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Five

Five

Abberline war erleichtert als er das leichte Lächeln auf Jacobs Gesicht erblickte.

Vor zwei Nächten sah er noch so blass aus. Man hätte denken können, er würde an der Fleischwunde sterben. Das hatte dem Polizisten Sorgen bereitet.

Wenn der Sergeant es zugeben würde, dann hatte er sich um seinen Freund gesorgt. Aber dies würde er ihm nicht sagen. Es wäre zu viel des Guten.

„Also? Wie kann ich helfen?", fragte der Polizist und hob eine Augenbraue, blickte zu Miss Dupont, deren offenes Haar in sanften Wellen hinunter auf ihre Schulter fiel und ihr Dekolleté in dem Korsett ihres Kleids herausragend in Stellung brachte. Selbst Abberline übersah dies nicht – und wäre er ihr Vater, würde er seine Tochter nicht so herumlaufen lassen. Sie würde zum Fantasieobjekt jedes Mannes. Jung, hübsch, gut gekleidet und gut erzogen.

Rose – die gerade Jacobs Wunde noch einmal versorgt hatte – sah den Sergeant an und lächelte sanft, legte den feuchten Lappen beiseite.

„Nun, wir brauchen eine neue Bleibe", erklärte Rose ihm sofort und Jacob hielt in der Bewegung inne, der Mund blieb geöffnet.

Da hatte Rose ihm glatt das Wort abgeschnitten, noch bevor er sprechen konnte. Das war ihm ja noch nie passiert – außer Evie war im Raum.

„Eins in dem wir sicher sind", fügte sie ruhig hinzu und schaute zu Jacob, der seinen Mund schloss und zustimmend nickte.

„Verzeihen Sie, Miss Dupont." Der Polizist räusperte sich lautstark und kratze sich an seinem Bart. „Ich sehe nicht, wie ich Ihnen dabei helfen könnte." Er zuckte leicht mit seinen Schultern.

Er war keiner der Wohnungen vermittelte.

„Wie? Du bist kein wohnungsvermittelnder Polizist?" Abberline schaute resigniert drein und zu dem jungen Assassinen hinab auf seinem Bett.

„Jacob", nannte er ihn beim Namen.

„So heiße ich?" Jacob begann zu grinsen. Er hatte das Gefühl, er müsste sich die Kontrolle in dieser Situation zurückholen.

Doch er hätte es wissen müssen. Auch wenn Frederick ein guter Freund war, so viel konnte auch Jacob nicht von ihm verlangen. Er hatte es allerdings versuchen müssen – um Roses Willen.

Innerlich kämpfte Jacob mit dem Gefühl, dass sie in Sicherheit sein musste. Denn dabei gab es ein Problem – für ihn. Ihm war bewusst, dass dies bedeuten würde, dass sie ihn verlassen müsste. Dazu war er nicht bereit. Er fing gerade an, sie besser kennenzulernen und dies empfand er als spannend. Spannender als die letzten Monate. Er mochte Roses Gesellschaft und wollte mehr davon. Es fühlte sich alles nach einem großen „Muss" an. Als brauchte er sie immer mehr – selbst mehr als das Atmen im Moment.

Jacob wollte es nicht zugeben, doch seit Evie und Greenie fort waren, fühlte er sich einsam und oft allein. Die Rooks gaben zwar gute Gesellschaft ab, aber es war nichts im Vergleich zu dem, was er verspürte, wenn Rose in den letzten Tagen bei ihm gewesen war.

„Nun, wenn ich ehrlich sein darf", fing Abberline an und blickte beide mit einer ernsten Miene an. „Es wundert mich, dass Ihre Eltern Sie so kurz vor der Hochzeit zu Ihrem Verlobten gelassen haben."

„Es war in der Vereinbarung der meines Vaters und Darens beschlossen." Rose wurde rot um die Wangen als sie sofort bemerkte, den Mann unterbrochen zu haben. „Es tut mir leid." Sie schlug den Blick nieder.

Abberline runzelte die Stirn. „Vielleicht sollten wir sie benachrichtigen", schlug der ältere Mann nun ruhig vor. „Ihre Schwester Elisé wurde vor drei Monaten als vermisst gemeldet. Ihr letzter Stand war gewesen, dass sie Sie in London besuchen wollte." Rose nickte, blieb stumm und wartete darauf, dass der Herr vor ihr zu Ende sprechen würde. „Ich denke, sie hätten es verdient, so schnell wie möglich in Kenntnis gesetzt zu werden."

„Natür-"

„Noch nicht." Rose schloss ihren Mund. Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer. Und so blickte sie neben sich zum jungen Mann, der sich aufsetzte.

Ihre Augenbrauen zogen sich die Stirn hinauf.

Abberline runzelte angesichts der Art von Panik in den Augen des Attentäters die Stirn. Er wusste dass er nicht ein Sterbenswörtchen über die Arbeit der Assassinen verlieren dürfte, doch dies hatte er doch nicht vorgehabt. Was hatte er also nun Falsches von sich gegeben?

„Natürlich, ohne zu erwähnen, was Jacob für eine Rolle gespielt-"

„Nein", wiederholte sich Jacob, fasste sich an seine Brust und kratzte ein klein wenig an der Schusswunde. Roses Augenbrauen waren noch immer erhoben.

„Inwiefern meinen Sie dies?" Jacob war verwundert, dass Rose in Angesicht eines Menschen der Öffentlichkeit Jacob siezte. Dies missfiel ihm ein wenig, stellte er fest.

„Wie wäre es, wenn du noch ein wenig hierbleibst?" Jacob drehte seinen Kopf und Roses Kopf rauschte vor Überraschung.

Er wollte sie bei sich halten? Er... wollte eine Frau hier im Zug bei sich lassen? Sie?

„Ich weiß nicht", gab Rose zögernd von sich und legte ihre Hände im Schoß ab. „Ist das denn jetzt noch nötig?", entkam es ihr nun. Sie kannte ihre Eltern zu gut. Sie würden mehr als enttäuscht sein, würden sie erfahren, Rose hätte ihnen später geschrieben als so schnell wie möglich. Ihre Befürchtung, sie würden Rose nicht zurücknehmen, hatte sie auch noch. Denn sie war eine Dame im heiratsfähigen Alter. Ihr Vater würde sie fortschicken, eine neue Vereinbarung mit jemand ihr fremden treffen.

„Ich meine, für meine Schwester wäre es das Beste, Mr. Frye." Sie schüttelte den Kopf, zog ihre Hand als eine Art Reflex zurück als er seine Hand auf ihre legen wollte.

Abberline sah auf ihre Hände, sah danach sofort seinen jungen Freund an.

Rose blickte in Jacobs braune Augen, versuchte um Verständnis zu bitten. „Meine Eltern müssen vor Sorge fast umkommen", erklärte sie Jacob. „Man sollte Ihnen so-"

„Dann gibt man ihnen eben Bescheid", schnitt Jacob ihr das Wort ab und Rose lief rot an. Sein Ton klang distanziert, hart und endgültig. „Es wird in jeder Hinsicht dauern." Er sah zu Abberline. „Bis dahin nimmst du sie und ihre Schwester entweder unter Aufsicht und schaffst sie an einen sicheren Ort oder sie bleiben beide hier."

Bisher hatten Jacobs braune Augen auf Rose beruhigend gewirkt – was sie gemocht hatte. Jacob hatte keine Ahnung, wie er auf sie wirkte. Er war anders. In ihren Augen hatte er nicht wie ein Ganganführer gewirkt. Jetzt, in diesem kalten Ton und mit der Härte auf seinen Wangen, der erloschenen Wärme in seinen Augen sah sie es, den knallharten Kriminellen, der Londons gefürchtetste Gang führte.

„Jacob." Abberlines Ton war mahnend, doch gegen das Gefühl der Zurückweisung, das sich in Jacob breitmachte, konnte er nichts unternehmen.

Jacob wusste nicht, woher dieses Gefühl kam, doch er verspürte es. Und seine Laune litt darunter.

„Es dauert doch sowieso", wiederholte der Attentäter, sah Abberline eindeutig an.

Er hoffte auf seine Zustimmung.

„Nun, so lange auch wieder nicht", entgegnete der Polizist.

Das war nicht das, was Jacob hören wollte.

„Ich bin mir sicher, dass du noch Sachen hast, die du aus dem Haus holen möchtest." Er wich aus und drehte seinen Kopf, sah Rose an.

Sein Blick brannte sich in ihre grünen Augen und für einen Moment verschlug es ihr die Sprache.

„Mr. Frye hat nicht ganz unrecht." Rose knickte ein. Vielleicht... vielleicht konnte man ihre nun geschenkte Zeit damit entschuldigen, dass ihre Schwester und sie nirgends sonst hinkonnten und es dauerte, bis man ihre Eltern informierte. „Ich habe dort zumindest ein paar Sachen, die ich wiederhaben möchte." Roses sanfte Stimme war im Verlauf leiser geworden – unsicherer. Sie hatte Jacob noch nie so kalt erlebt. Nicht während des Pubkampfs, noch während er mit ihr zusammen war.

Jacob wollte Rose in keinster Weise zu etwas zwingen, was sie nicht mochte. Also ruderte er mit seiner Aussage zurück. „Freddie, du solltest zumindest noch eine andere Bleibe für die beiden Schwestern ausfindig machen." Er wandte den Blick von der jungen Frau ab, schluckte und unterdrückte seine Schmerzen beim Aufstehen.

„Jetzt bin ich verwirrt." Abberline hob beide Augenbrauen. „Kannst du dich entscheiden?"

Jacob zog die Stirn in Falten. „Meinetwegen, tu was du nicht lassen kannst." Er seufzte tief. „Entweder geht sie oder bleibt, wie es dir beliebt, Herr Officer."

„Jacob", mahnte Abberline ihn und hob die Hand als Jacob zu seiner Kommode lief und seinen liebsten Whiskey ergriff, ihn in ein genutztes Glas schüttete. „Du solltest nicht trinken."

„Es ist nach vier, oder?" Jacobs Mundwinkel zuckten und er tauchte seinen Finger ins Glas, ehe er ihn auf seine Wunder drückte, die Augen zusammenkniff und tief durchatmete. „Es ist zur Desinfektion, Freddie."

Rose sah die Rückenmuskeln Jacobs an, atmete selbst leise aber tief durch.

„Ich würde gern hier verweilen." Sie nahm all ihren Mut zusammen, um ihr Bedürfnis zu äußern. Denn sie hatte Angst vor Ablehnung.

Jacob hielt in der Bewegung inne bevor er über seine Schulter blickte, das junge Mädchen auf seinem Bett anblickte.

Hätte sie doch nur weniger an und wäre Abberline nicht da. Jacob wusste genau, warum er angefressen war. Er war geil. Er war scharf auf sie. Aber ein Rätsel seinerseits war es, warum ihre Ablehnung ihn so traf.

„Ich denke... eine Woche sollte in Ordnung sein." Abberline war mächtig verwirrt, von den beiden jungen Menschen vor ihm. „Und Sie und Ihre Schwester hierzubehalten, könnte das sicherste sein, was ich momentan bieten kann." Rose atmete tief ein. „Dadurch das dieses Versteck stets in Bewegung ist, wird es schwieriger sein, Sie ausfindig zu machen. Nur für den Fall, dass Mr. Pitsbur Kontakt zur Außenwelt haben sollte", meinte der Polizist und musterte die beiden Personen vor ihm eine Sekunde lang genauer.

Jacob sah zu Rose, drehte sich um und lehnte sich an seine Kommode an. Er legte den Kopf schief, stellte sich einen Moment vor, wie es wäre, würde sie nicht aus gutem Hause stammen. Hätte sie keine Erwartungen an die Gesellschaft und ihre Zukunft. Jacob hätte seine Chancen schneller genutzt, sie mit seinem Charme schneller umgarnt, als Rose je hätte bis zehn zählen können.

„Nun zu Ihren Sachen, Miss Dupont." Der Polizist meldete sich wieder zu Wort. „Ich möchte erwähnen, dass es vielleicht nicht so einfach wird, diese wiederzubeschaffen."

Rose wusste ungefähr, was Abberline damit meinte. Es ging nicht darum, dass es ihre Sachen waren, sondern wo sie sich befanden. Im Haus ihres Exverlobten, welches im Familienbesitz dessen Familie war.

„Kannst du da nichts machen, Freddie?", erkundigte Jacob sich. Er wollte Rose trotz seiner Stimmungsschwankungen in ihrer Gegenwart helfen – mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen.

„Das Haus ist seit vielen Jahren im Besitz der Familie Pitsbur. Die Familie hat noch immer einen Anspruch darauf. Auch wenn sich Mr. Pitsbur im Gefängnis befindet", erläuterte der ältere Mann und strich sich nachdenklich über seinen Bart.

„Was aber wäre, wenn man unbemerkt-" Jacob wollte nichts Böses, doch er verstummte bei dem Blick, den er von Frederick zugeworfen bekam.

„Nein, denk nicht mal daran, Jacob. Du hast Glück, dass ich dich gedeckt habe als deine Jungs ihre Schwester aus dem Haus holten", rief Abberline ihm in Erinnerung und auch Rose blickte ihn erst verwirrt, dann aber mit leichtem Entsetzen an.

„Was soll ich sagen?" Jacob hob leicht die Hände. „Es musste schnell gehen und Spuren haben wir kaum welche hinterlassen."

Rose war fassungslos. Sie hatte angenommen, Jacob und seine Gang hätten mit der Polizei zusammen daran gearbeitet, ihre Schwester zu befreien. Dass es ein illegaler Akt gewesen war, überraschte sie tatsächlich.

Abberline atmete tief ein. „Es wird nicht in das Haus eingedrungen, Frye", stellte er ein letztes Mal klar.

Rose schüttelte ungläubig den Kopf. Dieser Mann war unglaublich.

Sie wusste, selbst wenn sich ihre Wege eines Tages trennen würden, könnte sie Jacob Frye niemals vergessen. Dafür hatte er bereits einen zu großen Eindruck hinterlassen, sowohl in positiver als auch negativer Natur.


Rose schluckte, sah aufs dreckige Geschirr.

„Kann ich helfen?" Sie hob den Blick, blickte einem schwarzhaarigen älteren Mann entgegen.

„Entschuldigung." Sie legte ihre Hände aneinander. „Ich suche sauberes Geschirr", gestand sie.

Er deutete mit dem Zeigefinger neben sie, auf einen hochhängenden Schrank. „Nur zu."

Seine Augenbraue wanderte hoch als Rose sich dem Schrank zuwandte, sich auf ihre Zehenspitzen stellte und versuchte, einen sauberen Teller herauszuholen.

Leichter hätte sie ihm das nicht machen können, ihren Hintern zu betrachten.

Jacob, der gerade mit neuem dreckigen Geschirr aus seinem Wagon hinübergelaufen kam, hob beide Augenbrauen und hielt inne.

Das erste, was seine Augen anzog, war natürlich Roses Hintern, der unter ihrem Reifrock besinnlich zur Schau gestellt wurde, da sie ihre Taille so weit über die Anrichte lehnte, um auf Zehenspitzen an saubere Teller zu gelangen.

Das zweite, was seine Augen in Sicht nahmen, war Ralph, der sich gegen den Türrahmen zum Gemeinschaftswagon gelehnt hatte und Rose betrachtete.

Sein Puls wurde schneller und er ließ die Hand mit dreckigem Geschirr sinken, bevor er sich sehr laut räusperte.

Rose ließ sich zurück auf ihre Fersen sinken und drehte ihren Kopf, sah Jacob überrascht an.

„Mr. Frye", gab sie von sich.

„Miss Dupont." Er presste die Lippen zusammen, taxierte Ralph mit einem Blick.

„Boss." Ralph nickte, blieb entspannt im Türrahmen stehen.

„Ralph." Jacob knurrte seinen Namen beinahe erzürnt. „Geh zurück zu den Jungs." Er hob beide Augenbrauen. „Sammle die meisten zusammen, ich habe was zu sagen."

Ralph nickte wortlos und drehte sich dann um.

Rose runzelte ihre Stirn, sah Jacob nach ein paar Sekunden näherkommen. „Bindest du deine Korsetts immer so eng?" Er drehte ihre den Rücken zu als er sich zur Spüle wandte und sie blickte auf ihre Taille, die detailliert hervorstach.

„Daren mochte es so", gestand sie.

„Du solltest nichts tun, nur weil es einem Mann gefällt", stellte er trocken klar, lehnte sich gegens Geschirr und drehte sich zu ihr um, verschränkte seine Arme vor der Brust. „Ich denke, wir müssen reden."

Rose legte ihre Hände wieder aneinander. „Ja?"

„Solange du hierbleibst", fing Jacob an und fuhr sich durch sein Haar. „Was möchtest du machen?"

Rose blickte ihn überrascht an. Sie hatte gedacht, er würde nun Regeln aussprechen, die sie einzuhalten hatte.

Ihre Mundwinkel zogen sich nach oben.

Noch nie wurde sie von einem Mann gefragt, was sie machen wollte. Das war sehr aufmerksam von Jacob – und völlig neu für sie.

„Ich weiß nicht." Sie zuckte ganz leicht mit ihren Schultern. „Was machst du denn normalerweise so?"

Jacob überlegte einen Moment, dachte darüber nach, was er machte. Das konnte er ihr nicht sagen. Denn sein Leben war jeden Tag aufs Neue eine Überraschung.

„Nun, meist plane ich nichts", erzählte er ihr. „Meist passieren die Situationen und ich bin mitten drin", erläuterte er. Es war verrückt. Er fühlte sich so wohl bei ihr – es war fast, als ob er ihr alles anvertrauen könnte.

„Wie das Retten von Damen in Nöten?" Rose neckte ihn und kicherte als sich dementsprechend sein Gesichtsausdruck zeigte.

„Wenn sie hübsch sind", konterte er und zog einen Mundwinkel nach oben, tippte sich mit dem Zeigefinger auf den Arm.

Rose verstummte, eine leichte Röte überzog ihre Wangen und verlegen strich sie sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr.

Er fand sie hübsch?

Rose wurde nun noch neugieriger über diesen Mann, der ihr in so vielerlei Hinsicht noch ein Rätsel war. Sie sollte ihn fragen.

„Also behauptest du, dass ich hübsch bin, ja?"

Sie glaubte sich fast zu irren, doch erkannte letztendlich die leichte Rötung, die sich auf die Wangen des Assassinen stahl. Anscheinend hatte sie ihm dieses Geständnis unüberlegt entlockt.

„Ich kann zumindest nicht sagen, dass du nicht hübsch bist", erklärte Jacob und befeuchtete seine Lippen mit der Zunge, wanderte kurz Roses Körper mit seinen Augen hinab, versuchte an keinen bestimmten Merkmalen hängenzubleiben. Nicht an ihren Kurven, nicht an ihren Brüsten oder ihren Haaren.

Er hätte sich gerade selbst ohrfeigen können. Wieso war er rot geworden? Sonst wirkte er einer Frau gegenüber nicht so. Verlegen, peinlich berührt.

Jacob war, was das anging, ein wahrer Teufel. Charmant und immer den richtigen Spruch auf seinen manchmal sehr frechen Lippen.

Aber nun? Er benahm sich in seinen Augen wie der Teenager, der er mal war.

„Hat es dem berühmten Jacob Frye womöglich die Sprache verschlagen?" Rose lachte, während sie sich abwandte und ihm einen frechen Blick zuwarf.

Jacob war beeindruckt, sie überraschte ihn immer wieder.

In einer Sekunde wirkte sie wie ein unschuldiger Engel. Im nächsten Moment konnte sie sich in einen kleinen Dämon verwandeln.

Ob es an ihm lag? Veränderte er sie in der kurzen Zeit bereits?

Denn sie sollte nicht mit ihm flirten und ihm sagte etwas, dass sie ganz genau wusste, was sie da gerade tat, denn er könnte auf eine Runde Freibier für alle Rooks schwören, dass sie gerade ihre Hüfte ein wenig stärker schwang und ihm ihren Hintern im Licht zur Schau stellte.

Wenn es so war, musste er aufpassen. Er wollte sie nicht verderben.

Der Assassine wusste um seinen Ruf – als Rookanführer. Und ihm war auch bewusst, dass die Gerüchte nur so kochen würden, ließe er sich mit so einer feinen Dame blicken.

„Wie wäre es, wenn wir dir etwas angenehmere Kleindung verschaffen?" Rose hielt inne, drehte sich zu ihm wieder um. Er blickte auf ihre Füße. „Deine Füße müssen bestimmt schmerzen." Jacob deutet auf die Absatzschuhe, die Rose noch immer trug.

Er hatte noch nie verstanden, wieso Frauen solch Schuhe trugen. Dies musste doch Schmerzen des Jenseits hervorrufen.

„Hast du denn passende Kleidung hier?" Sie sah zum Fenster einen Moment hinaus. „Sonst müssten wir vielleicht... erst meine Sachen aus dem Haus schaffen."

Sie erkundigte sich, obwohl sie sich die Antwort bereits denken konnte.

„Nein." Jacob schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, da müssen wir wohl in die Stadt gehen." Er richtete sich mit einem tiefen Atemzug auf und achtete darauf, nicht zu viel Druck auf seine Wunde auszuüben.

„Die Stadt?" Rose war verwirrt.

„Ja, ich sprach immerhin von passender Kleidung." Seine Mundwinkel zuckten. „Du passt hier so keineswegs rein, Rose." Sie war noch immer verwirrt.

„Doch was ist mit Elisé? Wir können sie schlecht hierlassen, oder?", fragte Rose, während sie Jacob zusah, wie er sich eine Hand auf die Stelle seiner Wunde legte, den Stoff darüber glattstrich.

Ihr Herz klopfte noch schneller, sie konnte es kaum fassen.

Alleine eine Bewegung dieses Mannes machte sie... schwach.

Hatte ihre Schwester recht? Verknallte sie sich gerade in Jacob Frye? Einen Mann, der das genaue Gegenteil von dem war, was sie später heiraten musste?

„Geh du schon mal und schau nach ihr." Er deutete hinter sich, zum Gemeinschaftswagon. „Ich sollte mir etwas mehr Kleidung anziehen." Er deutete auf sein offenes Hemd. Draußen sollte er nicht so herumlaufen. Es wäre zwar nicht das erste Mal, dass er nur halb bekleidet durch London lief, aber ein zweites Mal musste man nicht herausfordern.

„In Ordnung." Rose nickte, strich ihren Rock glatt. „Lass dir Zeit, du bist immer noch verletzt", meinte die junge Frau mit ihrer zarten Stimme. Er schenkte ihr ein Lächeln, bevor sie durch die Wagontür verschwand, um nach ihrer Schwester zusehen.

Rose musste nicht lange suchen, um ihre Schwester zu finden.

Das Bild, welches sich ihr bot, wirkte auf sie befremdlich – doch auf eine schöne Art und Weise.

Elisé saß gesittet und vornehm, wie man es ihnen beigebracht hatte, auf der Couch, während Rico – einer von Jacobs Jungs – ihr gegenüber saß und auf Karten deutete.

„Wenn du einen König und einen Buben auf der Hand hast, kann man dich kaum noch schlagen", erklärte Rico ihr mit seiner tiefen Stimme ruhig.

Anscheinend zeigte er dem jungen Mädchen ein Kartenspiel. Rose hätte gerne erfahren, welches es war.

„Außer jemand hat einen König und ein Ass auf der Hand." Er legte ihrer kleinen Schwester weitere Karten hin und Elisé verfolgte seine Bewegungen mit Begeisterung genau.

„Das ist faszinierend." Sie nickte, strich sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. „Können wir eine Runde spielen?", fragte sie als nächstes den älteren Mann.

Dieser lachte und blickte dann zu Rose auf, dessen Anwesenheit er aus dem Augenwinkel bemerkt hatte.

„Nun, ich sehe, dir geht es gut." Elisé drehte ihren Oberkörper und Kopf, um ihre Schwester ansehen zu können. „Mr. Frye und ich möchten in die Stadt." Rose lächelte ihre Schwester an, ging auf sie zu.

„Darf ich hier verweilen?", fragte sie sofort und schob zum Fragen leicht ihre Unterlippe vor. „Rico und ich wollten Vingt et Un spielen."

Rose legte den Kopf schief. „Vingt et Un?"

„Das ist ein Kartenspiel aus dem Pub", erklärte Rico. „Wir spielen selbstverständlich ohne Einsatz." Er nickte der Dame zu.

Sie nickte und lächelt den Rook verhalten an. Er saß noch immer gemütlich auf der Couch. „Wenn das für Sie in Ordnung ist."

Bei diesem Satz nickte Rico sofort. „Keine Sorge, machen Sie sich einen schönen Tag mit dem Boss. Sie ist bei mir gut aufgehoben." Er deutete auf Elisé, die ihn breit anlächelte. Das war es, was Rose sehen wollte, als sie einen Brief bekam, Elisé würde sie in London besuchen kommen – nicht all der Schmerz und die Angst, die folgte.

Der Rook begann, die Karten wieder ordentlich zusammenzulegen.

„Außerdem wird es womöglich das Beste für Elisé sein, sich noch ein wenig mehr auszuruhen. Es war eine anstrengende Zeit für sie", meinte er sanft und fing an die Karten durchzumischen.

Ihre Schwester so zu sehen, machte Rose froh. Immerhin war einer von ihnen glücklich, zumindest für diesen Moment.

Jacob streckte den Kopf in den Wagon und lächelte, betrachtete Roses Rücken, der sich geradegerichtet vor ihm befand.

Der erste Gedanke, der ihn durchfuhr, war, wie er ihn krümmen würde. Er schüttelte diesen Gedanken sofort wieder ab.

Eben noch hatte er sich beim Anziehen ermahnt, nicht länger so über sie zu denken. Sie war eine Dame, sie verdiente es, auch so stetig behandelt zu werden, nachdem wie ihr zugespielt wurde.

„Also ich wäre soweit." Rose wandte sich sofort um. „Wie sieht es mit den Damen aus?" Ein breites Grinsen zierte das Gesicht des Anführers als er die Karten erblickte. Jetzt eine Runde Poker zu spielen wäre auch sehr verlockend.

Jacobs Gedanken wanderten erneut ab, in eine unsittliche Richtung. Strip Poker, wie er von seinen Jungs gehört hatte, wurde es neuerdings genannt – und in den Bordellen dieser Stadt gespielt.

Er sah, wie er und Rose es spielten, verspürte das Ziehen in seiner Lendengegend.

Jacob atmete tief ein, schloss für einen langen Moment seine Augen und lehnte sich am Türrahmen an, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Nein, auf keinen Fall und unter keinerlei Umständen würde er jemals mit Rose Strip Poker zu seinem Vergnügen spielen.

„Ich komme." Jacob presste die Lippen zusammen, atmete erneut tief ein. „Elisé bleibt hier mit...?" Sie deutete auf den Rook. Sie hatte bisher noch nicht nach dem Namen des Mannes gefragt.

„Rico, Miss Dupont", entgegneter er mit seiner tiefen Stimme.

„Keine Sorge, Rico kann wirklich fabelhaft mit Kinder umgehen." Jacob lachte über seinen ironischen Eigenwitz – denn in Wahrheit hatte er nicht mal die leiseste Ahnung, ob einer seiner Jungs überhaupt schon mal mit einem Kind interagiert hatten.

Rose runzelte ihre Stirn, ehe Jacob ihr seine Hand anbot. Die junge Frau zögerte einen Moment und blickte auf die Hand des jungen Mannes.

Sie spürte ihr Herz klopfen als sie ihre Hand langsam in die Hand des Attentäters legte.

Ein warmes Gefühl stieg in ihrem Bauch auf – und es gefiel ihr ungemein.

„Sollen wir?", fragte Jacob mit seiner tiefen Stimme.

Diese Stimme... es war zum verrückt werden, dachte Rose.

Einfach alles an diesem Mann wirkte von einem auf den anderen Moment so anders.

Rose konnte es immer noch nicht fassen, welchen Einfluss er auf sie – und vor allem ihren Körper – hatte. Wann hatte sich dieser Schalter in ihr umgelegt und beschlossen, ihn zu mögen? In der Kutsche? Als er nach ihr schauen gegangen war, obwohl sie abgehauen war?

„Dann lass uns losgehen", erwiderte sie leise und verließ zusammen mit Jacob den Zug, während Elisé ihrer Schwester nachsah.

Sobald sie außer Hörweite waren, sah sie zum Rook auf. „Hast du das auch gesehen?", wisperte sie laut.

Rico schmunzelte in sich hinein, ließ ihre Frage unbeantwortet und tippte mit den Fingern auf ihre verdeckten Karten.

Natürlich hatte er es gesehen.


Die Stadt wirkte zum ersten Mal so frei für Rose. Es war seltsam. Jacob teilte ihr schon in der Kutsche mit, sie dürfte entscheiden wohin sie wollte.

Noch nie hatte ein Mann sie das gefragt.

Natürlich war es ihr in ihrem Heimatort erlaubt gewesen, frei herumzulaufen und das Haus zu verlassen – ihr Vater war liebevoll und fürsorglich – aber seit London, seit einem halben Jahr, hatte sich so viel in ihrem Leben geändert. Und Rose wusste schon gar nicht mehr, wie es sich anfühlte, frei das Haus verlassen zu dürfen.

Jacobs Mundwinkel zuckten als er Rose die Hand hinhielt, damit sie aus der Kutsche steigen konnte.

Ihre Augen wanderten in der Innenstadt zu so vielen Merkmalen zugleich und wollten alles auffassen – es gefiel ihm, dass sie das große Ganze in Blick nahm.

„Könnten wir später vielleicht in die Bäckerei da vorne?" Rose deutete die Straße hinab, faltete ihre Hände zusammen und wartete darauf, dass Jacob sich in Bewegung setzte, um ihm zu folgen.

Er legte den Kopf schief, sah kurz zum Kutschbock hinauf.

„Wir finden später allein zurück", sagte er seinem Rook und dieser nickte seufzend, fuhr fort.

Rose widerstand dem Drang, der Kutsche nachzublicken, sah Jacob weiterhin ins Gesicht.

„Wir können hin, wohin du möchtest, wenn wir fertig sind." Jacob nickte, befeuchtete seine Lippen mit der Zunge.

„Und wohin gehen wir denn?", erkundigte sich Rose und ihrem Begleiter entwich ein entspanntes Lachen, während er sich in Bewegung setzte und Rose auf Schritt und Tritt folgte.

„Oh, dir wird der Laden nichts sagen." Er schüttelte den Kopf. „Er ist etwas unscheinbar", fügte Jacob hinzu und biss sich leicht auf die Lippe.

Er wusste, dass Rose anderes gewohnt war – viel besseres. Aber er konnte ihr nun mal nicht mehr bieten - und es hinterließ einen bitteren Geschmack auf seiner Zunge. Gerne würde er ihr das geben, was sie verdient. Doch dies lag nicht in seinem Repertoire.

„Oh, nun... dann sollte ich etwas Neues ausprobieren." Sie lächelte ihm zu.

Jacob hatte keine Ahnung, dass Rose dies ehrlich meinte und gespannt darauf war. Denn sie wollte nicht, das was sie bereits kannte. Für eine Woche konnte sie jemand sein, der völlig anders war – das war in ihren Augen aufregend.

Rose war nur über eine Angelegenheit noch immer überrascht. Seit langem hatte sie nicht mehr so viel gelächelt. Sie fragte sich, ob es an Jacob lag. Viele würden ihn verurteilen, bevor sie ihn richtig kannten. Auch Rose hatte es getan. Doch kannte sie Jacob Frye denn wirklich?

Er hatte ihr etwas von seinem Leben erzählt, ja, dennoch legte das damit nicht seinen ganzen Charakter offen – oder seine Absichten, die ihr noch immer schwammig waren.

Sie fragte sich ganz einfach noch immer, wer sich hinter dem Bild des Ganganführers verbarg.

Nach einer Weile erreichten sie einen kleinen Laden, der ein wenig abseits der Hauptstraße lag. Rose zögerte einen Moment, denn Jacob hatte recht behalten. Sie kannte diesen Laden nicht. Er wirkte fast wie einer dieser vielen Kneipen – nur nicht so gut besucht. Man konnte kaum durch die milchigen Fenster blicken.

War dieses Geschäft überhaupt geöffnet?

„Ich weiß, es ist nicht das, was du kennst." Jacob seufzte. „Aber mehr kann ich dir im Moment nicht bieten." Der junge Mann zog leicht seine Augenbrauen zusammen. Würde er ihr überhaupt je mehr bieten können?

Rose ließ ihn gar nicht erst trübselig werden, ergriff seine Hände und drückte sie.

Er hob seine Augenbrauen gleich wieder, sah sie an.

„Schon in Ordnung, Jacob", sagte sie ihm. „Es wird für mich reichen." Ihre zarte Stimme schloss sich um Jacobs Herz und es machte einen Hüpfer, während er stark mit sich rang, sich nicht vorzubeugen und sie zu küssen.

Der Drang, sie für sich zu beanspruchen, war noch stärker als heute früh.

„Gut." Er blinzelte, schüttelte leicht den Kopf und löste ruckartig seine Hände aus ihren.

Sie sah auf ihre Hände hinunter, war verwirrt.

Rose hatte eben nicht richtig gehandelt, war es dies?

„Sollen wir dann?" Jacob deutete auf die schon etwas morsche Tür. Rose nickte nur und ließ dem Assassinen den Vortritt.

Die Tür gab ein quietschen von sich als er sie öffnete und den kleinen Laden betrat.

„Mary-Ann?" Jacob sah zum kleinen Tresen, der mittlerweile neue Farbe vertragen könnte. „Bist du da?", rief er in den Laden hinein und hoffte auf eine Antwort.

Rose sah ihn fragend an. Wer war Mary-Ann? Kannte er die Besitzerin? War sie eine Schneiderin?

Als eine weibliche Stimme zu hören war, die aus dem hinteren Teil des Ladens kam, richtete Rose ihr Rückgrat gerade, nahm eine Haltung ein, die ihr ihre Mutter beigebracht hatte. Jeder, egal aus welcher Schicht der Gesellschaft stammend, würde mit Respekt und Freundlichkeit behandelt.

„Oh je, bist das etwa schon wieder du, Frye?" Roses Augen wanderten einen kleinen Moment mit belustigtem Ausdruck zu Jacob. „Welches Problem gibt es dieses Mal?" Eine junge Dame mit dunkelbrauen Augen betrat den Raum, strich sich über ihre dreckige Schürze, die wohl einmal weiß gewesen war.

Ihre ebenso dunkelbrauen Haare waren unordentlich zusammengebunden, hielten mehr schlecht als recht. Es sah fragwürdig in Roses Augen aus, doch darauf versuchte sie sich nicht zu konzentrieren.

Viel mehr versuchte sie sich auf das rundliche, faltenfreie Gesicht zu konzentrieren. Mary-Ann konnte unmöglich viel älter als Jacob sein, stellte Rose fest.

Nun... wie alt war Jacob überhaupt?, schoss es Rose durch den Kopf.

Ihre Wangen wurden rot und es war ihr peinlich. Sie wusste wirklich nichts grundlegendes über Jacob – außer dass er Frauen in Nöten half und offiziell ein Krimineller war. und seine Eltern bereits verstorben.

„Oh, ich sehe." Rose wandte den Blick von Jacob ab, sah zurück zu Mary-Ann, der sie noch nicht vorgestellt worden war. „Ein neues Mitglied." Sie nickte und Roses Augenbrauen hoben sich. „Welche Größe hast du, Herzchen?", fragte sie sie und ihre blauen Augen wanderten zu Rose, ehe sie ihre Augenbrauen hob. „Oh", machte sie, begann ihre Erscheinung zu mustern. Die Rüschen und die Spitzen unter ihrem Mantel waren deutlich nicht ihrer Preisklasse gegeben.

Fragend sah Mary-Ann zurück zu Jacob, da begann Rose schon zu sprechen.

„Ich bin nicht-", stotterte sie leicht und schloss tiefeinatmend ihre Augen. „Ich bin kein neues Mitglied", gab sie leise preis.

Hatte sie etwa Angst vor ihr oder war sie nur schüchtern? Mary-Ann war durchweg verwirrt. Wen hatte Jacob in ihr Geschäft gebracht? Was hatte eine Dame aus der oberen Schicht in ihrer Schneiderei zu suchen?

Als Jacob ein lockeres Lachen von sich gab, erschreckte es Rose ein wenig und sie fuhr leicht zusammen.

„Nein, wohl wahr." Er deutete leicht auf Roses Statue. „Sie ist kein neues Mitglied der Gang." Er holte tief Luft. „Aber sie braucht dennoch deine Hilfe", erklärte er ihr und zwinkerte Rose kurz zu. Die Wangen der jungen Frau färbten sich ein wenig mehr rot als ohnehin schon.

Was tat dieser Mann ihr nur an?

„Jedenfalls brauchen wir etwas für sie." Mary-Ann nickte, lief hinter den Tresen und hob eine Hand.

„Lass mich schauen, ob ich etwas-"

„Mary-Ann?" Sie hoben ihren Blick, nachdem sie unterbrochen wurde. „Etwas nicht so auffälliges wie sie jetzt trägt. Eher schlicht", erklärte Jacob weiter und Mary-Ann sah zurück zu Rose.

„Darf ich?" Sie deutete auf sie und Rose nickte verwirrt, ließ sich daraufhin umkreisen.

Rose fühlte sich damit zunehmend ein wenig nervöser als die andere Frau herumging und ihre braunen Augen sie genau begutachteten. „Gut, dann glaube ich, ich habe da vielleicht etwas, dass ihr passen könnte." Sie drehte sich um. „Dann komm mal mit", forderte Mary-Ann sie auf und ergriff die Hand der jungen Frau, ohne vorher zu fragen. „Dein Glück! Ein Kunde hat abgesagt und es dürfte ihr passen." Sie seufzte.

Bevor beide ins nächste Zimmer gingen, hielt die braunhaarige Frau inne. „Ach, und du, Frye, fass nichts an, ist das klar?"

Sofort ließ Jacob etwas fallen. Es schien wohl nicht das erste Mal zu sein.

Rose fühlte sich ein wenig unwohl. Noch nie war sie so von einer Schneiderin behandelt worden. Sie war ganz andere Standards gewohnt und von jetzt auf gleich das Gefühl der gewohnten Behandlung umzustellen, stellte sich für Rose als ein Problem dar.

„Wie bist du Jacob begegnet?", fragte Mary-Ann ruhig und ließ von Rose mit ihrem Maßband ab, ehe sie sich einer Kommode zuwandte und zu suchen begann.

„Er hat meiner Schwester und mir in einer Notlage geholfen." Rose presste ihre Lippen zusammen, bevor sie sie vor ihren Brüsten verschränkte.

Ihre Wangen wurden leicht rot. „Oh, du hast eine Schwester?" Mary-Ann hielt inne und drehte sich zu Rose um. „Darf ich fragen,­ wie alt sie ist?" Sie zog beide Augenbrauen nach oben. „Braucht sie vielleicht auch etwas?" In Roses Augen klang Mary-Ann freundlich, trotzdem rebellierte ihr Magen.

Rose schob es darauf, dass sie damit ein wenig überfordert war. Denn seit wann waren alle so freundlich zu ihr?

Mary-Ann sah die verwirrte jungen Frau an und begann zu kichern, versteckte es hinter ihrer Hand. „Entschuldigung, ich bin nur froh, das Jacob jemanden gefunden hat, um mir nicht länger auf den... naja, du verstehst schon..." Rose wurde knallrot. Dieses Gespräch lief in eine ganz falsche Richtung.

Er und Mary-Ann hatten...? Ehrlich? Und nun glaubte sie, er und sie selbst würden...? Nein, niemals.

„Nein." Rose schüttelte schnell und laut ihren Kopf, trat aus Mary-Anns selbstgebastelter Markierung hinaus. „Nein, wir sind nicht... wir tun nicht..." Rose schüttelte peinlich berührt ihren Kopf.

Mary-Ann hob wieder ihre Augenbrauen, öffnete ihren Mund. Mit dieser Reaktion hatte sie nicht gerechnet. Die meisten hielten Jacob für so charmant, dass sie sich seinem Charme nicht einmal entziehen wollten.

Rose reagiert so, weil es ihr peinlich war. Denn solche Gedanken zu hegen war verboten. Diese Gedanken musste sie sich aufsparen, für die Ehe mit ihrem Zukünftigen.

Mary-Ann holte tief Luft, deutete dann auf ein Nadelkissen. „Wollen wir dein Kleid anpassen?" Sie versuchte das Gespräch in eine offensichtlich angenehmere Richtung zu lenken.

Eine ganze Weile später trug Rose es dann. Ein schlichteres Kleid. Der Stoff war größtenteils aus Baumwolle. Es wirkte nicht nur weniger Edel als das was sie sonst kannte, es sah auch noch so aus. Rose hatte noch nie gesehen, dass Stoffe schon verblasst verarbeitet werden konnten.

Mary-Ann bot ihr dann nur tatsächlich noch etwas an, während Rose ihr neues Kleidungsstück betrachtete.

„Hose?" Rose riss ihre Augen auf als Mary-Ann aus der Kommode ein verblichenes Leinenstück hervorzog.

„Wie bitte?" Rose war sehr verwirrt. Wieso sollte sie als Frau eine Hose tragen? Ihr kam dieser Gedanke noch nie.

„Es ist angenehmer als ein Unterrock." Mary-Ann hob ihren dunklen Stoff des Rocks an und entblößte ihre Beine, eingepackt in eine Hose, hergestellt aus Leinenstoff.

„Nein." Rose schüttelte kaum merklich ihren Kopf. „Ich bleibe beim Unterrock", stellte sie klar, sah auf ihr Kleid, dass sie zuletzt getragen hatte. „Ich kann doch diesen verwenden, oder?"

Mary-Anns Blick glitt ebenfalls hinüber. „Sicher. Er wird nur um ein, zwei Zentimeter zu lang sein."

„Kann man ihn kürzen?" Rose presste ihre Lippe aufeinander. Sie klang so fordernd, das wollte sie gar nicht. Nur in diesem Kleid fühlte sie sich nicht so wohl wie sie erhofft hatte.

Wie der Rest auszusehen, machte sie unglücklich. Und auch wenn Baumwolle gemütlich war, vermisste sie für eine kleine Sekunde ihr Korsett. An den Druck dessen war sie gewöhnt. Der beige Stoff ihres Oberteils war nichts, was sie tragen würde und der hellgrüne Stoff wirkte kalt, eher farblos als farbkräftig.

„Warte." Mary-Ann kannte den Blick der jungen Frau. Sie hatte ihn erst letzte Woche dreimal entgegengeworfen bekommen.

Menschen, die sie bediente, hatten nicht immer die größten Mittel und mussten das nehmen, was sie kriegen konnten – was nicht hieß, dass es zufrieden machte. Ihr tat es leid, aber auch sie musste von ihrer Leistung ihr Abendessen bezahlen können.

Die Schneiderin deutete auf ihr Kleid. „Benötigst du es noch?"

Rose runzelte ihre Stirn, schüttelte den Kopf. „Womöglich nicht", gab sie zu.

Mary-Ann atmete tief ein. „In Ordnung." Sie nahm sich ihre Schere und schritt auf das Kleid aus teurem Stoff zu, ehe sie begann, das angenähte Korsett vom Stoff zu trennen. „Gib mir wenige Minuten", bat sie und lief hinter eine Abtrennung. „Du könntest dir deinen Unterrock schon anziehen."

Rose schluckte. Ihr wunderschönes Kleid hatte Löcher, war verunstaltet – jetzt gab es kein Zurück mehr.

Sie unterdrückte das rumoren ihres Magens und nahm ihren Unterrock an sich, ehe sie hineinschlüpfte, ihn ordentlich schnürte und dann in den Spiegel ihr gegenüberblickte. Mary-Ann hatte recht behalten – er war um wenige Zentimeter zu lang und viel zu hell. Doch Rose fühlte sich unter den Lagen des Kleids ein wenig wohler und wenn sie schon zum Rest gehören sollte, dann wollte sie wenigstens ein Stück ihres gewohnten Umfelds bei sich tragen.

„Hier." Die Schneiderin betrat den Raum wieder, zeigte Rose stolz, dass sie aus ihrem Korsett ein Einzelstück gebastelt hatte – mit nicht identisch gleichen Schnüren. Eine der Schnüre war deutlich gräulicher.

Rose schluckte. „Ich soll mein Korsett wieder anziehen?" Mary-Ann nickte, legte es Rose ungefragt um den Oberkörper und trat um sie herum.

„Vielleicht fühlst du dich mit ein Stück mehr Normalität wohler." Rose wurde rot. Sie hatte Mary-Ann nicht beleidigen wollen.

„Es tut mir leid, ich-"

„Nein, nein, schon gut", unterbrach Mary-Ann sie. Nachdem sie das Korsett Rose angelegt und es gebunden hatte, betrachtete Rose sich nochmal, verspürte den Druck, den sie am meisten vermisst hatte. Dabei mochte sie keine Korsetts. Wie sehr konnte man sich an ein solch lästiges Kleidungsstück nur gewöhnen?

„Wie gefällt es dir nun?" Rose zwang sich zu dem authentischsten Lächeln, dass sie aufbringen konnte.

„Sehr schön." Sie nickte. „Danke, Mary-Ann." Die Schneiderin nickte.

„Eine letzte Frage." Sie hob einen Finger und Rose horchte auf. „Benötigt deine kleine Schwester etwas?"

Rose runzelte ihre Stirn. Sie hatte ihre Schwester beinahe vergessen, oh man. „Ehm, hast du denn-"

„Ich führe Kleidung für Kinder von der Stange." Mary-Ann nickte einmal.

Sie verschwand für wenige Minuten wieder, bevor sie mit einem kleineren Kleid wiederkam. Es war in warmen Herbsttönen gehalten, welche – das wusste Rose – Elisé sicherlich gefallen würden.

„Ich habe hier auch noch ein paar flache Schuhe." Mary-Ann deutete auf einen Schrank. „Wir müssen ja nicht immer auf Absätzen laufen." Die Schneiderin zwinkerte ihr zu und übergab ihr letztendlich eine mittelgroße Box.

„Nochmals vielen Dank, Mary-Ann." Rose bedankte sich und ging wieder in Bereich des Ladens, der von außen zu betrachten war – und wo Jacob auf einer kleinen bereitgestellten Bank saß und auf sie wartete.

Er wünschte sich, er hätte weniger als die Hälfte verstanden, über die sich Rose und Mary-Ann unterhalten hatten. Nur leider war es nicht der Fall.

Den Ton, mit dem Rose verneint hatte, dass sie und er miteinander intim wären, hatte sich mehr als überrascht angehört. Urteilend, in Jacobs Ohren beinahe verpönt. Das ließ ihn bitter schlucken. Er wusste, er spielte nicht in ihrer Liga, es aber auch aus ihrem Mund zu hören, versetzte ihm einen kleinen Tritt unter die Gürtellinie.

Und trotzdem regte es sich unterhalb seiner Gürtellinie als er den Blick nun hob und Rose entgegenblickte, sie in dem Kleid betrachtete, dass Mary-Ann ihr gegeben hatte.

Er schluckte.

Wie konnte sie darin noch schöner wirken als in all den prachtvolleren Kleidern? Es war so schlicht, dass ihre natürliche Schönheit stärker hervorstach als er gedacht hatte. Man sah es ihr an – sie wurde nicht in die Mittelklasse geboren und gehörte dort auch ganz sicher nicht hinein. Sie war für höheres geboren und bestimmt.

Jacob spürte, wie viel schneller sein Herz schlug. Er überlegte krampfhaft, was er sagen könnte – er wollte sich nicht zum Affen machen.

Was war das nur? Wieso fühlte er so, wenn er Rose sah? Er hatte Frauen auch schon vorher betrachten können. Und viele von ihnen nackt unter ihm selbst.

Er hatte das Gefühl, Schüttelfrost zu bekommen. Seine Muskeln am Kiefer zogen sich stärker zusammen und er hoffte, das man dies nicht merken würde.

„Das Kleid sieht sehr gut aus." Er lächelte matt und stand auf. Der Gedanke, dass sie ihn nicht wollte, ließ ihn kurz innehalten als ihre Hände sich berührten, sobald er ihr die Box abnehmen wollte.

Es war instinktiv, doch es ließ Roses Herz ungeahnt flattern wie ein Kolibris Flügel.

Sie blinzelte, sah zu Jacob hoch – doch er mied den Augenkontakt, nahm ihr wortlos die Box ab.

„Vielen Dank, Mary-Ann." Er nickte seiner Lieblingsschneiderin zu und Rose öffnete ihren Mund als sie seinem Blick folgte und feststellte, dass er ihr aufs Dekolleté starrte. Mary-Ann ließ sich daran nicht stören, sie runzelte nur ihre Stirn, weil Rose so dreinblickte. „Ich bezahle das, wenn ich meinen Zylinder abhole", meinte Jacob zur Schneiderin und diese nickte.

„Schon gut, ich schreibe es mit drauf." Sie lief um sie herum und öffnete die Tür für die beiden, verabschiedete sie.

Rose legte ihre Hände aneinander, knobelte sie ineinander. Sie spürte es, die Kluft die sich zwischen ihnen auftat. Und sie wollte es vermeiden.

Langsam machten Jacob und sie sich auf den Weg zurück zum Zug.

„Ein schönes Gefühl, mal hier lang zu gehen", entkam es Jacob in der Stille und er atmete tief ein.

Normalerweise würde er nicht am Boden entlanglaufen – dies war ihm zu langsam. Sich durch jeden Menschen auf der Straße zu drängeln, wenn er schnell einen anderen Ort erreichen musste, war anstrengend und raubte ihm Zeit. Davon abgesehen liebte er das Gefühl der Freiheit, wenn er über Dächer rannte – oder seinen Seilwerfer nutzte.

„Bist du nicht oft in dieser Gegend?", fragte Rose sanft und blickte den jungen Assassinen an.

Er räusperte sich, überlegte ob er ihr es sagen sollte. Nur abschrecken konnte er sie ja nicht – sie hatte immerhin kein Interesse an ihm.

„Um ehrlich zu sein ist der Weg, den ich normalerweise nehme, anders. Viele würden es als töricht und lebensgefährlich halten." Er lachte leicht, schüttelte den Kopf.

„So und wo ist dieser Weg?", hakte sie nach und ihre Mundwinkel zuckten nach oben. Sie mochte es sehr – die Gefühle – wenn sie bei ihm war. Bei Jacob schien alles so leicht und unbeschwert zu sein.

Der Assassine deutete nach oben und Rose runzelte ihre Stirn. Was genau meinte er nun?

„Die Dächer", erklärte er knapp.

Die Dächer?, dachte Rose sich fragend.

Sprach er wirklich davon, dass er über die Dächer der Häuser lief?

„Die Dächer der Häuser?", fragte die junge Dame nach und schob eine Strähne ihres Haares zurück hinter ihr Ohr.

„Ganz genau." Jacob nickte. „Es geht meist schneller. Keine Personen, die dir entgegenkommen, eine tolle Aussicht auf die Stadt und frische Luft, die einem ins Gesicht weht." Rose sah es, die Begeisterung in seinen braunen Augen, wenn er davon sprach, frei zu sein und es zu fühlen.

„Ist das nicht verboten?", meinte Rose nun und hielt inne.

„Deshalb macht es gerade noch mehr Spaß." Er zwinkerte ihr zu und sie wurde rot. „Zumindest so lange, wie man nicht erwischt wird." Jacob stoppte und musterte den Ausdruck von seinem Gegenüber.

Rose überlegte eine Sekunde – es reizte sie ungemein. Die Idee, etwas Verbotenes zu tun, war ihr noch nie in den Sinn gekommen. In ihrem Kreis durfte sie sich sowas nicht erlauben. Doch wenn sei darüber nachdachte, war sie gerade nicht in solchen Kreisen unterwegs. Für den Rest der Woche war sie frei. Sie könnte für eine Woche ein anderer Mensch sein.

„Denkst du, es wäre möglich, mich mal mit auf eines dieser Dächer zu nehmen?" Jacob hob beide Augenbrauen überrascht an. „Nur um zu sehen, wie das so ist", fügte sie schüchterner hinzu.

Sie hielt inne, ließ eine hochschwangere Dame an ihr vorbeilaufen.

Sie lächelte bei diesem Anblick, bevor sie sich zu Jacob umdrehte – und beinahe erschrak. Er war ihr so nah. Näher als sie gedacht hatte.

Er legte seinen Kopf ein wenig schief, kam noch ein paar Schritte näher und sprach sehr leise, es war schon fast ein Flüstern. „Du möchtest also mal etwas Verbotenes machen?" Seine Mundwinkel begannen unkontrolliert nach oben zu zucken und es dauerte wenige Sekunden, da hatte er das verruchteste Lächeln auf den Lippen, das Rose je erblickt hatte.

Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen als gäbe es ein Symphoniekonzert von sich, zu Ehren Jacobs Lächeln, dass sie rote Wangen und unschickliche Gedanken bekommen ließ. „Ohne das dich jemand erwischt, ja?" Ein leises raues Lachen entkam seiner Kehle und Rose schluckte, fühlte sich, als wär ihr Hals binnen Sekunden ausgetrocknet.

Es fehlten wenige Zentimeter, dann könnte sie seine Lippen auf ihren spüren.

Sie war nicht ungeküsst, dass wusste jeder. Immerhin war sie verlobt. In aller Öffentlichkeit hatte Daren den Schein gewahrt, sie angehimmelt und verehrt – besser als sie hatte er allemal schauspielern können.

Aber das hier, das war nicht geschauspielert. Rose erhitzte Haut war echt, fühlte sich echt an. Der Drang, den sie verspürte, fühlte sich echt an. Sie mochte es tun, so gern.

Rose fluchte innerlich. Seine Stimme hatte sie vollkommen aus dem Konzept gebracht. Das Dach war ihr egal, sie wollte vier Wände und keine Fenster um sie beide herum, damit sie fünf Minuten lang einfach nur sie selbst sein und ihren Wünschen und Träumen nachgehen dürfte.

Denn wie schaffte es der Mann vor ihr so ein Teufel zu sein und sie auf eine Art und Weise sanft und tief zu berühren, ohne ihre Gefühle zu verletzen?

Rose atmete tief ein als ihr auffiel, dass sie ihm noch immer nicht geantwortet hatte und Jacobs Blick glitt durch ihren tiefen Atemzug nach unten, auf ihr Dekolleté.

Jetzt war er sich sicher – er war hart.

Wie sehr wünschte er sich gerade vier Wände, nur damit er sie gegen eine pressen und sich ihrem Körper widmen könnte? Er bezweifelte, enttäuscht zu werden.

Zumindest zweifelte er so lange daran, bis ihm ihre Worte wieder ins Gedächtnis gerufen wurden. Sie wollte ihn nicht. Sie respektierte ihn, mochte ihn vermutlich auf eine freundschaftliche, kameradschaftliche Art und Weise, doch nicht auf die auf die er sie mochte, sie begehrte. Er könnte sich genau jetzt auf sein Bett legen und sich anfassen, es würde ihr Blick vor seinen Augen genügen, um zu explodieren, zu kommen.

„Schön." Rose war vollkommen verwirrt als er den Blickkontakt unterbrach und sich von ihr abwandte. „Das können wir sicherlich mal machen." Ihr Herz hämmerte noch immer, doch ihr Körper kam seinen gleich nach und versuchte Schritt zu halten. „Sobald wir die Sachen nach Hause gebracht haben." Jacob zwang sich zu einem frechen Lächeln, doch es erreichte seine Augen nicht.

Er setzte langsam seinen Weg zum Zug fort.

Die Wangen der jungen Dame begann rot zu glühen. Was tat er nur mit ihr?

Sie sollte sich nicht in Jacob verknallen. Sie wusste instinktiv, es wäre nicht nur unangemessen, er würde es auch nicht erwidern. Er war frei, er hatte sein ganzes Leben ungeplant und entspannt vor sich – Rose nicht. Rose war das komplette Gegenteil und das einzige, was er Rose nehmen würde, wäre der Rest ihrer Freude. Sie würde ihn nie vergessen können und sie wollte ihn nicht als den Mann in Erinnerung behalten, der ihr ihr Herz gestohlen hatte und es nicht zurückgab. Er könnte jede haben und sich ihr zuzuwenden wäre sicherlich das letzte, was er täte. Er war ein Gentleman trotz seiner Klasse. Er half einer Frau in Nöten – er half ihr in Nöten. Mehr war das nicht.

Bestimmt sah er sie als kleine Schwester, auf rein platonische Art und Weise. Und weil er offensichtlich gerne flirtete, musste er falsche Signale an Rose senden.

Das redete sie sich zumindest ein.

Weil er ihr zu schnell zu laufen begann, machte sie es kurz und hakte sich bei ihm ein – mal davon abgesehen, dass sie sich in genau dem Moment so sicherer fühlte als sie an einer Baustelle vorbeiliefen und ein paar pausierende Arbeiter lachend auf sie deuteten und ihr nachpfiffen.

Jacob verlangsamte seinen Schritt, bemerkte einen kleinen Moment nicht, dass die Pfiffe und Rufe seiner Begleiterin galten.

„Hey, Süße! Beweg doch deinen hübschen Hintern mal hier rüber!"

Rose schluckte, krampfte sich in den Stoff seines Mantels und er sah hinunter auf ihre Hand, während sie zu ihm hochsah.

„Metall?" Sie war verwirrt. Wieso befand sich unter seinem Stoffmantel Metall?

Er wandte den Blick direkt von ihr ab, drehte ihn den Arbeitern zu.

„An eurer Stelle würde ich die Fresse halten", gab er kühl von sich und beschleunigte wieder, mit Rose an seiner Seite.

Er war heute nicht auf Streit aus, würde Rose und sich aber im Notfall verteidigen.

Die Männer blieben bei ihren Sprüchen und Jacobs Gedanken wanderten mit der nächsten Straßenecke um die sie herumliefen wieder zu dem Gespräch über die Dächer.

Er war überrascht. Nie hätte er gedacht, dass Rose an sowas zu denken vermochte. Etwas Verbotenes zu tun war für sie – einer Dame aus höherer Schicht – nicht angebracht und das wusste sie vielleicht noch besser als er. Dennoch mochte er den Gedanken, sie auf eines der vielen Dächer Londons mitzunehmen.

Vielleicht... vielleicht könnte in der Stille auf dem Dach, einmalig, mehr passieren. Vielleicht könnte er sie an sich ziehen, umarmen.

Jacob schnaubte. Er sah es. Vor seinem inneren Auge spielte sich es ab. Er war mit ihr auf einem Dach – allein. Es würde nicht bei einer Umarmung bleiben, er kannte sich selbst zu gut. Sein Griff um ihre Taille würde stärker werden und er könnte ihren intensiven grünen Augen nicht widerstehen – und erst recht nicht ihren wundervollen Lippen und diesen geröteten Wangen.

Er würde sich einen Kuss stehlen, was ihn alles kosten würde. All das Vertrauen, dass er sich gerade aufbaute.

Rose würde denken, er wäre auf nichts anderes aus – und das seit sie sich kannten.

Bei dem Gedanken, damit alles zu zerstören, stockte der Atem des jungen Assassinen kurz – nein, das durfte er nicht denken. Sie verdiente mehr, sie verdiente jemanden, der aufrichtig mit ihr war und sie wie eine Person behandelte, die man gerne um sich hatte. Er konnte das. Eine platonische Beziehung zu einer Frau führen.

Erst spät erreichten sie den Zug. Beide hatten sich Zeit gelassen und nicht mehr viel miteinander gesprochen. Beide waren ihren eigenen Gedanken nachgehangen – und Rose gab es nicht einmal sich selbst gegenüber zu, dass ihre Gedanken verrucht gewesen waren. Von einem Jacob, der sie auf einem Dach an sich ziehen würde, küssen würde als gäbe es keinen Morgen mehr. Und ein Jacob, dessen Hände vielleicht ein wenig zu tief wandern würden.

Rose räusperte sich, löste ihren Arm aus Jacobs, der zu ihr hinunterblickte. „Ich werde nach Elisé schauen", teilte sie ihm mit und nahm Jacob die Box.

Er legte den Kopf schief, sah hinunter auf ihre enge Taille, die sie durchs Korsett beibehalten hatte.

„Mach das", sagte er ihr und sie hielt nochmal inne. „Ich muss noch etwas mit den Jungs besprechen." Jacob räusperte sich ebenfalls und stürmte in entgegengesetzliche Richtung beinahe ein wenig hastig aus dem Wagon.

Er musste schnell weg, bevor ihm weitere unverschämte Gedanken überkamen und er sich vorstellte, sie von hinten zu nehmen.

Jacob strich sich schnell seine Weste glatt und betrat schon den nächsten Wagon, ehe er die Augenbrauen hob und ein wenig die Augen aufriss.

„Ihr wart noch nie so still", sagte er in die Stille hinein als ihn jeder einzelne Rook ansah.

„Wir sollten vielleicht reden", stellte Mason klar und presste die Lippen aufeinander.

Rose indes begab sich zu ihrer Schwester und lächelte. Sie hielt ein Buch in der Hand und blätterte darin. „Elisé?" Sie hob sofort ihren Kopf. „Ich habe dir etwas mitgebracht", meinte Rose sanft zu ihr als Begrüßung.

Die Augen des jungen Mädchens richteten sich auf ihre Schwester und die Box in deren Hände. „Wirklich?" Elisé begann zu lächeln. „Was ist es? Lass mich doch bitte sehen." Sie sprang auf und lief ungeduldig auf ihre Schwester zu. Sie liebte es, wenn Rose ihr etwas mitbrachte. Das war ein Ritual gewesen als sie noch jünger waren. Jedes Mal in der Stadt hatte Rose ihr von dort etwas mitgebracht.

Es hatte mit eine Rose aus dem Stadtpark begonnen als sie sieben Jahre alt gewesen war.

„Es ist ein neues Kleid." Elisé kicherte. „Es ist vielleicht nicht das, was wir gewöhnt sind. Aber es ist angenehmer zu tragen und unauffälliger, solange wir hier sind", erklärte ihr Rose und überreichte ihr die Box.

„Was meinst du? Solange wir hier sind?" Fragend blickte Elisé zu ihrer Schwester hinauf und nahm die Box nun zögerlich an sich.

„Wenn alles wie geplant läuft, werden wir schon bald wieder bei Mutter und Vater sein", besänftigte Rose sie und konnte sehen, wie sich der Gesichtsausdruck ihrer kleinen Schwester änderte.

„Aber ich mag es hier." Elisé deutete herum, durch ihr neues kleines Reich, dass Rico und sie heute eingerichtet hatten. „Die Leute hier sind nett – manchmal etwas komisch, aber nett", klagte die jüngere der beiden.

„Ich weiß, ich finde es hier auch ganz toll." Rose nickte zustimmend. „Doch bei Mutter und Vater sind wir sicher", erklärte sie ihr und hoffte, dass Elisé wenigstens das verstehen würde.

„Aber Jacob könnte uns beschützen", widersprach Elisé ihr und Rose warf ihr einen verwunderten Blick zu.

Dachte Elisé das wirklich? Das Jacob Frye –Anführer der Rooks – zwei völlig fremde Mädchen beschützen würde? Er könnte es – das stand außer Frage. Aber Rose war sich sicher, dass er auf Dauer viel mehr zu tun hätte – viel wichtigere Sachen und Angelegenheiten.

„Ich bin mir sicher, dass er es könnte, Elisé." Rose nickte erneut. „Aber er ist ein vielbeschäftigter Mann", stellte sie ruhig klar und strich ihrer Schwester durchs Haar. „Na los. Zieh doch mal dein neues Kleid an. Ich möchte es gerne an dir sehen." Rose lenkte vom Thema ab und hoffte, dass ihre kleine Schwester darauf einging.

„Na schön, aber nur weil du es bist." Sie kicherte und lief hinter den Raumtrenner, den Rico ihr besorgt hatte – wo sie sich in Ruhe umziehen konnte.

Währenddessen war Jacob dabei, zu erklären, wie er vorgehen wollte – um Roses Sachen aus dem Anwesen der Pitsburs zu holen. Und dem Großteil der Jungs gefiel es nicht. Sie waren herangepfiffen worden, um die Sachen einer verwöhnte Göre zu stehlen, die sich Jacob als kleines Spielzeug zuzog? Nächste Woche wäre sie doch schon Schnee von gestern, wieso sollten sie also auch nur einen Finger krümmen?

„Also gut." Jacob atmete tief durch. Die Diskussionen mit seinen Jungs hatte er sich anders vorgestellt. Ständig warf jemand etwas ein und Jacob reagierte instinktiv darauf. „Wir müssen gut aufpassen. Wir wissen nicht, was genau uns erwartet." Er zuckte mit den Schultern. „Hey, vielleicht wird es auch sehr leicht." Rico hob eine Hand und er hielt wieder inne. „Ja, Rico?", forderte der Anführer ihn auf und der angesprochene Rook stellte sich auf.

„Es wäre sicherlich klüger, nur ein oder zwei Männer mitzunehmen", sagte der Rook. „Die anderen könnten den Fluchtweg bewachen und im Falle einer Flucht einspringen", fügte er mit seiner rauen Stimme hinzu.

Jacob nickte. Rico war in seinen Augen ein schlauer Bursche und dazu noch sehr geschickt.

„Ja, so machen wir es." Er deutete auf Rico. „Du, Gus und ich gehen rein. Wir haben vielleicht nur ein kleines Zeitfenster." Er lief ein wenig durch den Raum.

Wieso war er so nervös? Er wusste, was zu tun war. Es war nicht das erste Mal, dass er sich irgendwo heimlich einschlich. Aber es ging um mehr als nur ein paar Wertgegenstände – es ging um Roses persönlichen Besitz.

„Richard, George und Will, ihr werdet den Eingang bewachen. Je nachdem, ob es eine Tür oder ein Fenster ist, lasst euch unter keinen Umständen erwischen", befahl Jacob als nächstes und Mason, der heutige Rebell unter ihnen, schnaubte, verschränkte seine Arme vor der Brust.

„Hab ich deinen Namen genannt, Mason, oder warum reagierst du wie ein zickiges kleines Mädchen?", fragte Jacob trocken.

Mason lachte, sah auf seine tätowierten Arme hinunter. „Ich verstehe nicht, wieso wir für eine verwöhnte Zicke ihre Sachen stehlen sollen? Was versuchst du zu erreichen?" Er zog eine Augenbraue hoch. „Sie flachzulegen?" Er legte den Kopf schief. „Das Mädchen wüsste nicht mal, wie ein Schwanz aussähe." Jacob atmete tief ein und Rico presste die Lippen zusammen, sah hinunter auf sein Bein, das auf dem Boden drippelte.

„Muss man eine Frau gleich unter sich bekommen wollen, wenn man ihr hilft?", warf Rico zur Verteidigung seines Bosses ein.

„Nur wenn sie so verrucht wie sie aussieht." James lachte. „Habt ihr mal die Titten oder den Arsch dieser Prinzessin betrachtet?"

Die Mehrheit lachte auf Roses Kosten.

Jacob malmte auf seinem Kiefer herum und hob eine Hand. „Ich sag das jetzt einmal", stellte er klar. „Weder ihr noch ich rührt sie an, ist das klar?" Er wechselte einen kurzen Blick mit James. „Und weißt du, warum ich ihr gern auf die Titten starre? Sie sehen besser aus als deine Visage." Die meisten brüllten vor Lachen. Dabei fühlte Jacob sich einen Moment schlecht, schlecht über Rose gesprochen zu haben. „Ist das nun klar?"

„Ja, klar", antwortete die meisten und Rico atmete tief durch.

„So, ich möchte noch eine der Kutschen in der Nähe haben. Nur für den Fall, dass wir schnell verschwinden müssen." Jacob nahm das Gespräch von eben wieder auf. Die restlichen Rooks nickten zustimmend. „Heute Abend brechen wir auf. Bis dahin ruht ihr euch aus. Ich will niemanden nach Hause schleifen müssen, klar?" Jacob blickte ernst in die Runde von Männern, die alle genau so ernst dreinschauten.

„Alles klar, Boss, kannst dich auf uns verlassen", rief George als erstes und ein Jubeln folgte – mit Ausnahme von James und Mason. Der junge Attentäter hob die Hand, um die Menge noch einmal zu beruhigen.

„Schon gut, Jungs. Schon gut." Er atmete tief durch. „Bereitet alles vor, ich werde nochmal nach unseren Gästen sehen", meinte er und ließ seine Jungs im Abteil zurück.

„Ich wette, er will sie ficken", murmelte Mason unzufrieden.

„Geht uns nichts an", sagte Rico bestimmend. „Es ist seine Angelegenheit, Mason. Also halt dein Maul."

Jacob musste Rose darüber informieren, was nun geplant war. Sie sollte sich keine Sorgen machen müssen.

Jacob runzelte ein wenig die Stirn. Sie sollte sich keine Sorgen machen müssen? Um ihn? War er ihr überhaupt so wichtig?

Sie hatte sich um die Wunde gekümmert, die Jacob vom Kampf mit ihrem Exverlobten davongetragen hatte. Das war doch alles. Oder?

Er war noch immer ein fremder Mann, der ihr einfach nur half – weil er musste. Seiner Meinung nach war es die einzige Möglichkeit, die sie hatte. Wer würde ihr sonst helfen? Abberlines Möglichkeiten waren erschöpft. Und ihre Eltern – da war er sich sicher – wussten nichts von der misslichen Lage ihrer Töchter.

Dies war eine Schande. Wenn er einmal Kinder haben sollte, würde er sie um alles in der Welt beschützen.

Jacob rollte mit den Augen und setzte seinen Weg fort.

Er und Kinder. Das waren vielleicht wirre Gedanken.

„Rose?" Er klopfte gegen Holz. „Ich muss dir etwas erzählen." Jacob betrat das Abteil in dem Rose und ihre Schwester Elisé sich aufhielten. War das nicht einmal Evies Zimmer gewesen? Was war mit den Möbeln passiert? Sie waren umgestellt worden, da war er sich sicher.

Einen Moment sah er umher, schüttelte dann den Kopf.

„Jacob, schau mal, mein neues Kleid", rief Elisé und rannte auf den Assassinen zu. „Sehe ich nicht toll aus?" Sie kicherte weiter und drehte sich einmal im Kreis.

„Das sieht wirklich klasse aus, Elisé." Er wünschte, er könnte mehr aufbringen, doch die Augen galten nicht der jüngsten Dupont-Tochter, sondern der ältesten. „Da hat Mary-Ann eine gute Wahl getroffen." Er brach den Blickkontakt und lächelte dem jungen Mädchen entgegen.

„Sie mag es wirklich sehr. Danke nochmal, Jacob", bedankte sich Rose und stand nun vom Bett auf.

„Schon gut, ich habe doch nur geholfen", entgegnete der Assassine ihr bescheiden – mit den Worten seiner Rooks im Hinterkopf. Jeder hatte es bemerkt, ihre Schönheit. Dieser Ort war vielleicht sicher für sie, doch auch wieder nicht. Sicher vor Pitsbur und anderen Männern, aber nicht vor seinen.

„Was wolltest du uns mitteilen, Jacob?", fragte Rose nun und sah, dass sich Jacobs Gesichtszüge ernst zusammenzogen.

„Wir holen heute ein paar Sachen aus dem Anwesen." Er legte den Kopf schief. „Gibt es etwas, was dir ganz besonders wichtig ist?", fragte er ernst nach. Wenn er könnte, würde er alles herholen – aber das konnte er nicht.

„Ja." Rose nickte, fasste sich an den blanken Hals. „Es gibt da eine Kette. Sie ist in meinem Schmuckkästchen", erzählte sie ihm. „Sie ist aus Silber und mit einem blauen Edelstein in der Mitte versehen. Es war ein Geschenk meiner Großmutter an mich", erklärte sie ihm traurig.

Als sie spürte, wie warme Finger ihre Wange berührten blickte sie sofort auf – und Elisé riss die Augen bei dieser unsittlichen Geste auf.

Jacob sah sie mit seinen braunen Augen intensiv an, lächelte aufmunternd. „Ich werde holen, was von Bedeutung für dich ist", versicherte er ihr und musterte noch einige Sekunden ihr Gesicht.

Er spürte es wieder – diese Wärme in seinem Bauch. Was war das nur? Sowas hatte er noch nie zuvor gespürt. Es war wie eine Flamme, die in seinem Innern zu lodern schien. Er mochte diese Gefühl und doch war es so befremdlich. Jacob fragte sich still, ob seine Begierde nach dieser Frau tiefer ging als körperlich.

Aber wie sein Vater es immer gesagt hatte – persönliche Gefühle durften eine Mission nicht gefährden. Dies hier war seine Mission – er durfte es nicht vermasseln.

Datum der Veröffentlichung: 15.09.2021 11:56 Uhr

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