Vergebung II
Das Öffnen der Tür riss Lloyd aus seinen Gedanken. Sein Herz setzte einen Schlag aus. Er sah nicht, wer eingetreten war, doch es gab nur eine einzige Person, die es sein konnte.
„Lloyd", hörte er Tavaren sagen. „Du... du bist zurück."
Durch den Klang dieser Stimme zog sich sein Herz zusammen und Schmerz stach ihm in die Brust. Heimweh, das sich nun nicht länger an ihn klammerte und ihn endlich freigab. Sehnsucht nach diesem einen Menschen, den er so lange vermisst hatte.
Sein Lächeln versuchte er nicht einmal zu unterdrücken. „Ja, ich bin zurück", antwortete er. Er konnte kaum rechtzeitig aufstehen, ehe Tavaren auf ihn zu kam und ihn in einer Umarmung an sich zog,
„Ich dachte, du wärst gestorben." Ein leises Schluchzen zog sich durch den Raum, ehe die Tür ins Schloss fiel. Luana hatte Anthea nur einen vielsagenden Blick zuwerfen müssen und sofort waren sie mit Isabella aus dem Raum verschwunden, um einen langen Spaziergang zu unternehmen.
„Es ist alles gut", murmelte Lloyd zwar, doch auch ihm brannten die Augen. „Ich bin ja wieder zurück." Er schloss seine Arme um Tavaren und zog ihn ein Stück näher. Tröstend strich er ihm über die Haare. Tränen rannen ihm über die Wangen und er machte sich keine Mühe sie zurückzuhalten.
Tavaren vergrub das Gesicht in Lloyds Schulter. „Ich dachte, ich würde dich niemals wiedersehen", sagte er. Nach den ersten Monaten, die er nichts von ihm gehört hatte, war der Gedanke, dass der Elf gestorben war, laut geworden. Und nun war es, als wäre ihm ein Geist erschienen. Ein Todgeweihter, der dem Tode entflohen war.
„Ich wollte nie glauben, dass du gestorben wärst, aber..." Seine Stimme brach und ging in ein Schluchzen über.
„Ist schon gut", sagte Lloyd. Er löste sich ein Stück von Tavaren, doch nur um eine Hand auf dessen Wange zu legen und eine Träne fortzuwischen. „Wie könnte ich einfach sterben und dich allein zurücklassen?" Er schenkte ihm ein Lächeln, doch auch er selbst weinte. Auch wenn er ihn monatelang nicht mehr gesehen hatte, war Tavaren ihm kein Fremder und fremd war auch er selbst nicht.
Lloyd fuhr mit dem Daumen über die erhitzte Haut – denn Tavaren war zu dem Anwesen gerannt, als er von der Rückkehr des Totgeglaubten erfahren hatte – und strich sacht an dessen Unterlippe entlang. Eine kleine Orientierung für das, was er tun wollte.
Er beugte sich zu Tavaren und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Zart und sanft, denn er hatte Angst, dass Tavaren es ablehnen könnte. Dass er sich zwar freute, Lloyd zu sehen, aber nicht bereit war, das, was sie damals begonnen hatten, weiterzuführen.
Doch das Gegenteil war der Fall.
Keinen Augenblick, nachdem der Elf sich von ihm gelöst hatte, zog Tavaren ihn wieder zu sich, verwickelte ihn in einen weiteren Kuss. Die Finger verschränkte er in Lloyds Nacken, damit er nicht noch einmal zurückweichen konnte.
Und das wollte Lloyd auch gar nicht. Er vertiefte den Kuss, schmeckte salzige Tränen auf seiner Zunge und ließ seine Hände unter das Oberteil fahren.
Kalt trafen seine Fingerspitzen auf die erhitzte Haut und entlockten Tavaren ein leises Keuchen. Ein Geräusch, durch das sein Herz kurz aussetzte und ihn in seinem Handeln bestärkte. Am Rücken fuhr er nach oben und sorgte für Gänsehaut überall dort, wo seine Finger die Haut streiften.
Tavaren selbst löste seine Hände aus Lloyds Nacken und griff nach dem Kragen des Gehrockes, um ihn dem Elfen von den Schultern zu ziehen. Lloyd half ihm dabei, ohne den Kuss zu unterbrechen, doch zu seinem Leidwesen musste er dafür die Hände von Tavarens Rücken nehmen.
Eilig ließ er sich den Gehrock abstreifen, damit seine Finger schnell wieder unter dem Oberteil verschwinden konnten.
Doch nun löste er sich kurz von ihm. Nur wenige Zentimeter wich er zurück, aber allein diese Entfernung konnte er kaum ertragen. Er brauchte einige Sekunden, bis er sprechen konnte. „Hat das Porzellan irgendeinen Wert?", fragte er und ließ seinen Blick in Richtung des Tisches schweifen.
„Nein", antwortete Tavaren, die Stimme besaß leise Heiserkeit, die ihr einen rauen Ton gab. „Nein hat es nicht, aber..."
Ehe er den Satz zu Ende bringen konnte, hatte Lloyd schon in einer einzigen flüssigen Bewegung die Tassen und die Teekanne von dem Tisch gefegt. Mit lautem Scheppern kamen sie auf dem Boden auf und zersprangen in tausende Scherben.
Er umfasste Tavarens Oberschenkel und hob ihn auf den Tisch. Vorsichtig wollte er sein, doch er schätzte weder seine Kraft noch seine Schnelligkeit richtig ein.
Tavaren stieß Luft zwischen den Zähnen aus, als sein Rücken auf die Tischplatte knallte.
„Verzeih mir", sagte Lloyd zwar, doch er begann schon damit Tavarens Hemd aufzuknöpfen. Aufregung brachte seine Hände zum Zittern. Nur ein wenig, doch ausreichend, dass es ihm kaum gelang, den obersten Knopf zu öffnen. Kurz entschlossen streifte er Tavaren das Oberteil über den Kopf und ließ es achtlos zu Boden fallen.
„Du brauchst dich nicht entschuldigen", sagte Tavaren mit einem Lächeln, dass Lloyd sogar hören konnte. Er richtete sich auf und schlang seine Arme um Lloyds Hals. „Nur... wir haben hier auch Betten."
Lloyd lachte leise. „Später", sagte er, beugte sich über Tavaren und drückte ihn auf diese Weise wieder in eine liegende Position. Beide Hände an dessen Hüfte gelegt, um ihn näher an sich zu ziehen. „Später können wir uns gerne ein Bett suchen."
Mitten in der Nacht schreckte Lloyd aus seinem Schlaf. Er brauchte einige Sekunden, um sich zu orientieren, wo er war und was sich an dem letzten Abend ereignet hatte. Unbewusst schweifte sein Blick durch die Dunkelheit.
Er tastete auf dem Laken entlang, bis seine Fingerspitzen auf warme Haut trafen. Tavaren lag noch neben ihm, tief und gleichmäßig waren seine Atemzüge. Er schlief noch und Lloyd hoffte, dass er nicht aufwachen würde.
Der Elf seufzte lautlos und setzte sich auf. Er zog ein Bein an, um seinen Ellenbogen auf das Knie zu stützen und sein Gesicht in der Hand zu vergraben.
In wenigen Tagen würde Tavaren in den Süden ziehen, mit einem ganzen Heer, und Lloyd war nicht in der Lage ihm zu sagen, was dort auf ihn wartete. Er wollte es. Einfach beichten, dass seinetwegen Unruhen herrschten und Tavaren, wenn er in den Süden aufbrach, das Heer nicht gegen eine unbekannte und feindselige Macht führte, sondern gegen einen Freund und Vertrauten. Allein bei dem Gedanken an dieses Geständnis schnürte sich ihm die Kehle zu.
Irgendetwas hatte er falsch gemacht. Irgendwo war er verkehrt abgebogen und nun stand er in einer Sackgasse vor einer Mauer, die er nicht erklimmen konnte. Doch wenn er verweilte und sich nicht mehr rührte, dann würden ihn die Ereignisse der Vergangenheit einholen. Vielleicht nicht sofort, vielleicht würde es jahrelang dauern, doch irgendwann würden sie ihn aufspüren und verschlingen.
Das leise Rascheln der Decke riss ihn aus seinen Gedanken. Er hob seinen Kopf an und blickte in Tavarens Richtung, doch er konnte nicht sehen, ob er erwacht war.
Erst als sich das Bett leicht absenkte, weil Tavaren zu ihm rückte, und er eine warme Berührung auf der Haut spürte, hatte er Gewissheit, dass er den Schlafenden geweckt hatte.
„Ist alles in Ordnung?", hörte er in der Dunkelheit, die Stimme noch leicht kratzig von dem Schlaf.
Lloyd griff nach der Hand und drückte sie leicht. „Natürlich", antwortete er, doch der Klang seiner Stimme verriet die Unruhe in seinem Inneren. „Um mich brauchst du dir keine Sorgen machen", ergänzte er noch und hoffte, dass Tavaren den brüchigen Klang auf den Schlaf schieben würde.
„Lloyd", begann Tavaren, doch er zögerte kurz, ehe er weitersprach: „Ich weiß, dass etwas mit dir los ist. Wir haben uns seit über einem Jahr nicht mehr gesehen und ich kann verstehen, wenn du dich mir nicht anvertrauen möchtest, aber lass mich dir sagen: Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst. Egal, was es ist und egal, was dir auf dem Herzen liegt... Ich möchte ein Teil davon sein."
Lloyd seufzte lautlos. Er wandte sich in Tavarens Richtung. „Es ist alles gut. Ich muss nur..." Ihm fiel es schwer, die richtigen Worte zu finden. Er wollte Tavaren nicht vor den Kopf stoßen, doch sobald er über die Geschehnisse bei den Drachen oder in Benela reden wollte, lähmte es ihm die Zunge.
„Ich muss irgendwie allein damit zurechtkommen", brachte er letztlich hervor. „Es ist nichts, bei dem du mir zur Seite stehen solltest, und ich will dich nicht in die Abgründe ziehen, in denen ich mich befinde. Doch ich möchte, dass du eine Sache weißt."
Er holte tief Luft, damit die Worte seinen Mund verlassen konnten. „Was auch immer in den nächsten Tagen oder vielleicht auch Wochen geschieht, du bist mir der wichtigste Mensch und daran wird sich niemals etwas ändern. Und jedes meiner Worte ist ehrlich und war es immer, wenn ich dir meine Gefühle gestanden habe.
Ich bin niemand, der lange verweilen kann und für gewöhnlich möchte ich auch nie zweimal denselben Ort aufsuchen, doch bei dir wollte ich immer blieben und jedes Mal, wenn ich fortging, blutete mir das Herz so sehr, dass ich es kaum ertragen konnte, von dir getrennt zu sein. Ständig wollte ich zurückkehren, aber ich wusste nie, ob du mich überhaupt noch sehen möchtest. Doch meine Rückkehr bedauere ich nicht, ich bereue nur meinen Fortgang.
Daher lass mich dir sagen: Ich als derjenige, der ich nun hier bin, könnte mir niemals verzeihen, sollte ich dich verletzen. Ungeachtet, ob mit meinen Taten oder meinen Worten. Ich will dir niemals Schmerzen bereiten und dich niemals wieder verlassen, aber..."
Er seufzte leise. „Ein letztes Mal werde ich noch fortgehen müssen, doch zweifle nicht daran, dass ich wiederkommen werde. Und dann werde ich bleiben, wenn du mich nach allem, was du erfahren wirst, noch an deiner Seite wissen möchtest.
Ich hoffe, dass du mich deiner noch würdig erachten wirst, denn du bist wahrlich zu gut für mich und es wäre das Beste, wenn ich dich einfach loslassen würde. Aber meine Liebe hält mich an dir fest, obwohl ich so oft versucht habe, dir den Rücken zu kehren.
Ich bin nicht treu... oder gut oder gar gerecht, aber ich will es für dich sein. Und ich möchte dir alles erklären, doch zuvor muss noch eine Sache in Ordnung bringen. Aber dann... dann erzähle ich dir alles. Jedes Detail, das du wissen möchtest und alles, was ich in den letzten Monaten getan habe. Meine Verbrechen und meine Sünden. Jeden Frevel, dessen ich mich schuldig gemacht habe.
Und dich lasse ich den Richter sein und über mein Schicksal entscheiden. Jedes Urteil werde ich annehmen, selbst wenn du mich niemals wiedersehen möchtest oder gar meinen Tod verlangst. Du sollst der Einzige sein, vor dem ich jemals mein Haupt beuge und dir allein gebe ich mein Leben in die Hand."
Nachdem Lloyd seinen Mund geschlossen hatte, herrschte Schweigen. Tavaren wusste nicht, wie er mit diesen Worten umgehen und was zu dieser Beichte sagen sollte.
„Lloyd", begann er zwar, doch keine Worte wollten ihm einfallen, sodass er kurzerhand den Elfen in seine Arme schloss und hoffte, dass es ihn beruhigen würde. „Ist schon in Ordnung. Ich werde auf dich warten." Eine Frage kam ihm in den Kopf, doch es dauerte einige Sekunden, bis er sich traute, sie zu stellen. „Wie lange willst du noch hierbleiben?" Die Stimme nur ein Flüstern, denn er fürchtete die Antwort.
„Bis morgen früh", sagte Lloyd. Er vergrub das Gesicht in Tavarens Schulter, um sein Schluchzen zu dämpfen.
Tavaren strich ihm sanft über das Haar und ließ ihn weinen. „In Ordnung", murmelte er. „Ich bin hier für dich."
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