Böse Erinnerungen
Regentropfen prasselten laut auf den Regenschirm, den June über sich und April gespannt hatte. Hand in Hand standen die beiden vor dem großen, schwarzen Grabstein, unter welchem nun ihre Eltern lagen. Die Namen ,,March Summers" und ,,Christopher Summers" waren in weißer Schrift darauf eingraviert.
Die meisten Leute machten sich bereits auf den Heimweg, da das Begräbnis bereits zu Ende war. Es waren sowieso nicht sehr viele Gewesen. Nur ein paar Freunde und Bekannte. Penny und ihre Eltern machten sich auch auf den Heimweg, nachdem sie sich von June verabschiedet hatten.
,,Es tut mir so Leid... Ich bin immer für dich da, hörst du?" hatte Penny ihr ins Ohr geflüstert, als sie sie zum Abschied fest umarmt hatte.
Nun standen June und April alleine vor dem Grab ihrer Eltern. Jan war sehr schnell wieder verschwunden, gleich nach dem Ende der Beerdigung. May war gar nicht erst zum Begräbnis gekommen.
Den Leuten hatte June erzählt, dass ihre Eltern bei einem Verkehrsunfall durch Muggel ums Leben gekommen waren. Natürlich konnte sie keinem erzählen, was wirklich vorgefallen war. Vor allem nicht, weil sie in einem Muggel-Dorf lebten.
,,Komm schon, April..." murmelte June mit einem letzten Blick auf den Grabstein.
,,Lass uns nach Hause gehen."
Gemeinsam trotteten die beiden durch den Regen vom Friedhof nach Hause. Sie lebten in einem kleinen Dorf in England. Sie hatten es nicht weit bis zu ihrem Haus. Keine von beiden sagte etwas. April, weil sie sich nicht traute und June, weil sie nicht wusste, was sie zu April hätte sagen sollen. Schon bald waren sie vor der Haustür aus Eichenholz angekommen. June spannte den Regenschirm ab und lehnte ihn an die Wand um kurz darauf die Türklinke hinunter zu drücken und ins Haus zu treten. Es war dunkel. June zog ihre Schuhe aus, genau wie April.
,,Du kannst in dein Zimmer gehen." sagte sie zu ihrer Schwester. April senkte den Kopf.
,,Ich möchte nicht alleine sein..." murmelte sie traurig. June beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss auf den Kopf.
,,Ich ziehe mich um und dann komme ich sofort zu dir, okay?" sagte sie. April nickte und ging die Treppe hoch. June blickte ihr seufzend hinterher. Sie tat ihr so unfassbar leid. Sie war noch so klein und musste so viel durchmachen.
Auch June machte sich auf den Weg nach oben, um sich in ihrem Zimmer umzuziehen. Das schwarze Baumwollkleid war nicht gerade das bequemste Kleidungsstück, das sie hatte. Sie wollte den Korridor entlang gehen, als sie instinktiv vor der verschlossenen Tür stehen blieb, die in Mays Zimmer führte. Seufzend blickte sie auf das dunkle Holz und machte zögernd einen Schritt darauf zu. Sie fasst Mut und klopfte leise an die Tür.
,,May?" fragte sie leise. Sie erhielt keine Antwort. Sie klopfte noch einmal.
,,May, bitte... Rede mit mir!" flüsterte sie und drückte die Türklinke hinunter. Die Tür war verschlossen.
,,Mach dir keine Mühe." ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihr. Sie blickte sich um und erkannte ihren Bruder Jan, der noch immer den Anzug trug, den er bei der Beerdigung an gehabt hatte.
,,Sie kommt seit Tagen nicht mehr aus ihrem Zimmer, Jan." seufzte June bedrückt.
,,Na und..." murmelte Jan nur abwertend. Jetzt erkannte June, dass er einen ledernen Koffer in der rechten Hand trug. June runzelte verwirrt die Stirn.
,,Was hast du mit dem Koffer vor?" fragte sie verwundert. Jan schnaubte nur und zwängte sich mit dem Koffer an seiner Schwester vorbei.
,,Weggehen." murmelte er, während er die Treppe hinunter ging. June riss ungläubig die Augen auf und eilte ihrem Bruder hinterher.
,,Weggehen? Was meinst du damit?" fragte sie ihn fassungslos.
,,Ich verschwinde." schnaubte er. June wusste gar nicht was gerade geschah. Sie eilte nach vorne und versperrte Jan den Weg zur Tür.
,,Jetzt warte doch einmal!" fuhr sie ihn an. Jan verdrehte stur die Augen.
,,Was... Willst du etwa abhauen?" stotterte June völlig perplex.
,,Ja, ganz genau..." schnauzte er sie an.
,,Aber... Jetzt? Gerade jetzt, wo es für uns alle so schwer ist? Jan, du kannst uns nicht allein lassen!" stammelte June.
,,Dann kommt mit mir!" brummte Junes Bruder. ,,Du und April, ihr könnt mit mir gehen! Wir fangen ein neues Leben an, irgendwo weit weg von hier!"
,,Und was ist mit May?" fragte June ungläubig. Jan schnaubte nur verächtlich.
,,Ich werde nicht weiter mit einem Monster wie ihr unter einem Dach leben..." murmelte er. June riss entsetzt die Augen auf. Ohne darüber nachzudenken holte sie mit ihrer freien Hand aus und verpasste ihre Bruder eine gewaltige Ohrfeige.
,,Wehe du sagst so etwas jemals wieder!" fuhr sie ihn wutentbrannt an. Jan hatte nur stur die Zähne zusammengebissen und blickte ihr nur monoton in die Augen.
,,Du verteidigst sie auch noch..." zischte er verächtlich. June stiegen wieder Tränen in die Augen.
,,May kann nichts dafür!" versuchte sie ihm klar zu machen.
,,Ach nein?!" fuhr Jan sie voller Zorn an. ,,Ich habe mit eigenen Augen gesehen, was sie getan hat! Versuch nicht sie in Schutz zu nehmen! Jetzt sag April sie soll ihre Sachen packen! Wir gehen!"
,,Sie ist unsere Schwester, Jan!" schrie June ihn voller Frust an.
,,Sie ist nicht meine Schwester!" brüllte Jan wütend. ,,Sie ist eine Bestie, die es nicht verdient hat weiter zu leben!"
,,Raus!!!" kreischte June und riss die Haustür auf. Jan starrte sie mit großen Augen an. Tränen liefen seiner Schwester über die Wangen.
,,Du entscheidest dich also für sie?" hauchte Jan ungläubig. ,,Sie ist dir wichtiger als ich? Nach allem was sie getan hat?"
,,Renn doch davon, wenn du unbedingt willst!" schrie sie ihn an. ,,Aber ohne mich und April! Ich glaube an diese Familie und wenn du es nicht tust, dann wird sie eben ohne dich funktionieren!"
Jan starrte von oben auf seine kleine Schwester herab, die ihn voller Verachtung anblickte.
,,Was würden Mum und Dad über dich denken, wenn sie sehen würden, dass du ihre Mörderin verteidigst..." murmelte er enttäuscht.
,,Raus hier!!!" kreischte sie nochmals und zerrte ihren Bruder vor die Haustür. Er riss seinen Arm weg und rempelte sie im Vorbeigehen an.
,,Fein..." zischte er und stolzierte durch den Regen davon. Verheult blickte June ihm hinterher.
,,Du bist hier das Monster!!" schrie sie ihm hinterher und knallte die Tür zu. Sie lehnte sich an die geschlossene Haustür und sank kraftlos zu Boden. Sie schlug ihre Hände vor ihr Gesicht und weinte tausende Tränen... wie sie es die letzten Tage fast pausenlos getan hatte.
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,,June... June, wach auf!" wurde June plötzlich von Pennys Stimme aus dem Schlaf gerissen. Erschrocken fuhr sie hoch und blickte in das besorgte Gesicht ihrer Freundin.
,,Alles in Ordnung? Du hast im Schlaf geweint." meinte Penny und strich ihrer Freundin behutsam über den Rücken. June fasste sich ins Gesicht und merkte, dass es tatsächlich nass war.
,,Ich hab... nur schlecht geträumt..." seufzte sie und rieb sich über die Augen.
,,War es wegen deiner Eltern?" fragte Penny vorsichtig. June nickte zögernd. Penny seufzte.
,,Rutsch rüber." forderte sie ihre Freundin auf und zwängte sich zu ihr auf das Bett. Sie nahm June in den Arm und breitete die Decke über den beiden aus.
,,Ich bleibe bei dir, okay?" murmelte sie. June nickte dankbar und kuschelte sich eng an ihre Freundin.
,,Danke, Penny..."
,,Hey, ich hab's doch gesagt... Ich bin immer für dich da."
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