir irgendetwas an Jem liegt, tust du das nicht."
Ich schwieg.
„Außerdem weiß ich, dass du das nicht gleichgültig über dich ergehen lässt - du hast es auch nie signalisiert - also mache einen vernünftigen Vorschlag."
Ich sagte nichts.
„SAG WAS!", brüllte er wütend.
Es war dumm von mir gewesen. Dumm, dumm, dumm. So ein Mist brach nur noch alte Wunden auf und zwar auf eine äußerst radikale Weise.
Ich wollte den Scheiß hinter mir lassen - und was tat ich?
Alles provozieren.
Mein Magen zog sich zusammen.
„Ian." Cohen legte ihm eine Hand auf die Schulter.
Mit funkelnden Augen starrte er zurück.
„Nein Rain, ich meine nicht auf diese Weise! Wenn du es machst, mach es mit echten Beweggründen nicht wie die kleinen Huren um die Ecke."
Autsch. Das tat weh.
Aber leider stimmte es.
„Lass das hinter dir, kapierst du? LASS ES!"
Die Stille war erdrückend.
Ich sah ihm nicht in die Augen und antwortete:
„Es gibt jedoch so ein kleines scharfes Werkzeug. Ist so fein, dass man es nicht merkt, eine kleine Nadel. Dort platziert man die kleine Kugel." Meine Kehle war trocken und der Sirup vom Frühstück verklebte meinen Hals.
Auffordern sah ich ihn an.
„Ian?", fragte Cohen vorsichtig. „Es ist eine gute Chance."
Er nickte langsam.
„Aber nur ein Date."
Ich nickte nur, drehte mich um und ging heraus.
Es war ein Fehler.
Und wir alle wussten es.
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