Feuer und Flamme
Lloyd schloss die Tür des Bordells gerade hinter sich, da stellte er fest, dass etwas anders war. Die salzige Luft, die vom Meer in die Stadt zog, war versetzt mit Rauch. Im nächsten Augenblick sah er auch schon, woher dieser Geruch kam. Eine schwarze Säule schraubte sich in den blutroten Abendhimmel und verdunkelte das wenige Licht, das die Sonne noch ausstrahlte.
Er erstarrte kurz beim Anblick der Rauchsäule, doch dann sprintete er los. Er hatte eine Ahnung, wo es brannte und diese Vermutung sollte sich bestätigen.
Schon zwei Straßen entfernt vom Gesindeviertel hörte er panische Rufe. Für gewöhnlich war dieses Viertel mit hohen Toren von den Menschen abgetrennt. Zum einen, damit die Elfen nicht so leicht in die restliche Stadt gelangten, aber hauptsächlich, um sie vor dem Zorn der Menschen zu beschützen.
Doch diese Tore standen nun offen. Menschen und Elfen rannten durcheinander. Die Elfen, da sie versuchten die Flammen zu löschen, Verwandte oder Freunde zu retten oder ihre Wertgegenstände zu bergen. Einige Menschen halfen ihnen dabei, doch andere standen ihnen nur im Weg oder hinderten sie sogar. Von den Wachen keine Spur, doch Lloyd entdeckte einen ihm wohl bekannten dunklen Haarschopf in der Menge. Der Wächter.
Lloyd versuchte zu ihm hindurchzukommen, aber er verlor ihn kurz darauf aus den Augen.
„HILFE!" Ein Schrei durchbrach das Stimmengewirr und bohrte sich direkt in seine Ohren. Sofort ließ er von der Suche nach Tavaren ab und rannte in die Richtung, aus der dieser Hilferuf kam.
„HÖRT MICH DENN NIEMAND!" Ein Hustenanfall unterbrach die Stimme.
Ohne nachzudenken stürmte Lloyd in das Haus. Die Hitze schlug ihm ins Gesicht. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Innen konnte er kaum etwas sehen. Der schwarze Rauch versperrte ihm die Sicht.
Teppich, Boden, Wände und Möbel standen in Flammen. Der Windstoß, den Lloyd mit sich eingelassen hatte, entfachte das Feuer erneut.
„Wo seid Ihr?" rief er. Der heiße Rauch füllte seine Lungen, brannte sich durch seine Atemwege und kratzte in seiner Kehle. Wieder hörte er ein Husten, doch diesmal kam es aus seinem eigenen Hals.
„H-hier..." Die Stimme war so leise, dass er sie kaum hören konnte. Sofort rannte er in die schwarze Wolke. Trotz des dichten Rauches konnte er die Elfin auf dem Boden liegen sehen. Er hob sie an.
„Keine Sorge", versuchte er sie zu beruhigen. „Ich bringe Euch hier raus." Mit ihr in seinen Armen drehte er sich um. Die Elfin legte kraftlos einen Arm um seinen Hals. Hinter ihm stürzte die Wand ein. Funken tobten, doch vertrieben sie die Dunkelheit nicht. Die Hitze fraß sich in seinen Rücken.
Ohne zu zögern rannte Lloyd los. In der Finsternis verlor er fast die Orientierung. Er stieß mit der Schulter gegen einen Türrahmen und stolperte fast über eine Falte in dem Teppich.
Doch dann war er draußen. Luft, nicht länger nur Rauch, strömte in seine Lungen. Vorsichtig setzte er die Frau auf den Boden. Sie stand auf wackeligen Beinen, sodass er sie stützen musste, aber auch er konnte nur mit größter Mühe noch stehen.
Er stützte seine Hände auf den Oberschenkeln ab und hustete, versuchte wieder zu Atem zu kommen.
Dicke Regentropfen platschten ihm in den Nacken. Er hob seinen Kopf und sah gen Himmel. Dunkle regenschwere Wolken waren aufgezogen und entluden sich über der Stadt, löschten den Brand.
Er schloss für einen Moment die Augen. Das kalte Wasser war eine willkommene Abwechslung zu den heißen Flammen. Der Regen wusch ihm den Ruß von seinen Wangen und hinterließ weiße Rillen in seinem Gesicht.
„Danke", flüsterte die Elfin. Ihre Stimme war schwach, die Kleidung an mehreren Stellen angesengt – doch sie lebte und es gab einige, denen dieses Glück nicht zuteil wurde.
Lloyd winkte ab. „Dankt mir nicht", sagte er. „Sorgt für die Verwundeten und helft den Heimatlosen." Langsam, da er nicht wusste, ob sie schon auf eigenen Beinen stehen konnte, ließ er sie los.
„Wer ist für dieses Feuer verantwortlich?", schallte eine Stimme durch das Viertel. Alle Augen richteten sich auf den Wächter, der auf einer Erhöhung stand und zu der Menge sprach.
Keine Seele rührte sich.
„So weiß es niemand?", fragte er. Langsam versiegten die Flammen, aber viele der Hütten blieben nur noch als Ruinen zurück. Tavarens Nase begann zu bluten. Er wischte es mit dem Handrücken weg und schenkte ihm keine Aufmerksamkeit mehr.
„Falls jemand Vermutungen hat, so komme er bitte zu der Stadtwache", sagte er. „Ich wünsche allen eine ruhigere Nacht. Denjenigen, deren Häuser zerstört sind und die nicht bei Familie oder Freunden unterkommen können, werden Zelte gestellt. Zumindest als Übergangslösung. Ich bitte die Menschen nun zu gehen." Und mit diesen Worten sprang er von dem Podest.
Ohne Widerworte folgte man seinen Anweisungen. Bald verschwanden die Menschen aus den Straßen und Wachen bauten sporadische Zelte aus riesigen Planen auf.
Lloyd war wild entschlossen, Tavaren diesmal nicht einfach so entkommen zu lassen. Der Wächter koordinierte noch die Wachen, aber als er den Elfen bemerkte, schenkte er ihm seine gesamte Aufmerksamkeit.
Von Kopf bis Fuß musterte er ihn und sagte dann: „Ihr seht schrecklich aus."
Kurz überlegte Lloyd, ob er das einfach an sich vorbeistreifen lassen sollte, doch dann erwiderte er: „Ihr seht auch nicht besser aus." Obwohl Tavaren nicht in ein brennendes Haus gelaufen war, hatte er schwarze Rußspuren im Gesicht, in die sich Blut mischte. Denn seine Nase blutete weiterhin unaufhörlich und alle Bemühungen das Blut wegzuwischen scheiterten kläglich.
„Glücklicherweise hat es angefangen zu regnen", murmelte Lloyd.
„Mhm...", machte Tavaren, ohne mehr dazu zu sagen. Er sah auf die abgebrannten Ruinen und schwieg einige Augenblicke, ehe er sagte: „Ich sollte jetzt besser auch gehen." Er warf einen Blick auf den Elfen. „Wollt Ihr mitkommen?"
„Wohin?"
„Zu mir."
Lloyd verschränkte die Arme vor der Brust. Zu ihm hieß es nun also.
„Ihr müsst mich nicht gleich so ansehen." Tavaren war die Reaktion nicht entgangen. „Es war nur ein Angebot. Ich dachte nur..."
Lloyd schwieg und wartete einfach ab, wie Tavaren das Steuer noch herumreißen wollte.
„Ich wollte Euch ein Bad anbieten." Der Wächter versuchte sich sein Schmollen nicht anmerken zu lassen. „Ihr seht aus, als könntet Ihr eins vertragen."
„Ich habe selbst ein Bad", entgegnete Lloyd, immer noch die Arme vor der Brust verschränkt. Das war zwar nicht ganz die Wahrheit, aber er könnte sich einen Fluss suchen, um den Ruß abzuwaschen.
„Aber bei mir gibt es warmes Wasser."
Dieses Argument überzeugte Lloyd mehr, als er zugeben wollte. Er löste ein Stück seiner abwehrenden Haltung auf. Bei dem Gedanken, mit Tavaren mitzugehen, zog sich zwar alles in ihm zusammen, aber... warmes Wasser. Seit er aus seiner Heimat aufgebrochen war, hatte er es vermisst.
„In Ordnung", stimmte er letztlich zu.
Auf Tavarens Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. „Sehr schön. Dann folgt mir."
Für Lloyds Geschmack klang er ein wenig zu glücklich, aber er tat, wie ihm geheißen wurde.
Tavaren führte ihn durch die Stadt, aber schnell bemerkte der Elf, dass sie das Stadttor ansteuerten.
„Ihr wohnt außerhalb?", fragte er.
„Das Anwesen der Wächterfamilie ist schon seit je her vor den Stadttoren", erklärte Tavaren. „Nach dem Tod meines Vaters habe ich es übernommen, wie das Amt des Wächters auch."
„Verstehe", murmelte Lloyd.
„Aber keine Sorge", sprach Tavaren weiter. „Ich kann Euch morgen wieder in die Stadt lassen."
„Morgen?" Lloyd hoffte, sich verhört zu haben.
Tavaren drehte sich nicht einmal zu ihm um, als hätte er dessen Entrüstung nicht wahrgenommen. „Ja, morgen", sagte er. „Ich kann Euch auch ein Zimmer geben. Es ist schließlich schon spät."
Zähneknirschend ging Lloyd mit ihm mit. Warmes Wasser, redete er sich ein, Wenigstens gibt es warmes Wasser.
Im Licht des Mondes folgte Lloyd Tavaren aus der Stadt. Auf der einen Seite des Weges wuchs ein dichter Wald. Auf der anderen Seite erstreckten sich Klippen, von denen aus man einen Ausblick auf die Stadt und den Stillen Ozean hatte. Das Gesindeviertel war nur noch ein schwarzer Fleck, während in den anderen Stadtteilen noch hier und da ein Fenster erleuchtet war.
In der Ferne ertönte der Ruf eines Uhus. Lloyd zuckte ein wenig zusammen und sah zum Wald. Die Schatten schienen ihre knochigen Finger nach ihm auszustrecken. Aber außer diesen Bewegungen und den Ästen, die von dem Wind in leichtes Schwingen versetzt wurden, regte sich nichts.
„Seid Ihr in Ordnung?", fragte Tavaren.
Lloyd riss sich von dem Wald los. Erst jetzt bemerkte er, dass er stehengeblieben war. Hastig holte er zu dem Wächter auf. „Natürlich", sagte er.
Tavaren hakte nicht nach, doch nach einer Weile ergriff er wieder das Wort. „Heute seid Ihr gar nicht so unausstehlich wie sonst."
Lloyds Brauen schoben sich zusammen. „Ihr habt warmes Wasser. Da kann ich nicht anders, als freundlich zu sein."
„Ist das etwa der einzige Grund?"
„Ja", erwiderte Lloyd. „Weshalb sollte ich sonst mit Euch gehen?" Den wahren Grund, nämlich dass er Schuldgefühle hatte, weil er Ejahl geküsst hatte, verriet er nicht. Auch war er sehr froh, dass Tavaren es nicht zur Sprache gebracht hatte.
„Ach, mir würden mindestens fünf Gründe einfallen", antwortete der Wächter. „Zum Beispiel könnten Euch Schuldgefühle plagen wegen des Vorfalls mit Ejahl."
Lloyd blieb stehen und blickte zu Tavaren. Obwohl er den Namen des Meisterdiebes hier das erste Mal hörte, wusste er, von welchem ‚Vorfall' Tavaren sprach.
Tavaren drehte sich zu ihm um und sah in die erschrockenen Augen des Elfen. Diese Reaktion hatte er nicht erwartet. „Das war nicht ernst gemeint", sagte er schnell. „Ich weiß doch, wie Ejahl ist. Ich musste selbst auf die harte Art lernen, dass man sich nicht zu ihm setzt."
Lloyd versuchte den Schock von sich zu schütteln und ging wieder los. „Heißt das... Ihr habt auch...?"
Tavaren fuhr sich durch die Haare. „Naja... wer hat das nicht..."
Lloyd stieß die Luft, die er zuvor panisch eingesogen hatte, wieder aus. Er hatte schon gedacht, der Wächter würde ihm zürnen.
Stille staute sich zwischen den beiden an. Für Lloyd war sie nicht unangenehm. Er behielt in der Zeit den Wald im Auge.
Aber Tavaren wollte dieses Schweigen nicht zwischen ihnen stehen lassen. Daher sagte er. „Ein zweiter Grund, weswegen Ihr wohl mit mir gehen könntet, wäre Euer Medaillon."
Lloyds Brauen schoben sich erneut zusammen. Er hatte Tavaren nur deswegen finden wollen, doch nun hatte er es fast wieder vergessen.
„Nun, das...", begann Lloyd zögerlich. „Es wäre großartig, wenn Ihr mir das zurückgeben könntet."
„Ich habe es gerade nicht bei mir", antwortete Tavaren
Lloyd sah ihn fassungslos an. Was sollte er nur tun, wenn Tavaren es verlieren würde? Er schluckte seine Entrüstung runter. „Ihr habt nicht hineingesehen, oder?", fragte er vorsichtig. Im nächsten Augenblick schalt er sich innerlich. Natürlich hatte der Wächter es nicht geöffnet. Andernfalls wäre eine Situation wie diese, in der beide entspannt nebeneinanderher gingen, unmöglich.
„Würde es etwas ändern?"
Lloyd schwieg wieder. Er wollte Tavaren nicht sagen, wie viel es ändern würde.
Schon nach wenigen Minuten kamen die beiden an einer Steinmauer mit einem gusseisernen Tor an. Dahinter konnte Lloyd einen Hof mit Stallungen und ein riesiges Herrenhaus sehen. Ehe er sich ganz bewusst werden konnte, dass Tavaren einer der reichsten Männer des Landes war, öffnete der Wächter schon das Tor, das dabei leise quietschte, und trat ein.
Sein Fuß berührte noch nicht ganz wieder den Boden, da stürzte sich ein riesiges schwarzes Ungetüm auf ihn und stieß ihn in den Sand.
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