Kapitel 11
„Und du vertraust ihm?"
Was für eine Frage. Natürlich tat ich das nicht. Aber Elwin eröffnete uns eine Möglichkeit, die wir uns nicht entgehen lassen durften. Zu dieser Erkenntnis war ich gelangt, während ich an Fenster gestanden war und darauf gewartet hatte, dass Gillian endlich aus ihrem Prinzessinnen-Schlaf erwachte. Im Nachhinein war ich tatsächlich froh, dass er sich nicht so einfach von mir hatte fortschicken lassen und ich ärgerte mich über meinen eigenen Starrsinn, der mich diese kostbare Chance beinahe gekostet hätte.
„Hast du eine bessere Idee?", erwiderte ich raunend, während mir meine Kristallmähre an den Fingern knabberte. Nachdem ich Tallia das kaputte Glas durch eine Handvoll Gedallos vergessen lassen hatte, waren wir zunächst durch die Stadt gezogen, um uns dort die Bäuche vollzuschlagen und waren, als der Tag so gut wie vorüber gewesen war und Gillian genug von der tristen und zugegeben auch unheimlichen Insel gesehen hatte, in den Stallungen des nach außen hin edel erscheinenden Gasthauses eingekehrt. Ich hatte unbedingt nach den Tieren sehen wollen, um mich zu vergewissern, dass es ihnen auch wirklich gut ging.
Tallia mochte ein geldgieriger Goldsatyr sein, aber sie hielt ihr Wort. Die Mähren waren hier bestens umsorgt und sicher vor möglichen Diebstählen. Aber vermutlich auch nur deshalb, weil man ihr Fehlen direkt bemerkt hätte.
„Nein", gestand sich Gillian ein und ließ sich seitlich gegen die Boxenwand sinken. Mit verschränkten Armen musterte sie mich. „Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich von alledem nichts mitbekommen habe. Du bist dir auch sicher, dass es ein echter Vartax war?"
Das fragte sie mich nun schon zum fünften Mal, weshalb ich nur gereizt die Augen verdrehte.
„Du hast ihn ja nicht berührt, meintest du. Dann kann es doch auch sein, dass ... wie hieß er noch gleich?" Bei den Göttern. Hielt sie denn nie den Mund?
„Elwin."
„Genau. Elwin. Es könnte doch auch sein, dass er ein Trugkünstler ist und kein Geistspieler."
Ich streichelte der Mähre ein letztes Mal über die Nüstern, bevor ich mich Gillian zuwandte. „Er war real, aus Fleisch und Blut. Wäre er das nicht gewesen, wäre mit ihm auch das zerstörte Fenster verschwunden, die Schnitte aus meinem Gesicht und die Blutspritzer von meiner Uniform." Es hatte mich Stunden gekostet all die kleinen Splitter aus meiner Haut zu ziehen. Zum Glück hatte das Erscheinen des Vartax keine größeren Wunden hinterlassen. Was meine Kleidung anbelangte störte ich mich nicht weiter an ihrer Beschmutzung. Die Spuren des Kampfes (so machte es zumindest nach außen hin den Eindruck) schreckten andere nur zusätzlich ab, was ich definitiv nicht als Nachteil wertete.
„Das ist unglaublich. Ich hoffe sehr, dass er ihn heute Nacht bei sich hat."
Auch wenn ich nicht unbedingt scharf darauf war, diesen blitzend weißen Zähnen erneut entgegenzusehen, stimmte ich ihr in Gedanken zu. Eine solche mächtige Kreatur an seiner Seite zu wissen war beruhigend. Wer wusste schon, was uns bevorstand. Ich hatte keine Ahnung, aus wie vielen Elaryer das Krähennest bestand, noch wusste ich, welche Gaben sie besaßen. Ich alleine würde sie sicherlich niemals alle niederstrecken können. Aber mit der Hilfe eines Vartax' ...
***
Die Stunden verstrichen nur quälend langsam, aber zumindest hatte Gillian ihren Redefluss endlich irgendwann eingestellt.
Während ich an der Kante des Himmelbetts saß und meine Messer schärfte, lag sie quer auf dem Teppich und starrte in Richtung des zerborstenen Fensters, das von wem auch immer notdürftig mit einer milchigen Plane abgedeckt worden war. Jene mochte dem Schlafraum die Kälte fernhalten, aber nicht die Geräusche der Außenwelt. Ein Glück geisterte durch die Straßen Gefoldryans zu so später Stunde eine beinahe vollkommene Totenstille. Nur hin und wieder drang das Gebrüll von sich Streitenden, das Getrappel von Tieren, oder seltsame Schreie, über deren Ursprung ich gar nicht weiter nachdenken wollte, zu uns hinein.
So leise war es um diese Zeit nur hinter den Wänden des Kristallpalastes gewesen, nicht aber auf den Straßen von Elbastyn.
Die Stehlampe spendete uns ihr orangegelbes Licht, während ich über meine nächtlichen Patrouillen nachdachte, die mit den Jahren immer seltener geworden waren. Ein verräumtes Lächeln huschte dabei über meine Lippen.
„Woran denkst du gerade?"
Natürlich hatte sie das bemerkt. Minutenlang fokussierte Gillian ausschließlich die leise raschelnde Abdeckung und ausgerechnet dann, wenn mir eine Gefühlsregung entfleuchte, galt ihre Aufmerksamkeit mir. Ich verdrehte kaum merklich die Augen und tat so, als hätte ich sie nicht gehört. Was ich mir davon erhoffte wusste ich selbst nicht, denn das sie nicht einfach lockerlassen würde war mir im Vorhinein bewusst gewesen.
Gillian war wie eine lästige Fliege, die einem ständig um den Kopf herumschwirrte und sich durch fortscheuchende Gesten nicht vertreiben ließ. Die einzige Möglichkeit sie loszuwerden bestand daran, sie zu erschlagen. Und das kam nicht in Frage. Noch nicht jedenfalls.
„Du weißt doch. Das Ding mit der Aura, die ich sehen kann", schnurrte sie und setzte sich auf. „Gerade ist ganz kurz ein weißes Flackern durch das Schwarz gegangen."
Ich schenkte ihr nur drei Sekunden meiner Aufmerksamkeit, da mich das neugierige Funkeln in ihren Augen in den Wahnsinn treiben wollte. Es gab nur eine Möglichkeit sie von ihrem Kurs abzubringen, ohne ihr eine direkte Antwort zu geben. „Was bedeutet die Farbe Weiß?", lenkte ich ab und begann, meine Messer wieder in ihre Halterungen an meinem Gürtel zu verstauen.
„Sie kann auf verschiedene Dinge hindeuten. Auf Aufopferung, Entspannung, aber auch auf Hoffnung."
Letztere war meine ständige Begleiterin, seit wir zu dieser Mission aufgebrochen waren. Ich wappnete mich für eine neue Runde von „Ich weiß ich gehe dir damit auf die Nerven, aber ich mach's trotzdem", sobald ich aus dem Augenwinkel bemerkte, wie Gillian aufstand und den Mund erneut öffnete.
Ein Glück klopfte es im nächsten Moment an der Tür. Ich erhob mich vom Bett und öffnete. Ein Lufthauch in meinem Nacken signalisierte mir, dass Gillian sich hinter mir postierte und interessiert über meine Schulter linste.
Elwin tauchte ihm Rahmen auf und schenkte mir ein freudiges Grinsen. Noch ehe er eingetreten war, gab Gillian ihren ersten Eindruck von ihm kund. „Er ist ungefährlich. Seine Aura ist grün."
Ich hegte keinerlei Interesse daran mit weiter mit ihrer Gabe auseinanderzusetzen. Selbst wenn Elwin Ciaran höchstpersönlich gewesen wäre, wir hätten ihn gebraucht. „Ignorier sie am besten einfach", kommentierte ich Gillians wenig hilfreichen Beitrag, ehe ich zum Wichtigen überging. „Wie ist der Plan? Brechen wir sofort auf?"
Als Elwin nickte, entfleuchte mir ein leises erleichtertes Aufatmen. „Ich hoffe ihr seid darin geübt über Dächer zu wandern", entgegnete er mit einem schelmischen Grinsen auf den schmalen Lippen.
Ein letztes Mal prüfte ich den Sitz meines Waffengürtels, zog meinen hoch sitzenden Zopf sicherheitshalber nochmals straff und trat dann zu dem Dieb auf den Flur. Gillian folgte mir und wollte die Tür bereits hinter sich zuziehen, als Elwin sich räusperte. „Verzeih mir, Aristea, aber so willst du losziehen?"
„Was meinst du mit so?", zischte ich in leiser Ungeduld.
„Ich habe nichts sagen wollen", trällerte Gillian hinter mir. „Du musst wissen, sie droht gerne damit, dass sie einem die Zunge rausschneidet, wenn man etwas anspricht, das sie nicht hören will."
Schon jetzt verbrüderten sich die beiden gegen mich. Verdammt ... es war wahrlich keine gute Idee gewesen, den Geistspieler auch noch mit in die Mission hineinzuziehen. Ich presste meine Kiefer hart aufeinander.
„Mit dieser weißen Uniform magst du dir ungebetene Gäste vom Leib halten, aber für eine Spionage Aktion auf Gefoldryan ist sie nun wirklich nicht geeignet. Du fällst damit auf wie ein Vartax in einem Schlafzimmer", erklärte Elwin ohne dieses dämliche Grinsen abzunehmen. Ich fürchtete schon, es wäre festgefroren, als es schließlich zu einem unschuldigen Lächeln abebbte, während er seine Hände in den Taschen seines dunklen Umgangs verschwinden ließ.
„Der Vartax!" Gillian quietschte schon fast vor Freude. Wäre es nicht mitten in der Nacht gewesen und hätten die Gäste wegen Tallias verzaubertem Essen nicht tief und fest geschlummert, hätte Elwin ihr sicherlich den Mund zugehalten. Ich war davon überzeugt, dass kaum einer von dem dunklen Wesen wusste, das dem Dieb ein Begleiter war. „Hast du ihn bei dir?"
Elwin verneinte kopfschüttelnd. „Aber Nibbles wartet auf uns. Und Phoenix kann ich in Gedanken zu uns rufen, wann immer wir ihn brauchen. Er benötigt nie lange für seinen Weg."
„Wo hält er sich auf, wenn er nicht in deiner Nähe ist? Ich meine, er versteckt sich doch bestimmt irgendwo. Das muss er ja, wenn man bedenkt, dass ..."
„Können wir dieses belanglose Gespräch unterbrechen und auf die wichtigen Dinge zurückkommen", schnitt ich ihr raunend das Wort ab. Ich deutete an meinem Körper hinunter. „Woher soll ich um diese Zeit Kleidung bekommen, die mich weniger auffallend macht als einen Vartax in einem Schlafzimmer?"
Der Dieb deutete mit einem Kopfnicken an mir vorbei, hinein in den Raum und in Richtung der mit floralen Mustern verzierten Schränke. „Habt ihr euch überhaupt richtig umgesehen?"
Tadelnd schnalzte er mit der Zunge, wofür ich ihm am liebsten meinem Dolch näher gebracht hätte. Aber ich hatte daraus gelernt, was geschehen konnte, wenn man den nervigen Umhangträger bedrohte, weshalb ich mich mit dem Kiefer mahlend von ihm abwandte und die Türen des nächsten Möbelstücks öffnete.
Verschiedenste Stoffe blickten mir entgegen. Manche waren von leuchtenden Farben, andere durchscheinend und hauchdünn und wieder andere ähnelten Elwins Aufzug.
Gillian stieß einen entzückten Aufschrei aus und stieß mich buchstäblich zur Seite, um sich ein edel aussehendes, hellblaues Gewand zu greifen. „Erinnert mich daran, dass ich es dieses wunderschöne Teil einpacke, bevor wir diese Insel verlassen."
„Tallia wird es sicherlich nicht vermissen", erwidere Elwin amüsiert, während seine Augen abwartend auf mir ruhten.
„Wozu dient dieser ganze Kram überhaupt?", murrte ich und trat wieder näher an den Schrank heran, sobald mir Gillian Platz machte. Meine Finger streiften über die unterschiedlichen Stoffe und zogen schließlich ein schwarzes Hemd und schwarze Hosen daraus hervor. Beide wirkten zu groß für meinen schlanken Körper. Ich verfluchte es, dass ich bei meiner Abreise nicht auf die Idee gekommen war, andere Kleidung einzupacken.
Ich konnte es zwar nicht sehen, dass Elwin mit den Schultern zuckte, aber jene Geste hätte gut zu dem lauten Seufzer gepasst, den er mir zunächst als Antwort schenkte. „Der ein oder andere Gast vergisst hier manch ein Teil seines Gepäcks und diese verlorenen Schätze landen in Tallias Schränken. Natürlich nur die, die nicht wirklich von echtem Wert sind."
„Was soll das heißen?", hakte Gillian nach, die ihre neue Errungenschaft auf dem Bett ausbreitete, um sie besser in Augenschein nehmen zu können.
„Billige Stoffe oder aus der Mode gekommene Schnitte", erwiderte der Dieb. „Dein neues Stück trägt so wohl niemand mehr."
Die Eissirne schnaubte. „Mir egal. Ich finde es wunderschön."
Ich rollte mir den Augen, da wir erneut von den wichtigen Dingen abschweiften. „Gebt mir fünf Minuten, dann können wir los."
Auch wenn es mir nicht unbedingt lieb war meine Uniform gegen die schlackernde und nicht wirklich vorteilhafte Kleidung einzutauschen, streifte ich sie mir ohne weiter darüber nachzudenken ab.
Meine nackte Haut freigegeben, drang ein erschrockenes Ausatmen an meine Ohren. Erst wollte ich fragen, was los war, doch dann wurde ich mir meines eigenen Rückens wieder bewusst. Ich versuchte mich erst gar nicht zu erklären, schlüpfte schweigend in den hier vergessenen Plunder und wandte mich dann meinen beiden unliebsamen Begleitern zu.
Gillian musterte mich aus geweiteten Augen, während Elwin im Türrahmen lehnte, als hätte er gerade nicht die schrecklichsten Narben zu Gesicht bekommen. Zumindest war es der Mine von Gillian nach so. Ich hatte schon schlimmeres gesehen und wie es mir schien, teilte Elwin diese Sache mit mir.
Innerhalb des gleichen Herzschlags, in dem die schwarzhaarige Eissirene den Mund öffnete, hob ich meine Hand und verhinderte damit, dass auch nur ein Wort über ihre Lippen kam. „Nicht jetzt." Und auch nicht später. Dieser Teil meiner Vergangenheit gehörte nur mir allein. „Lasst uns keine weitere Zeit mehr verschwenden."
Elwin nickte mir zu und richtete sich zu seiner vollen, nicht besonders beeindrucken Größe auf. Er beförderte ein schwarzes Kopftuch aus seiner Tasche, das er mir reichte. „Leg dir das um dein helles Haar." Zufrieden beobachtete er mich dabei, wie ich auch den letzten Rest meines auffälligen Seins in Dunkelheit einhüllte.
„Gut. Gehen wir." Mittels eines geschickten Fingergriffs zog er sich die Kapuze tief in die Stirn, sodass man nichts mehr von ihm erkennen konnte, außer sein eckiges, haarloses Kinn.
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