Entschuldigung
Nach dem Frühstück schlenderte Penny die Gänge von Hogwarts in Richtung Bibliothek entlang. Sie hatte June versprochen einige Bücher für sie auszuleihen, damit sie morgen in ihrer Freistunde gleich mit den Hausaufgaben anfangen konnte. Sie wollte ihrer besten Freundin so gut es ging helfen. Gerade als sie um die Ecke biegen wollte, hörte sie, wie jemand ihren Namen rief.
,,Hey, Penny! Warte kurz!"
Überrascht drehte sie sich um und sah James Potter auf sie zueilen, gefolgt von seinen Freunden Sirius, Remus und Peter.
,,James, Was gibt's?" begrüßte sie ihn lächelnd. Die vier kamen vor ihr zum Stehen. Merkwürdigerweise wirkten alle sehr bedrückt. Vor allem Black hatte einen ziemlich verzwickten Gesichtsausdruck aufgesetzt.
,,Wir wollten dich kurz etwas fragen." meinte James und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Das seltsame Verhalten der Jungs machte Penny stutzig.
,,Ja?" fragte sie skeptisch und zog eine Augenbraue in die Höhe.
,,Junes Eltern sind tot, richtig?" murmelte James vorsichtig. Penny zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe. Komisch, dass die vier ausgerechnet darüber sprechen wollten. Doch sie nickte.
,,Ja... sie sind Anfang der Sommerferien dieses Jahr gestorben." seufzte sie bedrückt. ,,Es ist erst ein paar Monate her. Ein Autounfall durch Muggel..."
Die Rumtreiber warfen sich gegenseitig vielsagende Blicke zu.
,,Und... ist es wahr, dass June deswegen am Wochenende arbeiten geht?" meldete sich Remus zu Wort. Penny nickte wieder.
,,Ja, sie muss irgendwie die Miete für ihr Haus zusammenbringen, und dann gibt es ja noch tausende Rechnungen zu bezahlen." meinte sie. ,,Sie hatte anfangs eigentlich vor die Schule abzubrechen, aber Dumbledore hat ihr Merlin sei Dank ermöglicht, dass sie am Wochenende arbeiten gehen kann."
Sirius wurde plötzlich kreidebleich und hatte seinen Blick stur auf den Boden gerichtet. Die restlichen Rumtreiber sahen ebenfalls sehr zerknirscht aus.
,,June will nicht, dass ihr May und April weggenommen werden und, dass die beiden in ein Waisenhaus kommen. Deswegen will sie selbst für die beiden sorgen. Sie hat ihre Eltern verloren, ihr Bruder ist im Ausland... Ihre Schwestern sind irgendwie das einzige Stück Familie, das sie noch bei sich hat." fuhr Penny seufzend fort. Plötzlich runzelte Remus verwirrt die Stirn.
,,Sie hat einen Bruder?" fragte er verwundert. Penny nickte zögernd.
,,Ähm, ja. Er heißt Jan." sagte sie und zog die Stirn in Falten.
,,Komisch... Von einem Bruder hat sie nichts erwähnt." murmelte Remus vor sich hin und dachte an ihr Gespräch von gestern.
,,Er arbeitet beim Tagespropheten und anscheinend reicht sein Gehalt allein nicht aus. June hat es wirklich nicht leicht. Sie hat drei Jobs und arbeitet von morgens bis abends. Und dabei sind irgendwelche Clowns die ihr Butterbier-Fontänen ins Gesicht schießen nicht gerade hilfreich."
Letzteres sagte Penny vorwurfsvoll an Sirius gewandt, dessen schlechtes Gewissen immer größer geworden war.
,,Verstehe..." murmelte James. ,,Danke, Penny."
,,Keine Ursache." seufzte Penny. Mit einem Winken verabschiedete sie sich von den Rumtreibern und setzte ihren Weg zur Bibliothek fort.
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June war den ganzen Arbeitstag über mit den Gedanken ganz wo anders gewesen. Sirius' Worte heute Morgen waren wie ein Schlag in die Magengrube gewesen. Den ganzen Tag über hatte Wut in ihr gebrodelt, gemischt mit dem Schmerz der Erinnerungen, die in ihr hochgekommen waren. Doch sie hatte sich unglaublich angestrengt bei der Sache zu bleiben. Schließlich hatte sie den Tag überlebt und war nun bereits auf dem Weg zurück nach Hogwarts. Doch ihre Gedanken kreisten noch immer um Sirius Blacks Worte.
Verdienen deine Eltern so wenig, dass du ihnen unter die Arme greifen musst?
June seufzte und versuchte ihre negativen Gedanken so gut es ging zu verdrängen. Als sie in Hogwarts ankam, wollte sie gerade durch den Hof zum Eingangsportal gehen. Das einzige was sie heute noch machen wollte war duschen und schlafen.
,,Da bist du ja!" ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihr. June war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie erschrak und sofort herumwirbelte. Doch als sie die Person erkannte, die zu ihr gesprochen hatte, verfinsterte sich ihre Miene augenblicklich.
,,Ich warte schon ewig auf dich... Naja, ich wusste nicht genau, wann du zurück kommst." seufzte Sirius, der einige Meter von ihr entfernt an einer steinernen Säule lehnte. June sagte nicht. Sie biss lediglich wütend die Zähne zusammen und drehte sich um, um weiter zu gehen. Es gab keine Person, auf die sie gerade weniger Lust hatte als Black. Sie wollte so schnell es ging verschwinden, bevor die negativen Emotionen sie wieder übermannten.
,,Bitte warte!" rief er ihr hinterher, als er bemerkte, dass sie gehen wollte.
,,Vergiss es, Black. Ich hab' keine Lust mir deine blöden Sprüche anzuhören." zischte sie verärgert. Sie hörte, wie Sirius zu ihr gerannt kam.
,,Bitte!" bat er sie nochmals und packte ihr Handgelenk. June fuhr überrascht herum und starrte auf seine Hand, mit der er nach ihr gegriffen hatte und die ihr Handgelenkt hielt.
,,Ich möchte mich entschuldigen." sagte Sirius. June blickte ihm ins Gesicht. Täuschte sie sich, oder konnte sie tatsächlich Reue in seinem Blick erkennen?
,,Es war dumm von mir, mich über dich lustig zu machen. Ich hatte keine Ahnung von den Hintergründen." seufzte er und sah ihr eindringlich in die Augen. June antwortete nicht... sie musterte ihn nur abwartend und hörte ihm zu.
,,Mein Mund ist manchmal schneller als meine Gedanken... Jedenfalls wollte ich nur sagen, dass es mir Leid tut." sagte Sirius. June runzelte skeptisch die Stirn.
,,Woher der plötzliche Sinneswandel?" fragte sie misstrauisch. Sirius biss sich auf die Unterlippe.
,,Ich habe meine Eltern auch verloren..." murmelte er. June zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe.
,,Wirklich?" fragte sie. Plötzlich war all ihre Wut und all ihr Ärger auf Sirius Nebensache. Ihr Interesse war geweckt worden. Sirius nickte nur langsam.
,,Ja... Nicht so wie du jetzt vermutlich denkst, sie leben noch. Aber sie sehen mich nicht mehr als ihren Sohn."
June musterte aufmerksam seine Gesichtszüge. Es schien ihm sehr schwer zu fallen darüber zu sprechen, denn er schien instinktiv Junes Blick zu meiden.
,,Was ist passiert?" fragte sie. Sie merkte, wie Sirius schlucken musste.
,,Meine Eltern gehören zu der Sorte von Zauberern, die der Meinung sind nur ,,Reinblüter" hätten wirklich einen Wert. Und so wurden ich und mein Bruder auch erzogen. Als ich nach Gryffindor und nicht nach Slytherin gekommen bin, so wie praktisch jeder in meiner Familie... da war ich auf einmal das schwarze Schaf."
June hörte ihm aufmerksam zu, während er von seiner Vergangenheit erzählte. Er versuchte nach außen hin hart zu bleiben, doch er konnte nicht verhindern, dass sein Schmerz durch seine Augen erkennbar war.
,,Irgendwann hab' ich die verachtenden Sprüche, die Folter und die Schreierei nicht mehr ausgehalten und bin abgehauen." seufzte er. ,,Ich wohne jetzt bei James. Seine Eltern haben mich mit offenen Armen aufgenommen. Aber für meine Eltern bin ich gestorben. Ich weiß, ich habe Glück mit meiner neuen Familie... aber es tut immer noch weh."
,,Das tut mir wirklich Leid." murmelte June aufrichtig. Sirius lächelte matt.
,,Ach... Meine Eltern sind zumindest noch am Leben."
,,Ich bin mir sicher, das ist genau so schlimm." sagte June mitfühlend. Sie musste plötzlich an May denken, die wegen des Vorfalls im Sommer von Jan auch nicht mehr akzeptiert wurde. Sie konnte sich nicht ausmalen, wie schlimm das für sie sein musste. Sirius hatte das Gleiche durchgemacht.
Sirius schluckte und blickte ihr in ihre meerblauen Augen. Plötzlich merkten beide, dass er ja immer noch ihre Hand hielt. Peinlich berührt ließ er sie los und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Auch June wandte ihren Blick ab und wurde kaum bemerkbar rot im Gesicht.
,,Jedenfalls... Ich will mich wirklich für alles Entschuldigen, was ich gesagt oder gemacht hab. Ich verspreche, das hört auf!" versicherte Sirius ihr. June konnte nicht verhindern, dass sie schmunzeln musste.
,,Verzeihst du mir?"
June zögerte kurz. Sirius sah sie erwartungsvoll, mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen an.
,,Also ich weiß nicht recht..." seufzte sie spaßhalber, um Sirius ein wenig zittern zu lassen. Doch dieser schnaubte nur belustigt.
,,Ich dachte mir schon, dass du das sagst." murmelte er und griff in eine Innentasche seiner braunen Lederjacke. June riss überrascht die Augen auf, als plötzlich eine rote Rose in der Hand hielt. Sirius hielt sie ihr vor die Nase.
,,Es tut mir Leid, June." wiederholte er noch einmal. ,,Ich bin der Letzte, der sich über Schicksalsschläge von anderen lustig macht."
June wusste nicht was sie sagen sollte. Sie starrte nur ungläubig die Rose an, die ihr Sirius noch immer vor ihr Gesicht hielt.
,,Verzeihst du mir?" fragte er nochmals. Junes Herz begann plötzlich schneller zu schlagen. Sie brachte kein Wort heraus. Deswegen nickte sie einfach nur. Ein zufriedenes Lächeln schlich sich auf Sirius' Gesicht.
,,Das freut mich." murmelte er lächelnd. Er drückte June die rote Rose in die Hand und beugte sich zu ihren rechten Ohr hin.
,,Behalte die Rose. Sie passt zu deinen Augen." hauchte er ihr ins Ohr ehe er sich von ihr entfernte und schließlich davon ging ohne noch etwas zu sagen oder eine Antwort von ihr abzuwarten. June hielt perplex die Rose in der Hand und starrte ihm mit geröteten Wangen hinterher, bis er um die Ecke verschwand.
Sie schüttelte einmal kurz den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. War das gerade wirklich passiert? War Sirius Black gerade tatsächlich nett zu ihr gewesen? Der Typ, der sie mit Butterbier gegossen hatte, konnte das sein?
Verwirrt ging sie ins Schloss und machte sich auf den Weg zu ihrem Gemeinschaftsraum. Die Rose hielt sie noch immer in der Hand. Doch warum wollte ihr Herz nicht aufhören wie wild zu pochen...?
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