Prolog
,,Mum! Dad! Jan!"
June stand im Türrahmen der Hintertür und hielt ihre kleine Schwester an der Hand, die sich ängstlich an sie klammerte. Es war mitten in der Nacht. Das Licht des Vollmondes strahlte zwar hell über die Landschaft, doch ein dichter Nebel verhinderte, dass June irgendwas erkennen konnte. Zitternd und mit klopfendem Herzen stand sie da und rief immer wieder nach ihren Eltern und ihrem großen Bruder. Seit fast zwanzig Minuten waren sie zwischen den Bäumen des Waldes hinter dem Haus verschwunden. Seit dem war es gespenstisch still.
,,Geht es Mum und Dad gut?" fragte April, Junes kleine Schwester verunsichert.
,,Ja, natürlich geht es ihnen gut!" versicherte ihr June mit einem schlechten Gewissen. Denn genau die Frage bereitete auch ihr große Sorgen. Doch sie versuchte sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen. Trotz ihrer zitternden Knie und ihres Angstschweißes, versuchte sie vor ihrer kleinen Schwester ruhig zu wirken. Ihre Eltern hatten ihr befohlen bei ihr zu bleiben und auf die aufzupassen, während sie gemeinsam mit ihrem großen Bruder Jan nach dem Rechten sahen.
,,Warum sind sie dann noch nicht zurück?" fragte April verängstigt und klammerte sich noch fester an die Hand ihrer großen Schwester.
,,Sie sind bestimmt bald wieder -..."
June stoppte abrupt mitten in ihrem Satz, als ein heller Schrei durch die Nacht hallte. Eine Frauenstimme! June riss geschockt die Augen auf und zückte augenblicklich ihren Zauberstab. Der Schrei war der ihrer Mutter gewesen...
,,June, was war das?" fragte April mit zitternder Stimme. Tränen stiegen ihr in die Augen. June kniete sich hinunter zu ihrer Schwester und packte sie an beiden Schultern.
,,Okay, hör mir gut zu!" begann sie eindringlich. ,,Geh' hinein und versteck dich! Geh' ja nicht aus dem Haus, egal was passiert! Komm' erst wieder aus deinem Versteck, wenn ich wieder da bin! Hast du verstanden?"
,,Wo gehst du hin?" fragte die Kleine, der nun Tränen die Wangen hinunter liefen.
,,Mum und Dad brauchen meine Hilfe!" erklärte sie ihrer Schwester.
,,Bitte bleib hier!" flehte April sie an und fiel ihr um den Hals. June spürte, wie ihre Augen ebenfalls glasig wurden. Sie drückte ihre Schwester ganz fest.
,,Ich bin gleich wieder zurück, versprochen!" sagte sie zu ihr und löste sich. Sie blickte in die verheulten, verängstigten Augen ihrer Schwester.
,,Aber du musst mir versprechen, dass du im Haus bleibst!" bat sie die Kleine eindringlich. April nickte zögernd. June stand hastig wieder auf und schob ihre Schwester ins Haus. April drehte sich um und rannte schnurstracks die Treppe hinauf. June blickte ihr ein letztes Mal besorgt hinterher und schloss schließlich langsam die Haustür.
Mit zitternden Händen hielt sie ihren Zauberstab fest und entfernte sich langsam vom Haus. Ihr war nicht wohl dabei April alleine zurückzulassen. Sie war erst zehn Jahre alt, sie konnte noch nicht einmal zaubern, wie sollte sie sich selbst verteidigen?! Doch was, wenn ihren Eltern oder Jan etwas zugestoßen war? Dann war June die Einzige, die ihnen noch helfen konnte!
,,Lumos!" murmelte June leise und die Spitze ihres Zauberstabes begann zu leuchten. Sie hoffte, dass sie sich so im Nebel besser zurechtfinden könnte. Mit zitternden Händen strich sie sich ihre dunkelblonden, langen Haare aus dem Gesicht.
,,Mum... Dad!" rief sie ein weiteres Mal und blickte sich verängstigt um. Doch außer Bäumen und Sträuchern konnte sie nichts erkennen.
,,Komm schon, June... sei kein Feigling..." zischte sie sich selbst zur Beruhigung zu und versuchte so, das Zittern ihrer Knie irgendwie unter Kontrolle zu bringen. Hektisch wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und setzte einen Schritt vor den anderen.
Plötzlich wurde die Stille ein weiteres Mal gebrochen! Wieder ein Schrei. Diesmal von einem Mann, dessen Stimme June ebenfalls identifizieren konnte.
,,Jan!" schrie sie panisch und sprintete sofort in die Richtung los, aus der der Schrei kam. Sie lief so schnell sie konnte und rief immer wieder den Namen ihres Bruders. Sie versuchte ihn im dichten Nebel irgendwie ausfindig zu machen, doch es schien vergebens... bis sie zu einer Lichtung kam, auf der sie einige Meter von ihr entfernt die Silhouette einer auf dem Boden knienden Gestalt erkennen konnte. Je näher sie kam, desto deutlicher wurde sie... und desto deutlicher wurde auch das Schluchzen, das von der Gestalt kam.
,,Jan!" rief June in die Nacht hinaus. Die Gestalt reagierte nicht, sondern blieb weiter auf dem Boden kauernd. June verlangsamte ihr Tempo und kam immer näher. Als sie nur noch wenige Meter von der Gestalt entfernt war, konnte sie auf dem Waldboden zwei weitere Personen liegen sehen.
,,Jan?" fragte June vorsichtig. Die kniende Gestalt drehte sich zu ihr um. Sie blickte in die dunkelbraunen Augen ihres großen Bruders. Sein Gesicht war tränenverschmiert und er zitterte unkontrolliert. Und als sie einen weiteren Schritt auf ihn zu machte, erkannte sie auch warum...
June stieß einen zitternden Atemzug aus, als sie die beiden blutverschmierten Personen auf dem Boden liegen sah. Eine dunkelblonde Frau, die mit ausdruckslosen, offenen Augen da lag. Ihre Kehle war aufgerissen und ihr Blut tränkte die Erde, auf der sie lag. Nicht weit neben ihr lag ein großer Mann auf dem Bauch, der ebenfalls in einer Blutlache lag.
June wurde gleichzeitig heiß und kalt. Unkontrolliert liefen ihr Tränen über die Wangen als sie sofort zu ihren Eltern stürzte.
,,Mama!" schrie sie voller Schmerz und nahm den Körper ihrer Mutter in ihre Arme. Doch ihre Mutter rührte sich nicht und lag lediglich schlaff da. June legte ihr eine Hand auf die Wange und weinte so sehr, dass ihre Tränen auf das Gesicht ihrer Mutter tropfte.
,,Dad, bitte!" schluchzte sie gequält und griff nach der Hand ihres Vaters. Sie rüttelte kräftig daran, als wollte sie ihn aufwecken, doch weder ihre Mutter noch ihr Vater gaben irgendein Lebenszeichen von sich. June beugte sich von Schmerzen zerfressen über den leblosen Körper ihrer Mutter und weinte bitterlich. Ihr großer Bruder hockte noch immer daneben und starrte die Leichen seiner Eltern an.
,,Sie war es..." presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. June stockte und wandte ihrem Bruder ihr tränendurchströmtes Gesicht zu. Jan ballte seine Hände zu Fäusten und ein wütendes Zittern ließ seinen Körper erbeben.
,,Sie hat sie getötet!!" schrie er voller Qualen und schlug außer sich auf den Waldboden ein.
,,W-Was?" brachte June zitternd hervor, die noch immer ihre Mutter in den Armen hielt.
,,Es ist ihre Schuld, dass sie nicht mehr leben! Sie hat sie umgebracht! Sie war es!" brüllte Jan immer weiter und machte keine Anstalten sich irgendwie zu beruhigen. June schüttelte nur hektisch den Kopf.
,,Jan-..." begann sie und streckte ihre Hand nach ihm aus.
,,Nein!" fuhr er seine Schwester wutentbrannt an, woraufhin diese zusammenzuckte.
,,Sie hat Mum und Dad getötet! Sie ist ein Monster!!!"
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