Heilig Abend
Das Feuer knisterte verträumt im Kamin. Das Licht der flackernden Kerzen spiegelte sich in den schimmernden roten Kugeln, die am Weihnachtsbaum hingen. Draußen war es bereits dunkel. Es fiel leider kein Schnee, doch trotzdem herrschte das Gefühl von Weihnachten im gesamten Haus.
June hatte ein herrliches Essen aufgetischt. Es gb einen gefüllten Truthahn mit Ofenkartoffeln, gekochtem Rotkraut und verschiedensten Salaten. Genau das gleiche Weihnachtsessen, das ihre Mutter jedes Jahr zubereitet hatte. Die letzten paar Jahre hatte ihr June beim Kochen geholfen, deswegen wusste sie, wie man es zubereitete. Doch natürlich war es nicht halb so gut, wie das ihrer Mutter.
Sie hatte sich bereits ein schönes Kleid angezogen. Es war weiß, mit einem knielangen, fallenden Rock, langen Ärmeln und einer Schleife, die ihr um die Taille ging. Ihre Haare hatte sie zu einem lockeren Dutt zusammengebunden, bis auf zwei Strähnen, die ihr lockig ins Gesicht fielen. In ihrer Familie war es immer Tradition gewesen, sich an Heilig Abend schön anzuziehen. June hatte auch dieses Jahr vor, diese Tradition beizubehalten.
Sie spähte schelmisch zur halb offenen Tür der Speisekammer hinüber. Sie hatte Mays und Aprils Geschenke nicht unter den Weihnachtsbaum gelegt. Sie wollte die beiden auf besondere Weise überraschen.
,,May! April!" rief sie die Treppe hinauf. May und April waren noch in ihren Zimmern, um sich fertig zu machen. Kaum hatte sie nach den beiden gerufen, hörte man auch schon die ersten Schritte die Treppen hinunter laufen.
April staunte, als sie das herrliche Essen sah. Sie trug ein dunkelblaues Kleid aus Spitze, das am Saum ihres Rockes mit Strass-Steinen versehen war. Ihr dunkelblondes Haar trug sie in zwei geflochtenen Zöpfen, die ihr June am Vormittag geflochten hatte.
,,Fröhliche Weihnachten, April!" seufzte June und lächelte ihrer kleinen Schwester warm zu. April rannte strahlend zu ihr und umarmte sie freudig.
,,Das sieht toll aus, June!!" lobte sie ihre Schwester und nahm sofort Platz am Tisch. Plötzlich ertönten weitere Schritte von oben. Als May die Treppe hinunter ging, konnte June erkennen, dass sie ein schlichtes, schwarzes Kleid trug. Ihre dunkelbraunen Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden. Ohne etwas zu sagen setzte sich May neben April an den Tisch.
,,Fröhliche Weihnachten." sagte June lächelnd zu ihr.
,,Euch auch." antwortete May und zwang sich zu einem matten Lächeln. Junes Herz verkrampfte sich ein wenig, als sie den Schmerz in Mays Augen erkannte. Für sie war der Tag heute bestimmt schwer... Doch June hoffte, dass sie ihr bald doch noch ein ehrliches Lächeln entlocken können würde.
,,Danke, dass ihr heute mit mir zu Abend esst." sagte June lächelnd, als sie sich gegenüber von ihren Schwestern an den Tisch setzte.
,,Ich habe mir Mühe gegeben. Er ist bestimmt nicht so gut wie der von Mum... Aber ich bin mir sicher, dass er trotzdem schmeckt."
April war die erste die zugriff. June hatte Recht gehabt. Der Truthahn schmeckte nicht so gut, wie der von ihrer Mutter... doch er schmeckte trotzdem! April und June redeten viel während des Essens. May hielt sich eher zurück. Sie aß auch nicht sehr viel, was June etwas enttäuschte. Doch die Vorfreude darauf May ihr Geschenk zu geben, ließ es nicht zu, dass sich Enttäuschung in June breit machte.
Als die drei mit dem Essen fertig waren, halfen May und April June dabei, den Tisch abzuräumen. Wobei das ja ohnehin nicht viel Arbeit war, da June nur einmal mit dem Zauberstab wischen musste, und die schmutzigen Teller und das Besteck von alleine in die Spüle flogen. Vom Truthahn war noch einiges übrig geblieben. Doch das war nicht schlimm, dann hatten die drei eben morgen noch etwas zu essen.
,,Ich... ähm... Ich fühle mich nicht so gut." murmelte May plötzlich. ,,Ich gehe wieder hinauf."
May wollte sich schon zum Gehen wenden, als sie plötzlich noch von June aufgehalten wurde.
,,Warte noch kurz!" hielt sie May zurück. June lächelte breit und stellte sich voller Vorfreude vor ihre beiden Schwestern.
,,Ich weiß, Weihnachten ist dieses Jahr anders. Und ihr wisst beide, dass ich leider nur wenig verdiene... Deswegen habt ihr nicht mit Geschenken gerechnet, ich weiß. Aber ich habe trotzdem etwas für euch." verkündete sie stolz. April machte sofort große Augen und begann zu strahlen. Auf Mays Gesicht machte sich Verwunderung breit.
,,Wirklich?" fragte April aufgeregt. June nickte.
,,Fangen wir mit April an..." begann June. Sie ging hinüber in die Speisekammer, um Aprils Geschenk zu holen.
,,Ich dachte mir... da Charlotte und Emily ja so lange fort sind." hörte man ihre Stimme aus dem Raum nebenan.
,,Möchtest du ihnen doch sicher Briefe schreiben."
April fielen fast die Augen aus dem Kopf, als June mit ihrem Geschenk hervortrat. In ihren Armen trug sie einen großen Eulenkäfig, in welcher eine wunderschöne, helle Schleiereule saß, die April fiepend anstarrte.
,,Du hast mir eine Eule gekauft?!" quiekte April fassungslos und schlug vor lauter Freude die Hände vor dem Mund zusammen.
,,Ich hab' dir eine Eule gekauft." bestätigte June mit einem zufriedenen Lächeln. April kam sofort zu ihr gerannt und starrte die Eule voller Begeisterung an.
,,Hat sie einen Namen?" fragte sie.
,,Noch nicht." antwortete June. Sie stellte den Eulenkäfig auf dem Esstisch ab, während April sie fest umarmte.
,,Du bist die Beste June!! Die Allerbeste!!" schwärmte April und drückte June so fest sie konnte. Junes Herz füllte sich augenblicklich mit Wärme.
,,Fröhliche Weihnachten, April." murmelte sie. April löste sich schließlich von ihr und widmete ihre ganze Aufmerksamkeit der Eule in ihrem Käfig. June bemerkte May, die stumm daneben stand.
,,So, und jetzt zu dir..." sagte sie spannungsvoll und ging noch einmal in die Speisekammer. Sie kam mit einem größeren, in grünem Geschenkpapier eingewickeltem Päckchen zurück.
,,Ich... Ich möchte gar nicht viel dazu sagen." seufzte June mit einem Blick auf das Päckchen.
,,Ich hoffe einfach, dass es dir gefällt."
Mit diesen Worten reichte June ihrer Schwester das Geschenk. May nahm es zögernd entgegen. Unsicher begann sie das dunkelgrüne Geschenkpapier von dem Inhalt loszureißen. Als sie der rote Stoff darunter zum Vorschein kam, sog sie scharf die Luft ein. Sie blickte June ungläubig in die Augen.
,,Was?!" fragte sie fassungslos und packte den Rest des Geschenks aus. Und tatsächlich... das rote Kleid, von dem sie so vor ihren Freundinnen geschwärmt hatte, war darin gewesen. May starrte es einfach nur an.
,,June... wie?" hauchte sie, während sie ihren Blick nicht von dem Kleid abwenden konnte.
,,Gefällt es dir?" fragte June lächelnd.
,,Ob es mir gefällt?" fragte May und wandte June ihre glasigen Augen zu.
,,June, wie konntest du dir das leisten? Weißt du wie teuer das Kleid war?"
June lächelte nur und zuckte lediglich mit den Schultern.
,,Ich hab' mein Trinkgeld zusammengekratzt." gestand sie seufzend. May schüttelte ungläubig den Kopf. Sie stürmte auf June zu und fiel ihrer großen Schwester schluchzend um den Hals. June war so überrascht, dass sie gar nicht wusste wie sie reagieren sollte. Sie stand da, während May sie fest im Arm hielt. June konnte gar nicht glauben, was gerade passierte. May hatte sie seit fast einem halben Jahr nicht mehr umarmt. Ihr Herz begann wild zu pochen und auch June stiegen ein paar Freudentränen in die Augen, als sie ihre kleine Schwester fest drückte. Sie hatte so lange auf dieses Gefühl verzichten müssen.
,,Dankeschön, June! Es ist perfekt!" murmelte May. Doch mitten in der Umarmung stockte sie plötzlich. Langsam löste sie sich von June und blickte betrübt zu Boden, während sie das rote Kleid in der linken Hand hielt.
,,Was ist denn?" fragte June sofort besorgt. May seufzte und traute sich nicht June ins Gesicht zu blicken. Sie hielt ihren Blick nur weiter zu Boden gerichtet.
,,Ich... hab gar nichts für dich..." flüsterte sie beschämt. June seufzte lächelnd und nahm die rechte Hand ihrer Schwester in ihre. Überrascht blickte May zu ihr hinauf.
,,May..." begann June und blickte ihre Schwester voller Freude und Warmherzigkeit an.
,,Jetzt gerade, hast du mir das schönste Geschenk gemacht, das du mir je hättest machen können."
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