Türchen 19
»Entschuldigung, würden Sie uns bitte einmal durchlassen?«, rief Detective Klaus und bahnte sich den Weg durch die kleine Gruppe, die den Eingang zum Gästezimmer blockierte.
»Wer ist das?«, fragte Holly Night und beäugte den jungen Mann, den die Polizistin hinter sich herzog, skeptisch.
»Das ist mein Rechtsmediziner«, erwiderte diese und tauchte unter dem Absperrband hindurch. Gerade noch rechtzeitig duckte sich der Mann, um nicht mit dem Kopf daran hängenzubleiben.
»Hallo«, erwiderte er kurz und hob die Hand. Als sein Blick auf Faith fiel, weiteten sich seine Augen kurz. »Wie geht es Ihnen, Miss Fuller?«
Die junge Frau verschränkte die Arme vor der Brust und wirkte abweisend. »Was glauben Sie denn?«, antwortete sie mit einer Gegenfrage und rollte mit den Augen.
Ein wenig vor den Kopf gestoßen, wandte sich der Rechtsmediziner ab und trat stattdessen neben die Polizistin, die wieder den Zollstock auseinanderklappte.
»Würdest du bitte die Tür schließen?«, murmelte sie, ganz auf den Blutfleck fokussiert.
»Hm?«, machte ihr Kollege, der ebenfalls auf das rot gefärbte Laken blickte.
»Die Tür! Du sollst sie schließen. Ich brauche deine Meinung und die ist für die Ohren der Verdächtigen da draußen nicht gedacht«, sagte Nicola Klaus und wirkte ein wenig ungeduldig.
»Ah ja, einen Moment«, sagte der Mann und überbrückte schnell den Abstand zum Eingang, wo die kleine Gruppe neugierig ins Zimmer lugte. Protestierende Stimmen wurden laut, als der Rechtsmediziner die Tür mit stammelnden Entschuldigungen schloss.
»Warum entschuldigst du dich so viel?«, fragte die Polizistin und unterbrach ihr geschäftiges Hin- und Herrücken des Zollstocks, um ihren Kollegen anzusehen.
»Ich weiß nicht. Das ist ... wohl einfach eine Angewohnheit. Entschuldigung, Detective!«, murmelte der junge Mann.
»Um Gottes Willen, Felix! Hör auf damit, das ist ja lächerlich!«, rief Nicola Klaus und warf die gummibehandschuhten Hände in die Luft.
Der Rechtsmediziner konnte gerade noch verhindern, dass ihm ein verlegenes »Sorry ...« über die Lippen rutschte. Währenddessen hatte sich die Polizistin schon wieder über den Blutfleck gebeugt. Sie packte den Mann beim Kragen seines Hemdes und zog ihn völlig vertieft zu sich.
»Sieh mal!«, forderte sie ihn auf und deutete auf den Zollstock. Der Mann schob seine Brille, die bei der abrupten Bewegung leicht verrutscht war, zurück auf seinen Nasenrücken und beugte sich leicht nach vorn. Eine ganze Weile starrte er vor sich hin, richtete sich dann wieder auf und sah seine Kollegin aus erwartungsvollen Augen an.
»Was ist?«, hakte er schließlich nach, was die Polizistin dazu brachte, die Augen zu verdrehen.
»Du sollst die Länge ablesen«, erklärte sie seufzend und deutete erst auf den kleineren, dann in die Mitte des größeren Blutflecks.
Wieder beugte sich ihr Kollege vor, kniff die Augen zusammen und nannte schließlich die Zahl. »Und was soll damit sein?«, fügte er hinzu.
Detective Klaus deutete auf die Aktentasche. »Hol die Papiere zu dem Fall raus!«, forderte sie und streckte abwartend die Hand aus, in die der junge Mann die Akte legte.
Sie blätterte durch die Seiten, bis sie fand, wonach sie Ausschau gehalten hatte. Mit leuchtenden Augen hielt sie dem Rechtsmediziner das Blatt vor die Nase und deutete auf eine Spalte.
»Der Abstand zwischen dem Blutfleck, welcher laut Miss Fuller entstand, als das Blut aus dem Mund des Opfers lief, und der Stelle, an dem sich seine Brust befand, ist zu kurz«, erklärte die Polizistin und zog die Augenbrauen in die Höhe. Ihr ganzes Gesicht leuchtete förmlich.
»Bist du sicher?«, fragte ihr Kollege und blickte zwischen der Akte und dem Bettlaken hin und her.
»Ja, was sagst du dazu?«
Der Rechtsmediziner rieb sich leicht verzweifelt mit Daumen und Zeigefinger die Augen, rückte die Brille wieder zurecht und stemmte dann die Fäuste in die Hüfte.
»Vielleicht hat er sich noch bewegt, kurz bevor er gestorben ist?«, mutmaßte der Mann.
Detective Klaus schüttelte entschieden den Kopf. »Dann wären doch die Ränder des Blutflecks, der sich um seinen Körper gebildet hat, verschmiert, oder nicht?«
»Keine Ahnung ...«, meinte ihr Kollege und sah nicht sehr überzeugt aus. »Und was sagt uns das überhaupt? Dass sein Mund auf Höhe seines Halses sitzt?«
Die Polizistin bedachte ihn mit einem genervten Blick, zuckte dann aber die Schultern. »Das weiß ich selbst nicht so richtig, deshalb wollte ich ja deine Meinung dazu hören ...«
»Ich habe keine Ahnung, worauf du hinauswillst. Ein Mensch schrumpft nicht einfach nach seinem Tod.« Noch einmal beugte sich der Rechtsmediziner vor und inspizierte das Blut.
»Dann muss ich mir wohl doch noch einmal die Leiche von Mr Deer ansehen. Könntest du mich gleich mit zurück zur Polizeistation nehmen?«, fragte sie und drückte ihm die Akte in die Hand.
»Du willst was?« Der Mund des Mannes stand offen. Verdattert sah er die Polizistin an, als würde diese Forderung das erste Mal in der Geschichte der Fallarbeit gestellt werden.
»Die Leiche sehen ... Was ist?« Verwundert runzelte Detective Klaus die Stirn, als sie sah, wie das Gesicht ihres Kollegen rot anlief. »Felix, was ist?«, hakte sie nach, als dieser ihr nicht antwortete.
Dem Rechtsmediziner schien ganz schlecht zu werden. »Die Leiche gibt es nicht mehr.«
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