Eighteen
Eighteen
Erschrocken öffnete Rose ihre Augen und fuhr hoch. Sie keuchte stark als sie sich in ihrem Zimmer wiederfand. Dem Zugzimmer, dass sie momentan noch bezog.
Es war nur ein Traum, sagte sie sich.
Ein verdammter realistischer Traum.
Sie schluckte schwer und lehnte sich zurück, schloss für einen Moment wieder ihre Augen. Zu versuchen, ihren Puls unter Kontrolle zu bekommen, war schwierig, wie sich schnell herausstellte.
Denn alles, was sie im Kopf hatte, war Jacob Frye. Ihr Kopf war wie leergefegt, bis auf ihn. Als nestelte er sich dort gemütlich ein.
Das leichte Pochen zwischen ihren Beinen spürte sie sogar von Minute zu Minute stärker. Es fühlte sich exakt wie die Wärme aus dem Traum an.
Roses Wangen färbten sich rot – und gleichzeitig war sie dankbar, offensichtlich allein zu sein. Denn sonst hätte sie sich schon längst auf Elisé gesetzt, die in Richtung Wand gelehnt jede Nacht schlief.
Es war ihr ein wenig peinlich, erregt zu sein – von einem Traum und überhaupt.
So etwas war ihr noch nie passiert. Redete sie sich zumindest ein. Denn tief in ihrem Innern wusste sie, dass Jacob es in den letzten Tagen öfter geschafft hatte, sie auf eine Weise zu berühren, die sie nicht für möglich gehalten hatte.
In ihrem Traum hatte sie sich ihrer Leidenschaft hingeben können, ohne im Hinterkopf ihren Status zu haben. Sie hatte zugelassen, dass dieser Mann das tat, was sie sich so sehr wünschte und nicht aussprechen würde – niemals.
Rose seufzte und lehnte ihren Kopf an der Zugwand an, knetete ihre Hände ineinander.
Sie musste diese Gedanken loswerden.
Es reichte schon, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Sie musste nicht auch noch von verbotenen Früchten träumen.
Die siebzehnjährige fuhr zusammen und öffnete ruckartig ihre Augen als ein Klopfen an der Wagontür ertönte.
Sie hob ihren Kopf und zog die Decke ein wenig über sich, um sich zu bedecken. Nach ihrem Morgenmantel zu greifen hielt sie gerade für zu schwer. Er war so weit weg.
„Ja, bitte", bat sie denjenigen herein, der sich hinter der Tür befand und auf Aufforderung wartete.
Sie schluckte als Jacob den Wagon betrat – mit zerzaustem Haar. Er wirkte noch ein wenig mehr verschlafen als womöglich sie es war – und dennoch bildete sich ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen als er sie erblickte.
„Ich wollte nur schauen, ob es dir ein wenig besser geht", behauptete er ruhig und blieb in der Tür stehen, lehnte sich an den Türrahmen an.
Der Assassine wusste immer noch nicht, ob es eine gute Idee war, noch länger ihre Nähe zu suchen. Andererseits musste er sich vergewissern, dass es ihr besser ging.
Sie hatte zwar ihre Ruhe gebraucht, nach allem, was geschehen war, doch er konnte nicht länger in seinem Abteil auf und ab laufen und sich die Haare ausreißen, weil er nicht länger schlafen konnte.
„Geht es dir ein wenig besser?", fragte er sie leise und blieb noch immer in der Tür stehen, traute sich nicht, ihr näher zu kommen.
Rose nickte kurz, schaute mit ihren roten Wangen zur Seite und mied Blickkontakt.
Wenn Jacob nur wüsste, was sich in ihrem Kopf für Szenarien zusammenbrauten.
„Ja, es geht mir etwas besser", sprach sie noch leiser als er aus und räusperte sich kurz.
Eine bedrückende Stille entstand zwischen den beiden, bis Jacob sich dazu entschied, den Raum zu betreten.
„Ich sollte mich bei dir entschuldigen." Er wollte den ersten Schritt machen, hielt bei ihrem Morgenmantel, über einen Stuhl gelegt, inne. Er schluckte den sich bildenden Kloß im Hals schmerzhaft hinunter.
War sie unter der Decke überhaupt bekleidet?!
„All das war... meine Schuld." Er hatte Schwierigkeiten, weiterzusprechen, wenn seine Gedanken darüber grübelten, was sich unter der Decke verbarg.
Er atmete tief ein, wandte den Blick vom Morgenmantel ab.
Rose atmete tief ein, zog die Decke weiter zu sich.
„In Ordnung", sagte sie ihm und er fixierte die Abdrücke ihrer Beine auf der Decke, um weitersprechen zu können.
„Ich habe dich in etwas reingezogen, von dem du nicht hättest wissen sollen, dass es existiert." Er brüllte seinen Körper innerlich an, dort stehenzubleiben, wo er sich befand, doch er hörte nicht darauf und so sah Jacob sich wenige Sekunden später auf der Kante des Betts wieder – und wie er ungalant die Beine überschlug.
Rose spürte sofort, wie ihr Puls zu rasen begann. Er war ihr so nah – zu nah. Egal was dieser Mann tat, es schien etwas mit ihr zu machen.
Ihre grünen Augen musterten ihn weiterhin achtsam und sie schluckte schwer.
Wie sehr würde sie ihm gerne sagen, dass sie nicht gehen wollte. Ganz im Gegenteil. Sie wollte bei ihm bleiben.
Jacob strich sich wenig zaghaft durchs Haar und machte eine Pause bis er sich sicher war, nichts Versautes auszusprechen.
„Ich denke, dass wir heute hier bleiben sollten", stellte er klar und hoffte auf Roses Zustimmung.
Er selbst war immer noch nicht mit dem Gedanken zufrieden, dass Rose ihn bereits morgen verlassen würde. Er sollte eigentlich dankbar sein. Ihm war ein weiterer Tag geschenkt worden. Doch wie war die Katastrophe gewesen.
„Ja, das... wäre das beste, denke ich." Roses sanfte Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
Sie ließ die Decke ein bisschen sinken, doch bedeckte noch immer ihren ganzen Körper. Dann musterte sie den jungen Mann vor sich, schluckte wieder. Er wirkte nicht wie ein eiskalter Mörder, fand sie. Und sie fragte sich, ob sie ihn jemals so sehen könnte. Sie war durcheinander, vielleicht auch sauer, weil sie belogen worden war. Immerhin hatte er ihr vorgemacht, jemand zu sein, der er nicht war. Doch das minderte ihre Gefühle nicht.
„Ist deine Schwester so wie du ein Assassine?", unterbrach Rose ungalant die Stille und versuchte irgend ein Thema zu finden, um ein Gespräch zu starten.
Jacob nickte stumm und knackte kurz mit seinen Fingern, bevor er etwas erwiderte.
„Wir wurde beide von unserem Vater ausgebildet", erklärte er ihr und schaute auf seine Hände, die er ein wenig nervös zusammenfaltete. Er spürte, wie angespannt er war. Sein ganzer Körper schien sich zu verkrampfen und er konnte nichts dagegen tun.
„Hast du dir jemals vorgestellt, es wäre nicht so gewesen?" Die siebzehnjährige atmete ruhig. Sie war neugierig, aber hatte auch großen Respekt davor, ein solches Geheimnis vor allem und jedem zu bewahren. Denn sie hatte gesehen, wozu er offensichtlich im Stande war. „Also... wenn du kein Attentäter geworden wärst?"
Jacobs Mundwinkel zuckten.
Interessant, dachte er sich.
Er hatte tatsächlich einmal darüber nachgedacht. Aber der junge Mann hatte auch gewusst, dass er seine Familie nicht im Stich lassen konnte.
„Ich habe einmal dran gedacht", gestand er ihr und sah auf den alten verblichenen Teppich, der sich entlang der Seite des Wagons erstreckte. „Ich habe mir vorgestellt, eine hübsche Frau kennenzulernen." Roses Mundwinkel zuckten ein Stück nach oben. „Womöglich hätten wir ein oder zwei Kinder bekommen." Er schnaubte, hob den Kopf und sah zum dreckigen Fenster. Die konnten alle mal eine Reinigung vertragen. „Wir wären in ein Haus mit schönem Garten gezogen." Er lachte kurz in sich hinein.
„Das klingt schön", urteilte Rose darüber. „Aber es wäre nicht das, was dich glücklich macht. Nicht wahr?"
Zustimmend schüttelte Jacob den Kopf und sah kurz auf seine Knie und Hände.
„Glück und Zufriedenheit definiert jeder anders", sagte er. „Und es ist an uns, herauszufinden, wie wir es definieren."
Rose wollte nicht, dass ihre Sicht verschwamm, doch das tat sie.
Er mochte sein Leben also wirklich so wie es war. Selbst wenn es bedeutete, allein und einsam zu enden.
„Es tut mir leid, dass ich dich gekränkt habe", sprach er aus und ihre Augenbrauen zogen sich ein Stück zusammen. „Ich weiß, du definierst deine Art von Glück und Zufriedenheit anders als ich und für dich steht Intimität an einer sehr privaten Stelle." Er drehte ihr leicht den Kopf zu, ohne ihr in die Augen zu blicken. „Und ich tu das nicht. Ich zeige es der ganzen Welt, wenn ich jemanden begehre."
Roses Wangen färbten sich dunkelrot und sie zog die Decke hoch in ihr Gesicht, versteckte alles bis zu den Augen darunter und konnte das Kichern nicht unterdrücken, was sich in ihr an die Oberfläche kämpfte.
Jacobs Augen hoben sich und blickten geradewegs in ihre, weil sie ihn bereits anschaute.
Rose atmete in den Stoff und ihre Hände, womit sich diese erwärmten und blickte kurz auf diese hinab.
Jacob biss sich auf die Unterlippe, betrachtete ihre verlegene Haltung.
„Ich wäre womöglich nicht einmal ansatzweise so mutig." Sie begann zu lachen, ließ die Decke ein Stück sinken und schüttelte den Kopf.
Sie musste sich ins Gewissen rufen, dass er frei war. Er konnte sich erlauben, sich das zu nehmen, was auch immer er wollte.
Jacob öffnete gerade den Mund als ein lautes Rumsen und mehrere Pfiffe außerhalb des Raumes ertönten.
Der Attentäter seufzte und erhob sich.
„Scheint als wär unsere Zweisamkeit vorbei", scherzte er trocken und setzte sich in Bewegung. „Ich verschaff dir Zeit zum Anziehen."
Rose schluckte, sah ihm nach.
Dann war es wohl an der Zeit, sich der Öffentlichkeit zu stellen.
Mehrere Male tief einatmend machte Rose sich soweit fertig, dass es zu entschuldigen war, wenn sie ihren Morgenmantel drüber trug.
Vor der Wagontür fand sie niemanden mehr vor, doch sie hörte Stimmen aus dem Gemeinschaftswagon – und konnte ihren Augen nicht trauen als sie hineinlief.
Als Gus' blaue Augen ihre trafen lächelte er so breit er konnte. Der Kratzer, der sich über seine linke Gesichtshälfte zog sah noch schlimmer aus als bei ihrem letzten Aufeinandertreffen.
„Wie ich sehe geht es dir auch besser." Er lachte, hob die Hand und winkte.
Roses Mundwinkel zuckten. „Dich scheint es schlimmer erwischt zu haben."
„Kommt auf die Perspektive an", behauptete Oliver und hob sein Glas, kippte direkt darauf den Inhalt und zischte. „Ich hab gehört, wir machen einen drauf? Um auf die Pappnasen zu trinken, die hier überlebt haben?"
„Du beleidigst eine Dame", haute Fred trocken raus. „Oliver, hab Manieren."
„Davon ist er weit entfernt."
Alle lachten als Jacob mit einem Teller hereinkam, darauf eine Scheibe Brot mit Käse. Er stellte es an einen leeren Platz und hob den Kopf, sah Rose an. „Frühstück?"
„Es ist früher Abend", behauptete August und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, während Rose näherkam und auf dem leeren Stuhl platznahm.
Jacob setzte sich neben sie und seufzte ein wenig erleichtert als sie den Teller zu sich heranzog und zu essen begann.
„Wir sprechen mal nicht darüber, dass du gerade eine Mahlzeit angezweifelt hast, nachdem sie über vierundzwanzig Stunden nichts gegessen hat."
Rose bekam rote Wangen, sah zum Rookanführer. „Er hat mir Essen gegeben", gestand sie. „Ich hab's nur nicht angerührt."
„Ich hätte es ihm ins Gesicht geworfen", behauptete Gus trotzig und sah auf ihren Käse. „Und ich bin neidisch, dass du den guten Käse kriegst."
Jacobs Mundwinkel zuckten.
„Wurde mein Vorschlag fürs Draufmachen übergangen?", hakte Oliver überrascht nach.
„Oliver, wir haben hier einen schwer verletzten und eine traumatisierte junge Dame, dessen Ziel es wohl nicht ist, heute Abend einen draufzumachen", widersprach Fred ihm. „Lass uns nächste Woche nochmal drüber quatschen."
„Also meinetwegen müsst ihr euch nicht zurückhalten." Gus lachte und schüttelte den Kopf. „Ich wär nicht hier, hätten die mich nicht entlassen."
Jacob atmete tief ein, streckte seinen Arm aus und stützte ihn an Roses Stuhllehne ab. „Wenn ihr feiern wollt, dann ohne mich." Er schüttelte den Kopf. „Ich brauch es heute Abend ruhiger."
Er mied den Blick zur siebzehnjährigen neben ihm.
„Dann willst du mit Elisé heute Karten spielen? Entschuldige, aber die Kleine zieht einen stärker ab als George."
Jacob schnaubte belustigt und sah zum Fenster hinaus. „Ich hatte nicht vor, gegen eine zwölfjährige zu verlieren."
Rose schluckte das Brot ihren trockenen Hals hinunter und seufzte. „Man könnte hier feiern", schlug sie leise vor. „Es gibt genügend Alkohol", erklärte sie. „Und... ruhiger wäre es, zumal keine fremden Menschen anwesend wären."
Das war nicht das, was Jacob heute Abend wollte. Er hatte es ernst gemeint. Er wollte seine Ruhe. Er wollte Zeit mit ihr verbringen. Nicht wie am Samstagabend als alles was er tat, war, sich vor ihr wie ein Arsch zu verhalten.
Der Meisterassassine seufzte tief und jeder sah ihn an als er die Schultern zuckte. „Meinetwegen. Wieso auch nicht?"
„Auf wie viele Gäste einigen wir uns?" Die Jungs lachten und schüttelten ihren Kopf.
„Oliver, überstrapazier es nicht", stellte Jacob trocken klar und der neunzehnjährige schloss seinen Mund.
Rose blickte auf ihre Scheibe Brot, atmete tief ein und stand dann auf. „Ich hole mir noch etwas mehr und... hat jemand von euch auch Hunger?"
Alle außer Jacob hoben die Hand und sie kicherte. „Soll ich eine Suppe kochen?"
„Nein", sprach Jacob sofort mit entscheidendem Ton aus und jeder sah ihn an. „Rose, du sollst dich ausruhen. Die können sich selbst was kochen, wenn sie Hunger haben."
„Aber... eine Suppe ist kein Aufwand", widersprach sie.
Er zog eine Augenbraue hoch und die siebzehnjährige lief rot an, wandte den Blick ab. „Ich mach mir noch ein Brot."
Sie seufzte leise, verließ den Wagon.
Gus sah die Jungs an, dann seinen Boss. „Was ist dir über die Leber gelatscht?"
„Gefühle", haute August trocken raus.
Jacob presste die Lippen aufeinander als der Rook die Beine überkreuzte. „Oder ignorieren wir weiter, dass du in sie absolut verschossen bist, Frye?"
Jacob atmete tief ein, ehe er sich in Bewegung setzte, ohne ihm zu antworten.
„Wir ignorieren es also weiter." August sah missfallend zum Fenster hinaus.
Gus' Mund stand offen und er sah einige Sekunden sprachlos drein. „Er... und sie?"
„Du bist blind", sagten alle synchron und Gus hob die Hände.
„Nicht schießen", scherzte er trocken und Olivers Mundwinkel zuckten, während er Jacob nachstarrte.
Die Zeit, die verging, während Rose hinter Jacobs Rücken eine Suppe kochte, war zu gering für das, was der Assassine vorhatte.
Er saß an seinem kleinen Tisch in seinem Abteil und verfasste einen Brief.
Er sollte an George Westhouse gehen. Vor Evies Abreise hatte Jacob ihr versprochen weiter Briefkontakt zur Bruderschaft zu halten. Da nun er der Assassine war, der über London wachte.
Vielleicht war es auch nicht verkehrt, George nach Rat zu fragen, was Rose anging, dachte Jacob sich, ohne es sich einzugestehen. Immerhin war der alte Assassine verheiratet.
Ein wenig nervös spielte der junge Meisterassassine mit der Schreibfeder in seiner Hand und überlegte immer wieder, wie er seine Worte zusammenfassen konnte.
George
In London ist es seit dem Fall von Starrick ruhiger. Die Blighters machen kaum noch Ärger und London scheint erst mal sicher vor ihnen zu sein. Evie hatte vor kurzem geschrieben, dass sie und Greene bald mit dem Schiff weiter nach Indien aufbrechen würden.
Dennoch brauche ich Rat, mein Freund. Hattest du schon mal das Gefühl, dass du jemanden, den du geliebt hast, gehen lassen musstest? Und dein Gefühl dir sagte, es wäre falsch? Ich werde das Gefühl nicht los, nicht mehr unterscheiden zu können, welche Entscheidung nun die richtige für mich ist.
Unterzeichnet
Jacob Frye
Er legte die Feder beiseite und überflog den Brief – wieder und wieder. Für ihn klang es genauso verzweifelt wie er sich fühlte.
Er zwang sich dazu, sie gehen zu lassen, obwohl ihn alles dazu drängte und anflehte, es nicht so weit kommen zu lassen.
Hierbei würde im schlimmsten Fall George selbst nach London kommen, um mit Jacob zu sprechen. Das war alles, was passieren würde.
Jacob schüttelte den Kopf, seufzte und knüllte den Brief zusammen. Er würde George eh nicht rechtzeitig erreichen, dessen war er sich sicher.
Also nahm er ein neues Blatt und achtete darauf, nur über den aktuellen Zustand Londons und kurz über Evie zu schreiben.
Rose erwähnte er in keiner einzigen Zeile. Denn bald würde es vorbei sein und er würde sein Leben wie zuvor weiterführen.
Die Stunden vergingen wie im Flug und weder Jacob noch Rose dachten daran, mit dem anderen über das zu reden, was in ihren Köpfen vor sich ging.
Stattdessen grübelte Jacob sauer in seinem Abteil vor sich hin und Rose verbrachte die Zeit mit Elisé, die ihre Nähe suchte und sie nicht mehr loslassen wollte.
Rose hatte sich zwischendurch mehr Stoff übergezogen, damit sie den Morgenmantel auch ablegen konnte. Und dass sie die Suppe für alle gekocht hatte, war Jacob nicht aufgefallen.
„Sir Stinkstiefel kommt heut Abend wohl nicht mehr raus."
Rico wackelte allwissend mit den Augenbrauen. „Man sollte ihm Zeit geben", bat er Charlotte, die von Angie eingeladen wurde, die wiederum von August eingeladen wurde.
„Er ist ein Stinkstiefel", wiederholte Charlotte nur und nahm sich zwei Gläser. „Und stur."
„Ich glaube, dessen ist er sich sogar bewusst." Gus' Mundwinkel zuckten. „Holt ihn jemand?"
Charlotte schnaubte. „Du träumst." Damit wandte sie sich ab und widmete sich dem großen Tisch, an dem heute Abend das erste Mal wieder Poker mit Einsatz gespielt wurde.
Elisé lächelte als sie die Runde gewann und um drei Pfund reicher war.
Sie kicherte, sah zu Rose hoch, die ihr still zusah.
Der Abend zog sich dahin – und Jacob mied es, wie auch Samstagabend, Roses Nähe zu suchen.
Als er sich endlich aus seinem Unterschlupf traute verschwand er schnurstracks wieder aus dem Gemeinschaftswagon und lief auf die Bar zu.
Rose seufzte, sah ihm nach.
„Ich komm klar", sagte Elisé ruhig, ohne von ihren Karten aufzusehen und Rose sah zu ihrer kleinen Schwester.
„Wie bitte?"
„Du hast mich verstanden", sagte sie. „Los, geh. Ich kann die Jungs auch ohne dich abziehen."
August hob die Augenbrauen und sah Rico und Fred an, die Elisé gegenüber saßen.
„Hat sie das gerade gesagt und so gemeint?"
„Weiß nicht." Elisé legte ihr Full House offen und Rico öffnete sprachlos seinen Mund. „Hab ich es so gemeint?"
„Darf nicht wahr sein." Schnaubend warf Fred seine Karten auf den Tisch.
Roses Mundwinkel zuckten, ehe sie die Schulter ihrer kleinen Schwester tätschelte und sich dann abwandte.
Jacobs Gedanken tobten. Nichts schien seine Laune für diesen Abend zu heben.
Er ignorierte das Grölen seiner Jungs oder das Rufen seines Namens.
Es schien als ob er in einem Albtraum gefangen war und er nicht aus diesem aufwachen konnte. Dieses beklemmende Gefühl nahm von Stunde zu Stunde mehr zu. Wie sollte das erst was werden, wenn Rose fort war?
„Jacob?" Er fuhr leicht zusammen als er Roses zarte Stimme direkt neben ihn vernahm.
Der einundzwanzigjährige atmete tief ein, ließ seine Augen zur Seite wandern und erblickte die junge rothaarige Dame. Ihre Haare waren noch immer ungekämmt und offen. Doch sie war gekleidet in das Kleid, dass er ihr geschenkt hatte – und bei Mary-Ann noch abbezahlen musste.
Rose wirkte besorgt. Hatte sie ihn etwas gefragt? Wenn ja, dann hatte er dies nicht mitbekommen – und wenn er ehrlich war, dann wollte er es nicht mit bekommen.
„Verzeihung." Der junge Assassine räusperte sich und drehte sich nun etwas mehr in ihre Richtung. „Hast du etwas gesagt?", hakte er nach und sah zu, wie Rose ihre Augenbrauen nach oben zog.
„Ist alles in Ordnung?", wiederholte sie sich offensichtlich. „Du scheinst so abwesend zu sein." Sie setzte sich ungefragt zu ihm und musterte ihn mit ihren grünen Augen.
Er wandte den Blick ab, sah in seinen Drink hinab. „Ich habe da noch ein paar Dinge, über die ich nachdenken muss", erklärte er ihr. „Assassinen Dinge", flunkerte er und zuckte schnell mit den Schultern, trank danach einen Schluck von seinem Whiskey.
Der Alkohol floss seine Kehle nur schwer herunter. Als ob er in ihrer Nähe nicht mehr schlucken konnte.
„Oh, verstehe." Rose nickte zaghaft und versuchte zu lächeln. Sie hatte sich den ganzen Nachmittag überlegt, ob sie Jacob endlich sagen sollte, dass sie nicht fortgehen wollte. Seit ihrem Traum am Nachmittag war sie noch mehr verwirrt und noch mehr verunsichert.
War es richtig, fortzugehen und seine Eltern glücklich zu machen, wenn man selbst bei jemand völlig anderem glücklich sein Leben weiterleben könnte?
„Genießt du den Abend ein wenig?", fragte der Assassine, um ein wenig von sich abzulenken. Er sah das Nicken der jungen Frau und sie strich sich vorsichtig eine Strähne aus dem Gesicht.
„Es ist angenehmer als im Pub", erwiderte sie und griff nach einem leeren Glas, goss sich Wasser ein – dachte sie erst.
Jacob schmunzelte und zog die Karaffe aus ihrer Hand. „Das ist Wodka", erklärte er ihr und griff neben sich, schob ihr eine andere Karaffe zu. „Wasser."
Rose sah sich beide Karaffen an, entdeckte den Unterschied zwischen Wodka und Wasser allerdings nicht und goss sich so nun das Wasser ein, lächelte Jacob dankend zu.
Jacob konnte sich nicht helfen, aber seine Mundwinkel wanderten nach oben als er die Lippen der junge Frau betrachtete. „Ich bin froh, dass du wenigstens ein wenig die Zeit hier genießen konntest", entkam es ihm und Rose blickte ihm in seine braunen Augen.
Sie hätte schwören können, dass der junge Assassine ein klein wenig rot wurde, aber darauf ansprechen wollte sie ihn nicht.
„Ja", sagte sie zögernd. „Es war die wohl interessanteste Woche meines Lebens." Sie lächelte leicht.
Der Attentäter nickte, bevor er sich mit dem Glas in seiner Hand erhob, um zu seinen Jungs rüberzugehen, die noch immer am Karten spielen mit Elisé waren.
„Wer verliert hier wieder seinen letzten Schilling?" Er versuchte zu lachen, denn keiner sollte merken, wie schlecht gelaunt er wirklich war.
Gus gluckste ein wenig und auch Paul grinste. „Wir jedenfalls nicht", entkam es Gus und Paul schlug ihm auf die Schulter, feuerte ihn an.
Es war schön, zu sehen, dass es Gus wieder gut ging. Er hatte genug Leid in letzter Zeit erfahren.
„Noch ist die Runde nicht vorbei." Rico zog eine Augenbraue hoch. „Willst du nicht bei der nächsten Runde mitmachen, Frye?"
Er legte den Kopf ein wenig schief und überlegte genau.
„Er hat Angst." Elisé kicherte übermütig und Jacob zog eine Augenbraue hoch, hob im nächsten Moment sein Glas.
„Nächste Runde bin ich dabei", sprach er aus und schnappte sich einen Stuhl, stellte diesen an den Tisch.
Die Jungs machten ihrem Anführer ein wenig Platz.
„Aber nicht wieder beleidigt sein, wenn wir dich abziehen." Oliver lachte seinen Boss frech an.
„Oh", entkam es Jacob und er schmunzelte. „Willst du letzte Mal wiederholen, Oliver?" Der neunzehnjährige wurde ganz schnell ruhig und die meisten Jungs begannen zu lachen.
„Schlagt euch nicht die Köpfe ein und guckt auf die Karten, Männer", haute Elisé im strengen Ton raus und Jacob hob beide Augenbrauen als jeder ihrem Befehl nachkam.
„Rico, du hast ein Monster erschaffen", scherzte Jacob und Elisé lachte mit bösem, scherzhaften Unterton in ihrer Stimme, bevor sie herzlich zu lachen begann und der Rest mit einstimmte.
Zwei weitere Stunden vergingen so, während die meisten um den größten Tisch versammelt waren und zehn anwesenden Leuten beim Karten spielen zusahen.
Rose hatte sich inzwischen wieder hinter Elisé gestellt und ließ sich von ihr die Regeln des Spiels erklären, weil sie unbedingt wollte, dass ihre große Schwester mitspielte.
Nach einer weiteren Runde, stieg sie mithilfe von Jacob ein, der ihr anbot, mit ihr in ihrer ersten Runde gemeinsam zu spielen. Rose schien allerdings nicht besonders gut zu Beginn und sie verloren.
Sie sah Jacob entschuldigend an und er seufzte. „Das war ein Schilling", sagte er in scherzend enttäuschtem Tonfall und Rose kicherte als sie ihn Elisé zuschob.
„Alles meins." Elisé lachte und sah auf Ricos Hände, der die Karten für eine weitere Runde mischte.
„Elisé, denke daran, dass du stets einen kühlen Kopf bewahren solltest", bat er sie. „Im richtigen Spiel kann dir sowas zum Verhängnis werden."
„Ich bin zwölf, ich bin jünger als die meisten von euch und ich lerne noch", wich sie ihm gekonnt mit ihren gewählten Worten aus und Oliver lachte.
„Als die meisten jünger?"
„Geistig gleichst du einer vierjährigen in manchen Punkten", haute August trocken raus und die meisten lachten.
Rose sah neben sich als Jacob lachte und ihr Herz blieb für einen Moment stehen.
Sie hielt an sich, um ihre Hand nicht nach seinem Gesicht auszustrecken, ehe sie tief einatmete und den Blick abwandte, den Spielkarten zu, die ausgeteilt wurden.
Sie hielt die Karten zu tief. Jacob war es ein leichtes, jedes Mal in ihre Karten blicken – und trotzdem nutzte er es nicht als seinen Vorteil.
„Nimm diese", riet Charlotte ihr und legte ungefragt ihr Kinn plötzlich auf ihrer Schulter ab. „Zumindest, wenn du drei von ihnen rauswerfen möchtest." Charlottes Augen richteten sich auf Fred, Gus und Oliver, ihnen gegenüber.
Rose hob ebenfalls den Blick, ehe sie zögerte und Charlotte ihr den Gefallen tat, die Karte in die Mitte warf.
Fred seufzte resigniert. „Du bist der Teufel, Charlotte." Der Rook legte seine Karten offen. „Ich bin raus."
Gus sah sprachlos auf die Karten. „Ist das Schummeln?"
„Naja, sie hat euch nicht in die Karten geguckt", sagte August zögernd. „Theoretisch nein."
„Theoretisch", widersprach Oliver und seufzte ebenfalls, ehe er seine Karten offenlegte. „Bin auch raus."
„Hey, was trinken?" Sie sahen beide Gus an, der zwischen ihnen saß, mit den Schultern zuckte und dann sein schlechtes Blatt an Karten ablegte.
Die drei standen auf und verließen den Tisch.
„Damit dir Frye nicht in die Karten gucken kann, solltest du sie näher an dich ziehen." Schmunzelnd drückte Charlotte Roses Hand mit den Karten an ihren Körper.
„Oh, danke schön." Roses Wangen überzog ein leicht rosafarbener Schimmer und sie sah hinunter auf ihre Karten.
Sie gewann zwar nicht die Runde, aber sie wurde dritte und das war für sie ein kleiner Sieg.
Als sie gerade dabei waren, neue Karten auszuteilen, hob Rose ihre Hand, um ihr Gähnen zu verstecken.
„Da wird jemand müde", kommentierte Jacob leise und sah auf seine Karten hinab, sortierte sie in seiner Hand ohne nachzudenken. „Es wird dir keiner übelnehmen, wenn du zu Bett gehst", sagte er leise. „Ich bin ehrlich auch ein wenig müde und werde nicht mehr lange machen."
Sie nickte und schaute in seine braune Augen, die den ihren Blick mieden. Doch von der Seite wirkten sie mehr als träge. Er hätte womöglich mehr Schlaf am Nachmittag benötigt, vermutete sie.
„Du hast recht, es ist spät." Damit erhob sich die rothaarige und hob einmal in die Runde die Hand, winkte. „Ich wünsche allen eine gute Nacht." Sie bot ihrer kleinen Schwester die Hand an und diese sah zu ihr hoch.
„Ich bin nicht müde."
„Lügner werden bestraft", scherzte August trocken als Elisé direkt darauf gähnte.
„Komm", bat Rose. „Morgen wird ein anstrengender Tag, Elisé." Das zwölfjährige Mädchen seufzte enttäuscht, weil ihre große Schwester ihr die Spielfreude nahm.
Jacob seufzte sobald sie aus dem Raum waren und ohne ein Wort zu verlieren erhob auch er sich, legte seine Karten in Charlottes Hände, die wortlos die Karten an jemand anderen weitergab und ihm folgte.
„Rede mit ihr", bat sie ihn und er seufzte mit genervten Unterton, öffnete seine Tür, ehe er versuchte, sie ihr vor der Nase zuzumachen. Charlotte stemmte ihre Hand dagegen und lief in sein Territorium. „Jacob-"
„Ich sag's nun nur einmal, Charlotte." Er seufzte erneut, ergriff sein Glas von heute Mittag, ehe er's anhob und sich ihr zudrehte. „Ich möchte mir jetzt einen runterholen, diesen Drink genießen und danach zu Bett", erzählte er. „Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge, doch..." Er atmete tief ein. „Entweder du leistest mir Gesellschaft oder verpisst dich."
Charlotte überlegte über ihre nächsten Worte, rollte währenddessen mit ihren blauen Augen. „Der große, starke Jacob Frye." Sie schnaubte, lächelte matt. „Beleidigt, weil er eine Frau nicht ins Bett bekommt."
Jacob schnaubte ebenfalls, trank sein Glas aus und drehte sich um, um nachzufüllen. „Das glaubst du doch wohl selbst nicht."
„Du riskierst, unglücklich zu werden, launisch und genervt, nur um ihr ein wohlhabenderes Leben zu ermöglichen? Schwachsinn", sagte sie ihm ihre Meinung. „Du hast keinerlei Ahnung, wohin es führen würde und-"
„Das ist es." Er drehte sich wieder zu ihr um. „Ich möchte vielleicht niemals heiraten und keine Beziehung führen." Er begann Charlotte in ihrem Kleid zu mustern, blieb an ihren Knöcheln hängen. „Also? Was ist nun? Bleibst du oder gehst du?"
Charlotte wurde rot um die Wangen – was sie noch seltener als ihr Gegenüber wurde. „Ich finde es nicht gut, dass ihr euch beide aus dem Weg geht, weil ihr zu feige seid, das anzusprechen, was offensichtlich ist." Sie drehte sich um, öffnete die Tür.
„Und das wäre?" Der Anführer der Rooks zwang sich, zu grinsen.
„Viel Spaß mit dir selbst", wünschte sie ihm und schloss die Tür hinter sich.
Jacob atmete angespannt aus und blickte ins Glas.
„Danke, den werd' ich haben", murmelte er in seinen Drink.
In ihrem Abteil angekommen hatten sich die beiden Dupont-Schwestern bereits fürs Bett umgezogen.
Elisé war nicht glücklich, dass dieser Abend dank ihrer großen Schwester ein schnelles Ende für sie genommen hatte.
„Rose, ich möchte gar nicht gehen", erzählte sie ihr von ihrem Wunsch. „Und du doch auch nicht." Die jüngere saß auf dem gemeinsamen Bett, blickte bedrückt zu ihrer Schwester, die sich ihr Haar kämmte und die Wellen zu bändigen begann, wie jeden Abend, bevor sie sich schlafen legte.
„Aber wir haben keine andere Wahl." Rose seufzte, hatte nicht länger die Kraft, zu verleugnen, dass sie nicht fort wollte.
Sie strich sich ihr Nachtkleid glatt, betrachtete im kleinen Spiegel ihren blanken Hals. Die Kette ihrer Großmutter würde nun für immer in London bleiben, in irgendeiner Gasse liegen und... von jemandem irgendwann gefunden werden.
Die siebzehnjährige wusste, dass sie sich mehr als die Halskette ihrer Grandma wünschte, hierbleiben zu können.
„Du warst noch nie so glücklich wie bei ihm, Rose", sprach Elisé aus.
Sie wusste, ihre Eltern würden es nicht akzeptieren und für gut halten. Doch Elisés Gedanken nahmen einen traurigen Wendepunkt, wenn sie daran dachte, dass ihre große Schwester jemanden ehelichen müsste, den sie nicht liebte. Und sie war sich sicher, Roses Gefühle würden erwidert. Sie mochte erst zwölf Jahre alt sein, doch solche Blicke hatte sie bisher nur ihre Eltern austauschen sehen und diese Intimität wünschte sie sich auf für Rose.
„Er liebt dich, da bin ich mir wirklich sicher."
„Elisé", widersprach Rose leise und legte die Haarbürste beiseite. „Ich flehe dich an, hör auf."
„Warum?"
„Du würdest ohne mich klarkommen müssen", stellte die siebzehnjährige klar.
„Du bist nicht für mich verantwortlich", entgegnete Elisé sofort. „Das sind Mutter und Vater." Rose seufzte und setzte sich zu ihrer Schwester aufs Bett. „Solange ich weiß, dass du bei dem Mann bist, den du liebst, geht das für mich klar." Elisé lächelte und Rose strich ihr eine Strähne hinters Ohr.
Rose zögerte, senkte den Blick auf ihren Schoß hinab. „Du bist zu schlau für dein Alter."
„Deswegen werde ich privat unterrichtet", scherzte Elisé und die Schwestern kicherten. „Rose, ehrlich. Ich komme zurecht. Versprochen."
„Ich kann nicht." Rose schüttelte ihren Kopf.
„Warum?", fragte Elisé mit jammernden und wehleidigen Tonfall.
„Wenn es nicht klappt, dann bricht er mir womöglich das Herz." Rose presste ihre Lippen aufeinander. „Das bin ich nicht bereit, zu riskieren." Sie schüttelte ihren Kopf. „Elisé, es geht nicht. Aus so vielen unterschiedlichen Gründen." Sie atmete tief ein. „Wir werden beide morgen fahren." Sie sagte es mehr sich selbst als ihrer kleinen Schwester.
Sie brauchte ein Mantra.
Die junge Dame klopfte ihrer jüngeren Hälfte gegens Knie und seufzend rutschte sie nach hinten, legte sich hin und ließ sich zudecken.
„Wir packen morgen", beschloss Rose und betrachtete die Kleider. Dank Elisé, die sich für diesen Abend hatte zurecht machen wollen und die meisten Kleidungsstücke durch die Gegend geworfen hatte, herrschte überall im Wagon ein kleines Chaos.
Tief einatmend näherte sich Rose der Lichtquelle, ehe sie sie auspustete, sich an den Möbeln entlangtastete und neben ihre Schwester legte.
„Du riskierst nicht, dir das Herz brechen zu lassen", sagte Elisé leise in die Dunkelheit und Stille. „Lieber riskierst du es, unglücklich mit einem Fremden in einer Ehe zu enden, in der du nicht den Rest deines Lebens verbringen möchtest."
Murrend drehte sich die zwölfjährige um und schloss ihre Augen.
Für sie war es unfassbar, dass Rose sich nicht traute, über ihren Schatten zu springen.
Es war wohl mitten in der Nacht, Rose war sich darüber unsicher.
Aber worin sie sich sicher war, war, dass an die Tür geklopft und sie von dem Klopfen geweckt wurde.
Verschlafen und nicht klar im Kopf, setzte sich die siebzehnjährige auf. Eben noch hatte sie von einer angenehmen Sommerbrise geträumt. So harsch aus dem Szenario gerissen zu werden, machte sie ganz konfus.
Sie gähnte und blinzelte müde, sah hinüber zu Elisé, die seelenruhig weiterschlief.
Mit zuckenden Mundwinkeln lief Rose zur Tür und öffnete sie – ehe ihr Lächeln erstarb.
Nicht weil Jacobs Anblick so grauenvoll war, sondern weil ihr in diesem Moment schlagartig einfiel, als das Licht aus dem Flur sie beleuchtete, dass sie nichts weiter anhatte als ihr Nachtkleid.
Die Begrüßungsformel blieb ihr im Hals stecken und sie krächzte, während sich seine Augenbrauen zusammenzogen.
„Verzeih, ich dachte, ihr seid noch wach."
Rose schüttelte rot anlaufend ihren Kopf, bewegte ohne Plan ihre Arme und ließ sie letztendlich wieder sinken.
„Was machst du hier?", fragte sie ihn leise.
„Ich..." Er schluckte, vergaß, was er sich eben noch zurechtgelegt hatte, sobald er sah, wie durchscheinend der Stoff ihres Nachtkleids war. „Ich weiß es nicht." Er ließ den Kopf sinken, schüttelte den ihn. „Ich... wollte nicht allein bleiben."
„Oh", machte sie, hob ihre Augenbrauen. „In Ordnung, ich... ich kann mich wieder anziehen und-"
„Nein, ich-" Jacob presste die Lippen zusammen als er ohne nachzudenken nach ihrer Hand griff. „Es tut mir leid, Rose." Der Meisterassassine atmete tief durch, bevor er weitersprach. „Es hätte nie so weit kommen dürfen."
Rose hatte nur die grobe Ahnung, wovon er sprach. Sie nickte, nahm seine Entschuldigung ohne es auszusprechen an, während ihre Gedanken explodierten und sich nicht mehr rechtzeitig ordnen konnten, bevor sie wieder sprach.
„Ich... kann nicht." Roses Augen begannen glasig zu werden und sie blinzelte, brach den Blickkontakt und entzog dem einundzwanzigjährigen ihre Hand. „Ich... kann nicht." Sie atmete tief ein, zuckte zusammen als er seine Hand gegen ihre Wange legte, ihr mit dem Daumen in einem beruhigenden Rhythmus über die Haut streichelte.
„Was kannst du nicht?", hakte er angespannt nach. Er würde heute Nacht ohnehin womöglich kein Auge zumachen, weil sie in seinem Kopf kreiste. Vielleicht könnte er ihr wenigstens ihre Sorgen abnehmen.
Sie atmete einige Augenblicke hektisch ein, ehe sie mit Tränen in den Augen aufsah.
„Ich kann nicht gehen", gestand sie und Jacob hielt an ihrer Wange inne. „Jacob, es geht nicht." Sie schüttelte ihren Kopf. „Wenn ich gehen würde, würde ich meine Gefühle ignorieren." Es einmal ausgesprochen konnte Rose sich nicht stoppen.
„Natürlich kannst du", widersprach er ihr verwirrt. „Abberline stellt Eskorte bereit, die euch sicher nach Hause bringen werden."
Rose atmete nervös ein und hob den Blick. „Nein, ich kann nicht gehen", meinte sie nun etwas sicherer. „Ich möchte nicht", sprach sie es aus.
„Rose-"
„Es ist nicht fair, dass-"
„Es ist niemals fair", unterbrach er sie und nahm seine Hand von ihrer Wange fort. „Rose, ich glaube... ich glaube, es war eine schlechte Idee, dich zu wecken." Er atmete tief ein, wandte den Kopf ab. „Du solltest zurück ins Bett."
„Nein", widersprach sie und schniefte. „Ich... Nicht bevor wir das hier nicht geklärt haben."
Seine Mundwinkel zogen sich nach unten.
„Das hier ist nichts", redete er sich laut ein.
„Das glaube ich nicht", widersprach sie ihm erneut. „Ich möchte dich nicht verlassen und ich glaube, es ist andersrum genauso."
„Nein." Rose fuhr zusammen als Jacob entschieden und in zu lautem Ton seine Entscheidung aussprach, aufblickte.
„Ich..." Aus reinem Selbstschutz trat Rose einen kleinen Schritt zurück. „Du... willst mich nicht?", hakte sie leise nach, hob beide Augenbrauen.
Wie konnte das passieren?
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Datum der Veröffentlichung: 21.02.2022 18:10 Uhr
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