Thirteen
Thirteen
Jacob musterte noch immer die Frau vor ihm und versuchte zu verstehen, was in ihr vor sich ging. Warum war sie so aufgelöst? Ihre Augen so gequollen? Wer hatte diesem Mädchen wehgetan?
Er biss sich auf die Unterlippe, unternahm zwei Schritte in ihre Richtung.
War er es vielleicht gewesen, der...?
„Rose, bitte-", bat der Assassine zunächst so ruhig wie er konnte, aber die junge Frau vor ihm schnitt ihm das Wort ab.
„Nein!", entkam es Rose laut und sie biss sich auf die Zunge. „Ich sagte, Sie sollen mich in Ruhe lassen, Mr. Frye." Danach wandte sie sich von ihm ab.
Jacob biss sich von innen auf seine Wange. Was sollte er nun tun? Er wollte das nein von ihr akzeptieren, ihr zeigen, dass er sie und ihren Willen akzeptierten und respektieren würde – denn er hatte es schon einmal missachtet. Doch sie konnte nicht so einfach spät alleine durch die Gegend laufen.
Ihr zu folgen, still und heimlich, kam ihm erst recht schlecht vor, also verwarf er diesen Gedanken gleich. Er kam nur auf keinen Kompromiss, den er ihr vorschlagen konnte.
Der junge Mann starrte auf seine dreckigen Schuhe, wartete einige Sekunden bis er den Blick wieder hob. In der Ferne konnte er Roses zierliche Figur noch erkennen, aber schon bald war sie um eine Hausecke verschwunden.
Rose lief immer schneller, immer eiliger.
Sie musste einfach weg von hier. Weg von diesem Mann. Sie sagte sich, sie hätte es wissen müssen. Jacob war nicht derjenige, mit dem sie glücklich werden könnte. Er war kein Gentleman. Er war keiner, der ein treuer Ehemann bleiben würde. Irgendwann hätten sie sich durch ihn ins Unglück gestürzt.
Sie waren zu verschieden und es wäre das beste für alle, wenn sie ihn vergaß.
Wie konnte sie nur so naiv sein und denken, das jemand wie Jacob ihre große Liebe sein könnte?
Rose war dumm genug gewesen, um auf seine charmante Art hereinzufallen. Für ihn war sie doch nur eine von vielen. Doch worüber sie sich glücklich schätzen konnte, war, dass es nur zu einem Kuss geführt hatte. Zu einem peinlichen Kuss, an den nur sie sich erinnerte – und das würde sie wohl für immer.
Jacob stand noch immer an derselben Stelle und bewegte sich kein Stück. Er hatte es vermasselt und das Gefühl großer Enttäuschung durchflutete ihn. Er war enttäuscht von sich selbst. Ihm sickerte langsam, wer ihr den Abend versaut und sie empört hatte – er. Sie hatte ihn in aller Öffentlichkeit dabei erwischt, wie er eine fremde Frau gevögelt hatte. Sie musste sich empört, entblößt und verärgert fühlen.
Er war es, der ihr solch ein Unbehagen bereitet hatte.
Er war doch wirklich der größte Idiot, den es auf der Welt gab – und das wusste der junge Assassine nun.
Wut kochte in dem jungen Mann auf ihn selbst hoch und er trat gegen eine Hauswand neben ihm. Den darauffolgenden Schmerz in seinem Fuß ignorierte er gekonnt.
Er war nicht auf Rose wütend, denn dazu hatte er nicht das Recht.
Seufzend drehte er sich um und machte sich auf den Weg zurück zum One Tun Pub. Jacob dachte einen Moment daran, ob Rose ihn überhaupt nochmal wiedersehen mochte und ob er heute Nacht überhaupt zum Zug zurückgehen sollte.
Am Pub angekommen konnte er Rico im Hinterhof noch immer warten sehen. Der Rook saß auf einen der dicken Kisten und zog an einer Zigarre.
Sie war fast verraucht, solange schien er wohl schon auf den Assassinen gewartet zu haben – oder er rauchte an dieser schon längere Tage.
Der Ganganführer hob die Hand, noch bevor der ältere etwas sagen konnte.
„Ja, ja." Er murrte laut, setzte seinen Zylinder ab. „Du hattest Recht. Ich habe meine Chance verspielt."
Rico zog seine Augenbrauen zusammen, streckte die Hand aus und fasste seinen Boss am Arm als dieser wieder nach drinnen wollte.
„Frye, wo ist sie?", fragte er ihn.
Als Antwort erhielt er nur ein Schulterzucken seines Anführers – und das erfreute ihn gar nicht.
„Sag mir, dass du sie nicht alleine zum Zug zurückgehen lässt", bat er. „Nicht zu dieser Stunde", fügte er hinzu.
„Was hätte ich denn tun sollen, Rico?", platze es aus dem braunhaarigen Mann hervor und er schluckte schwer. „Hätte ich über sie hinwegentscheiden sollen?"
„Ja!", widersprach sein Freund ihm und stieg von den Kisten. „Sie ist siebzehn, Herr Gott nochmal, Jacob!"
Der Assassine hatte in seinem verwirrten Gefühlschaos das nein von Rose akzeptiert, doch über die Folgen hatte er sich noch keine genaueren Gedanken gemacht.
„Hast du den Verstand verloren?!" Ricos Stimme klang sehr ernst und dieser packte den jüngeren an den Schultern. „Du weißt doch besser als jeder andere, was für zwielichtige Gestalten zu dieser Stunde unterwegs sind."
„Ich konnte nicht...", murmelte Jacob und schaute zu Boden. „Sie hat mich abgewiesen, da... hab ich auf-" Jacob fuhr zusammen als Rico ihm leicht eine verpasste.
Stille breitete sich aus, während der Anführer den Kopf hob, den Mitte vierzigjährigen anstarrte.
„Hast du mir gerade eine verpasst?"
„Besser?", fragte er nach und hob kurz die Augenbrauen an.
Jacob hob die Hand und rieb sich seine linke Wange. „Ja", gestand er murrend. „Erzähl das nicht den anderen." Rico rollte mit den Augen.
Die Männer zuckten zusammen und lösten sich als die Hintertür ruckartig aufgestoßen wurde und Charlotte hinaussah.
„Dachte ich mir doch, dass ich dich hier finde." Sie sah kurz verwirrt zu Rico – denn ihn hätte sie nicht hier erwartet.
„Charlotte, nicht je-"
„Jacob?" Charlotte presste die Lippen zusammen. „Du solltest-"
„Ich sagte, nicht jetzt!" Jacob drehte sich aufstöhnend um und unternahm zwei Schritte in Richtung Ausgang, um der jungen Frau doch noch hinterherzulaufen, in die er sich verliebt hatte.
„Boss?", ertönte Freds Stimme hinter Charlotte und der Anführer der Rooks hielt inne, wandte sich zögerlich um.
Fred sah alles andere als erfreut aus und Rico runzelte die Stirn. „Was weißt du, was wir nicht wissen?"
Jacob atmete tief ein, las in Freds Gesicht wie in einem offenen Buch. „Ich hätte sie nicht alleine gehen lassen dürfen."
Rose schniefte als sie den Zug auf einem Gleis, in der Nähe der Straße wiederfand, wo sie ihn mit den Rooks auch am frühen Abend verlassen hatte.
Das Licht brannte in allen Wagons und Rose seufzte. Sie hatte nicht die Energie, nun auch noch mit einer aufgeregten Elisé über diese Katastrophe an Abend zu sprechen.
Alles was die siebzehnjährige jetzt noch wollte, war, ihre Sachen zu packen, sich ihres Kleids zu entledigen und zu Bett zu gehen. Morgen früh würde sie dann Jacobs Gesellschaft einfach meiden, bis sie abreisten – für so einfach empfand es die junge Dame.
Sie schluckte, ehe sie nach oben gen Himmel sah, der noch immer wolkenverhangen war. Dann wischte sie sich einmal die restlichen Tränen von ihren Wangen und öffnete die Tür, trat ein.
„Ist Elisé schon im... Bett." Sie hielt nach Luft japsend inne als sie auf zwei Rooks sah, die sich wohl allem Anschein nach nicht nur einfach prügelten.
Sie riss die Augen auf als James mit zusammengezogenen Augenbrauen eine gebogene Waffe hochhielt, sie seitlich an Gus' Gesicht hinabverlaufen ließ. Sein Gesicht wurde benetzt durch Blut und Gus keuchte verkrampft und hielt James' Hand um seinen Hals fest.
„Wo ist die Kleine, Gus?"
Rose war wohl zu laut, denn James' Mundwinkel zuckten nach oben und er ließ die Waffe Jacobs in seiner Hand sinken.
„Du kommst mir genau gelegen." Gus keuchte erneut, versuchte unter Schmerzen seinen Kopf zu drehen. „Warte noch 'n Moment, dann kümmer ich mich um dich, Weib."
Roses Herz hämmerte so hart gegen ihre Rippen, das hatte sie noch nie verspürt.
„Lauf." Gus beugte ruckartig sein Knie und zog es nach oben, trat James gegen seinen Oberschenkel und schlug ihm mit der freien Hand – die ihn mehr schmerzte als alles andere, da sie womöglich gebrochen war – den Kukri aus der Hand, stürzte sich auf den Rook.
Rose ließ es sich nicht zweimal sagen und nahm die Füße in die Hand, stürmte wieder aus dem Zug und den Hang hinunter zur die Straße.
Ihre Atmung könnte nicht flacher gehen als sie Männer oben am Hang lachen hörte und um die Straßenecke bog.
Sie bog genau dort ein, woher sie gekommen war, betete um ihr Leben – und das ihrer Schwester.
So wie es aussah, war es für Gus zu spät.
Die Sicht der jungen Frau verschwamm und ein Schluchzen verließ ihren Mund als sie erneut abbog. Sie hatte schreckliche Angst.
Dieser Abend war schon schlimm genug verlaufen, doch nun nahm er einen neuen Höhepunkt an.
Ihre Füße schmerzten in diesen Absätzen, je länger sie rannte, doch sie keuchte und schrie auf als sie plötzlich in jemanden hineinrannte und zurückstolperte.
Sie dachte, sie würde stürzen, doch derjenige packte sie fest an den Armen und gab ihr Halt.
Ihre verschwommene Sicht nahm nichts weiter wahr, als dass es sich um einen stämmigen Mann handelte.
„Miss Dupont?"
Rose zuckte zusammen als ihr Gegenüber ihren Namen nannte und sie losließ.
Sie schluckte, wischte sich schnell über die Augen, um erkennen zu können, in wen sie hineingerannt war – und sie erkannte Mason.
„Du... du bist einer von Jacobs Jungs", stellte die junge Frau zitternd fest und kratzte sich an ihrem Handgelenk.
Der Rook vor ihr zog seine Augenbraue ein wenig hoch und antwortete ihr nicht.
Rose blickte schnell hinter sich als die Stimme von James plötzlich zu hören war.
Mason lauschte und runzelte die Stirn.
„Du kommst nicht sonderlich weit, Püppchen", lachte er und Roses Herz klopfte noch ein wenig schneller. „Ich kenne diese Stadt besser als mein Elternhaus. Du hast keine Chance."
Rose atmete tief ein als ihre Sicht verschwamm.
Verängstigt stellte sie sich schnell hinter Mason und atmete angespannt aus. „Du musst mir helfen", bat sie ihn. „Dieser James hat euch verraten u-und er ist hinter mir her." Sie schluchzte und hielt sich kurz die Hand vor den Mund.
Sie hoffte das Mason ihr helfen, nur solange bis Jacob sie finden würde. Er würde sich danach sicher um den Verräter kümmern.
Mason prustete amüsiert und drehte sich zu ihr um. „Was willst du?" Er legte den Kopf schief. „Interessant", behauptete er. „Fryes kleines Spielzeug bittet mich um Hilfe." Er schüttelte noch immer belustigt seinen Kopf.
Rose zögerte und ging dann einen Schritt nach hinten.
„Bitte, ich brauche..." Sie schrie erschrocken und verängstigt auf als ihr jemand sanft die Hände auf die Schultern legte.
„Buh", sagte James amüsiert und Roses Sicht verschwamm.
Rose drehte ihren Kopf als sie zu weinen begann und Mason die Hand hob, ihre Wange streichelte.
„Hast du eine Ahnung, was er an ihr so sexy findet?"
James zuckte mit den Schultern. „Ich glaub, es ist ihr Arsch."
Sie jammerte und schluchzte erneut auf als James ihr kurz in den Hintern kniff. „Ich finde ihn jedoch flach", beleidigte er die junge Dame und sie schloss kurz ihre Augen.
Sie wusste, dass hier würde nicht mehr gut für sie ausgehen.
„Sieh, Rose." Mason seufzte tief und gespielt bedrückt. „Ich würde dir ja helfen." Er strich ihr ein paar Tränen von den Wangen. „Es ist nur so, dass es mir egal ist, was du brauchst, Weib."
Sein Griff um ihr Gesicht wurde fester und sie quietschte als er sie am Kinn vorzog, James sie weiterhin fest an den Schultern and Ort und Stelle hielt.
„Was machen wir mit Fryes kleiner Hure nun?", fragte James und schmunzelte. „Das Spielzeug benutzen oder missbrauchen?"
Roses Haut begann ungesunde rote Flecken aufzuweisen und ihr Herz blieb ihr vor Schreck einen Moment stehen. Dann schluckte sie schwer.
Jacob hatte keine Ahnung, dass die beiden unter einer Decke steckten und wie viele noch. Sie hoffte nur unfassbar, das dies nicht ihre letzten Sekunden sein mochten.
„Bring wir sie zu den anderen." Mason rollte mit den Augen und musterte Rose abfällig, bevor er ihr Kinn losließ. „Dann holen wir uns unsere Bezahlung."
„Und was ist mit Frye?"
Masons Mundwinkel zuckten nach oben. „Der wird noch eine Weile beschäftigt sein." Er lachte leise. „Mit einer anderen Frau."
August presste fest seine Lippen zusammen und starrte auf den Tisch nieder.
„Es tut mir leid." Jacob zog die Augenbrauen zusammen. „Wie vermutet ihr, ist das nochmal passiert?"
George seufzte. „Wir wollten nach einer Runde im Laine's zum Zug", wiederholte er bedauernd. „Wir haben sie den Zug betreten sehen."
„Sie waren in der Überzahl, das reicht." August ballte seine Hand zur Faust. „Sie beseitigten Raul, sobald er die Tür geöffnet hatte."
Jacob sah auf August, der ruckartig aufstand und zur Tür lief.
„Du bleibst hier", sagte er mit donnerndem Unterton.
„Mir ist es scheiß egal, ob die in der Überzahl-"
„Ihr aber nicht." Jacob deutete mit einem Kopfnicken auf Angie, die neben Charlotte am Eingang war und noch immer verkrampft das Taschentuch hielt. Ihre Augen noch immer verquollen. „Du riskierst dein Leben nicht, nur weil du deine Gefühle nicht unter Kontrolle hast."
„Er war mein bester-"
„Und das hätte er nicht gewollt."
Jacob atmete tief ein, sah zum Tisch und grübelte kopfzerbrechend darüber nach, was Blighters in seinem Zug unbedingt haben wollten. Er hatte nichts, was von Interesse für sie sein könnte.
„Der Brief", murmelte er leise als er eine Rille im Tisch betrachtete, die ansatzweise ein Rechteck andeutete. „Weißt du, was, August?" Jacob drehte sich ruckartig zum Rook um. „Ich begleitete dich. Scheiß auf Überzahl. Ich metzle die platt."
Und da benötigte er nicht nur Rose als Ansporn für. Fremde hatten ungefragt und unbefugt sein Zuhause betreten. Das war eine rote Zone für den Assassinen.
Jacobs Herzschlag hämmerte ihm gegen seinen Brustkorb. Sein Blut pulsierte und sein Atem wurde immer flacher, je näher sie ihrem Ziel kamen.
Wie konnte er nur so dumm sein?
Er hatte sich von seinen Gefühlen benebeln lassen.
„Der Zug ist nicht mehr weit", rief August ein wenig atemlos.
Jacob hatte seit Minuten nicht mehr hinter sich geschaut und geguckt, ob die Rooks aus dem Pub, die noch stehen konnten und nicht im Saufkoma lagen, hinter ihm waren.
Aber das war ihm egal – mittlerweile. Denn mittlerweile durchflutete ihn Angst um Rose.
Er hatte einen riesigen Fehler gemacht – und betete, dass Rose nicht dafür einstehen müsste.
Jacob bremste abrupt sein Tempo als er um die Ecke bog und zwei bewaffnete Männer an dem Eingang zum Bahnhof entdeckte.
Der Zug hatte sich in Bewegung gesetzt, bevor sie seinen Standpunkt ausfindig gemacht hatten.
Doch das er nachts über in einem Bahnhof hielt, war ungewöhnlich, Agnes würde so etwas nicht tun – nicht nachts.
Rico ächzte als Jacob den Arm ausstreckte und ihn aufhielt, weiterzurennen, während die Menge abbremste.
Der junge Anführer drängte seinen Freund hastig zurück und deutete jedem kurz, leise zu sein. Im Mitte vierzigjährigen klingelten die Alarmglocken schrill.
„Was ist?", flüsterte der ältere und sah dabei zu, wie Jacob seinen Zylinder abnahm.
Oliver hob die Augenbrauen als er ihm in die Hand gedrückt wurde.
„Den will ich später wiederhaben", stellte Jacob klar und zog sich seine Kapuze über.
„Es werden Köpfe rollen." Fred presste die Lippen zusammen.
Wenn sein Boss die Kapuze überzog, fühlte selbst er ein wenig Angstschweiß in seine Hose laufen.
„Blighters", raunte er kurz augenverdrehend und schaute vorsichtig nochmal um die Ecke. „Keine Chance, von vorne reinzukommen." Der Assassine hob den Kopf. „Fein."
August zog die Augenbrauen zusammen und sah nach oben als Jacob die Arme ausstreckte und einfach die Hauswand hochzuklettern begann.
„Und was sollen wir machen?"
„Wenn ich die habe, könnt ihr den Zug stürmen, ich nehme mir das Schaffnerhaus vor."
Jacob kletterte in hastigem Tempo, rutschte das erste Mal überhaupt beinahe ab und duckte sich als einer der Blighters das Geräusch vernahm.
Er trat oben auf dem Dach einen Schritt von der Mauer weg und schaute zum Bahnhofsdach, wo er wusste, das es eine Dachluke gab, durch die er ungesehen in den Bahnhof gelangen würde.
Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und er sah nach unten.
August starrte ihm noch immer nach.
„Planänderung", wisperte er laut und jeder Rook außer Rico hob den Kopf, um ihn anzusehen. „Lenkt sie ab und trifft mich drinnen am Zug", meinte der Attentäter und noch bevor sie ihm etwas Weiteres sagen konnten, löste er seinen Seilwerfer aus.
Auf dem Bahnhofsdach angekommen, landete der braunhaarige Mann sicher auf seinen Füßen.
Und sobald er das nächste Mal einen Blick zum Eingang riskierte, sah der Assassine, wie seine Jungs die Blighters nicht nur mit Leichtigkeit ausschalteten, sondern wie gewalttätig einige von ihnen dabei vonstatten gingen.
Mit schnellen, aber angespannten Schritten lief Jacob zur Dachluke, kletterte lautlos hinein und landete auf einem dicken Stahlbalken, der sich durch den ganzen Bahnhof zog, um Stabilität zu geben und das Dach zu halten.
Er atmete tief ein, schloss die Augen und umklammerte den kühlen Stahl.
Sein Puls begann leichte, gleichmäßige Schläge von sich zu geben – wie bei jeder Templerjagd. Wenn er wollte, konnte Jacob Ruhe bewahren – selbst in den schlimmsten Situationen.
Sobald sein Herzschlag die gewünschten Schläge pro Minute abgab, die Jacob Ruhe bewahren ließen, lief er mit schnellen Schritten geradeaus.
Seine braunen Augen wanderten nebenbei über den Bahnhof, hielten nach weiteren Gegnern Ausschau. Es waren nicht sonderlich viele, doch um ungesehen sein Ziel zu erreichen, musste er sie loswerden.
Wie ein Schatten bewegte er sich über den Stahlbalken und blieb direkt über seinem ersten Gegner stehen.
Jacob nahm eines seiner Wurfmesser aus seinem Gürtel, zielte auf den Kopf seines Gegners und warf gewissenlos. Nur wenige Sekunden später keuchte der Blighter auf als ein Messer in seinem Kopf landete.
Wenig später landete Jacob neben einem leblosen Körper auf dem Boden und duckte sich hinter einer Mauer weg.
Sein Aufprall hatte leichte Geräusche verursacht, doch er wollte nicht entdeckt werden, falls sich jemand die Leiche ansehen würde. Jacob wartete – und als niemand kam, nahm er sich den toten Körper und zog ihn leise ächzend hinter die Mauer.
„Du hattest zu viel auf den Rippen." Er klopfte ihm auf den Brustkorb. „Ich glaub, ich hab dir 'n Gefallen getan."
Den nächsten Gegner bekam Jacob erst auf der Treppe nach unten zu den Gleisen zu fassen. Beinahe wurde der Assassine erwischt, weil er so schnell vor sich ging.
Er zog den Blighter mit sich um eine Säule und fuhr seine versteckte Klinge aus, rammte sie dem Mann vor ihm zwischen die Rippen.
Im festen Griff hielt er den Mann und dieser schrie hinter seiner Hand unterdrückt auf, versucht sich zu wehren.
Der junge Mann rollte mit den Augen, als er merkte, das ein Stich nicht gereicht hatte, um ihn umzulegen. Also zog er die Klinge heraus und stieß sie dann direkt wieder hinein.
Sobald der Blighter tot war und die Luft rein, ließ Jacob seinen Gegner zu Boden gleiten und schlich weiter voran.
Da er nach einiger Zeit in einigen Gängen niemanden sah oder hören konnte, begann er zu sprinten und wurde schneller und schneller – bis er stolperte und laut gegen eine Wand fiel, sich abfing und ächzte.
Er zog scharf die Luft ein und eilte um die Wand herum, versteckte sich.
Sein Zug war mehr als in Sicht. Nur wenige Meter von ihm entfernt befand er sich auf den Gleisen – und vor ihm drei Blighters.
„Hey, da war doch etwas", knurrte eine raue Stimme und Jacob vermutete, dass einer der Blighters ihn entdeckt hatte.
Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf all seine Sinne, während sein Puls noch weiter herunterfuhr und er tief durchatmete.
Die Schritte, die er hörte, schienen näher zu kommen.
„Ach, jetzt scheiß dir nicht ein, Smith", lachte einer der anderen zwei.
„Du weißt, dass jemand Alarm geschlagen hätte", stimmte die zweite Stimme dem anderen zu.
Als Jacob die Augen öffnete, nahm er als erstes direkt die Bewegung am Rande wahr und zuckte mit dem Kopf, das seine Rooks sich sofort zurückziehen sollten.
Er schnaufte lautlos und empört. Er hatte seinen Jungs Befehle gegeben, die hatten sie verflucht nochmal zu befolgen!
Sauer schlich der Meisterassassine sich auf die andere Seite des Zuges, was ihn mehr als nur zehn Minuten kostete, und lauschte weiterhin der Diskussion seiner Gegner.
„Ich sag dir, da war jemand", behauptete Smith. „Was, wenn Frye Wind von allem bekommen hat? Du hast gehört zu was er fähig ist." Smith hatte nicht unrecht, doch als er hinter der Wand endlich nachschauen ging, war Jacob längst fort.
„Ja, ja du, Schisser. Dann schauen wir nach", grummelte einer der anderen und stellte sich zu Smith.
Keiner von ihnen hatte bemerkt, dass jemand auf dem Dach des Zuges saß und nun seine Chance sah, zwei von ihnen für immer zum Schweigen zu bringen.
Ein Grinsen bildete sich auf den Lippen des Attentäters und er wünschte sich ein wenig, dass er wüsste, was seine Schwester immer sagte, nachdem sie einen Templer getötet hatte.
Im Sprung nach unten löste Jacob seine Klinge erneut aus und sobald seine Füße den Boden berührt hatten, rammte er Smith genau diese ins Herz. Er keuchte auf, während Jacob sich umdrehte, die Klinge nach oben bewegte und ihn noch mehr aufschlitzte.
Sein Partner hatte sich noch nicht ganz umgedreht, da nahm sich Jacob ein weiteres Wurfmesser und warf es dem armen Mann direkt zwischen den Kehlkopf.
Blut spritzte und aufkeuchend hielt sich der Mann den Hals, stürzte auf die Knie hinab.
Er zog gerade die Klinge aus Smith heraus, um sich um den dritten Blighter zu kümmern, als ein kleines und stumpfes Messer in seinem Arm steckenblieb.
Er zuckte zusammen und sah nach oben zur Brücke, die den Durchgang zum Eingang und den Gleisen sieben und acht verband.
„Oh, oh", sagte Oliver, der dort stand und eigentlich gedacht hatte, er täte Jacob was Gutes.
Augenverdrehend bewegte sich Jacob wie er es von seinem Vater antrainiert bekommen hatte und rammte ihm die blutverschmierte Klinge in den Bauch.
Röchelnd sank der Blighter zu Boden, während Jacob ihn stützte und ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen anstarrte.
„Du wirst sie nie..." Er keuchte nochmal, doch der Griff nach dem Mantel des Assassinen wurde schwach und erschlaffte. Mit Sicherheit hatte Jacob die Leber getroffen.
Er starrte in die leblosen grünen Augen seines Gegenübers. „Muss scheiße sein, an seinem Blut zu ersticken, was?"
Jacob malmte kurz auf seinem Kiefer als er sich erhob und wieder in Bewegung setzte.
Übers Dach sprintete er bis zum Schaffnerhaus, runzelte die Stirn als er Agnes fluchen hörte und hineinsprang.
„Sag mal, hab ich nicht gesagt, warten?" Er legte den Kopf schief und sah Rico an, der Agnes eben von ihren Fesseln befreite.
„Ja, aber während du beschäftigt warst, war ich schneller", behauptete der Rook.
„Oh, diese Schweine." Agnes hustete und richtete sich mit Ricos Hilfe auf. „Ich hoffe doch, dass sie nicht mehr laufen können." Wutentbrannt richtete sich die Vierundfünfzigjährige ihre Schürze.
Augenverdrehend setzte sich Jacob in Bewegung als er die Schritte auf den Treppen hörte und die Rooks anrennen sah.
„Die haben das Memo wohl zu spät erhalten." Er seufzte, lief eilig in die Wagons mit gezogener Waffe und schaute nach, ob er jemand ermorden könnte – oder etwas fand.
Und er betete innerlich, von Wagon zu Wagon zunehmend, Rose zu finden.
Im Gemeinschaftswagon stoppte er, hob die Augenbrauen und steckte dann die Waffe schnell ein, stürzte vor.
„Scheiße", kommentierte er und kniete sich zu Gus hinab, der hustend an der Wagonwand lehnte, die Augen geschlossen hatte.
Der Schnitt zog sich über sein ganzes Gesicht und der Assassine fluchte, riss ein Küchentuch vom Tisch neben sich und einen Teller mit Suppe gleich mit.
„Hey, Gus!" Jacob schnipste laut und der Rook zuckte zusammen, öffnete spärlich sein rechtes Auge.
„Hey." Jacob atmete tief ein, nahm sich das Handgelenk des Rooks und überprüfte den Puls, zählte in Gedanken mit.
Da er schnell feststellte, dass der Puls seines Freunds kräftig schlug, vermutete er ihn nicht in Lebensgefahr.
Durch die Suppe, die Jacob umgestoßen hatte, hatten ihn die anderen gehört, die in den Wagon stürzten.
„Fuck, man." Fred stürzte vor, kniete sich gleich neben Jacob.
„Ist er tot?"
Jacob rollte mit den Augen. „Ich benötige Alkohol und neue Tücher. Saubere Tücher."
August ballte die Fäuste. „Wer würde so etwas tun?"
„Jeder Menge Psychopathen", behauptete George. „Ich hol die Tücher."
„Ich den Alkohol", bot Oliver an und räusperte sich. „Hier drin riecht's nach Lavendel. Und ich hasse Lavendel."
Jacob zog die Augenbrauen zusammen, schnupperte. Doch er roch nur Schweiß, Blut und Angst.
„Ich-" Gus hustete, spuckte ein wenig Blut aus.
Fred wischte es ihm freundlicher Weise vom Mundwinkel, doch so viel Blut, wie im Gesicht des Rooks klebte, war das bisschen irrelevant.
„Nicht, das sieht übel aus", sprach Jacob aus und zog leicht für einen Moment die Wunde auseinander, weswegen Gus laut zischte und aufstöhnte.
„Sie ist nicht sonderlich tief." Jacob seufzte erleichtert. „Keine Sorge." Er sah dem Mann mit braunen Augen in eben diese. „Derjenige ist so gut wie tot."
Sorge schwoll in dem Assassinen an die Oberfläche als er sich das Chaos anschaute. Stühle war keiner mehr stehend vorzufinden und ein Tisch mit sämtlichen Sachen war umgestoßen.
Eins der Fenster war kaputt, doch das gröbste wäre schnell zu beseitigen.
Agnes seufzte und hielt ihr Glas Wasser fest in der Hand, das Rico ihr gegeben hatte.
Die Lippen des Mitte vierzigjährigen pressten sich aufeinander.
Jeder schien mit Gus beschäftigt, keiner blickte über das offensichtliche.
„Wo sind die Schwestern?"
Jeder hielt kurz in seiner Bewegung inne und Gus keuchte, spuckte erneut Blut aus.
Er sah Jacob durch sein eines Auge kurz an, doch Jacob sprang auf und begann mit zunehmender Panik weiter durch die Wagons zu rennen.
Er seufzte.
„Miese Schweine", murmelte Gus als Fred ihm das mittlerweile blutdurchtränkte Küchentuch ins Gesicht presste.
Schwer einatmend sah Jacob in jede Ecke, schob sogar das Bett von Rose und Elisé fort von seiner Stelle, um darunter nachzusehen.
„Nein, nein, nein." Der Assassine schob sich die Kapuze vom Kopf, fasste seine Haare und zog daran, als er letztendlich im Barwagon stoppte – und weder Elisé noch Rose fand.
Er hätte nicht gedacht, sich je so verzweifelt zu fühlen, dass in ihm ein schreckliches Gefühl der Verlust hochkam.
Er atmete schwer ein, versuchte noch tief einzuatmen, als seine Sicht verschwamm.
Wutentbrannt schlug der Assassine einen offenen Whiskey von der Arbeitsfläche im Barwagon – und Flaschen begann zu klirren.
Er runzelte die Stirn, ehe er unten bei den Doppelschränken einen kleinen Fleck braunen Stoffs erhaschte.
Ohne Vorsicht kniete er sich hinab und riss beide Türen auf.
Er verzog die Miene als ein Mädchen schrill zu schreien begann, was das Zeug hielt und sich in die Ecke zog, so klein wie möglich zu machen versuchte.
„Elisé!", schrie Jacob einmal laut und Elisé verstummte stockend, bevor ihr Geschrei direkt durchs Schluchzen ersetzt wurde.
Rechts in der Ecke entdeckte er das kleine Mädchen, völlig verängstigt, mit verquollenen Augen und zitternd wie Espenlaub.
Ihre Knie hatte sie ganz eng an die Brust gezogen und sie umklammerte sie panisch.
„Oh, Elisé", sprach er sanft aus und das Mädchen drehte ihr Gesicht fort. „Hey." Der Assassine streckte langsam einmal die Hand in ihre Richtung, tätschelte ihr das Knie. „Alles gut, ich bin es", sprach er aus und bot der zwölfjährigen seine Hand an. Diese zögerte sichtlich die Hand des Mannes zu ergreifen.
Als sie sie ergriff, dauerte es nicht einmal bis sie den Schrank verlassen hatte und dem Anführer der Rooks um den Hals fiel.
Sie weinte und Jacob zog das kleine Mädchen vorsichtig in eine noch engere Umarmung, streichelte ihr den nassen Rücken auf und ab. Teils musste er wohl durch Angstschweiß durchtränkt worden sein, doch Jacob roch Alkohol an ihr – sie musste wohl eine Flasche auf ihrem Körper verschüttet haben.
„Schon gut, schon gut", wiederholte er immer wieder. „Alles wird gut", flüsterte er. „Du brauchst keine Angst zu haben", sagte er ihr. „Dir wird niemand etwas tun."
Das zwölfjährige Mädchen schniefte, hielt die Augen geschlossen und ihr Gesicht in der Schulter des Assassinen versunken.
„Boss?", ertönte Olivers Stimme und er seufzte als er ihn mit dem kleinen Mädchen auf dem Boden vorfand. Jacob hob fragend die Augenbrauen. „Gus muss dringend in eine Krankenanstalt." Er presste die Lippen zusammen, sah auf Elisés Hinterkopf. „Und von ihr keine Spur."
In Jacobs Kopf ratterte es und er schloss kurz die Augen, drückte Elisé instinktiv ein wenig fester an sich, die ihn genauso kräftig zurückumarmte.
„Ich will, dass jeder Rook zusammengetrommelt wird." Jacobs Kiefer knackte, als er darauf rummalmte und Elisé in seinen Armen zuckte zusammen.
„Wir sollen sie suchen?" Oliver nickte, wollte sich bereits abwenden.
„Nein." Jacobs linkes Augenlid zuckte einmal schnell und kurz. „Ich will, dass ihr denjenigen findet, der das zu verantworten hat und ihn mir bringt. Lebend."
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Datum der Veröffentlichung: 21.01.2022 17:32 Uhr
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