Türchen 5
Jessica Bell ließ auf sich warten, weshalb Detective Klaus die Zeit nutzte und den Koch zu sich bringen ließ.
Der alte Mann nahm die weiße Mütze vom Kopf, als er eintrat und forschen Schrittes auf die Polizistin zuging. Diese erhob sich ebenfalls und reichte ihm die Hand.
»Detective Nicola Klaus, mein Name.«
»Ah, sehr erfreut, Madame! Isch bin Monsieur Clinquant.«
»Wie schön, dass Sie zu mir kommen. Seien Sie unbesorgt, ich habe nur eine kurze Frage an Sie.«
»Wie kann isch Ihnen be'ilflisch sein?«, fragte der Koch mit einem französischen Akzent.
»Ich habe bereits mit Joseph Bell über den Mord gesprochen«, erklärte sie und lächelte ihn herzlich an. »Ich würde gern sein Alibi überprüfen. Könnten Sie mir sagen, wann genau er in der Küche war?«
»Wissen Sie, Joseph ist ein guter Jünge. Er würde niemals etwas zuleide tun einer Fliege!«, sagte der Koch aufgeregt und sein Gesicht nahm einen leichten Rosaton an.
»Sicher, Monsieur Clinquant! Würden Sie bitte trotzdem auf meine Frage antworten?«, bestand Detective Klaus darauf.
Der Koch überlegte angestrengt, sah zwischenzeitlich auf seine Uhr und dann wieder zu der Polizistin. »Isch ... äh ... würde sagen, das war 20 Ühr, vielleischt ein paar Minüten davor.«
»Vielen Dank, Monsieur Clinquant, Sie dürfen gehen.«
Der Koch sah verunsichert drein. »Aber Sie werden Joseph doch nischt ver'aften, oder Madame?«, fragte er und knetete seine Mütze zwischen den wulstigen Fingern.
Die Frau lächelte ihn an. »Ich darf Ihnen leider nichts über mein Vorgehen verraten, ansonsten müsste ich Sie erschießen!«, spaßte sie und lachte herzlich auf.
Der Koch nickte nur mit entgleister Miene, machte eine kleine Verbeugung und verschwand dann aus der Bibliothek.
❅❅❅
Nicola Klaus überhörte das zaghafte Klopfen an der Tür beinahe, doch hieß sie die Person dahinter mit einem »Kommen Sie herein!« willkommen.
Der Kopf einer Frau schob sich zwischen den Spalt der Tür in die Bibliothek.
»Ah! Mrs Bell, wie schön! Setzen Sie sich, setzen Sie sich!«, forderte Detective Klaus sie auf, woraufhin Jessica die Tür schloss und der Polizistin gegenüber auf dem Sessel platznahm.
»Jo sagt, Sie wollen mich sprechen?«, fragte sie und faltete die Hände bedacht in ihrem Schoß.
»Ja, das will ich. Kommen wir gleich zur Sache: Haben Sie Rudolph Deer umgebracht?«
Der Kugelschreiber schwebte nur Millimeter über dem Papier und wartete darauf, die Antwort von Jessica zu notieren, die mit großen Augen den Detective anstarrte.
»Mrs Bell?«, hakte Nicola Klaus nach.
»Hm?«, machte Jessica, als wäre sie soeben erst angesprochen worden.
»Verstehen Sie die Frage nicht?«
»Nicht so richtig?«, kam es zurück. Der verwirrte Gesichtsausdruck passte nicht zu Jessica, die sonst immer voller Selbstbewusstsein war und deren Meinung sich meist klar in ihrer Miene widergespiegelte.
»Nun ja, es ist gar nicht so schwer. Ich fragte Sie, ob Sie Rudolph Deer durch eine Gewalttat das Leben genommen haben?«
In Jessica schien sich etwas zu regen. »Das habe ich schon verstanden«, sagte sie, sah aber immer noch ziemlich betroffen aus.
»Oh!«, machte Detective Klaus überrascht. »Weil Sie doch gefragt haben.«
Jessica schnaubte belustigt und nun schien ihr eigentlicher Charakter die Oberhand zu gewinnen. »Soll das ein Scherz sein?«
Die Polizistin schüttelte ernst den Kopf. »Nein, ganz und gar nicht. In solch einer Situation würde ich niemals Witze machen. Also, haben Sie ihn nun umgebracht oder nicht?«
»Nein!«, kam es von Jessica augenblicklich zurück. »Habe ich nicht.«
»Na also, es war doch gar nicht schwer, oder?« Zufrieden kritzelte Nicola Klaus etwas in ihren Notizblock. »Mochten Sie Rudolph?«
Jessica zuckte mit den Schultern. »Er war der beste Freund meines Mannes.«
»Das beantwortet meine Frage nicht, Mrs Bell.«
»Ja. Ja, natürlich mochte ich Rudolph«, erklärte Jessica nach einer Weile und kratzte sich an der Schläfe.
»Also haben Sie ihn nicht umgebracht?«, fragte Nicola Klaus erneut, woraufhin Jessica die Hände in die Luft warf.
»Um Himmels Willen, wie oft wollen Sie mich das denn noch fragen?«, rief sie genervt.
»So lange, bis ich mir sicher bin, dass sie mich nicht anlügen.« Nicola Klaus blätterte ihren Block um. »Wann haben Sie Rudolph das letzte Mal gesehen?«
Jessica zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht mehr.«
»Dann rate ich Ihnen, genau nachzudenken, denn Sie werden diesen Raum nicht verlassen, bevor Sie mir eine Antwort gegeben haben.«
Frustriert entließ Jessica stoßartig die Luft aus ihren Lungen. »Ich denke, so gegen 19:30 Uhr vielleicht?«
»Sie denken, oder Sie wissen?«
»Ich denke!«
Detective Klaus spürte, wie Jessicas Geduldsfaden immer weiter aufdröselte. Doch genau das war der Punkt. Menschen neigten dazu, unter Stress impulsiv zu handeln. Und in eben diesen Aussagen, versteckten sich die Körnchen der Wahrheit, die sie so unbedingt zu verbergen suchten.
»Gut, dann gehen wir doch ein Stück weiter zurück. Vielleicht hilft das Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge. Was haben Sie getan, nachdem Sie angekommen sind?«, bohrte der Detective weiter nach.
»Ähm, Joseph hat Rudolph und Faith ihr Zimmer gezeigt, ich bin schon in sein Zimmer gegangen und habe die Sachen verstaut«, sagte Jessica und sah der Polizistin dabei zu, wie sie sich alles genau notierte. Sie reckte den Hals, um etwas von dem Geschriebenen zu erkennen, doch Detective Klaus hielt den Block so, dass ihr die Informationen verborgen blieben.
»Weiter, weiter!«, forderte sie Jessica auf, die sich wieder daran machte, den Abend Revue passieren zu lassen.
»Danach waren wir im Salon, um etwas–«
»Wann war das?«, unterbrach Detective Klaus sie.
»Halb Sieben vielleicht. Wir waren dort, um alle auf das diesjährige Weihnachtsfest anzustoßen.«
Die Polizistin blickte auf. »Womit haben Sie angestoßen? Rum oder Whisky vielleicht?«
Jessica zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. »Ist das denn wichtig?«
»Würde ich sonst fragen?«, warf ihr Gegenüber ein.
Sie schnaubte und schüttelte ungläubig den Kopf. »Es war Champagner. Jo trinkt keinen Rum, Blake und Rudolph keinen Whisky. Und wir Frauen auch nicht.«
»Nun gut, wie ging es weiter?«, fragte Detective Klaus, während sie die neuen Informationen in ihren Block übertrug.
»Danach bin kurz nachdem Holly und Faith den Salon verlassen haben, auch auf unser Zimmer gegangen, das war ungefähr um Sieben. Ich habe mich für das Abendessen fertig gemacht.«
»Und zwischendurch ist nichts Ungewöhnliches passiert?«, fragte Detective Klaus.
Jessica schluckte hart, schüttelte aber bestimmt den Kopf. »Nein, nichts. 19:45 Uhr bin ich dann hinunter in die Bibliothek gegangen.«
Die Polizistin kniff nachdenklich die Augen zusammen und blätterte in ihrem Notizblock herum, bis sie das fand, wonach sie suchte. »Mr Bell hat gesagt, er wäre ebenfalls um diese Uhrzeit auf dem Weg in die Bibliothek gewesen«, sagte sie mit Blick auf das beschriebene Papier. »Dann sind Sie also zusammen gegangen?«
Jessica sah sie mit einem durchdringenden Blick an. Nach einer Weile nickte sie heftig. »Ja, das ist richtig. Wir sind gemeinsam in die Bibliothek gegangen. Dort haben Holly, Blake und Jos Eltern schon auf uns gewartet.«
»Hm«, machte Detective Klaus und rieb sich das Kinn. »Mrs Bell, wie vertraut sind Sie mit dem Strafrecht?«
In Jessica machte sich ein ungutes Gefühl breit. Diese Frage wurde ihr nicht umsonst gestellt. Und auf einmal war ihr ganzer Kopf wie leergefegt. Sie hatte keine Ahnung, wie sie darauf reagieren sollte, doch das brauchte sie auch nicht, denn Nicola Klaus sprach schon weiter.
»Vielleicht wissen Sie, dass das Tätigen einer Falschaussage eine Freiheitsstrafe zur Folge haben kann?«
Jessica nickte betroffen, während ihre Hände trotz der Wärme in dem Raum eiskalt wurden.
»Gut«, fuhr die Polizistin fort. »Wie kann es also sein, dass Sie und Ihr Mann gemeinsam auf dem Weg in die Bibliothek waren, wenn Joseph behauptet, zu dieser Zeit an einem ganz anderen Ort gewesen zu sein?«
Jessica verschlug es die Sprache. Ihr Mund war trocken, bittere Galle stieg ihr in die Kehle und am liebsten hätte sie sich auf der Stelle übergeben. Doch das würde Joseph gar nichts nützen. Allerdings wusste sie auch nicht, wie sie aus diesem Schlamassel wieder herauskommen sollte.
»Sie haben gelogen, Mrs Bell, da bin ich mir sicher. Die Frage ist nur, warum?«
Detective Klaus' Augen bohrten sich in die von Jessica, deren Mut immer weiter schwand. Sie rutschte unruhig auf dem Sessel hin und her, doch wenigstens lief sie nicht einfach davon. Eine Verfolgungsjagd war das Letzte, was die Polizistin nun brauchte.
»Sagen Sie es mir, oder soll ich Sie in Untersuchungshaft nehmen, bis die Sache geklärt ist?« Nachdenklich legte sie den Kopf schief. »Ich denke, wir würden vielleicht noch in der Zelle dieser Drogendealerin einen Platz für Sie finden. Ansonsten müsste ich die naheliegenden Gefängnisse kontaktieren. Es ist immer sehr voll über Weihnachten, das glaubt man kaum. Was da manchmal für Gestalten herumlungern, das ist wirklich gruselig –«
»Ist ja gut!«, sagte Jessica aufgebracht.
Detective Klaus machte einen überaus zufriedenen Eindruck »Wo war Mr Bell dreiviertel Acht?«
»Ich weiß es nicht«, presste Jessica schließlich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
»Waren Sie bei Ihrem Mann?«, hakte der Detective nach.
»Nein«, gab sie zu, aber setzte eilig nach: »Ich weiß, dass er Rudolph niemals etwas antun würde! Jo wäre zu so etwas überhaupt nicht in der Lage!«
»Ja, das habe ich schon gehört ...«, seufzte Detective Klaus. »Vielen Dank, Mrs Bell. Eine Sache wäre da noch: Wissen Sie, was das ist?«
Wieder fand der gläserne Gegenstand den Weg aus der Innentasche der Polizistin und wurde vor Jessicas Nase gehalten, die einen Blick darauf warf, dann aber ratlos den Kopf schüttelte.
»Nein, tut mir leid.«
Detective Klaus nickte und steckte den Beweis wieder weg. »Sie sind vorerst entlassen.«
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