Seite an Seite
Zwei Tage waren vergangen, seit Thorin Eichenschild den Thron eingenommen hatte. Ein zufriedenes Lächeln lag auf Bilbos Mund, der den weiten Ausblick über die erwachende Stadt Thal genoss. Seit Smaugs Leben ein Ende gefunden hatte, siedelten mehr und mehr Menschen zurück in die verlassene Stadt und erbauten sie neu. Da die Missgunst der Zwerge verraucht war und Bard für seine Verdienste noch eine Entlohnung zustand, kam es, dass die Menschen mit Gold gefüllte Wagen hinter sich herzogen.
Die Brise des späten Sommers war süß, erfüllt von dem hellen Gesang der Drosseln und dem Gefühl von Ruhe. Einer Ruhe so himmlisch, wie der Abenteurer sie lange nicht erlebt hatte. Genussvoll schloss er beide Augen, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und atmete den lauen Wind tief ein.
»Du bist hier«, weckte ihn Thorins Stimme sanft aus seinen Tagträumen. Die langen Haare des Zwerges leuchteten in dem warmen Licht der Sonne. Sein Gesicht hatte an Farbe gewonnen. All seine Wunden waren verheilt. Zum ersten Mal seit langer Zeit sah er vollkommen gesund aus.
»Ich habe dich gesucht«, sprach Thorin leise, um seine Nervosität zu überspielen. »Ich habe Fili gebeten, heute meine Pflichten zu übernehmen. Und ich dachte vielleicht ... also ...« Thorin strich über seinen Nacken. Der Hobbit richtete sich langsam auf. Bilbos Mundwinkel zogen sich verschmitzt in die Höhe.
»Nun ja«, fuhr Thorin fort, »ich habe ewig nichts als die dunklen Mauern des Berges erblickt und ... Also, würdest du mir vielleicht die Ehre eines ... Ähm ... Spazierganges erweisen?« Der Hobbit erhob sich. Bilbos Augen strahlten.
»Sehr gerne würde ich das.«
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Die karge Weite des Landes führte an der großen Schlucht vorbei, an welcher sie vor ihrer Ankunft vorbeigekommen waren. Bilbo dachte zurück an das erste Mal, als er den Erebor in vollkommener Größe erblickt hatte. An seine majestätische, von Schnee bedeckte Pracht. An die Drossel, den Schlüssel, den Drachen. Von hier oben konnten sie das gesamte Land überblicken, bis hinaus auf den weiten See der Stadt Esgaroth. Ganz allein waren sie hier. Thorin brach die Stille:
»Vor langer Zeit wanderte ich schon auf diesen Wipfeln. Wo wir sind, waren einst Bäume. Thal war lebendig.« Ein rauer Wind huschte über das vertrocknete Land. Der tiefe Abgrund schien immer näherzurücken. »Alles hat sich verändert.« Traurigkeit schimmerte in den Augen des einstigen Zwergenprinzen.
Sachte machte Bilbo eine Drehung und trat Schritt für Schritt auf Thorin zu. Unter seinen Füßen knirschte die Härte des leblosen Bodens. »Es muss schrecklich gewesen sein, als Smaug euch eurer Heimat beraubt hat«, sprach der Halbling mit gesenkter Stimme.
»Es war schrecklich. Gewiss.« Thorin fixierte den Berg. Er war nicht länger einsam. »Doch könnte ich in die Vergangenheit reisen; Es gäbe nichts, was ich verändern würde.« Thorins Mundwinkel formten ein vorsichtiges Lächeln. »Denn dann wäre ich nie nach Beutelsend gereist ... Ich hätte nie meinen Weg verloren ... wäre dir nie begegnet.«
Die Gesichtszüge des Halblings wurden weich. Bilbo senkte den Kopf in Richtung Boden und die wenig entfernte Schlucht, ehe er den Blick des anderen erwiderte. So wanderten sie weiter, verließen das leblose Land und kamen schließlich am Mund des riesigen Sees an.
»Irgendwo dort muss es sein. Das Auenland.« Bilbos rechte Hand machte eine ungeschickte Bewegung nach vorne, während er sprach. Ein Schimmer lag auf dem klaren Wasser. Die unten stehende Sonne spiegelte sich demütig darin.
Thorin wanderte wie vom Wind bewegt neben Bilbo her. Er erkannte die Emotionen in den Augen des einen. »Ich weiß, du sagtest, es sei nicht so, aber du sehnst dich danach zurückzukehren, nicht wahr? Das heimelige Knistern deines Feuers zu hören, während du in deinem Sessel ein Buch liest. Dort bist du zu Hause.«
Für einen Moment glaubte der Hobbit, in den Augen des Königs, der in der Vollkommenheit des Erebors lebte, eine Spur von Sehnsucht zu erkennen. Doch er verwarf den Gedanken gleich wieder.
»Hin und wieder denke ich schon zurück an die alten Zeiten. Dann fällt mir ein, dass die Zeiten ja gar nicht so alt sind.« Ein Schmunzeln lag auf Bilbos Mimik. Dann wurde er jedoch wieder ernst. »Eine Rückkehr ins Auenland, nein. Zumindest nicht jetzt.« Da kam ihm plötzlich der Gedanke, dass er, wenn alles gut ging, in vielen Jahren von einem kleinen Hobbit namens Frodo gebraucht werden würde. Doch die Zukunft lag im Nebel, unsicher und fern. Es hatte keinen Zweck, über ihre Existenz zu grübeln.
In einem ganz langsamen Tempo schlenderten Thorin und Bilbo die schmale Küste entlang, während der Erebor in immer weitere Ferne rückte. Inzwischen hatte der Himmel begonnen, sich in roten Farben zu kleiden. Immer wieder sahen sie einander an. Die Stille, welche wie ein unsichtbares Band zwischen ihnen lag, schien für sie zu sprechen. Am Ende des Pfades, dessen braune Gräser sanft im Wind wogen, blieben sie schließlich stehen. Der Sonnenuntergang strahlte wie ein Feuerwerk. Bilbo glaubte, der Himmel habe hier eine andere Struktur als in der Beschaulichkeit des ruhigen Auenlandes. Er war weiter und freier und ... magischer.
Eine lange, bedächtige Zeit standen der Hobbit und der Zwerg einfach nur nebeneinander und ließen sich von dem ruhigen Plätschern des bunten Wassers in den Bann ziehen. Dann irgendwann, als das warme Licht schon fast einem diesigen Schleier gewichen war, trafen sich ihre Blicke. Der Hobbit schluckte schwer, als Thorins Lippen ein Lächeln formten. Noch nie hatte er so glücklich gewirkt wie in letzter Zeit. Und das erfüllte Bilbos Herz mit großer Freude.
Der Halbling machte einen Schritt zur Seite, woraufhin Thorin sprach: »Lass uns noch nicht gehen. Lass uns bleiben. Gemeinsam.«
Die in Farbe getauchten Wolken vermischten sich mit dem Dunkelblau der einbrechenden Nacht. Grillenzirpen erklang wie ein süßer Sommerchor.
»Du hast es die ganze Zeit über gewusst. Du hast dich an die Vergangenheit erinnert. An das, was vor meinem ... Tod geschehen ist«, stellte Thorin fest. Er wanderte gegen die Richtung des Berges, langsam neben dem Halbling her. Beinahe unauffällig berührten sich ihre Fingerspitzen.
»Das habe ich. Niemals hätte ich es vergessen können.« Bilbo seufzte bedächtig. »Ich muss aber zugeben, dass ich mir mehr als einmal gewünscht habe, es vergessen zu können. Dabei war Valinor ein wahres Paradies. Ein solches, von dem man sonst nur in Geschichten liest.«
Die dunklen Augenbrauen des Zwerges wanderten in die Höhe. »Du warst in den unsterblichen Landen?«
»Nachdem ich den Erebor verlassen hatte, bin ich nach Beutelsend zurückgekehrt. Ich habe dort meinen Neffen Frodo großgezogen. Ein lieber Junge muss ich sagen. Doch dann stellte sich heraus, dass der Zauberring, den ich in den Orkstollen gefunden hatte, eine große Gefahr für Mittelerde darstellte. Frodo musste sich auf eine schwere Reise begeben, um das Problem zu lösen.«
Mit großem Interesse lauschte Thorin der Geschichte des einen Ringes, seiner Zerstörung und den Heldentaten, die Mittelerde befreit und in ein neues Zeitalter geführt hatten. Die ganze Zeit über musterte er den Erzähler mit einem tiefen, bewegten Blick und näherte sich ihm langsam. Thorins Augen weiteten sich, als er erfuhr, dass Bilbo weit über hundert Jahre alt geworden war.
»Du ... du kannst gut mit Worten umgehen«, bemerkte Thorin verlegen. »Aber wie ist es möglich, dass wir hier stehen? Kein Volk kann die Zeit manipulieren. Nicht einmal die Istari besitzen eine solche Macht.« Die Stirn des Zwerges lag in Falten. Ein Stich durchfuhr Bilbos Magen.
Konnte er ihm die Wahrheit anvertrauen? Wo das Relikt doch so viel Schaden angerichtet hatte? Bilbo machte Halt, fühlte das scharfe Gras unter seinen Füßen und holte tief Luft.
»Der Arkenstein«, flüsterte er gerade so leise, dass die Worte noch verständlich waren. Blitzartig veränderte sich der Ausdruck auf Thorins Gesicht. Er fürchtete die Macht des Arkensteins. Der Zeitreisende verkrampfte beide Hände, denn die dunklen Bilder waren noch wacher als sonst.
»Er hat eine Kraft. Er hat die Zeit manipuliert.« Da stockte Bilbo.
»Das ist faszinierend«, bemerkte Thorin. Die Miene des Zwerges war von tiefen Emotionen gezeichnet. Doch lagen dort auch Schatten der Vergangenheit, die Bilbo lange verfolgt hatten. Womöglich noch immer verfolgten. Der Hobbit erwähnte nicht, dass die Kraft des Reliktes unberechenbar war. Genauso wenig vertraute er Thorin die Erfahrungen der dreitägigen Reise an.
Stattdessen schritten sie weiter, Seite an Seite, durch die in pechschwarzen Samt getauchte Nacht. Nun berührten sich ihre Hände fast.
»Es ist ein Wunder«, entfloh es dem Hobbit plötzlich. »Dass wir hier sind. Dass du ... lebst.« Er schluckte.
Thorin flüsterte: »Ich kann mir nicht ausmalen, wie es für dich gewesen sein muss. Dass du das alles auf dich genommen hast. Noch einmal. Du musst dich allein gefühlt haben.« Thorins Haare schimmerten silbern. Seine Miene sprach von Schwere, von einer Schuld, welche doch gar nicht die seine war.
»Es war schwer. Gewiss«, zitierte Bilbo Thorins Satz. »Doch ich würde es wieder tun.« Da griff der Zwerg plötzlich auch nach der rechten Hand des Hobbits. Bilbo spürte, wie seine Kehle sich zuschnürte, als der Mondschein Thorins Gesicht erleuchtete. Keine Seele war weit und breit zu erhaschen. Zum ersten Mal waren sie ganz allein.
Zu zweit lauschten sie der Ruhe der Nacht und blickten hinauf zu den Sternen. Ein tiefer Frieden legte sich wie eine Decke um die beiden. Sie waren hier, gemeinsam. Und das war das größte Geschenk, das ihnen jemals zuteilwerden konnte. Von ganzem Herzen wünschte sich Bilbo, dass dieser Moment niemals enden mochte. Der sanfte Druck von Thorins Hand vermittelte ihm Trost, zugleich eine lähmende Angst vor der Zukunft. Doch Bilbo ließ nicht zu, dass die Vision die Vollkommenheit des Augenblicks störte. Er vernahm Thorins Atem, spürte die Wärme seiner Hand; vergaß die Bedeutung von Zeit. Zeitlos warfen die Gräser schmale Schatten; spiegelte sich die augenförmige Kugel des Mondes im plätschernden Wasser. In Andacht blickte er auf sie herab.
Langsam nahm der König Bilbos andere Hand und blickte mit einem mystischen Blau direkt in die ergriffenen Augen des einen. Dann strich er spielerisch durch die Locken des Hobbits.
»Amralie astû«, wisperten Thorins Lippen. Die Bedeutung bedurfte keiner Fragen. Sie schlossen die Augen. Sie küssten sich. Und die Dunkelheit der Nacht wurde zu einem hellen Licht, das alles überstrahlte.
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Die milde Luft strich lieblich über das Land und kitzelte Bilbos erwachende Nase. Er vernahm Thorins gleichmäßigen Atem. Ein freudiges Lächeln lag auf dem Mund des Hobbits. Ein hoher Ton direkt neben seinem Ohr riss ihn aus dem Schlaf. Er öffnete langsam die Augen und sah eine kleine Elster, die ihn neugierig musterte. Bevor er sich jedoch an ihrem Federkleid sattsehen konnte, flatterte sie in die Weite des Himmels davon.
Um sich an das gleißende Licht zu gewöhnen, zwinkerte Bilbo mit beiden Augen und wandte sich schließlich Thorin zu. Auch der König schlug langsam die Augen auf. Thorin sah dem Hobbit mit einem Strahlen entgegen.
Sie machten sich wieder auf den Weg zum Erebor. Das Wetter war herrlich. Keine einzige Wolke stand am Himmel und die Stadt Esgaroth lag wie am Vortag in aller Pracht vor ihnen. Nicht weit von ihnen waren Stimmen der Menschen zu vernehmen, die sich tatkräftig an die Arbeit machten, um ihre Heimat neu zu errichten.
Frieden schwang im Gesang der Vögel mit. Freude lag im Duft der Blumen und Hoffnung schien mit dem strahlend warmen Rot der Sonne auf die Welt. Seite an Seite kehrten sie zurück zu der großen steinernen Seitentür, zurück in den mit Leben erfüllten Berg. Einen Meter vor ihrem Ziel machten sie Halt. Thorin sprach mit Reue im Unterton: »Ich habe viel zu tun. Die königlichen Pflichten warten nicht.«
Bilbo nickte tröstlich mit dem Kopf. »Ich habe auch noch einiges zu tun. Ein Buch schreibt sich schließlich nicht von allein.« Sie genossen die letzten Sekunden ihrer Zweisamkeit, ehe sie die Dunkelheit des Berges verschluckte. Kurz vor der Treppe verabschiedeten sie sich schmerzlich mit einer kurzen Umarmung. Der König begab sich in die heiße Miene. Sie war nach Ewigkeiten endlich wieder in Betrieb genommen worden.
Den ganzen Tag hockte Bilbo über seinen Schriften, griff nach der mit Tinte verschmierten Feder und reihte Wort an Wort. Zufrieden klappte er das Buch zu, als die Sonne bereits vom Mond abgelöst worden war. Die friedliche Stimmung des Abends wurde von einem unerwarteten Geräusch durchbrochen, das die Ruhe des Berges erschütterte.
Mit großen, freudvollen Schritten huschte Bilbo den Flur entlang, um Thorin in Empfang zu nehmen. Doch als er auf das rissige Ende des Ganges sah, erblickte er stattdessen ein anderes Gesicht. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihm breit.
Noch nie hatte Bilbo den Zauberer in einer solchen Eile gesehen (außer vielleicht als Gandalf den Zauberring in Beutelsend verlangt hatte). Selbst bei den Angriffen der Orks war er teils so ruhig geblieben, dass der Hobbit nur mit dem Kopf schütteln konnte. Mit einem Mal wurde Bilbo klar, dass etwas passiert sein musste.
»Bilbo Beutlin!«, rief Gandalf. Die Augen des Hobbits weiteten sich. »Wo ist er?« Bilbo runzelte die Stirn.
»Gandalf!«, rief Bilbo in lockerem Tonfall. »Was tust du? Wovon sprichst du, wenn ich bitten darf?« Der Zauberer konnte nur mit dem Kopf schütteln.
»Wo ist er?«, wiederholte Gandalf harsch. Wieder stierte der Hobbit auf dem Boden und anschließend sogar an die Decke.
»Was meinst du? Wo ist was?« Das wurde Gandalf nun wirklich zu viel. Er stemmte die linke Hand in die Seite und drehte den Kopf nach links und rechts.
»Dass ich das noch erleben darf! Bilbo Beutlin!« Er wurde noch lauter. »Galadriel hatte dir doch aufgetragen, darauf aufzupassen! Verflixt und zugenäht!« Da schlug die Erkenntnis wie ein Blitz ein. Der Boden schien an Masse zu verlieren. Er schwankte plötzlich hin und her.
»Der Arkenstein! Aber ich habe ihn doch genau ...« Flink griff Bilbo in seine Jackentasche. Sein Mund wurde trocken. Da war nur Luft. Gandalf hatte von Galadriel erfahren, dass der Arkenstein an Macht verloren hatte. »Aber ich ... er muss hier doch irgendwo sein. Moment bitte!« Der Hobbit wühlte verzweifelt in allen Taschen. Nirgends war eine Spur vom Herz des Berges. Gandalfs Gesicht verfinsterte sich. Panisch blickte Bilbo umher.
In Windeseile rasten seine Beine zurück zu dem Buch und der Feder. Er klammerte sich an jeden Fleck des Raumes, welcher ihm lange ein Zuhause gewesen war. »Verflixt! Er muss hier doch irgendwo sein!« Unter dem Bett, in den Fächern des kleinen, aus rechteckigen Mustern geformten Regals, unter dem Nachttisch, dem klobigen Stuhl und der festen Tischplatte suchte er.
»Grundgütiger!«, entfloh es ihm. »Das-Das darf einfach nicht wahr sein!« Noch immer konnte Bilbo nichts finden als Staub und Schmutz. Ganz weich waren seine Knie, als er zurücklief.
»Es tut mir wirklich leid!«, stammelte Bilbo. Dann hielt er den Mund lieber verschlossen.
»Wann hast du ihn zuletzt gesehen?«, fragte Gandalf ernst. Bilbo wanderte im Geist sorgfältig zurück, ehe er antwortete: »Am Ufer des Langen Sees. Da hatte ich ihn noch in der Tasche.« Es konnte also noch nicht lange her sein, dass er verschwunden war.
»Thorin! War er auch da?« Lautlos nickte Bilbo.
»Dann komm mit!«, rief der Zauberer entschlossen. Bilbo spürte Kränkung hinsichtlich der Anschuldigung gegen Thorin.
So sagte er: »Thorin kann ihn unmöglich haben. Er hat die Drachenkrankheit überwunden. Außerdem ... bin ich ihm nicht von der Seite gewichen.« Wenig gefasster nahm Gandalf die Aussage zur Kenntnis.
»Wir müssen ihn dennoch finden. Folge mir!« Sie überflogen alle Treppenstufen und fanden sich schließlich an der breiten Schnittstelle wieder, welche den dunklen, mit dämmrigen Fackeln beleuchteten Flur von der Mine abschnitt. Das Knarren eiserner Gerätschaften drang in ihre Ohren. Viele der Zwerge arbeiteten noch immer an den eisernen Hebeln. Erst am hintersten Ende des Raumes fanden sie den Anführer.
Zuerst erstrahlten die Augen des erschöpften Königs wie die Glut des Berges, weil sie Bilbos Gesicht erblickten. Doch als ihm die Anwesenheit des Zauberers auffiel, erstarrte seine Mimik.
Dieser fragte direkt: »Thorin Eichenschild! Hast du ihn?« Mindestens so verwirrt wie Bilbo vorhin, blickten die müden Augen des Königs drein.
»Hast du den Arkenstein? Jetzt sag schon!« Thorin fuhr sich über die Stirn. »Den Arkenstein?«, stammelte er. »Wieso sollte ich ...« Fragezeichen wanderten zu Bilbo. Der stand nur mit gesenktem Kopf da. Thorin verstand.
»Du hattest den Arkenstein, Bilbo. Und jetzt ist er fort«, erkannte der Zwerg. Noch immer schwieg der Halbling.
»Gut, dann müssen wir ihn suchen! Spurtet euch!« Bilbo bat Gandalf, ihm einen Augenblick mit Thorin zu lassen, ehe sie aufbrachen. Sie stellten sich in die stillste Ecke des Flures.
Dann brach es aus Bilbo heraus: »Glaube mir bitte, ich wollte dich nicht hintergehen! Nicht dieses Mal. Ich schwöre es!« Bilbo biss sich auf die untere Lippe und kräuselte die Nase.
»Ich weiß«, erwiderte Thorin ruhig. »Ich vertraue dir.« Erleichtert atmete der Halbling aus.
»Außerdem ist mir der Arkenstein gleichgültig. Es ist nicht der Schatz in diesem Berg, den ich zu verlieren fürchte.« Thorins Miene war von Wärme erfüllt.
Da entfloh es Bilbo endlich: »Wir müssen ihn unbedingt finden!« Mit unruhigen Bewegungen trat er von einer Stelle auf die nächste.
Thorin fragte: »Wieso? Er hat keinen Wert für mich.« Plötzlich fiel es dem Zwerg wie Schuppen von den Augen.
Natürlich. Der Arkenstein war nicht wertvoll wegen seines Vermögens, sondern weil er der Schlüssel zur Umkehrung der Zeit war. Weil ihm eine Macht innewohnte, die rein niemand zu kontrollieren wusste. Was würde geschehen, wenn diese in falsche Hände geriet?
»Also gut! Wir haben keine Zeit zu verlieren!« Gerade hatte Thorin sich abgewandt, da rief Bilbo plötzlich: »Warte!« Sofort stoppte Thorin.
»Wer weiß, was passieren wird? Ich möchte nur noch einen Augenblick. Einen Augenblick mit dir.« Die schrecklichsten Möglichkeiten strömten wie ein reißender Fluss durch Bilbos Kopf. Dies war alles, was ihnen blieb. Nichts als ein Moment im Fluss der Zeit.
»In Ordnung.«
Dann flüsterte er: »Amrâlimê ...«
Mit einem letzten, sanften Kuss verabschiedeten sie sich von der Stille des Augenblicks. Noch ehe der nächste Sandkorn herabfallen konnte, löste sich der wundervolle Moment auf. Hinter ihnen war der Ruf der Vergangenheit, vor ihnen eine ungewisse Zukunft. So liefen sie ins Unbekannte.
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