In blutbeflecktem Gewand
Lloyd hörte das Zuschlagen einer Tür. Er schloss sein Medaillon, ließ es unter seinem Oberteil verschwinden und stand von dem Sessel auf.
Kematian tauchte im Flur auf. Von Kopf bis Fuß in Blut getränkt, die Maske noch vor seinem Gesicht. „Ihr seid hier", sagte er. Die Worte klangen gepresst, als fiel es ihnen schwer, den Mund zu verlassen.
„Wessen Blut ist das?", fragte Lloyd. Mit großen Schritten kam er auf ihn zu.
Der Rabe riss seine Maske vom Gesicht und ließ sie achtlos zu Boden fallen. Das Gesicht dahinter glich von den Zügen her vielleicht einem Menschen, doch rohe Wildheit blitzte in den verdunkelten Augen auf. Von dem Mundwinkel zog sich eine rote Spur bis zum Kinn.
Schweratmend stützte er sich an der Wand ab. Er schien den Elfen kaum wahrzunehmen.
„Kematian?", fragte Lloyd. „Was ist geschehen?"
„Geht", sagte der Rabe. Seine Stimme glich einem Knurren, leise und drohend. Alles Menschliche war verschwunden.
„Wessen Blut ist das?", fragte Lloyd erneut und ging auf ihn zu.
Erst jetzt flackerte der Blick des Raben zu ihm. Rohe Wildheit und Blutgier starrte dem Elfen entgegen. Lloyd wich einen Schritt zurück, aber blitzschnell hatte Kematian ihn am Kopf gepackt und zog ihn zu sich.
„Ich schwöre Euch", sagte er. Das Feuer loderte in seinen Augen und verbrannte Lloyd allein vom Ansehen. „Wenn Ihr jetzt nicht geht, dann bringe ich Euch um." Er stieß den Elfen von sich.
Lloyd fing sich an der Wand ab. Ohne eine weitere Sekunde zu verlieren, drehte er sich auf dem Absatz um und stürmte aus der Tür.
Mit schnellen Schritten ging er durch die Straßen nur fort von dem Haus. Er wollte nicht als Kematians Abendessen enden, sollte der Rabe sich entscheiden, ihm zu folgen. Doch nach einige Minuten fiel ihm ein anderes Problem auf. Er hatte keinen Umhang bei sich, keine Möglichkeit sein Gesicht vor den Menschen zu verbergen.
Er senkte seinen Blick gen Boden. Irgendwo sollte er sich verstecken, abwarten bis die Nacht hereinbrach und damit auch hoffentlich Kematians Laune sich bessern würde. Schließlich hatte er immer noch keinen anderen Ort, an dem er unterkommen könnte und einfach auf der Straße zu schlafen war ihm eine zu große Gefahr. Wobei es nicht viel gefährlicher war, als weiterhin unter Kematians Dach zu bleiben.
Lloyd betrat eine Taverne. Er hatte die Hoffnung dort in einer Ecke untertauchen zu können. Unauffälliger als durch die Straßen zu laufen, war es in jedem Fall. Aber er hatte kaum einen Fuß ins Innere der Taverne gesetzt, da wurde ihm „Er hat eine Hure geheiratet" entgegengeschmettert. Ein Mann, der in der Mitte des Raumes stand, hatte dies gesagt. Er trug eine glänzende Rüstung, in die das Templerzeichen, ein Kreuz in heiliger Flamme, geschmiedet war. Vereinzelt sorgten seine Worte für Gelächter, sodass er erneut betonte: „Eine Hure! Ist das zu glauben?"
Lloyd seufzte. Er bereute schon jetzt die Taverne betreten zu haben, aber er durchquerte den Raum und ließ sich in einer Ecke nieder. Immer mehr Menschen richteten ihre Aufmerksamkeit auf den Templer.
„Und dieser Magier stellt sich gegen uns Templer", sprach er weiter. „Er will die Welt ins Chaos stürzen, indem er immer mehr Magier auf seine Seite zieht. Kestrel wiegelt sie auf und unterstützt die Aufständischen auch noch. Der Norden ist schon unter seiner Herrschaft. Wie weit wird er noch gehen? Wann wird er hier angelangen? Und zu allem Überfluss lehnt er jede Verhandlung ab, solange wir ihm nicht den Elfenprinzen bringen."
Lloyd erstarrte und sank ein Stückchen in sich zusammen. Was sollte Tavaren von ihm wollen? Warum hetzte er die Templer auf ihn?
„Es sind nur Magier", meldete sich eine Templerin zu Wort. „Können wird nicht einfach mit dem gesamten Orden dorthin ziehen? Was sollte Kestrel schon großartig gegen uns ausrichten können?"
Der Blick des Templers verdunkelte sich. „Ich war dort. Die Magie des Herzogs ist anders als alles, was ich bisher gesehen habe. Er könnte der gefährlichste aller Magier sein. Man sagt, er könnte ganz Dörfer mit nur einem Schnipsen in Brand stecken und dass er wahnsinnig geworden ist."
Das klang so gar nicht nach Tavaren.
„Kestrel?" klinkte sich ein weiterer Templer ein. „War der nicht früher der Wächter. Ich hab gehört, dass er die Raben angeheuert hat, um den letzten Herzog aus dem Weg zu räumen."
„Ich hatte Lord Kestrel einmal getroffen", sagte nun ein anderer. „Er wirkte eigentlich ganz freundlich." Ablehnendes Brummen ging durch die Menge, sodass der Sprecher schnell zurückruderte, indem er sagte: „Aber das ist schon einige Jahre her. Vielleicht hat er sich seitdem verändert."
„Er ist ein Monster", sagte nun der erste Templer. „Anders kann man ihn nicht mehr bezeichnen."
„Ihr habt keine Ahnung, wovon ihr sprecht." Die Worte waren so schnell aus Lloyds Mund gekommen, er hatte kaum bemerkt, dass er sie ausgesprochen hatte.
Einige Sekunden herrschte Stille, bis der erste Templer fragte: „Wie war das?"
Lloyd sah auf. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Nun konnte er seine Worte nicht mehr zurücknehmen. Er stand auf und bewegte sich auf die Templer, aber vor allem auch auf die Tür zu. Im Notfall wollte er schnell losrennen können.
Er strich sich die Haare aus dem Gesicht und sagte: „Tavaren Kestrel ist der Mensch, der wohl am wenigsten als ‚Monster' – wie Ihr ihn nanntet – bezeichnet werden kann. Dass er ein Magier ist ändert nichts daran, solange er seine Magie zum Guten einsetzt. Und Freiheit erlangen zu wollen, was soll daran schlecht sein? Niemand ist gerne eingesperrt. Was glaubt Ihr weshalb es ständig Sklavenaufstände im Imperium gibt?"
„Vergleicht Ihr gerade die Zirkel mit der Sklaverei des Imperiums?" Der Templer war sichtlich aufgebracht.
„Tue ich das?" Lloyd unterdrückte das Zucken seiner Mundwinkel so gut es ging. Menschen ließen sich so einfach erzürnen.
Er öffnete seinen Mund, um fortzufahren, aber der Templer unterbrach ihn. „Moment... Euch kenne ich doch!"
„Das kann ich mir nur schwer vorstellen", antwortete Lloyd, obwohl er wusste, dass die Templer ihn genau kannten. Bei ihrer Ausbildung mussten die Rekruten die Adelsfamilien aller Länder auswendig lernen. Und dazu gehörte auch der Elfenadel. Lloyd hob abwehrend die Hände. „Ich bin niemand", sagte er. „Niemand, der es wert ist, gekannt zu werden."
„Doch." Der Templer trat einen Schritt auf ihn zu. „Ihr seid Leandras' Sohn, der Elfenprinz. Euer Name ist..." Er Templer brach ab. „Wie war noch gleich Euer Name?"
Lloyd verschränkte die Arme vor der Brust und hob sein Kinn einige Zentimeter an, sodass er auf sein Gegenüber herabblicken konnte. „Ihr kennt nicht einmal meinen Namen", sagte er. „Das ist bedauerlich. Andernfalls hätte ich erwogen, Euch anzuhören. Aber so..." Er zuckte mit den Schultern und wandte sich der Tür zu. „Vielleicht wenn Euch mein Name eingefallen ist."
„Wartet!", rief der Templer noch, ehe Lloyd ins Freie trat. Hinter sich hörte er metallisches Scheppern, da die Templer auf ihre Beine sprangen. Wild wurden Befehle gerufen, man solle ihn nicht entkommen lassen.
Das war Lloyds Stichwort.
Er rannte los. Seine langen Beine trugen ihn, so schnell sie konnten durch die Straßen von Cyrill. Er schlug Haken, wo er nur konnte, nahm schmale Seitengassen, aber keinen Augenblick, nachdem er wieder auf die Hauptstraße abgebogen war, hörte er hinter sich „DAHINTEN IST ER!" und „BLEIBT STEHEN!"
Er sah ein Fenster offenstehen. Dort kletterte er hinein. Die Familie, die gerade beim Mittagessen war, schreckte er auf. Ehe er wieder aus der Tür stürzte, hörte er die Stimme eines Kindes: „Mama, schau ein Engel."
Doch keine seiner Bemühungen trug Früchte. Die Templer blieben ihm auf den Fersen.
Plötzlich stürmte eine in Schwarz gehüllte Gestalt aus einer Gasse. Lloyd konnte ihr nicht rechtzeitig ausweichen, sodass sie ihn umrannte. Er landete auf dem harten Boden. Sterne tanzten ihm vor den Augen.
„Verdammt", ächzte er und versuchte sich aufzurappeln, aber seine Arme gaben nach, sodass er wieder auf dem Kopfsteinpflaster landete. Die Gestalt lag einige Meter neben ihm. Die Kapuze war ihr vom Kopf gerutscht und entblößte rote Locken. Ihr Gesicht war von einer Schnabelmaske verhüllt. Sie sprang schneller wieder auf die Beine als Lloyd und rannte sofort weiter, ohne dem Elfen einen Blick zuzuwerfen. Lloyd hörte die schweren Stiefel der Templer. Sie kamen näher.
Er versuchte ein zweites Mal aufzustehen, doch ehe es ihm gelingen konnte, umschlang ein Arm seine Taille und hob ihn an.
„Wa—" Lloyd wollte protestierte, aber eine Hand schob sich vor seinen Mund. Er wurde in eine Gasse verschleppt und von dort aus in eine noch schmalere Nische, in der er und sein Entführer kaum Platz fanden. Nur wenige Millimeter vor seiner Nasenspitze war die steinerne Wand, hinter ihm sein Entführer, der ihn dicht an sich herandrückte, damit sie in die Nische passten.
Die Templer fanden zwar das Gässchen, rannten aber an dem Versteck vorbei. Einige Sekunden vergingen, ohne dass Lloyd freigelassen wurde. Erst als die Schritte der Templer in der Ferne verklungen waren, lösten sich die Hände, die ihn festhielten.
Er wirbelte herum, was sich in der Nische als schwieriger erwies, als er geglaubt hatte. Mit der einen Schulter stieß er gegen den Stein und seinen Ellenbogen rammte er dem Entführer in die Seite.
Der Entführer krümmte sich mit einem „Uff". Seine Brauen schoben sich zusammen. „Aua", sagte er und sah mit seinen goldenen Augen wieder auf.
„Ihr?", fragte Lloyd verblüfft.
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