Two
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„Boss?"
Jacob murrte. „Was?", grummelte er müde.
„Boss, hast du ein Weib gestern mitgebracht?"
„Lasst sie in Ruhe." Er seufzte, drehte sich um. „Und mich auch, verdammte Scheiße, Rico." Er war sich zumindest sicher dass es Rico war, der ihn beim Schlafen störte.
„Verzeihung." Schon hatte er wieder seine Ruhe. Er war noch nicht bereit, aufzustehen.
Erst sehr viel später, als die Sonne schon längst aufgegangen war, wachte Jacob auf. Das Sonnenlicht schien durch die Fenster des Zuges und Jacob öffnete langsam seine Augen. Müde streckte sich der Assassine und schwang seine Beine aus dem bedürftigen Bett auf dem er schlief. Es war schon lange durchgelegen und mehr einzusammengebautes Bett aus Sitzbänken und einer alten Matratze – doch einschließlich diesen Bereichs und des Wagons gehörte das hier zu seinem Reich.
Jacob hasste es, so früh aufzustehen – das war ihm schon immer klar gewesen. Jeder der Jacob gut kannte, wusste, dass der junge Attentäter niemals der erste sein würde, den man im Zug zu Gesicht bekam.
Seine braunen Haare waren sehr zerzaust und standen gen Decke, als er in die Spiegelung eines Fensterts sah.
Er seufzte, strich einmal mit einer Hand durch seine Haare und drehte sich um. Wenn Evie hier wäre, würde sie über ihn lachen – dessen war sich Jacob sicher.
Er lockerte seine Muskeln ein wenig und ließ sie knacken, erst danach verließ er sein Bett.
Der junge Assassine sah sich im Wagon um und erkannte, dass es wie immer ein einziges Chaos war. Er würde später aufräumen müssen – doch auch das würde dem Chaos wenig Einhalt gebieten.
Jacob schnappte sich ein Hemd, was über einer Stuhllehne außerhalb des Abteils hing und sein „Schlafzimmer" war. Er roch an dem Hemd – sofort merkte er dass es nicht gerade das frischste war. Jacob überlegte für eine Sekunde, doch dann zuckte er mit den Schultern. Es roch immerhin noch nicht so schlimm, dass man damit Insekten anzog, seiner Meinung nach. Als nächstes fiel ihm eine dunkelgrüne Weste in die Hände, die mit einem hellgrünen Stickmuster versehen war.
Schnell zog er sich weiter an und schlüpfte in seine Hose, seufzte. Dann rollte er mit den Augen und machte sich auf den Weg zu seiner Toilette. Was zuerst musste, das musste.
Während er sich nach einer Erleichterung auf der Toilette weiter fertig für den Tag anzog, warf er immer wieder einen Blick auf die Uhr. Jacob wollte Rose nicht zu lange warten lassen.
Als er an Rose dachte zuckten seine Mundwinkel leicht nach oben. Seine Mundwinkel hörten zu zucken auf als er in einen kleinen Spiegel blickte.
Was war das nur? Seit wann war ihm – Jacob Frye, Anführer der Rooks – jemand völlig Fremdes so wichtig? Oder eine solche Angelegenheit wie häusliche Gewalt? Er hatte gestern Nacht nicht unter Einfluss von Alkohol oder anderweitigen Drogen gestanden, also wieso konnte das nur so schnell geschehen? Schnell kam ihm ein anderer Gedanke, ein Gedanke der ihn wütend machte. Der Verlobte von Rose. Rose war eine so junge – und wie er fand – wunderschöne Dame, die eindeutig Besseres verdient hatte als einen Kerl wie ihn. Aber wie könnte ein Mann, wie Jacob es war, ihr schon weiter helfen als diese Angelegenheit für sie zu regeln? Er war nicht gerade wohlhabend oder hatte eine sichere Arbeit – er war ein Assassine. Ein Mörder, würden manche Menschen sagen.
Jacobs Magen unterbrach seinen Gedankengang. Er hatte ein wenig Hunger.
Der braunhaarige junge Mann betrat den nächsten Wagon – es war der Gemeinschaftswagon der Rooks. Hier hielten sie immer Versammlungen ab, sollte etwas wirklich Wichtiges anstehen. Bisher hatte es das nur einmal getan. Und zwar als sie vor ein paar Monaten mächtig Stress mit ein paar Bliters gehabt hatten.
Ein paar seiner Männer nickten ihrem Anführer zu – jeder hier wusste, dass Jacob morgens kaum ein Wort sprach. Es wirkte immer, als ob eine Last auf den Schultern des jungen Mannes lag, seitdem sein Zwilling fort war. Der junge Assassine griff stumm nach etwas Brot, Butter und Belag – er war nie wählerisch bei solchen Sachen. Er ging weiter zu dem Wagon, in dem er Rose für die Nacht schlafen gelassen hatte. Er hoffte dass sie bereits wach war – sonst würde er später noch einmal nach ihr sehen. Sie hatte es heute Morgen verdient, ein wenig auszuschlafen.
Vorsichtig zog er die Tür auf, riskierte einen Blick ins Innere. Er atmete erleichtert aus als er sah, dass sie auf der Couch saß. Jacob ließ das Bild – was ihm bot – auf sich wirken. Er nahm einen tiefen Atemzug und unterdrückte es, zu lächeln.
Rose saß mit einer Tasse Tee in der Hand auf der Couch auf der sie wohlgeschlafen haben musste und schien den Assassinen noch nicht bemerkt zu haben. Sie wirkte ausgeschlafener, ihre Augen waren nicht mehr so trüb – nicht, wie es gestern Abend der Fall gewesen war. Ihre rötlichen Haare trug sie nun offen. Keine einzige Haarnadel oder ein Gummiband befand sich noch darin und es fiel in sanften Wellen über ihre Schultern, endete am Ende ihres Schulterblatts. Eine Strähne war ihr vors Gesicht gefallen, kräuselte sich leicht. Ihre natürliche Haltung wirkte so beruhigend auf Jacob dass er ein leichtes Lächeln nicht länger unterdrücken konnte. Er mochte das Gefühl, das ihn durchströmte, sehr. Es war mit Wärme zu vergleichen und sein Herz machte wie gestern Nacht einen Hüpfer, hämmerte gegen seine Rippen.
Jacobs Lächeln gefror auf seinen Lippen als Rose von ihrem Tee aufblickte. Ihre grünen Augen trafen auf Jacobs haselnussbraune Augen und er schluckte so unauffällig wie es ihm möglich war.
„Guten Morgen." Er räusperte sich, wiederholte seine Worte und noch immer an der Wagontür stehend.
Rose erwiderte diese Geste mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Ihr Blick glitt in einer Schnelligkeit über Jacob, dass er es unter normalen Umständen nicht bemerkt hätte. Doch ihr Blick blieb an seinen Narben hängen und wanderte dann für einen Moment zu tief nach unten.
Er war zwar keine Frau, doch er ahnte, was ihre Aufmerksamkeit für einen zu langen Moment auf sich zog – seine halbe Morgenlatte, die sich erst noch legen musste. Es war doch jeden Morgen derselbe Scheiß. Für gewöhnlich merkte keiner der Jungs das an, da sie mit demselben Problem kämpften, doch Rose war einer der wenigen Frauen, die bisher hier auf den Zug aufgestiegen waren.
Jacob versuchte sein verruchtes Grinsen, dass sich auf seinen Lippen ausbreiten wollte, zurückzuhalten.
Als Rose ihren Blick wieder hob und bemerkte, beim Starren erwischt worden zu sein, breitete sich eine leichte Röte auf ihren Wangen aus.
„Guten Morgen", sagte sie leise und sah in ihren Tee hinab. „Miss McBean war so freundlich und hat mir eine Tasse Tee angeboten",erzählte sie ihm und hob die Tasse kurz an.
Die junge Dame – so empfand es Jacob – schien in diesem Augenblick so viel entspannter zu gestern.
Fragend blickte Rose den jungen Mann an, der noch immer an der Wagontür stand. Wartete er wirklich darauf bis sie ihn herein bat? Es war schließlich sein Zug. Er trat ein, wo er eintreten wollte.
„Du darfst auch gerne näher kommen." Die zarte Stimme der jungen Frau ertönte mit einem kleinen verlegenen Lachen. Er hob seine Augenbrauen.
Nachdem sie dies gesagt hatte betrat er den Wagon und kam zögern näher – er wollte sie nicht verschrecken.
„Das ist gut." Anhand seiner tiefen Stimme am Morgen erkannte er, dass er noch nicht annähernd wach war. „Wie hast du geschlafen?", fragte er höflich und biss von seinem Brot ab, welches sich noch immer in seiner Hand befand.
Sie hob kurz eine Augenbraue – diese Geste ließ Jacobs Mundwinkel wieder zucken. Und diesmal konnte er nichts tun, um es zu verhindern.
„Es ging so", erzählte sie ihm. „Das Ruckeln war mir ein wenig unangenehm und fremd, aber im Großen und Ganzen war es in Ordnung", urteilte die junge Frau ruhig und trank einen Schluck aus ihrem Tee. Mit keiner Silbe erwähnte sie, einer der Jungs hätte sie belästigt. Womöglich hatten sie Miss McBean auf sie angesetzt, nachdem er im Halbschlaf gemeint hatte, sie sollte in Ruhe gelassen werden.
Eine Stille überkam die beiden und Jacob biss sich auf die Lippe. Er musste nachdenken, wie er Rose helfen konnte. Eine Nacht war bereits vergangen – es durfte einfach keine zweite werden.
Rose beobachtete ihn still mit ihren grünen Augen. Die junge Dame hatte kaum eine Chance gehabt, sich ihren Retter genauer anzuschauen seit sie bei ihm war. Selbst vorhin, als sie ihn schnell aus der Ferne gemustert hatte, war ihr nicht aufgefallen, dass er etwas größer war, als sie angenommen hatte. Seine breiten Schultern schmeichelten ihm, von seinen Armen abgesehen. Seine Kleidung wirkte hier und da ein wenig abgenutzt und könnte sicher einmal eine Wäsche gebrauchen. Rose seufzte sehr leise, legte den Kopf leicht schief und sah zu ihm kurz hoch, um zu schauen, ob er längst in ihre Richtung zurückblickte – dem war nicht der Fall. Rose überlegte, wann sie solche Kleidung wie er sie trug schon mal gesehen hatte, doch sie kam nicht drauf, weil dies noch nie der Fall gewesen war. Ihr Blick fiel wieder auf sein Gesicht. Sie fragte sich, woher die zwei Narben kamen, die sein Gesicht zierten. Eine Narbe befand sich auf seiner linken Wange – die ein wenig in seinen Bart schnitt und dort eine kahle Stelle hervorrief. Es war eine kleine Unvollkommenheit, die ihm und seinem Ansehen trotzdem schmeichelte. Die andere Narbe befand sich an seiner rechten Augenbraue.
„Ich mag, wie dein Haar fällt." Jacob wandte den Blick sofort wieder ab. Er hatte etwas vollkommen anderes sagen wollen. Das war ihm – mit weitem Abstand – noch nie passiert. Wie kam er nur darauf, so etwas zu sagen, verdammt nochmal?
Rose schmunzelte ein wenig darüber. „Dankeschön", entgegnete sie. Sie war überrascht, wie freundlich der junge Mann war – auch wenn er sehr kühl klang.
Jacob überlegte weiter, versuchte sich noch mehr zum Affen zu machen. Sie befand sich vorerst in Sicherheit, aber es würde nicht lange dauern bis ihr Verlobter herausfand, wer Jacob war. Jacob und seine Rauchbomben waren bei der Polizei nicht unbekannt. Es könnte riskant werden, zur Polizei damit zu gehen, aber andererseits hatte er einen guten Informanten und Verbündeten dort. Das könnte die halbe Miete werden.
„Hast du schon eine Lösung?", fragte Rose just in diesem Moment und riss den jungen Mann aus seinen Gedanken. Jacob blinzelte, schüttelte ganz leicht seinen Kopf und fuhr sich durchs Haar.
„Noch nicht", entgegnete er. „Aber ich kenne einige Leute, die dir helfen können", versicherte er Rose und schlang das letzte Stück seines Brötchens hinunter.
Er musste mit Frederick Abberline sprechen. Vielleicht konnte die Polizei etwas tun. Er ging zur Garderobe und nahm sich seinen Zylinder, der noch immer an einem Harken hing.
„Was ist mit mir?" Rose stellte ihre Tasse beiseite, stand auf. Jacob atmete tief ein, versuchte aus Höflichkeit im Tageslicht seinen Blick nicht allzu lang auf ihrem tiefersitzenden Kleid hängen zu lassen. Es war schon genug an diesem Morgen vorgefallen – zu viel für seinen Geschmack, wenn man ihn fragte. „Ich kann nicht einfach hier bleiben." Rose zuckte mit ihren Schultern, brachte so ihr Dekolleté noch mehr in Pose. Jacob befeuchtete seine Lippen mit seiner Zunge. Er wusste, sie wollte ihm nur helfen und nicht einfach nur nutzlos herumsitzen. Er hatte Respekt vor ihrem Tatendrang. Und Jacob erkannte die Leidenschaft in den grünen Augen der jungen Frau,die ihn an seine Schwester erinnerten.
Doch er schüttelte seinen Kopf. „Nein", sprach er mit seiner tiefen Stimme. „Glaub mir. Es wäre besser, wenn du erst mal hierbleibst." Er seufzte. „Ich verspreche, ich werde mit Antworten nicht allzu lange benötigen", antwortete er ihr hastig und sprang aus dem fahrenden Zug – ohne ihr eine weitere Chance auf Widerspruch zu lassen.
„Jacob Frye! Warte!", rief Rose erzürnt hinter ihm her und blickte ihm hinterher. Sie konnte kaum beschreiben, wie überrascht und empört sie über diesen Akt war. Wie konnte er sie in einem ihr völlig fremden Umfeld alleine lassen? Sie kannte ihn nicht lange, ja, docher war der Einzige, den sie hier kannte.
Jacob wusste nicht, ob das die richtige Lösung war, aber sicher konnte Freddie ihm in irgendeiner Art weiterhelfen. Er nahm sich eine Kutsche und machte sich auf zu der Adresse, an der er vermutlich die größte Chance hatte, seinen Freund anzutreffen. Während der Fahrt überlegte er, wie er dem Sergeant die ganze Situation erklären konnte. Jacob wusste, dass Freddie sicher nicht begeistert wäre. Doch es gab keine andere Person, an die er sich wenden könnte. Die einzig andere Lösung wäre es, Roses Verlobten unschädlich zu machen – für immer.
Bald hatte er schon die Polizeistation von Scottland Yard erreicht und drosselte das Tempo Kutsche langsam ab. „Gut, dann schauen wir mal", murmelte er und betrat die Polizeistation wenige Minuten nach seiner Ankunft.
Einige der Polizisten sahen ihn fragwürdig an, doch dies interessierte ihn herzlich wenig. Mit einem ernsten Gesicht trat er an einen der Polizisten heran, klopfte diesem gegen seine Schulter.„'Tschuldigung", begrüßte er den Polizisten, der fragend eine Augenbraue hob. „Ich möchte Sergeant Abberline sprechen", merkte der Assassine an und erhielt einen sehr verwirrten Blick von dem Polizisten vor ihm, der ihn und seine Erscheinung.
Der Polizist schien nicht zu wissen oder auch nur zu ahnen, wer vor ihm stand – dies verwirrte Jacob ein wenig. Nach ein paar Sekunden räusperte sich der Polizist, verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich kann ja mal nachfragen, ob er Zeit hat, Mr...?"
Jacob atmete tief ein und hörbar auch wieder aus.
„Frye." Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Jacob Frye."
Sobald er seinen Namen nannte lief dem Beamten ein Schauder über den Rücken. Er wusste anscheinend nun doch, wer vor ihm stand – dies konnte Jacob überdeutlich erkennen. Jeder wusste, wer er war oder was. Doch niemand konnte ihn belangen, er hatte noch nie Fehler gemacht und Spuren zurückgelassen. Darauf war Jacob penibel erpicht.
Langsam erhob sich sein Gegenüber und versuchte den Augenkontakt so gering wie möglich zu halten. Immer wieder diese Gerüchte... er stach niemandem die Augen aus, nur weil jemand einmal falsch dreinschaute.
„Ich werde Sergeant Abberline wissen lassen, dass Sie auf ihn warten", informierte der Polizist den Assassinen und ging eine Treppe nach oben nachdem er nickte.
Jacob hasste es zu warten – er hatte für so etwas für gewöhnlich keine Zeit – und war noch nie der geduldigste Mensch gewesen. Ein Seufzen verließ die Lippen des jungen Attentäters und die anderen Polizisten warfen ihm fragende Blicke zu. Jacob war dies schon längst gewöhnt. Vor einigen Jahren hatte es ihn noch interessiert, mittlerweile nicht mehr.
Nach einer Weile kam der Polizist wieder. „Sie können ihn jetzt sehen." Der Beamte hielt kurz inne um Luft zu holen. „Sie müssten nur oben-" Ohne den Polizisten ausreden zu lassen ging Jacob schnell an dem Polizisten vorbei und sprang schon fast die Treppen hinauf.
Na endlich, dachte sich Jacob.
Als er vor dem Büro seines Freundes stand, konnte Jacob eine Stimme hören, die ihn stocken ließ. „Ich rate Ihnen, sich zu beeilen", ertönte eine raue Stimme – sie klang alles andere als erfreut.
„Ich versichere Ihnen, Mr. Pitsbur, wir kümmern uns darum so schnell es geht." Jacob hörte nun Abberlines Stimme. Das war der Typ – keinerlei Zweifel. Der Verlobte von Rose stand im Büro von Sergeant Abberline. Schnell schaute sich der junge Assassine um und entdeckte eine Ecke in der er sich verstecken konnte. Er ging hinter den Raumtrenner und lauschte seinem eigenen Herzschlag. Er zählte in seinem Kopf und konzentrierte sich auf jedes kleinste Geräusch, welches er - dank seiner Assassinenausbildung - wahrnehmen konnte.
Als er hörte wie die Tür aufging zog er sich zurück – damit man ihn nicht entdecken würde. Er konnte Schritte hören, zwei Männer kamen aus dem Büro. Einer von ihnen war ganz klar Frederick Abberline und der andere musste der Verlobte von Rose sein. „Ich danke Ihnen nochmal für Ihre Zeit, Sergeant. Einen schönen Tag noch", verabschiedete sich Mr. Pitsbur und ging eilig die Treppe hinunter.
Der junge Assassine spürte, wie sein Puls noch immer raste. Das wäre beinahe schief gegangen. Er wartete noch ein paar Sekunden und als Jacob sich sicher war, dass er rauskommen konnte, trat er hervor und Abberline drehte sich zu ihm, zuckte leicht zusammen. Dann zog der ältere Mann seine Augenbrauen hoch. „Sag mir bitte nicht, dass du darin verwickelt bist." Ihm war sofort klar, wieso sich Jacob versteckt hatte. Denn Jacob zog sich nicht einfach so in den Schatten zurück.
Der ältere Mann warf dem Assassinen einen Blick zu – den Jacob sofort verstand.
Jacob ließ seine Mundwinkel zucken. „Wie wäre es, wenn wir darüber in deinem Büro reden", stellte er klar und wies in dessen Richtung. „Ich bin sicher, Mr. Pitsbur hat nicht alles erzählt", fügte Jacob kühl hinzu und der Sergeant atmete tief ein.
„Wegen dir werde ich noch alt und grau", scherzte er trocken und fuhr sich übers Gesicht. „Jacob, hast du eine Ahnung, wer das war?", warf Abberline dem jungen Assassinen direkt an den Kopf nachdem die Tür zu seinem Büro geschlossen war. Der Sergeant kannte den jungen Attentäter und ihm war auch bekannt, dass er öfters unüberlegt handelte. Doch wieso auch immer er sich mit diesen Sachenauseinandersetzen musste konnte er sich nicht erklären.
„Der Verlobte von Miss Rosabella Dupont", erläuterte Jacob ihm nickend und sah aus dem Fenster. „Ein Scheißkerl, der seine noch grün und blau Verlobte prügelt." Jacobs Finger knackten als er sie zu Fäusten ballte. Der Zorn funkelte in seinen Augen. Der junge Mannkochte innerlich vor Wut bei Szenarien, die ihm durch den Kopfschwirrten.
„Woher wusste ich, dass du etwas damit zu tun hast." Frustriert setzte sich Abberline in seinen Stuhl und blickte Jacob tadelnd an.
Aufgebracht lief Jacob in dem kleinen Büro hin und her. Er hatte kein Interessedaran, sich hinzusetzen.
„Freddie,hast du mir nicht zugehört?" Jacob hob aufgebracht einen Arm. „Er ist ein verdammter Mistkerl, der seine Verlobte schlägt. Wer weiß, was er dieser jungen Frau noch antut!" Er erhob seine Stimme gegen den Verlobten Roses. Wut blitzte in den Augen des jungen Mannes noch kochender als zuvor auf. Der Assassine begegnete dem Blick des Sergeants.
„Hast du irgendwelche Beweise?" Abberline fuhr sich über seinen Bart. „Ich brauche mehr als nur dich als Augenzeuge", ermahnte erden Assassinen bevor dieser etwas sagen konnte. Sein dunkler Bart war schon von jeher seit ihn Jacob kannte von grauen Strähnen durchzogen. Jacob hätte schwören können, ein paar der grauen Haare waren ihm zu verdanken.
Jacob war mittlerweile ein guter Freund des Polizisten und hatte schon mit diesem den ein oder anderen Pubkampf gewonnen. Doch Abberline benötigte Beweise. Sonst war auch ihm als Sergeant die Händegebunden.
Jacobbefeuchtete seine Lippen mit seiner Zunge, als ihm eine Idee kam.
„Und wenn seine Verlobte eine Aussagen gegen ihn machen würde?", schlug Jacob vor. Er hob eine Augenbraue an. „Würde dir das als Beweisreichen?"
Der junge Assassine hoffte sehr, dass Freddie ihm helfen würde – auch wenn er noch immer nicht wusste, warum er dies tat. Es machte Jacobverrückt, doch er musste Rose helfen. Es war ihm ein regelrechter Drang – und er fragte sich, ob er je die Antwort darauf finden würde, wieso er sie instinktiv beschützen wollte.
Frederick kratzte sich leicht an seinem Bart und überlegte. Er wusste, dass er dies nicht tun sollte. Das wäre schlichtweg eine schlechte Entscheidung.
Nacheiner gefühlten Ewigkeit seufzte Abberline „Vierundzwanzig Stunden", gab er Jacob eine Zeit. „Mehr kann ich dir nicht geben, Jacob." Er schüttelte ernst den Kopf.
Jacobseufzte, schüttelte den Kopf. „Ich benötige mehr Zeit." Erbrauchte Vorlaufzeit. Er musste Rose dazu bekommen, ihm genug zu vertrauen um eine Aussage gegen ihren Verlobten zu machen.
Der Beamte schüttelte den Kopf erneut. „Vierundzwanzig Stunden", wiederholte er. „Keine Minute mehr."
Jacobbiss sich auf seine Unterlippe. Verdammt, das war zu wenig Zeit.
„Trotzdem danke, Freddie." Er presste die Lippen kurz aufeinander. „Ich werde sehen, was ich machen kann", bedankte sich der junge Assassine und sah zum offenen Fenster. „Was dagegen?" Er deutete darauf. „Deine Kollegen gucken schon."
„Jacob-"Abberline hatte keine Chance, so schnell hüpfte Jacob zum Fensterheraus. „Frye, warte!" Der ältere Mann sprang von seinem Sessel auf und lief zum Fenster. „Ich meine es ernst, Jacob!", rief er ihm hinterher, obwohl er wusste, dass Jacob ihn womöglich nicht mehr hörte.
Der junge Assassine beeilte sich als er über die Dächer der Stadtrannte und sich im Schatten bewegte. Er musste Rose die semiguten Neuigkeiten überbringen. Er musste es schaffen, dass sie sich von ihm beschützen ließ und gegen ihren zukünftigen Mann aussagte. Dann konnte sie... dann konnte sie, was? Jacob kam auf keinen richtigen Gedanken, nur auf die falschen und das durfte er sich nicht erlauben. Er hatte einen Kodex und an diesen hielt er sich.
Jacobließ seine Gedanken zu seiner letzten Unterhaltung mit Rose wandern und eine leichte Sorge überfiel ihn, dass sie noch immer sauer auf ihn sein könnte. Er hatte sie im Zug zurückgelassen – und seiner Meinung nach war es die beste Entscheidung, damit sie sicher war. Doch wie sie das sah, war die zweite Seite der Medaille.
Vom weiten sah er sein Ziel – der Zug. Er hielt in einem verlassenen Bahnhof. Womöglich machte er Rast und Miss McBean war für die nächste Woche einkaufen.
Er landete auf dem Dach des Zuges und kletterte in vorderste Abteil. „Rose", sprach er aus, fuhr sich durchs Haar und strich es damit zurück. „Ich habe gute Nachrichten", versuchte er es ihr erstmal schmackhaft zu machen. „Ich habe mit einem Freund gesprochen. Du müsstest nur..." Weiter kam Jacob nicht, denn Rose – so sah er – war nicht da.
Erstrunzelte er die Stirn, dachte darüber nach, dass sie sich auch woanders im Zug befinden könnte. Doch das wäre ausgeschlossen, Rose kam ihm nicht wie eine Abenteurerin vor und er schätze sie nicht ein, dass sie einfach schnuppern würde, wie andere ihr Leben lebten.
Panik machte sich in Jacob breit als ihm ein Szenario vor Augen ablief, dass er sich eigentlich nicht auch nur ansatzweise vorstellen wollte.
Mitseinen scharfen Adleraugen durchsuchte er den Raum Stück für Stück– auf der Suche nach Hinweisen.
Und auf der Couch fand er etwas, was nicht dazugehörte. Es war ein Zettel, der sorgfältig zusammengefaltet worden war. Jacob spürte, wie sich sein Magen drehte. War sie einfach abgehauen? Das konnte doch nicht sein. Er starrte den Zettel an, wartete einen Moment bevor er zögernd den Zettel ergriff und ihn auseinanderfaltete. Jacob war noch nie jemand gewesen, der sich lange vor schlechten Nachrichtendrückte, also las er den Text sobald ihn seine Augen erfassten.
Jacob
Ich danke dir für deine Hilfe. Aber wie ich bereits sagte habe ich keine andere Wahl. Bitte sorge dich nicht um mich. Ich werde sicher eine Lösung finden, ihm irgendwann zu entkommen. Ich werde nicht vergessen, was du für mich getan hast und tun wolltest. Pass auf dich und deine Rooks auf.
Rose
Jacob hob beide Augenbrauen, ließ sich im Laufe des Textes, den er las, auf der Couch nieder. Fassungslos ließ er die kurze Nachricht in seiner Hand sinken. Ja, erst war er fassungslos. Wie konnte sie so dumm sein? Sie hatte sich in die Arme eines gewalttätigen Manneszurückbegeben. Hatte sie eine Ahnung davon, was sie damit getan hatte? Was für ein Exempel sie öffentlich zur Schau gegeben hatte? Er wurde damit darin bestätigt, dass er damit weitermachen konnte. Wenn Rose großes Pech hatte würde er sie irgendwann womöglich zu Tode prügeln.
Die nächste Emotion, die Jacob durchflutete, war Wut. Selten – nein, noch nie – war er wegen solch einem Verhaltens wütend geworden. Er wurde nicht wegen Frauen wütend. Er wurde nicht wütend, wenn ihm jemand damit offensichtlich zeigte, dass er seine Hilfe nicht wollte. Und schon gar nicht wollte er dann dieser Person auch noch hinterherlaufen, das machte ihn am meisten wütend.
Vor lauter angesammelter Wut in Jacob, knüllte dieser den Zettelzusammen. Er verstand nicht, wieso sie dies tat. Rose hatte eine Wahl, auch wenn sie dies vielleicht noch nicht sah. Er wollte ihr diese Chance geben, denn jeder hatte so eine Chance verdient.
Er würde nicht einfach kampflos aufgeben – diesmal nicht. Er war ein Assassine. Assassinen kämpften und wenn er eines von seinem Vatergelernt hatte, dann das er ein Sturkopf war. Er musste niemandem, nicht einmal sich selbst, erklären, warum er Rose hinterherlief. Er wollte es, er tat es.
Jacob stand energisch auf und lief hin und her. Er brauchte einen Plan – er fluchte innerlich wie äußerlich. Würde er einfach dort hineinstürmen, dann würde sie ihn noch mehr ablehnen und noch weniger vertrauen. Denn dann würde er ihr beweisen, dass er sie und ihr Urteilsvermögen genauso wenig schätzte wie ihr Verlobter. Und höchstwahrscheinlich würde sie dann nicht bei der Polizei aussagen. Es war nie eine Stärke von Jacob etwas zu planen, so etwas war eher Evies Sache. „Du musstest ja unbedingt auf einem anderen Kontinent wandern, Schwester", fluchte er mit unterdrückter Wut und ballte seine Hände zu Fäusten. Seine Fingernägel schnitten in seine Handinnenflächen, doch er ignoriert es, solange er es konnte.
Jacob dachte angestrengter nach, versuchte seine Wut nicht Oberhandgewinnen zu lassen. Er griff wahllos nach einer Flasche Whiskey. Es war gerade das Einzige, was seine Nerven nun noch beruhigen konnte. Jacob schüttete ein wenig in ein Glas und starrte das Glas an. „Zum Teufel nochmal", fluchte er. Sein Kopf war wie leergefegt. Alles woran er noch denken konnte war, dass er Rose helfen musste. Freddie hatte ihm vierundzwanzig Stunden gegeben. Er musste schnellhandeln, aber mit Bedacht.
Er beschloss dort anzufangen, von dem er ahnte, dass sie sich jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit dort aufhielt.
Der junge Assassine machte sich auf dem Weg zu dem Haus, in dem Rose mit ihrem Zukünftigen lebte. Er musste gut aufpassen, denn er wusste nicht, ob Pitsbur inzwischen wusste, wer Jacob war.
Er beobachtete vom Dach aus, wie dieser sein Haus betrat – und wie vermutet standen Wachmänner vor der Tür. Noch ein Hinweis darauf, dass Pitsbur wohlhabend sein musste.
„Passt auf, dass niemand hier reinkommt" befahl der alte Mann mit knirschendem Kiefer und knallte die Haustür förmlich danach zu.
„Gut, dann suchen wir mal eine Sicherheitslücke", murmelte Jacob und schoss seinen Seilwerfer aufs Dache des Hauses. Leise wie ein Vogelschwang er sich herüber und suchte nach einer Möglichkeit ins Haus zu kommen, ohne entdeckt zu werden.
„Du wirst nicht mehr alleine rausgehen!" Jacob hielt in der Bewegung inne, lauschte angestrengt. „Hast du mich verstanden?", schrie eine Stimme von drinnen und Jacob wusste, dass es sich dabei nur um Pitsbur, dem Mistkerl, handeln konnte. Der Assassine kniff die Augenzusammen. Wie gerne würde er ihm einfach die Kehle durchtrennen. Dann aber erinnerte er sich an die erste Regel des Assassinenkredos: Halte deine Klinge vom unschuldigen Fleische fern. Selbst wenn er ihn nicht als unschuldig erachtete, würde es zu viel Ärger mit dem Assassinenrat geben.
Jacob schloss die Augen und suchte nach der Quelle des Geschreis. Vorsichtig folge er dem Geschrei und stellte fest, dass es in der Nähe eines geschlossenen Fensters sein musste. Dort war es nämlich mit Abstand zu den anderen Einstiegmöglichkeiten am lautesten.
„Du wirst hier drin bleiben! Dafür sorge ich!", schrie die männliche Stimme.
Jacobs Augenbrauen zogen sich zusammen und eine Hand ballte sich schon wieder zur Faust als er Roses Schluchzen vernahm. „Es tut mir doch leid... ich weiß doch selbst nicht, wer er ist." Weinend verteidigte sich die junge Frau.
Bei diesen Geräuschen blutete Jacob das Herz – er hasste es, er hasste Pitsbur. Er konnte Rose schluchzen hören – sie hörte sich noch verzweifelter an als er zuvor bisher mitbekommen hatte. Der junge Attentäter presste seine Lippen stark zu einer einzigen Linie zusammen.
Jacob wusste, dass sie von ihm sprachen. Wahrscheinlich versuchte er sie zu zwingen, ihm zu verraten, wer der Mann von gestern Abend war. „Ich gebe dir zwei Stunden, dann will ich einen Namen hören!" Nach diesem Satz konnte man ein Knall hören. Jacob atmete tief durch, lauschte, hörte jedoch nur, wie Rose schluchzend wohl eine Türschloss.
Jacob fragte sich, ob er wirklich zu ihr sollte. Hatte er die ganze Situation noch schlimmer gemacht? Wollte sie ihn überhaupt sehen?
Ihm war das Risiko egal. Sein Gefühl sagte ihm, dass er ihr helfen musste. Also kletterte er herab ans Fenster und blickte in das Zimmer. Der junge Assassine konnte erkennen wie Rose, an der Tür saß und ihr Gesicht in ihren Händen vergraben hatte. Ihre Schultern zuckten und ein Seufzen verließ Jacobs Mund. So wollte er sie ganz und gar nicht sehen.
Zögerlich legte er eine Hand an die Fensterscheibe. Konnte er das wirklich? Oder war es eher besser, dass dies nicht seine Sorge sein sollte?
So konnte Jacob sie nicht zurücklassen, er müsste sich wenigstens für den Ärger entschuldigen, den sie wegen ihm hatte. Und er musste es noch ein einziges Mal versuchen.
Er klopfte vorsichtig an die Scheibe, wartete ab und sah wie Roselangsam den Blick hob. Ihre Augen waren verquollen und die Nase ganz gerötet. Sie war vollkommen ungeschminkt. Ihr Haar war wie heute früh noch immer ungemacht, doch mittlerweile hatte sie neue Kleidung an. Sie trug dieses Mal ein hellblaues Kleid mit einem noch tiefersitzenden Ausschnitt. Womöglich war es Jacob sogar ein wenig zu gewagt für draußen. Sie trug andere Schuhe zu gestern Abend. Es waren braune Pantoffel, nur etwas für daheim. Niedlich. Ihre Füße waren sehr klein und wirkten passend zu ihrer Statue. Wie Jacobfeststellte hatte dieses Kleid ein Korsett und er fragte sich, ob Rose darin überhaupt noch atmen konnte – das fragte er sich bei jeder Frau. Es war so eng geschnürt, dass ihre Taille sehr starkbetont wurde. Ihm gefielen die Blumen darauf. Es war ein Kleid, was durch und durch zu Rose passte – nur nicht jetzt zu ihrem verweinten Augen und ihrer gequollenen und geröteten Nase.
Die junge Frau schien schon fast erschrocken zu sein als sie eine Gestalt erkannte, die sich an ihrem Fenster befand. Sie stand auf, ging zögerlich ein paar Schritte zum Fenster und fragte sich, wer dies sein könnte. Innerlich hoffte sie sogar, dass es Jacob oder einer seiner Jungs sein würde. Irgendjemand, der sie vor ihrem Fehlerretten konnte.
„Rose." Sie hörte die raue Stimme des jungen Mannes und erkannte, dass sich wirklich um Jacob handelte. Ängstlich blickte sie zur Zimmertür. Sie wollte nicht, dass ihr Verlobter etwas mitbekam und doch öffnete sie nur wenige Sekunden später das Fenster. Jacob kletterte schnell ins Zimmer und hörte wie Rose das Fenster anlehnte. „Rose, es tut mir leid." Der braunhaarige Mann begrüßte sie und senkte seine Stimme.
Doch zu Jacobs Verwundern sprach die junge Frau nicht. Er spürte nur wie sich jemand gegen ihn drückte und leise aufschluchzte. Noch nie hatte ihn eine Frau weinend umarmt. Außer Evie – einmal. Danach hatten beiden nie wieder ein Wort über die Situation und das Geschehene gesprochen.
Behutsam legte er seine Arme um Rose, versuchte instinktiv das zu tun, was ihm sein Körper sagte – außer seine untere Region.
Er presste die Zähne aufeinander. Trotz als der Lagen Stoff spürte er, wie sich ihre Brüste gegen seinen Brustkorb drückten und sein Schwanz reagierte instinktiv darauf. Nun ja, immerhin war dies so auch noch nicht vorgekommen.
Er schloss tiefeinatmend die Augen und hielt sie einfach fest. Er sprach nicht. Was sollte er auch noch Weiteres sagen?
Jacob spürte, wie sie am ganzen Körper zitterte.
Ganz vorsichtig hob er eine Hand an ihren Rücken und strich sanft darüber und über die Schnüre, die fein säuberlich in ihren Rocken gesteckt wurden. Jacob spürte auch, wie sie sich mit ihren kleinen Fingern an seinem Mantel festhielt – als ob sie Angst hatte, dass er einfach wieder so verschwinden könnte.
„Ich bin dumm, Jacob. Einfach so dumm." Rose weinte leise und zitterte in den Arm des Assassinen. Sie fühlte sich schrecklich und machte sich Vorwürfe – wäre sie doch nur im Zug geblieben. Vielleicht hätte sie Miss McBean dann bei irgendetwas helfen oder sich dort irgendwo etwas frischmachen können. Sie spürte Jacobs Hand, wie sie sanft über ihren Rücken strich. Durch das Korsett und trotz der Lagen an Stoff darunter bekam sie eine Gänsehaut. Eine wohlige Gänsehaut.
„Nein, das bist du nicht. Und jetzt beruhige dich." Jacob tröstete die junge Frau weiter.
„Ich hätte im Zug warten sollen", klagte sie und hob ihr Gesicht an, damit sie Jacob ansehen konnte.
Der junge Assassine schluckte schwer, versuchte sehr an sich zu halten, ihr nicht auf die Brüste zu starren. Aber es war schwer, beinahe zu schwer. Wäre da nicht Roses Lippen im nächsten Moment gewesen, die seine Aufmerksamkeit so sehr beanspruchten. Sie biss sich zweifelnd auf die Unterlippe und all sein Blut schien ihm in seinen Schwanz zu schießen – und sein Gehirn wanderte gleicht mit. Jacob hatte noch nie Schwierigkeiten gegenüber dem weiblichen Volk gehabt. Noch nie war er sprachlos oder gar schüchtern einer Frau gegenüber gewesen. Schon immer wusste er, wie er das bekam, was er von einer Frauw ollte. Doch bei Rose war von Anfang an alles anders. Sie kam ihm viel zerbrechlicher in seinen Armen vor und trotzdem war alles woran er für einen langen Moment denken konnte davon geprägt, wie es wäre, sie genau jetzt an sich zu reißen, ihr die Lagen ihres Rocks hochzukrempeln und sie an Ort und Stelle auf dem Tisch neben ihnen durchzunehmen. Er wollte es, körperlich – so sehr. Doch ihr Schniefen riss ihn zurück in die Realität und er blinzelte stark, räusperte sich leise.
Jacob verfluchte sich im nächsten Moment. Trotz allem war ihm eine Sache auch noch nie unterlaufen. Essenziell wichtige Details in jeder Sekunde auszublenden, die er mit jemandem verbrachte.
Rose Gesicht zierte ein leicht blaues Auge und an ihrer Kehle konnte er Würgemale ausmachen. Ihm waren Akte der Gewalt noch nie einfach so entfallen. Wie hatte er das auch nur eine Sekunde an ihr übersehen können? Er hatte ihr doch in die Augen gesehen! War er so geblendet von seinen Gefühlen? Seinen Gedanken an diese Frau? Ihm war längst klar, dass er sie körperlich begehrte. Sie war hübsch, dass war Jacob schon immer Grund genug gewesen.
Roses Augen waren eher trüb und strahlte kaum, des Weiteren erkannte er die Angst in den Augen der jungen Frau. Nun entwickelte sich die Wut von Jacob in Hass um, absoluten Hass gegen diesen Mann. Von ihm aus konnte er ohne Weiteres nun sofort hinunterspazieren und ihm die Kehle rausreißen.
„Er wird dafür büßen", sagte er leise, hob seine Hand und legte sie unüberlegt an ihre Wange, strich mit seinem breiten Daumen über ihren Bluterguss. „Das schwöre ich dir." Er knurrte leise und in seinen Augen konnte Rose Hass erkennen, öffnete leicht ihren Mund.
Roses Griff um Jacob wurde auf einmal fester, als ahnte sie, dass Jacobkurz davor war, hinunterzustürmen. Sie hasste ihren Verlobte, das stand außer Frage – aber selbst ihm wünschte sie nicht den Tod. „Jacob, nicht", flüsterte sie hastig mit panischer Stimme, was Jacob zum Stocken brachte. In aller Bewegungen, selbst im Atmen. „Wenn du jetzt daruntergehst, dann wird er ihr wehtun." Wieder zitterte Rose sehr. Auf ihrem Gesicht war nicht nur Angst zuerkennen, sondern auch unverkennbar Sorge.
Jacobs Gehirn ratterte, arbeite heute für seine Verhältnisse sehr langsam. Verdammt, hätte ihn niemand heute in der Früh geweckt! Er verstand nicht, was sie meinte und runzelte seine Stirn.
„Ihr? Von wem sprichst du?", fragte Jacob und erkannte das Rose Sorgeecht war. Etwas musste passiert sein, etwas Ernstes. Der Assassine legte vorsichtig seine andere Hand auf die andere Seite ihres Gesichts, hielt sie dadurch fest.
„Rose, was ist passiert?", fragte er eindringlich, fragte sich, wann sie ihm so nahgekommen war – in sämtlicher Hinsicht. Es kam ihm vor, als vertraute sie ihm mit jeder Sekunde mehr, als suchte sie nicht nur Trost in ihm. Er sah, wie sie den Augenkontakt zu ihm brach. „Rose, ich muss es wissen. Dann kann ich dir auch helfen", forderte er sie auf und sprach noch immer sehr leise – er wollte nicht riskieren, erwischt zu werden.
„Meine Schwester Elisé" antwortete Rose ganz leise und ein weiteres Schluchzen verließ ihren Mund. „Er hält sie gefangen", sprach sie aus und Jacobs Rückenmuskeln spannten sich an. „Damit ich alles tue, was er verlangt", beichtete sie ihm und drückte sich sofort wieder an Jacob, vergrub ihr Gesicht an seinem Brustkorb. Der braunhaarige Mann schloss schnell die Augen und versuchte seine Atmung zu beruhigen. Was er alles schon von ihr verlangt hatte, wollte er sich nicht auch nur im Entferntesten vorstellen.
Er kochte nun noch mehr vor Wut, vor lauter Abschaum und Hass, den er empfand. Selten hatte er solch starke Gefühle empfunden. Alles was dieser Mann tat verstieß gegen seinen Kodex, gegen seine Prinzipien, gegen seine Ansichten.
Das macht alles komplizierter, dachte Jacob sich.
„Ich weiß nicht, was ich tun soll, Jacob." Rose atmete zitternd ein, schniefte in seinen Mantel. Er strich ihr über ihren Arm, der in Stoff gewickelt war. „Bitte, du musst mir helfen", flehte sie nun leise und umfasste die Hand des Attentäters auf ihrem Arm. Er konnte spüren, wie stark sie seine Hände drückte. Sie war offensichtlich verzweifelt und verängstigt.
Jacob war gespalten mit dem was er tun könnte. Einerseits wäre es kein Problem den anderen Mann zu töten und niemand würde es bemerken. Andererseits stand ihm sein Kredo als Assassine im Weg, denn wenn er diesen Mistkerl tötete, dann müsste er Rose erzählen was er war. Dieser Gedanke gab ihm ordentlich zu denken – und zweifeln. Was würde sie dann von ihm denken? Er musste noch nie jemanden erzählen, was genau seine Arbeit war und worum sie sich drehte, nicht einmal seine Rooks wussten davon. Gut, die Rooks fragten auch nicht, dachte Jacob.
„Ich habe eine Idee, aber dazu brauche ich deine Hilfe", erklärte er und befeuchtete seine Lippen mit der Zunge.
„Wie das? Was kann ich denn schon tun?", fragte sie verwirrt, wischte sich über ihre Augen. Sie verstand nicht, was er vorhatte. Selbst Jacob verstand es nicht. Doch es war das Einzige, was ihm nun einfiel.
„Du musst mit ihm spielen", sagte er ihr, packte sie sanft an den Schultern. „Ich habe gehört, wie er sagte, dass du das Haus nicht ohne ihn verlassen darfst und dass er einen Namen hören will", erläuterte er und Rose schüttelte den Kopf.
„Ich kann dich nicht einfach verraten", meinte die junge Frau entsetzt. Sie kannte ihn zwar noch nicht so lange und sie wusste, dass dieser Mann auch noch ganz andere Geheimnisse vor ihr hatte – aber ihn einfach so verraten? Das würde sie niemals tun können.
Jacob schnaubte und zwang seine Mundwinkel dazu, sich ein wenig zu heben. „Vertrau mir, Rose." Es fühlte sich immer wieder schön für ihn an ihren Namen auszusprechen. „Das wirst du nicht." Er schüttelte den Kopf als sie ihre Augenbrauen mit glasigen Augenzusammenzog. „Sag ihm, du wüsstest zwar nicht, wie ich heiße, aber erkläre ihm, dass du dich erinnerst, wie du mich vor dem One Tun Pub getroffen hast", erklärte er weiter seinen Plan.
„Was soll das bringen? Er wird dort hingehen und nach dir suchen." Rose verstand noch immer nicht, was der junge Assassine vorhatte.
"Genau das soll er auch." Jacob nickte. „Er wird dich zwingen mitzukommen, dann ist das Haus bis auf ein paar von seinen Wachen unbewacht", behauptete er und hoffte das Rose nun verstand, was er vorhatte.
Die junge Frau runzelte die Stirn als ihr ein Gedanke kam. "Währender und ich weg sind, nutzt du deine Gang um Elisé rauszuholen?", stellte sie fragend fest. Ein Schimmer von Hoffnung überzog ihr Gesicht und erhellte ihre grünen Augen.
Der Assassine nickte. „Genau. Und um deinen Verlobten werde ich mich höchstpersönlich kümmern, wenn er im Pub auftaucht. Ich bringe auch einen Freund mit", sagte er schnell zum Schluss als Rose den Kopf zu schütteln begann. „Er ist Polizist." Jacob atmete tief ein. „Du musst ihm nur sagen, was er dir angetan hat. Erzähl ihm auch von der Entführung deiner Schwester", bat sie der Assassine.
„Denkst du, das wird funktionieren?" Sie fragte es mit einem großen Zögern in ihrer sanften Stimme. Inzwischen waren ihre Wangen zwar noch immer nass, doch die Tränen flossen nicht länger.
Jacob nickte und versicherte ihr: „Ich weiß, dass es funktioniert wird." Er strich ihr ein weiteres Mal sanft über die Wange. Er spürte, wie sie sich ein wenig in seine Berührung lehnte und sah zu, wie sie dabei ihre Augen schloss. Dann erklang wieder Jacobs tiefe Stimme. „Aber es muss heute Abend geschehen." Rose öffnete ihre Augen wieder, atmete tief ein. „Freddie hat mir nur vierundzwanzig Stunden gegeben."
Rose genoss die sanfte Berührung und spürte ein warmes Gefühl in ihrem Inneren. „Gut, ich werde mitspielen." Sie gab ihm ihr Wort. „Nur versprich mir, dass dir nichts passieren wird." Jacobs Augenbrauenhoben sich überrascht. Ihm und was passieren? Wie kam sie denn darauf? „Daren ist skrupellos und kämpft nicht fair", meinte sie mit besorgtem Unterton zu Jacob. Das Letzte, was sie wollte, war, dass er wegen ihr verletzt wurde. Sie konnte sich nicht erklären, wieso sie sich so um einen fremden Mann sorgte – nur vielleicht war das so, weil Jacob dasselbe empfand. Er warf ihr ein leicht spöttisches Grinsen zu, trotz der Situation, in der sie sich befanden.
„Oh, glaub mir." Sie atmete tief ein als er sie unüberlegt an der Taille packte. Das war keine Geste und Menschen, die sich so kurz kannten und keine, die Freunde einnahmen. Sein Griff um ihre Taille und ihr Korsett war eng, beinahe besitzergreifend.
Roses Wangen färbten sich in einem zarten Rosa als in ihr der Gedanke aufkam, wie sich ihre Lippen denn auf seinen anfühlen würden. Das durfte sie sich nicht erlauben. Es schickte sich für eine Dame ihres Standards nicht. Ganz und gar nicht durfte sie sich von ihm in solch einer Art und Weise berühren lassen. Ihr Ruf wäre ruiniert und man würde ihre Unschuld anzweifeln, wo man auch nur hinsehen könnte.
Es war schon ein außerordentliches Risiko ihrer Eltern gewesen, sie vor der Vermählung zu ihrem Zukünftigen ziehen zu lassen. Ein Risiko, welches er verlangt hatte, nicht umgekehrt. Sie hatte versucht sich in ihrem Zimmer einzusperren, doch das Hausmädchen hatten einen Zweitschlüssel genutzt und sie verraten. „Er wird überrascht sein, was ich so alles draufhabe."
Datum der Veröffentlichung: 02.09.2021 12:07 Uhr
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