Kapitel 8
„Land in Sicht!"
Konzentriert kniff ich die Augen zusammen und versuchte zu erkennen, was auch immer der Kerl im Ausguck entdeckt hatte.
Schon seit Stunden waberte Nebel um den Rahschoner. Anfänglich hatte man trotzdem noch weit sehen können, doch mittlerweile tat ich mir sogar schwer das andere Ende des Schiffes zu erkennen.
Ein feuchter Film benetzte meine Haut und Tropfen hatten sich wie Morgentau auf meiner Uniform gebildet. Jene funkelten im Licht der entzündeten Laternen (die nur wenig auszurichten vermochten) wie tausende Kristalle.
Wie in Ciarans Namen war es dem Späher möglich bei dieser dicken grauen Wand Land auszumachen? Ich bemühte mich wirklich zutiefst, doch entweder waren meine Augen zu schlecht oder aber der Mann im Krähennest besaß irgendeine magische Gabe, die ihn Gefoldryan sehen ließ.
Die Kristallmähren tänzelten wieder unruhig umher. Das hatten sie nicht mehr getan, seit wir Elbastyn verlassen hatten. Der Nebel verunsicherte sie mindestens so sehr wie mich. Gillian schien sich allerdings nicht im Geringsten daran zu stören, dass sie kaum etwas erkennen konnte. Ihre dünnen Finger umklammerten die Reling und ein freudiger Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. „Endlich wieder fester Boden unter unseren Füßen", sinnierte sie vor sich hin. „Wenn wir anlegen, dann sollten wir erst einmal nach etwas Anständigem zum Essen suchen. Und nach einem bequemen Schlafplatz. Ich bezweifle, dass wir nur bis zur nächsten Nacht hierbleiben werden."
Da hatte sie recht. Gefoldryan mochte weniger an Fläche besitzen als Elbastyn, aber das Krähennest würde sich bestimmt nicht innerhalb der ersten Stunden unseres Aufenthalts aufspüren lassen. Hunger hatte ich auch. Das Früchtebrot war uns am vergangenen Abend ausgegangen und ich war zu eitel gewesen den Käpt'n dieses Schiffes darum zu bitten, uns eine Portion des Haferbreis zu überlassen. Gillian hatte sich auch zurückgehalten. Offenbar wollte sie ihr Glück nicht strapazieren, denn Madsen hatte es bis jetzt nicht wirklich begriffen, dass sie ihn mit Magie dazu gebracht hatte uns auf die Nebelinsel zu bringen.
Nur ungern gab ich es zu, aber die Eissirene hatte schon mehr von der Welt gesehen als ich. Deshalb fragte ich sie leise: „Warst du schon einmal an diesem Ort?"
Sie schüttelte den Kopf, wobei ihr einzelne schwarze Strähnen ihres hüftlangen Haars in die Stirn fielen. „Ich hab nur Geschichten über Gefoldryan gehört."
Das hatte ich auch, aber dass der Nebel wirklich so dicht war, hatte ich bis zum heutigen Tag nicht geglaubt. Mir wurde mulmig zu mutet bei dem Gedanken daran, dass die anderen Erzählungen genauso viel an Wahrheit beinhalteten. Instinktiv glitten meine Hände an den Waffengürtel und berührten die einzelnen Messer. Die Befürchtung überkam mich, dass ich von mehr als nur einem davon Gebrauch machen würde, sobald wir unsere Füße auf dieses trist wirkende Land gesetzt hatten.
Einer der Männer lief an mit vorüber. Blitzschnell streckte ich einen Arm aus und hielt ihn diesem vor die Brust, um ihm den Weg zu versperren. Verwirrt richteten sich leicht schräg stehende, grüne Augen auf mich. „Du bist Seefahrer." Mein Blick überflog sein Gesicht, die Narben auf der gebräunten Haut. „Und das schon mehr als drei Jahre. Warst du schon einmal auf Gefoldryan?"
Der Nebel schien noch dichter zu werden.
„Aye." Nervös sah er zu seinem Käpt'n hinüber. Vermutlich da er befürchtete, dass er eine Strafe erhalten würde, sollte er sich weiter mit mir unterhalten anstatt seinen Aufgaben nachzugehen.
"Dann sag mir, wo wir uns niederlassen können ohne Gefahr zu laufen in der Nacht erstochen oder erdrosselt zu werden."
Er überlegte nicht lange. Ob dem Zeitdruck geschuldet oder weil er tatsächlich eine Ahnung hatte war mir schleierhaft. Doch ich musste nehmen, was ich bekam. "Direkt in der Hafenstadt gibt es ein Gasthaus, dessen Besitzerin penibel darauf achtet wer dort ein und aus geht. Sie hat sich ein ordentliches Ansehen aufgebaut und will tunlichst vermeiden, dass dieses wieder in Verrufung gerät, weil sich irgendwelches schäbiges Gesindel in ihren Zimmer tummelt. Ich weiß das. Nicht einmal ehrenwerte Seefahrer wie Unsereins lässt sie bei sich unterkommen. Aber Euch ..." Kurz blieben seine eigenaritge Augen an der Sonne auf meiner Brust hängen. "Jemanden, der auf Geheiß des Königs hin reist wird sie sicherlich nicht fort scheuchen. Das Gasthaus, es trägt den Namen Zum silbernen Ozean."
"Danke." Ich ließ meinen Arm sinken, damit er weitereilen konnte.
"Und du vertraust auf das, was er dir da erzählt hat?", fragte Gillian sobald er außer Hörweite war.
"Bleibt uns eine andere Wahl?" Ich wandte mich wieder der Reling zu und versuchte den Streifen Land auszumachen. Da. Tatsächlich konnte ich nun einen schmalen dunklen Umriss erkennen, der sich von den grauen Wand und den schaukelnden Wellen abhob. Und wenn ich mich konzentrierte, dann glaubte ich bereits die Geräusche der Stadt zu vernehmen.
"In Lavorion wären wir sicherer gewesen. Dort können die Verbrecher den Mantel des Nebels nicht für ihre Taten ausnutzen. Naja ... Zumindest nicht so wie hier."
Ich ignorierte ihren Seitenhieb und machte mich lieber daran die Mähren von den Haken loszubinden. Anschließend wartete ich geduldig darauf, dass wir in den Hafen einliefen und am Pier anlegten. Während wir uns stetig weiter dem Ankerpunkt näherten glitten meine Blicke wiederholend über die schaurig wirkenden Hausfassaden. Die Silhouetten einiger Elaryer huschten an der Küste entlang. Dabei erinnerten sie mich mehr an ein Rudel Ratten. Im Grunde genommen machte allen an diesem Ort einen wenig vertrauenswürdigen Eindruck und löste ein ungutes Gefühl in mir aus. Ich versuchte meine sich spannenden Nerven zu beruhigen, indem ich mir sagte, dass der Schein auch trügen konnte. Der Nebel sorgte für die finstere Atmosphäre, die sich über diesem Ort ausbreitete. Und nur weil das Licht hier kaum Einzug hielt bedeutete das nicht, dass die Seelen der Bewohner von der gleichen Dunkelheit erfült sein mussten.
Ich wollte mir gar nichts ausmalen wie Gefoldryan früher einmal ausgehen hatte, als es neben dem Tag auch noch die Nacht gab. Ein eiskalter Schauer wand sich mein Rückgrat hinunter.
„Hast du nun doch Angst?", drang da wieder Gillians Stimme an mein Ohr. Ihre gehässigen Worte vertrieben die Unsicherheit und machten leisem Zorn Platz.
„Wenn du mich noch einmal dazu bringst darüber nachzudenken dir die Zunge herauszuschneiden, dann schwöre ich bei Lesedi, ich werde es tun", zischte ich. Schon beim letzten Mal hatte diese Drohung Früchte getragen und auch heute verfehlte sie ihre Wirkung nicht. Vor allem nicht, da ich symbolisch bereits Hand an einen der Dolche legte, die an meiner Hüfte baumelten.
Abwehrend hob Gillian die Hände, bevor sie mir die Zügel ihrer Kristallmähre abnahm.
Der Rahschoner wurde immer langsamer, glitt nur noch wie ein träger alter Mann über das Wasser, bis er schließlich ganz zum Halten kam.
Rufe hallten über Deck und ein lautes Platschen gefüllt von einem ächzenden Knall ertönte, als erst der schwere Eisenanker unter die Meeresoberfläche tauchte und dann die Brücke runter gelassen wurde.
Der Käpt'n kam auf uns zu und hielt mir seine Hand entgegen. Ich wusste sofort was er von mir verlangte und überreichte ihm ohne große Worte zu verlieren die zweihundert Gedallos, die ich ihm am Hafen von Elbastyn zugesichert hatte. Er nickte mir zu und ließ das schwere Säckchen in seiner Westentasche mit den goldenen ostranischen Stickereien verschwinden. Beide verzichteten wir auf eine Unterredung und so wandte er sich nach Erhalt seiner Bezahlung einfach von uns ab, um zwischen seinen Männern zu verschwinden.
„Gehen wir", sagte ich an Gillian gewandt, bevor ich zielstrebig auf die Brücke zuschritt und die Brücke nach unten stieg. Hinein in den Nebel und hinein in das sogenannte kriminelle Herz von Alveria.
Zwielichtige Personen huschten an uns vorüber. Aber nicht ohne uns mit verblüfften Mienen zu mustern und in aufgeregtes Getuschel zu verfallen.
Instinktiv fasste ich die Zügel meiner Kristallmähre fester, ebenso wie den Gurt meiner Reisetasche. Vertrauen würde ich hier sicherlich niemandem. Nicht einmal einem unschuldig aussehenden Kind.
Ich hoffte, dass wir nicht lange nach dem beschriebenen Gasthaus suchen mussten. Kurzerhand entschied ich mich dazu mittig in die Stadt hinein zu steuern. Gillian folgte mir ohne Proteste. Zum Glück für sie. Dann brachte sie mich nicht in Versuchung.
Der Geruch von modriger Erde, feuchtem Lehm und Tabak kroch mir in die Nase, während wir durch die breiten Straßen zogen. Mit Absicht wählte ich die offenen und besser beleuchteten Wege. Ich wollte nicht wissen welche Herrschaften sich in den schmalen und düsteren Gassen herumtrieben, wobei wir dort vermutlich am ehesten auf das Krähennest gestoßen wären. Später würde ich die wenig einladenden Flecken nicht mehr meiden, wenn wir das Zum silbernen Ozean erst einmal gefunden und unsere Tiere sicher dort untergebracht hatten. Denn bei Ciaran, dass jemand versuchen würde die Kristallmähren zu stehlen war eine absehbare Sache.
Eine süße Note mischte sich unter die vorherrschenden herben Düfte. Ich wusste wonach es roch und zwang mich nicht genau hinzusehen, sobald ich die vierköpfige Gruppe bemerkte. Im Kreis standen sie abseits der Straße und verleibten sich das wohl begehrteste Rauschmittel in ganz Alveria ein -Dandigelblut.
Kaum waren wir an den Drogensüchtigen vorbei bot sich uns eine weitere Szene, die danach schrie bloß auf Abstand zu bleiben. Zwei hochgewachsene Elaryer waren dabei sich vor einer Taverne gegenseitig die kahl rasierten Schädel einzuschlagen.
Mit Ernüchterung musste ich feststellen, dass dieser Ort genau so düster und von Verbrechen geplagt war, wie man es sich erzählte. Das perfekte Zuhause für eine Gruppierung, die sich der Nacht und dem Schattenvolk anschloss. Solcher Abschaum passte an dieses Fleckchen unheilige Erde wie die Maden in ein Begräbnis.
„Verzeihung der Herr, aber wie kommen wir zum Gasthaus das den Namen Zum silbernen Ozean trägt?"
Hatte ich mich verhört? Nein, das hatte ich nicht. Als ich mich umdrehte, um zu sehen welchen Fremden Gillian blindlings angesprochen hatte, packte ich sofort den Dolch, mit dem ich Arette den Oberschenkel aufgeschnitten hatte.
War sie denn von allen guten Geistern verlassen ausgerechnet jemanden nach dem Weg zu fragen, der ein von Brandnarben entstelltes Gesicht besaß?
Ich knurrte leise, bereit dem Kerl meine Klinge in den Hals zu rammen.
Dieser beachtete mich nicht für die Dauer einer einzelnen Sekunde. Dabei musste er die Uniform doch bemerkt haben, die ich am Leibe trug. Oder aber ... Ja, er war blind. Das Feuer hatte ihm nicht nur sein früheres Aussehen geraubt sondern auch die Fähigkeit zu sehen. Unweigerlich fragte ich mich, was dieser armen Kreatur widerfahren sein musste. Und ob sie wirklich so bemitleidenswert war, wie es den Anschein machte.
„Neu hier?", wollte er wissen. Seine Stimme klang furchtbar verzerrt. Als ob die Flammen nicht einmal vor seinem Sprechorgan Halt gemacht hatten.
„Ja. Wir sind zum ersten Mal auf Gefoldryan", erwiderte Gillian ohne auch nur darüber nachzudenken.
„Und dann wollt ihr direkt zum silbernen Ozean?" Ich hörte die indirekte Frage, die in diesen Worten mitschwang. Seid ihr denn so reich und von solch edler Herkunft, dass euch die Besitzerin aufnehmen wird?
Bevor Gillian etwas Dummes von sich geben konnte fing ich die Konversation an dieser Stelle auf. „Es wurde uns empfohlen. Aber Ihr klingt nicht unbedingt, als würdet auch Ihr es uns nahelegen wollen."
Seine leeren Augen fixierten mich. Ein milchiger Schleier hatte sich über die Iriden gelegt und verlieh ihnen einen geisterhaften Hauch. „Tallia ist ..." Er suchte wie ich nach passenden Worten. „Speziell."
„Und das bedeutet was?", stellte ich mich unwissend, obwohl ich über ihren Tick nur gehobenes Klientel in ihrem Gasthaus zu bewirten im Bilde war.
Er blinzelte nicht einmal, während er mich anstarrte. Dabei bemerkte ich seine fehlenden Wimpern. „Die Straße runter. Biegt rechts in die Gasse ein, die an den Antiquitätenladen angrenzt. Dort findet ihr wonach ihr sucht."
Ich wollte mich bedanken, doch da nahm er seinen Weg schon wieder auf und wurde nach nur wenigen Schritten von einer dichten Nebelschwade verschluckt. Als ob er wirklich eine Erscheinung und kein Wesen mit schlagendem Herzen gewesen wäre.
Schnell schüttelte ich den beunruhigenden Gedanken ab, ehe ich Gillian folgte, die nach seiner Beschreibung sofort weitergelaufen war.
Wir schritten die Straße hinunter, bis das Holzschild des genannten Handels mein Sichtfeld durchkreuzte. Der weiße Lack, der den Ladennamen - Kleine Schätze - beschrieb, war zum größten Teil abgeblättert. Die großen Schaufenster waren entgegen der Erwartung, die man an einen solchen Verkauf hatte, zugezogen und gewährten keinen Blick ins Innere. Ich kümmerte mich nicht weiter darum (Wozu auch?) und wollte gerade in die nicht unbedingt einladene Gasse einbiegen, als etwas anderes meine Aufmerksamkeit erregte. Eine fast uneinbare Bewegung in den Schatten auf der rechten Straßenseite. "Wir werden beobachtet."
Ruckartig blieb ich stehen, was meine Kristallmähre bockig an den Zügeln reißen ließ. Gillian folgte meinem Blick und versuchte zu erkennen, was ich gesehen hatte. Egal was dort im Finsteren gefolgt war, jetzt war es reglos verharrt und lauerte in seinem Versteck. Es verschmolz mit der Dunkelheit und dem Nebel, sodass ich es nicht länger ausmachen konnte. Ich biss die Zähne fest aufeinander. Das war kein stiller Beobachter der angenehmen Art. Niemand, der uns aus dem Geheimen heraus bewunderte, weil ich eine Soldatin des Königs war.
"Siehst du jetzt schon Geister? Kleine Nebelfeen?", fragte Gillian schmunzelnd. In jeder anderen Situation hätte ich ihr dafür dass sie mich nicht ernst nahm nun final die Zunge herausgeschnitten, aber ich wagte es nicht mich zu rühren und meinen Blick von der bröckligen Hausfassade zu lösen, die ausreichend Schatten warf, damit ein halbhohes Wesen sich mühelos darin verbergen konnte.
„Habe ich eine Ausbildung in den Reihen des Königs genossen oder du?", zischte ich leise, aber nicht minder bedrohlich.
„Ich glaube einfach, dass dich dieser ganze Nebel und das schlechte Licht unruhig werden lässt. Auf Elbastyn gibt es keinen Flecken, der von der Sonne unberührt bleibt."
Bei Desmona, diese Sirene reizte mich wirklich bis aufs Blut. Mein Blick zuckte kurz zu ihr, wirklich nur für einen Herzschlag lang. Diese eine Sekunde an Unachtsamkeit genügte dem Wesen, um sich erneut in Bewegung zu setzen.
Groß wie eine Katze und genauso flink huschte es um die nächste Ecke. Es versuchte zu fliehen. Nicht mit mir.
Schneller als Gillian reagieren konnte drückte ich ihr die Zügel meiner Mähre in die Finger und rannte dem heimlichen Beobachter hinterher.
„Warte!", hörte ich Gillian rufen, doch ich ignorierte es. Jetzt gab es nur mich, das Adrenalin, das durch meine Venen rauschte und das flüchtende Etwas, das mir nicht entkommen würde.
Ich jagte durch die Nebelschwaden, als hätte ich schon immer auf Gefoldryan patrouilliert. Als würde ich mich in den unheimlichen Gassen auskennen. Immer der Kreatur nach, die nahe an den Hauswänden entlang huschte.
Meine gute Ausdauer half mir dabei durchzuhalten. Gute zehn Minuten verfolgte ich was auch immer uns beobachtet hatte, bis ich es in eine Sackgasse trieb. Hohe Wände ragten um uns herum auf und wenn das Ding keine Krallen hatte, mit Hilfe derer es sich an Stein nach oben ziehen konnte, dann saß es hier fest.
Triumphierend atmete ich durch, bevor ich näher trat. Das Licht war unglaublich schlecht in der kleinen Seitenstraße und der Nebel umwaberte meine Beine, hüllte mein Ziel ein.
Doch sobald ich nah genug war, erkannte ich um welche Art Wesen es sich bei unserem Beobachter handelte. Es war kein Elaryer, aber das war mir von Beginn an klar gewesen.
„Ein Waldmännchen", stellte ich fest, während ich kleine Kreatur in Augenschein nahm. Es besaß zwei lange hölzerne Hörner, die sich an ihren Enden aufgabelten, zwei riesige grüne Augen, ein sturmgrauer Pelz, winzige Füßchen und Ohren in der Form zweier Mondsicheln. „Weshalb um alles in der Welt beobachtet uns ein ..."
„Nib? Nibbles, wo steckst du? Ich bin hier!", ertönte da eine Stimme am Anfang der Gasse, jedes Wort lauter als das zuvor.
Das Waldmännchen gab leise Laute von sich, die an eine schnurrende Katze erinnerten und versuchte an mit vorbei zu spähen, indem es sich auf den dürren Hinterläufen aufrichtete.
Instinktiv zog ich eines meiner Messer, woraufhin die Kreatur zu fauchen begann. Da von ihr allerdings keine Gefahr ausging (Waldmännchen waren friedliche Wesen, die nur dann angriffen, wenn man ihnen keine Wahl ließ), drehte ich mich zu dem Elaryer um, der sich uns näherte.
Just in der Sekunde, in der er mich bemerkte, wollte er umdrehen und davonrennen. Aber ich war schneller. Ich packte ihn am Kragen seines mitternachtsblauen Umhangs und drückte ihn gegen die nächstbeste Hauswand. Sein Schlucken, gefolgt von seinem erschrockenen Aufkeuchen war so laut, dass es sogar ein Taubstummer hätte hören können.
„Wer bist du und weshalb stellen du und dein kleiner Freund uns nach?", zischte ich gefährlich. Den einen Arm gegen seine Kehle gepresst, um ihn an Ort und Stelle festzuhalten, riss ich ihm mir der freien Hand die Kapuze vom Kopf. Ein jugendliches Gesicht blickte mir entgegen, aber die Falten um den stahlgrauen Augen und auf der blassen Stirn verrieten mir, dass er einfach nur damit gesegnet worden war, jünger auszusehen. Vermutlich war er ein paar Jahre älter als ich. 27 oder 28 vielleicht.
Ein leichter Flaum bedeckte das knöcherne Kinn, kein ausgeprägter Bartwuchs und dunkle Locken umrandeten sein schmales Gesicht.
„Ich ... ich ...", stammelte er. Dabei fummelten seine hageren Finger an meinem Arm herum, der ihm eine Flucht verwehrte.
„Hör auf zu stottern und rück raus mit der Sprache sonst ..." Ich änderte meinen Griff, packte ihn lieber mit beiden Händen am Kragen, den Dolch noch immer zwischen zwei Daumen und Zeigefinger balancierend.
Sein Blick zuckte zu dem kühlen Eisen und seine Haut nahm einen noch bleicheren Ton an. Würgelaute folgten. Ich knirschte mit den Zähnen. Er war also einer derjenigen, denen übel wurde, sobald die Furcht sie packte. Aber ich wollte Antworten, also schüttelte ich ihn.
Ein lautes Klimpern ertönte und kurz darauf fielen einige Gegenstände auf den staubigen Boden. Lachend stieß ich den Knilch von mir, in Richtung des Waldmännchens, das sich bibbernd in eine dunkle Ecke der Sackgasse zurückgezogen hatte.
Er taumelte auf seinen kleinen Freund zu, beugte sich zu ihm hinab und nahm ihn in den Arm. „Alles ist gut, Nib. Alles ist gut", hörte ich ihn die eigenartige Kreatur beruhigen.
Währenddessen kniete ich mich auf den Boden und sammelte die Dinge auf, die aus dem Umhang geglitten waren. Goldene Armreife, Perlenohrringe, ein Rubinring, silberne Manschettenknöpfe und eine Menge Gedallos.
„Ihr wolltet mich bestehlen! Eine Soldatin des Königs!" Ich konnte nicht aufhören vor Unglauben zu lachen. Wie wahnsinnig musste man sein, um so etwas überhaupt zu wagen? Oder ... verzweifelt.
Ich wurde still, ließ die Gegenstände auf dem Boden liegen und richtete mich wieder auf. „Versucht das nie wieder. Keiner von euch beiden. Nicht bei jemanden wie mir." Mein Dolch verschwand in seiner Halterung an meinem Gürtel.
Die stahlgrauen Augen des jung aussehenden Diebes musterten mich verunsichert. Er erwiderte nichts und ich hatte nicht die Zeit, um darauf zu warten, dass er seine Zunge löste. Ohne ein weiteres Wort an ihn zu vergeuden drehte ich mich und verschwand im Nebel. Sobald der irrsinnige Straßenräuber mich nicht mehr sah, fand er seine Stimme wieder. „Wie konntest du nur so naiv sein, Nibbles? Wir überfallen keine königlichen Bediensteten!", rügte er das kleine Waldmännchen.
Gillian wartete an dem gleichen Fleck, an dem ich sie verlassen hatte. Neugierig schnellten ihre dünnen Augenbrauen nach oben. „Und?", hakte sie nach, nachdem sie festgestellt hatte, dass ich alleine war.
„Ein nicht besonders guter Taschendieb", informierte ich sie knapp, bevor ich meine Kristallmähre wieder an mich nahm. „Lass uns jetzt weitergehen."
Den restlichen Weg zum Silbernen Ozean legten wir ohne weitere nennenswerte Zwischenfälle zurück. Da war nur dieses Gefühl, das sich in meinen Nacken einbrannte. Als würde uns weiterhin jemand verfolgen, uns beobachten. Ich blieb aufmerksam, bemerkte allerdings keine weiteren Bewegungen in den Schatten oder im Nebel. Vielleicht hatte Gillian mit einer Sache doch nicht ganz falsch gelegen. Diese Atmosphäre, die Gefoldryan ausstrahlte, so dunkel und ohne Sonnenlicht, machte mich unruhig und vielleicht auch einen Ticken paranoid.
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