Sixteen
Sixteen
Rose lief zögerlich hinter Jacob her.
Sie wusste noch immer nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Oliver und August hinter ihr schwiegen genauso wie sie – auch wenn sie ihren Boss bereits kannten und nicht überrascht waren, Leichen vorzufinden.
Ihnen beiden tat die siebzehnjährige nur irgendwie leid. Sie schien weniger damit klarzukommen als irgendjemand sonst.
August konnte nicht glauben, dass es da draußen wirklich junge Menschen gab, die behütet und vor allem beschützt aufwuchsen, wo er selbst in London geboren und großgeworden war. Der Brutalität auf den Straßen so nah.
Jacobs Kopf derweilen explodierte förmlich vor sich überschlagenden Gedanken. Er war einerseits froh, dass Rose noch lebte – andererseits hatte sie nun sein wahres Gesicht gesehen.
Das gab dem jungen Assassinen ein schlechtes Gefühl. Nicht als hätte er ein schlechtes Gewissen oder dergleichen. Nur... wie sollte er ihr erklären, dass dies sein Leben war? Dass er dies ständig machte? Menschen im Auftrag für ein besseres Leben auszuschalten?
Noch nie hatte er sich Gedanken darüber machen müssen, zu erklären und erläutern, dass er ein ausgebildeter Attentäter war.
Der Weg zum Zug zog sich ewig für alle Beteiligten hin und die Stille machte alles nur unangenehmer.
Also räusperte sich Oliver kurz bevor sie im Stadtteil The Strand den Zug erreichten. Der junge Rook tippte Rose leicht auf die Schulter, wobei die junge Dame dabei deutlich zusammenzuckte.
„Verzeihung", murmelte der neunzehnjährige und zog ein Stück Brot hervor, dass er seit gestern Abend bei sich trug. Ein Glück hatte er sich nicht prügeln müssen, so hatte das Lebensmittel überlebt.
Oliver versuchte zu lächeln. Er war sich sicher, dass die Dame lange nichts gegessen haben konnte – und wollte ihr etwas Gutes tun.
Sie nahm das Brot wortlos entgegen, aber aß es nicht. Stattdessen hielt sie es einfach fest in ihrer Hand. Sie wusste nicht, ob sie überhaupt in der Lage war, nachdem was sie mit ansehen musste, etwas zu essen.
„Na endlich", stöhnte August erleichtert als er den Bahnhof erblickte, sobald sie um eine Hausecke rum waren. Rose verzog das Gesicht als sie sah, wie auf der gegenüberliegenden Straßenseite langsam die Straßenlaternen von den Laternenanzündern eingeschaltet wurden.
Der Morgen bricht also an, dachte Rose sich betrübt.
Sie glaubte, sie würde den ganzen Tag durchschlafen, so erschöpft fühlte sie sich.
Oliver fühlte nicht anders. Er war sehr froh, bald ein wenig Schlaf zu bekommen.
„Ich denke jeder von uns hier hat sich eine gute Runde Schlaf verdient", meinte er ein wenig träge.
Auch Jacob erhöhte das Tempo seines Laufschritts. Dies jedoch, um den Laternenanzündern und ihrem Morgenlicht zu entkommen, damit man nicht sah, wie verdreckt und blutverschmiert er war.
Rose gab einen erstickten Laut von sich als er ihre Hand ergriff und sie in seinem Laufschritt mit sich zog.
Im Assassinen tobte der Kampf zwischen Vernunft und Angst. Er wusste, es wäre vernünftig, sobald sie im Zug wären, sich um Roses Verletzung zu kümmern und sich ihr zu stellen. Falls die junge Dame das überhaupt zuließ. Doch die Angst in ihm sagte ihm, er sollte sich seine Sachen schnappen, sie den Jungs überlassen und so schnell wie möglich das Weite suchen.
Rose folgte mehr schlecht als recht Jacob die Treppe in den Bahnhof hinauf und die beiden Jungs folgten gähnend.
Jacob sah seinen Zug in Sicht kommen als die Tür aufging und Abberline mit Pfeife in der Hand ausstieg.
Der Polizist sah auf und ließ die Pfeife in seiner Hand sinken als Jacob aus dem Schatten trat.
Erleichterung stieg in dem Beamten auf als er die rothaarige Dame zwischen den Männern bemerkte.
Jacob seufzte laut. Jetzt könnte er sich etwas anhören.
Das zeigte zumindest die körperliche Reaktion Fredericks als dieser Rose erblickte und den Dreck und das Blut auf ihrer Kleidung und Haut.
Die Augenbrauen des Sergeants hoben sich als er die kleine Gruppe im Allgemeinen, die auf ihn zukam, betrachtete.
„Miss Dupont." Rose presste ihre Lippen zusammen, zog an ihrer Hand und Jacob ließ locker.
Ihre Hände lösten sich, während er seine Hand zur Faust ballte.
„Es ist gut zu wissen, dass es Mr. Frye gelungen ist, Sie wiederzufinden", sprach er ruhig aus und musterte die junge Dame erneut.
Sie wirkte mächtig neben der Spur und ihm entging die Verletzung an ihrem Hals nicht. Er warf Jacob einen fragwürdigen Blick zu und der braunhaarige Mann wusste, was ihm als nächstes blühte.
Deswegen stellte er sich dem geringeren Übel sofort.
„Oliver, August", nannte er seine Freunde bei ihrem Namen. „Ihr bringt Rose hinein", stellte er klar. „Ich muss mit dem Sergeant unter vier Augen sprechen." Jacob kämpfte damit, die Miene nicht zu verziehen.
Die beiden Männer nickten und August trat vor, hielt Rose die Tür auf.
Sie konnte sich kein Lächeln abringen als sie dankbar seine Hand ergriff und sich in den Zug helfen ließ.
Es trat eine Stille zwischen dem Sergeant und dem Assassinen ein und diese wurde letztendlich durch ein Schnauben letzteren gebrochen.
„Lass hören", bat er und sah auf die Pfeife. „Welchen Vortrag willst du mir jetzt wieder halten, Freddie?" Der Assassine hob seine Hände in die Höhe.
Der Polizist schnaubte ebenfalls und verdrehte über die Reaktion seines Freundes die Augen.
Rose folgte währenddessen den beiden Männern im Inneren des Zuges und schluckte als sie das noch nicht aufgeräumte Chaos erblickte und das Blut, das an der Wand im Gemeinschaftswagon klebte.
„Ich hau mich hin." Rose zuckte bei Augusts Worten zusammen. „Mir egal, was Frye sagen wird", verabschiedete sich der Rook und begab sich zum dem Wagon in den manchmal ein paar Rooks schliefen.
„Möchten Sie auch zu Bett, Miss Dupont?", fragte Oliver die rothaarige, doch diese schüttelte ihren Kopf und sah hinunter auf ihr dreckiges Kleid.
„Nein", murmelte sie und drehte sich ein wenig weg. „Ich möchte erst mal meine Schwester sehen und mich vergewissern, dass es ihr gut geht." Ihr entwich ein schweres Seufzen und Oliver zog mitleidig die Augenbrauen ein Stück zusammen.
„Ich kann Ihnen gern noch etwas zu Essen machen, wenn Sie... möchten." Rose schüttelte den Kopf und Oliver seufzte. „Ich glaube, Rico war die ganze Nacht bei ihr." Der junge Rook deutete in Richtung des Wagons, in dem Rose und Elisé die ganze Woche über geschlafen hatten.
Rose nickte und machte sich mit zittrigen Händen auf den Weg, um nachzusehen.
Ihr Herz raste teils noch immer so schnell und ihr war so schlecht, dass sie glaubte, nie wieder etwas essen zu können. Aber sie musste Elisé sehen. Sie musste sich vergewissern, dass es ihr gut ging. Dass ihr nichts passiert war.
Erleichterung stieg in der siebzehnjährigen auf als sie das Abteil betrat und den Rook mittleren Alters auf der breiten Couch erblickte, eine Decke über seinem Schoß, die sich über den Körper eines jungen Mädchens hinweg ausrollte.
Elisé lag zusammengerollt neben ihm und schien zu schlafen, während Rico sie festhielt und ihr immer wieder durch Haar strich.
Der Blick des Mannes richtete sich sofort auf sie und er öffnete den Mund. Rose bat ihn mit einer schnellen Handbewegung, leise zu sein. Rico schloss seinen Mund also wieder, nickte und schenkte ihr ein Lächeln, während seine Augen ihren Hals mit den dunklen Malen und dem Blut betrachteten.
Er war froh, zu sehen, dass es die junge Dame nicht schlimmer getroffen hatte und Jacob erfolgreich gewesen war. Nicht vorzustellen, wie man es hätte Elisé erklären können, wäre ihre große Schwester nicht mehr am Leben gewesen.
Rose trat ein wenig näher und setzte sich letztendlich zu ihm auf die Couch, tätschelte ihm die Schulter und formte mit ihren Lippen ein „danke".
Er winkte es mit der Hand ab, mit der er Elisé durchs Haar strich und Rose hob vorsichtig die Hand, strich ihrer kleinen Schwester stattdessen eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Das zwölfjährige Mädchen zuckte kurz und murrte leise, während Roses Mundwinkel zuckten.
„Man sollte sie schlafen lassen", flüsterte Rico leise. „Sie war die ganze Nacht wach."
Roses Sicht verschwamm. „Danke, Rico", sagte sie leise. „Ich-"
Rico lächelte, legte seine Hand auf ihre. „Nicht dafür, Rose." Er schüttelte den Kopf und die Lider Elisés begannen, schneller zu zucken.
Rose war zu laut gewesen, Elisé hatte begonnen, sie zu hören – wie durch Watte. Sie fragte sich, ob sie davon träumte, doch als sie verschlafen die Augen öffnete konnte sie diesen nicht trauen.
Erst sah Elisé zu Rico hoch, der mit einer leichten Kopfbewegung auf Rose deutete. Dann weiteten sich die Augen des jungen Mädchens und sie drehte sich sofort zu ihrer Schwester um, kniete sich auf der breiten Couch hin.
Sie schluckte, ehe sie die Augen zusammenkniff und sich an sie kuschelte.
„Shh", machte Rose als Elisé aufschluchzte. „Es ist alles gut, Elisé", sagte sie ihr. „Ich bin wieder da." Die siebzehnjährige schlang ihre Arme vorsichtig um ihre kleine Schwester und hielt sie einfach nur fest.
Draußen diskutierte Abberline noch immer mit einem aufgebrachten Jacob.
„Was ist dann mit ihm passiert?", hackte der Polizist nach. Er ahnte, was geschehen war, doch seine Berufung verlangte nach genaueren Aussagen, deswegen musste er das seinen Freund fragen. Frederick war ja nicht blind. Er hatte die Wunde an Roses Hals bemerkt, ihm war ihr verstörter Ausdruck nicht entgangen.
„Muss das jetzt sein, Freddie? Ich habe noch etwas zu erledigen", murrte der junge Assassine und strich sich sein Haar ein wenig zurück.
„Sag mir wenigstens, wo Pitsbur ist." Der Beamte seufzte. Er wusste, dass er kaum etwas aus dem Assassinen rausbekommen würde. Dieser zuckte mit den Schultern und sah kurz zu Boden. „Jacob", mahnte Abberline ihn und verschränkte die Arme vor der Brust.
Jacob schüttelte leise lachend seinen Kopf.
Natürlich wusste Abberline bereits, was Jacob getan hatte. Er hatte gewusst, was er tun würde, noch bevor er ihm erzählt hatte, dass Pitsbur ausgebrochen war.
Aber so einfach würde er es ihm nicht machen. Dafür musste jemand geradestehen.
„Du willst wissen, wo er ist?" Jacob hob die Augenbrauen und deutete aus dem Bahnhof hinaus. „Bei den Ratten, wo dieser Bastard hingehört", gab er trotzig wider.
Für Jacob fühlte sich dieses Gespräch beinahe so an, als wenn er von seinem Vater getadelt würde.
„Etwas genauer bitte", forderte der Sergeant ihn auf, doch Jacob schwieg.
Sehr zum Leidwesen des Polizisten. Dieser massierte sich genervt seine Schläfen.
„Wieso wundert es mich nicht? Du kümmerst dich nur darum, dass-"
„Das, was?!" Jacob zog seine Augenbrauen zusammen. „Ich habe sie da rausgeholt, während du deinen aufgegeben Schritten gefolgt bist!" Jacob hob den Zeigefinger. „Du hättest sie niemals rechtzeitig gefunden, bevor er sie vergewaltigt, misshandelt und ermordet zurückgelassen hätte!" Abberline schluckte leicht als Jacobs Stimme lauter wurde. „Du willst mich dafür bestrafen, dass ich jemandem in Not das Leben rettete? Dafür, dass es Selbstverteidigung war? Bitte." Jacob streckte die Hände vor. „Doch ich sehe nicht ein, mich für mein Verhalten und Handeln zu entschuldigen, Freddie. Ich habe nichts falsch getan."
Es trat Stille ein, in dem der Assassine etwas schwer atmete und der Polizist sich seine nächsten Worte gut überlegte.
„Die Mädchen reisen morgen ab. Und wir sprechen uns dann, Jacob." Abberline drehte sich um und ließ den jungen Attentäter alleine am Zug stehen, der ihm daraufhin mit erhobenen Augenbrauen nachstarrte.
Doch die Zeit, die zu knapp bemessen war, ließ ihn daran erinnern, dass im Zug ein Mädchen hockte, um welches er sich kümmern musste.
Jacob seufzte entnervt, verlor keine weitere Sekunde und betrat den Zug. Als ihm Oliver entgegenkam, zog er fragend eine Augenbraue hoch. Dieser deutete auf das Abteil in dem Elisé und Rico sich befanden.
„Bei ihrer Schwester", antwortete der schwarzhaarige knapp und ließ seinen Boss weitergehen.
„Kannst du ein wenig aufräumen?", fragte Jacob ruhig und Oliver nickte.
Zögernd klopfte der Attentäter an die Tür und öffnete sie dann langsam.
Drei Paar Augen richteten sich sofort auf den jungen Mann und dieser spürte, wie schnell sein Herz zu klopfen begann.
Was sollte er nun sagen?
Sein Hals fühlte sich trocken an und er räusperte sich kurz bevor er seine Lippen befeuchtete.
„Rose...", entkam es ihm leise. Es war beinahe so leise, dass man es nicht hören konnte.
Sie schlug den Blick nieder als er ihren Namen aussprach und fragte sich, was er noch von ihr wollte.
„Würdest du mitkommen? Ich möchte deine Verletzung reinigen", fuhr Jacob fort und kratze sich ein wenig nervös hinterm Ohr.
Rose zögerte, sah zu ihrer Schwester.
„Später", brachte sie hervor und legte ihre Hand auf Elisés, die darauf hinunter sah.
Sie traute sich nicht, mit ihm alleine zu sein. Nicht für den Moment.
„Du kannst es herbringen", bot Rico an. „Dann kannst du dich erst mal säubern." Er betrachtete das dreckige Hemd und Elisé schluckte.
„Ist schon in Ordnung", sagte sie leise und blickte Rose an. „Geh mit ihm", bat sie. „Dann kann ich mich ebenfalls frisch machen."
Rose schluckte schwer. „Elisé-"
„Bitte." Elisé nickte aufmunternd, dachte ihrer großen Schwester damit etwas Gutes zu tun. Sie hatte keine Ahnung...
Rose musterte den Mann an der Tür nochmal genau, bevor sie zögerlich aufstand, um mit ihm zu gehen.
Langsam ging die rothaarige auf den Rookanführer zu, der geduldig auf sie wartete.
Ihr Bild des gutherzigen Ganganführers war heute nicht einfach nur ein wenig erschüttert worden – es war zerstört. Was sie vor sich sah, war ein Mörder. Sie konnte es nicht als Selbstverteidigung verbuchen, denn er hätte die Chance gehabt, Daren zu verschonen – und er hatte es nicht getan.
Rose wusste, im Innern war Jacob kein schlechter Mensch von Grund auf. Aber sie verstand nicht, wie er solch ein Verbrechen begehen konnte. Gewissenlos. Brutal. Skrupellos.
Jacob nickte Rico zu und bedankte sich still bei ihm. Er war ihm in letzter Zeit eine große Hilfe gewesen.
Rose schritt mit leicht erhobenen Kopf an Jacob vorbei und ging weiter zu seinem Abteil durch.
Sie spürte, wie er ihr mit langsamen schweren Schritten folgte und grübelte fieberhaft darüber, was sie ihm sagen sollte.
Hatte sie ihm überhaupt etwas zu sagen?
Rose war noch nie so verwirrt gewesen und sie erreichten sein Abteil bevor sie sich ihre Worte zurecht gelegt hatte.
Tief einatmend setzte sich die siebzehnjährige unaufgefordert auf sein Bett – und als sie aufblickte war zu ihrer Verwunderung Jacob nicht mehr hinter ihr.
Er war vorher ins Bad abgebogen, vermutlich um einen Lappen zu holen, mit dem er ihre Wunde reinigen konnte.
Rose war einfach nur schlecht. Je länger sie Jacobs Unordnung betrachtete, desto schneller wollte sie hier wieder weg – dabei hatte es nichts mit seiner Unordnung zu tun. Und da sie zuletzt am Samstagmittag etwas gegessen hatte, war sie sich sicher, nichts ausstoßen zu können.
„Hier."
Jacob seufzte als er vom Bad zurückkam. Er stellte eine Schüssel mit warmen Wasser und einem Lappen darin dem jungen Mädchen neben die Kommode, während sich ihre Rückenmuskeln anspannten.
Sie schluckte, sah seine blutverschmierte Schulter an.
„Ich..." Roses Gedanken stellten ihr unerklärliche Fragen. „Ich bin nur ein Mädchen", sagte sie leise als Jacob sie niederstarrte.
Er holte tief Luft, nahm sich den Lappen und beugte sich hinab zu Rose. Er hielt vor ihrem Hals inne als sie zurückzuckte.
„Darf ich?", fragte er sie leise.
„Mord ist keine Lösung", entgegnete Rose und zog ihre Augenbrauen zusammen. „Wieso hast du das getan?"
Sie legte den Kopf schief und er setzte sich neben sie, hielt den Lappen weiterhin hoch.
„Deine Wunde sollte gereinigt werden", wich er ihr aus.
„Jacob", sprach sie ihn beim Namen und er sah ihr herausfordernd in die Augen.
„Rose", erwiderte er ruhig.
Sie befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge und trotz ihrer zwiegespaltenen Gedanken sah sie hinunter auf seine Lippen, dessen Blick er auffing.
„Fein." Er setzte sich so nah an sie heran, dass sie rot anlief und seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. „Ich antworte dir, wenn du mich deine Wunde reinigen lässt."
„Und was ist mit deiner?"
„Das ist nicht mein Blut", flunkerte er sie an. Denn in seinen Augen war ein Kratzer nichts, was ihn töten könnte – nicht an dieser Stelle.
Sie legte den Kopf schief bevor sie tief ausatmete und ihr Haar ergriff, es auf eine Seite zog.
Sie sah hinunter auf sein blutgetränktes Hemd als er mit festem Handgriff den Lappen erst einmal um ihre Wunde zu bewegen begann, um alles darum zu säubern.
„Wieso hast du das getan?"
Jacob sah hinab auf ihre Augen, bevor er den Blick wieder ihrer Wunde zuwandte und sich darauf konzentrierte.
„Er war ein schlechter Mensch", antwortete Jacob ihr ruhig. „Er hatte es verdient."
„Niemand hat den Tod verdient."
„Du irrst", erwiderte er sofort und stoppte mit seinen Handbewegungen. „Manche Menschen verdienen es und darum muss sich gekümmert werden."
„Nein." Rose schüttelte ihren Kopf. „Du hast nicht das Recht, das Leben eines anderen zu beenden, Jacob."
„Ich hab's jedoch getan und nun?" Er legte den Kopf schief, beugte sich zu ihr vor. „Versuch auch nur einen Beweis zu finden, der mich belasten wird."
Roses Sicht verschwamm und sie zuckte mit dem Kopf zurück. „Du denkst, ich verpfeife dich?" Nachdem er ihr das Leben gerettet hatte, schuldete sie es ihm, ihm das seine zu lassen. Sie könnte sein Leben nicht einfach ruinieren. Sie könnte ihm nicht einfach wehtun, wie er ihr wehgetan hatte. Das ging nicht. So war sie nicht.
Jacob ließ den Lappen sinken. „Du wärst nicht das erste Weib, das es versucht."
„Hör auf, mich ein Weib zu nennen." Rose zog ihre Augenbrauen zusammen und zuckte mit dem Kopf zurück. „Ich wollte doch nur wissen, warum du ihn ermordet hast."
„Weil er dir wehgetan hat!" Rose fuhr zusammen und rückte ein Stück von Jacob ab, stieß mit dem Rücken gegen die Kommode, dessen Holz knarzte. „Herr Gott nochmal, er wollte dich töten."
Rose schluckte, ballte die Hände vor dem Stoff ihres Kleids zusammen.
„Ich bin... normal."
Seine Mundwinkel zogen sich nach unten. „Für mich nicht", gestand er ihnen beiden ein und sein Herz klopfte lautstark. „In meinen Augen verdienst du mehr als ihn. Mehr als das."
Rose sah ihn an, ihre grünen Augen fixierten den jungen Attentäter.
Sie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Ihr Herz raste so schnell, das ihr ein wenig schwindlig wurde.
Sie verstand diesen Mann nicht. Wie konnte er nur so gewissenlos jemanden umbringen, aber gleich darauf solch rührende Worte sagen?
Jacob seufzte schwer.
Er war in allem, was er eben von sich gegeben hatte, ehrlich gewesen – und sie lehnte ihn offensichtlich ab. Das war es, was er befürchtet hatte. Sein wahres Ich war es nun mal, schlechte Menschen aus dem Weg zu räumen. Er hatte Bedenken gehabt, wenn Rose jemals davon erfahren sollte, würde er alles was er sich zwischen ihnen erbaut hatte verlieren.
Genau aus solchen Gründen hatte der Assassine noch nie jemanden länger in sein Leben gelassen. Dafür war es bei Rose zu spät. Sie war bereits nach so kurzer Zeit ein Teil seines Lebens geworden und er wollte nicht, das sie je wieder ging. Er wusste nur, dass sie genau das musste – gehen.
„Rose", sprach der braunhaarige Mann nun sehr ernst und befeuchtete seine Lippen mit der Zunge. „Du musst mir versprechen, dass du das, was ich dir nun erzähle, mit in dein Grab nehmen wirst." Jacob atmete tief ein und die junge Frau neben ihm zog die Augenbrauen zusammen. Er wollte es ihr erklären, wollte er wirklich. Doch damit würde der Attentäter so ziemlich jede Regel brechen.
Angst stieg in Rose auf. Sie fragte sich instinktiv eine Sekunde lang, ob es letzte Woche wirklich eine gute Idee gewesen war, diesem Mann zu vertrauen.
Die siebzehnjährige legte ihren Kopf schief. „Was ist, wenn ich es dir nicht verspreche?"
Jacob schluckte, sah auf ihre Lippen hinab. „Ich kann dir nicht die Wahrheit erzählen, wenn du mir nicht dein Wort gibst."
Sie atmete tief ein, wog das Für und Wider ab, ehe sie ihren ganzen Mut sammelte und ihm so sicher wie sie konnte antwortete. „Ich verspreche es, Jacob."
Er streckte die Hand vor, strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. „Es ist so, dass ich mehr bin als nur ein Ganganführer." Er presste die Lippen zusammen. „Man könnte sagen, ich wäre eine Art Soldat", erläuterte der Mann neben ihr und starrte die Wand vor ihm an.
Jacobs Herz raste und sein Blut pulsierte. Noch nie musste er jemandem erklären, was er eigentlich tat und wieso. Er hatte Bedenken, was nun geschehen würde.
Er überlegte, wie er Rose verständlich machen sollte, dass er ein Attentäter war, der für den freien Willen der Menschheit kämpfte. Denn der Begriff Attentäter war hierbei weit dehnbar.
„Seit Jahrhunderten tobt ein Krieg zwischen dem Templerorden und der Assassinenbruderschaft." Er räusperte und schüttelte sich innerlich. Jacob klang seiner Meinung nach genau wie sein Vater als dieser Evie und ihm das erste Mal von den Assassinen erzählt hatte. Sie waren in seinen Augen zu jung gewesen, um der Bruderschaft beizutreten. Sie hätten allem voran erst einmal Kinder sein müssen.
„Wenn ein Krieg zwischen ihnen herrscht, wieso habe ich noch nie etwas davon gehört?", entkam es Rose hastig und sie schluckte als Jacob sie ernst ansah.
Er war noch nicht fertig gewesen.
Sie biss sich auf die Lippe und schaute schnell auf ihre Hände, die in ihrem Schoß zusammengefaltet waren.
„Es ist ein Krieg, der sich im verborgenen abspielt. Niemand soll es mitbekommen und glaube mir, bitte." Er hob mit seinem Finger ihr Kinn an und sie schluckte. „Das ist auch besser so."
Rose war eine Frau, die er nicht in solche Sachen hineinziehen sollte, aber dank seiner Fehler war es geschehen.
„Ich bin ein Assassine." Er presste kurz seine Lippen zusammen. „Meine Aufgabe ist es, den freien Willen der Menschheit zu beschützen. Die Templer wollen die komplette Herrschaft und absolute Kontrolle über die Menschheit. Und sie tun dafür alles was nötig ist." Rose erkannte, dass Jacobs Stimme rauer wurde als er darüber sprach.
Sie nickte vorsichtig.
„Wie wurdest du zu einem Assassinen?", fragte sie und blickte ihm in seine braunen Augen. Dieses Wort fühlte sich so seltsam auf ihrer Zunge an.
Vielleicht würde Jacob ihr nicht antworten. Rose wusste, dass er ihr bereits mehr erzählt hatte als es ihm offensichtlich lieb war. Er schaute aus als fühlte er sich das erste Mal in ihrer Gegenwart nicht wohl.
Jacob erhob sich und lief ein paar Sekunden durch den Raum. Diese Frau machte ihn irgendwie fertig.
Sie sagte, er hätte nicht das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden und dennoch wollte sie wissen, wie und was er tat.
George wird mich umbringen, dachte der junge Mann sich.
Er kannte seinen alten Mentor und besten Freund seines Vaters zu gut. Dieser würde ihn dafür mehr als tadeln, dass er einfach so über die Bruderschaft sprach – und dann auch noch mit jemand fremden.
„Ich wurde hineingeboren", erzählte er ihr kurz und knapp – doch laut ihrem Gesichtsausdruck reichte ihr diese kleine Erklärung nicht. „Meine Eltern waren bereits Assassinen. Es war mein Schicksal, dem zu folgen", fügte der zweiundzwanzigjährige hinzu und lehnte sich an die Wand, seufzte schwer.
Rose schüttelte ihren Kopf. Sie war ein wenig schockiert – und überrascht. Wie konnte man seine Kinder zu so etwas erziehen? Und was hatte sie eigentlich erwartet, von ihm zu hören zu bekommen? Dass er ein Serienkiller war? Robin Hood?
„Du hast also nie etwas anderes gekannt als das?", fragte sie sich leise und Jacob hob leicht seine Augenbrauen an als sie sich daraufhin langsam erhob.
Der junge Mann schüttelte den Kopf und stand ebenfalls auf.
Nein, er kannte kein anderes Leben – doch es war in Ordnung für ihn.
Rose schluckte als sie den Kopf in den Nacken legte und ihm ruhig in die braunen Augen starrte.
„Ich erwarte nicht, das du es verstehst", sagte er zu ihr und hob den Lappen an. Sie fuhr leicht zusammen als er ihn ihr wieder an den Hals legte. „Du hältst mich vermutlich für einen Mörder." Er legte den Kopf schief. „Und das mag ich auch sein, aber... ich töte nur Menschen, die es wirklich verdient haben", erklärte er sich. „Keine Unschuldigen."
„Unschuld ist ein weit gedehntes Wort", behauptete Rose und Jacobs Brustkorb hob sich einmal stark und langsam.
„Ich töte Templer. Keine anderen Verbrecher, Mörder, keine Kinder, keine Frauen, keine Unschuldigen." Jacob zog seine Stirn in Falten. „Ich habe ihn getötet, weil er vermutlich zum Templerorden gehört und dir wehgetan hat." Er versuchte unbewusst, sich rauszureden – erneut.
Rose schlug den Blick nieder und er schluckte.
Hatte sie Angst vor ihm? Verachtete sie ihn nun? Jacob war sich bewusst, dass selbst wenn sie etwas mit den Templern zu tun gehabt hätte, er sich niemals von ihr hätte abwenden können, ihr etwas hätte antun können. Er war hoffnungslos in sie verliebt. Wie konnte sie das nicht auch nur ansatzweise ahnen?
„Wie du bereits sagtest", sprach er leise weiter. „Ich kenne nichts anderes, außer diesem Leben." Er atmete tief ein. „Ich wurde von meinem Vater dazu trainiert. Er tat das, damit ich auf diese Welt vorbereitet bin. Damit ich kämpfen kann, nicht nur für mich, sondern auch für andere." Der Attentäter ging vorsichtig einen Schritt auf Rose zu und sie schluckte als sie spürte, dass sich seine und ihre Brust berührte.
Ihr Körper reagierte instinktiv und wünschte sich, in seinen Armen liegen zu können, ihn halten zu können.
Trotzdem versuchte Rose gerade noch immer, ihre Gedanken zu ordnen. „Du hast recht", entkam es ihr mit leicht zittriger Stimme. „Ich halte dich für einen Mörder." Als sie aufblickte sah er weg. Es sie sagen zu hören tat weh. „Und vielleicht verstehe ich deine Gründe nicht." Sie schluckte schwer als ihre Sicht verschwamm. „Aber ich habe auch gesehen, dass du kein schlechter Mensch bist, Jacob." Sie legte den Kopf schief und hob mit zitternder Hand diese, strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn, ehe er ruckartig zu ihr zurückblickte. „Wenn es das ist, wofür du kämpfst, dann werde ich dem nicht im Wege stehen." In den braunen Augen des Mannes erkannte die siebzehnjährige eine Erleichterung, der sie nicht entgegenblicken wollte.
Jacobs Herz machte einen Satz als er diese Worte aus dem Mund der jungen Frau hörte.
Er wusste zunächst nicht, wieso es ihm so wichtig war, dass sie es akzeptierte. Vielleicht weil sie die erste Person war, die er in sein Leben gelassen hatte. Jacob hatte sich gegenüber ihr offen gezeigt – verletzlich.
„Immerhin kann ich dir vertrauen... glaube ich", zitierte Rose das Mädchen von vor einer Woche, dass sie gewesen war.
„Ich versichere dir, dass du nichts zu befürchten hast", entgegnete er ruhig. „Wir Assassinen folgen einem Kredo... und eigentlich dürfte ich dir nichts davon erzählen", versicherte er der jungen Frau und verzog die Miene.
Roses grüne Augen blickten den Assassinen fragend an. „Wieso tust du es dann?" Sie verstand nicht, wieso er ihr es erzählte, wenn er es nicht durfte.
Jacob schluckte, sah schnell zu Boden und dann wieder in ihre Augen. „Weil ich dir vertraue, Rose", gestand er ihr. „Wenn ich ehrlich sein darf, würde ich dir mein Leben anvertrauen", gab er zu und beugte sich ein wenig vor. Er wollte nochmal ihre Lippen spüren, so wie er es zuvor schon mal hatte. Und das so sehr. Die Lüge, die Scham, die ihn in dieser Nacht zu einer Tat gebracht hatte, würde eine seiner liebsten Erinnerungen.
Er hatte Hoffnung, dass sich die Stimmung langsam wieder auflockern würde, doch als er den Blick in ihre Augen suchte, erkannte er Wut, was ihn wieder verwirrte.
Rose ging die Woche nochmal Revue durch und blieb zu schnell an dem Bild hängen, dass sich ihr geboten hatte, bevor sie kläglich um ihr Leben gerannt war. Jacob, wie er eine andere liebte.
„Du bist sauer", sagte er ruhig.
„Womöglich." Rose brach den Blickkontakt. „Ist sie... ist sie die richtige?" Rose schluckte, konnte sich nicht stoppen, ihm diese persönliche Frage zu stellen.
„Wer?" Jacob legte den Kopf schief.
„Die Frau", sagte sie leise. „Vor dem One Tun Pub."
Jacobs Augenbrauen hoben sich. Diese Szenerie hatte er schon vollkommen in den Hintergrund seines Kopfes gedrängt.
„Nein." Er schüttelte leicht den Kopf. „Das könnte sie nicht", stellte er klar, ehe er sich auf die Zunge biss, weil er wusste, dies war hier vielleicht seine einzige Chance, es wiedergutzumachen und die Karten auf den Tisch zu legen. „Ich hab mein Herz bereits verschenkt."
Er schluckte und Rose sah hinunter auf ihre Hände, die sich ineinanderknobelten. Sie kniff die Augen zusammen, versuchte den Druck dahinter zu unterdrücken.
„Sie kann sich glücklich schätzen... glaube ich." Rose wusste nicht, wie sie es schaffte, sich zu einem Lächeln durchzuringen und Jacob schrie sie innerlich an, dass verdammt nochmal er sich wirklich glücklich schätzen konnte – doch es kam ihm einfach nicht über die Lippen.
Er zog eine Augenbrauen fragend hoch, betrachtete die Frau ihm gegenüber, nach der er nur eine Hand leicht ausstrecken bräuchte, um sie zu berühren.
Rose schüttelte ihren Kopf und seufzte schwer, nahm endgültig Abstand von ihm und lief um ihn herum.
„Entschuldige mich." Die junge Frau rieb sich leicht über den Arm, kniff, ihm den Rücken zugewandt, die Augen erneut zusammen.
Sie zuckte zurück als Jacob sich umdrehte und sie am Ellenbogen fasste.
„Nein, Jacob." Er zuckte zurück, ließ sie los. „Ich brauche Ruhe", gestand sie kurzerhand ein und nahm einen Ausweg aus dieser Konversation. „Um das zu verarbeiten, was ich heute gesehen habe", entkam es ihr, während sie noch ein Stück zurückwich.
Jacob zögerte einen Moment, bevor er seufzte und ihr zustimmte.
Sie hatte recht. So viel Blut wie heute hatte sie wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben nicht gesehen. Und er hatte gerade gestanden, in sie verliebt zu sein – ob sie nun realisiert hatte, dass sie es war oder nicht, spielte dabei wohl keine große Rolle.
„Ich verstehe." Er schlug den Blick nieder. „Bitte gib Bescheid, wenn du irgendetwas benötigst oder ich etwas tun kann." Er atmete tief ein, sah zu, wie sie auf die Tür des Wagons zuging, um das Abteil zu verlassen.
„Rose?", ertönte seine raue Stimme sehr hastig und sie schluckte, hielt mit der Hand auf der Klinke inne. Als sie zurückblickte hatte der Attentäter rote Wangen. „Ich wollte dich in keine kompromittierende Situation bringen, bitte entschuldige."
Sie nickte einmal, sah kurz auf seine Schulter, an der sein Ledermantel gerissen war. „Danke für die Rettung, Jacob", sprach sie leise aus und eine leichte Rötung schlich sich ebenfalls auf ihre Wangen.
„Gern geschehen, Rose." Dann drückte sie die Klinke herunter, öffnete die Tür und verließ seinen Wagon.
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Datum der Veröffentlichung: 21.02.2022 17:58 Uhr
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