Der Verräter schläft nicht II
Der erste Eingang, an dem Lloyd ankam, war verschüttet. Der Zweite in dem Keller einer Familie, die er nicht aufscheuchen wollte. Und den Dritten konnte er gar nicht erst finden.
Er war bis spät in die Nacht unterwegs und wollte seine Suche schon abbrechen und am nächsten Tag fortsetzen. Aber einen Eingang wollte er noch überprüfen. Er befand sich in der Unterstadt direkt auf seinem Weg zurück in das Gasthaus. Und daher folgte Lloyd seiner Karte und stand schließlich vor einem verlassenen Haus. Es war heruntergekommen, aber lange nicht so zerfallen wie andere Behausungen hier.
Zögerlich schob er die Tür auf. Der frische Luftzug brachte den dichten Qualm im Inneren in Bewegung. Innerhalb des Hauses war es stockfinster. Er konnte nicht einmal die Hand vor Augen sehen.
Der Rauch machte ihn benommen und ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Den Schlag sah er nicht kommen. Eine Faust rammte sich in seine Rippen und ließ sie fast brechen. Lloyd krümmte sich, hielt sich seinen Bauch. Sein Angreifer trat ihm in die Kniekehle und zwang ihn auf den Boden.
Hart kam er dort auf. Sein Kopf knallte gegen die Holzdielen und er sah kurz Sternchen. Aber die Benommenheit, die dieser Rauch auslöste, vernebelte den Schmerz.
Doch als sich seine Sicht wieder aufklärte, sah er Stiefel, die vor ihm aufragten. Dieses Haus war nicht so verlassen, wie er zu Anfang gedacht hatte.
Er wurde am Arm gepackt und auf die Füße gehoben. Doch noch immer war der Rauch so dicht, dass er nichts sehen konnte. Als der Angreifer ihn hinter sich herzog, stolperte Lloyd nur. Sein Fuß stieß gegen etwas und er stürzte fast zu Boden, nur gehalten von dem eisernen Griff um seinen Arm.
Bei dem, wogegen er gestoßen war, handelte sich um eine Stufe, die er nun hochgezogen wurde. Er stolperte mehr, als dass er ging. Mal ragte eine Stufe so weit heraus, dass er mit dem Fuß dagegen stieß, mal war sie so flach, dass er beinahe zwei auf einmal genommen hätte.
Jetzt konnte er eine Stimme hören. „Ja, genau so." Die Worte kratzten in der Kehle, als hätten sie Angst diesen Ort der Geborgenheit zu verlassen. „Die Technik ist das Wichtigste."
Oben angekommen zog sein Angreifer ihn einen Flur entlang.
„Alles, was dir das Leben bieten kann, kannst du mit deiner Zunge erreichen", ertönte die Stimme erneut, direkt hinter der Tür, vor die Lloyd gebracht wurde.
Dann stieß sein Angreifer die Tür auf, noch ehe der Elf sich Gedanken darüber machen konnte, was ihn dort erwarten würde.
Der Raum war noch verqualmter als der Rest des Hauses. Ein Mann, gehüllt in Schwarz, saß auf einer Couch. Neben ihm ein junges Mädchen, kaum volljährig. Der Mann war leicht zu ihr herübergelehnt. Er hielt eine Pfeife in der Hand, doch war sie zu den Lippen des Mädchens geführt.
Er brauchte nur einen Blick auf Lloyd zu werfen, da wusste er schon, um wen es sich handelte.
„Welch eine überraschende Wendung der Ereignisse", sagte er und wandte sich an den Ankömmling. Mit einer Handbewegung schickte er Lloyds Angreifer und auch das Mädchen aus dem Raum, während er den Elfen selbst zu sich winkte.
Doch Lloyd ging nicht zu ihm. Den Mann – hierbei handelte es sich selbstverständlich um Ejahl – schien das nicht zu stören. Er lehnte sich auf der Couch zurück und nahm einen Zug aus der Pfeife.
„Dann darf ich Euch nun auch endlich kennenlernen", sagte er. „Ich habe schon so viel von Euch gehört, Prinz." Bei dem Klang dieses Wortes kroch es Lloyd kalt den Rücken herab. „Wollt Ihr Euch nicht doch setzen. Eure Knie zittern."
Erst jetzt bemerkte er, wie weich seine Beine waren. So weich, dass sie drohten, jeden Moment unter seinem Gewicht nachzugeben.
Ejahl rutschte ein Stück auf dem Polster zur Seite und klopfte auf den Platz neben sich. Lloyd schob seine Brauen zusammen. Doch letztlich ging er mit wackeligen Schritten auf ihn zu und setzte sich. Er rückte so weit ab, wie das Sofa es zuließ. Fast erwartete er, dass der Meisterdieb sich ihm annähern würde, doch der machte keine Anstalten dazu. Stumm zog er an seiner Pfeife.
„Was habt Ihr über mich gehört?", fragte Lloyd, als die Stille ihm unangenehm wurde.
„Das Übliche", antwortete Ejahl. „Man hört Einiges über Euch, wenn man nur lauscht."
‚Das Übliche'. Lloyd wusste genau, was das bedeutete. Er kannte nicht einmal die Hälfte der Gerüchte, die über ihn erzählt wurden, doch er wusste um den Inhalt der Meisten.
Ejahl wandte sich leicht zu ihm. „Was bringt Euch in mein bescheidenes Reich?"
Lloyd traute ihm nicht. Diese Unterhaltung war zu locker. Irgendwo würde er einen Haken finden.
„Laut meinen Informationen befindet sich hier ein Zugang zu den Katakomben. Ich möchte ihn benutzen.", sagte er.
Ruhig führte der Dieb die Pfeife an seinen Mund. „Was gebt Ihr mir dafür?", fragte er.
„Was wollt Ihr?" Lloyd hatte diese Frage kaum gestellt, da erkannte er schon seinen Fehler.
Ejahls Mundwinkel zuckten. Er rückte ein Stück an ihn heran und legte seinen Arm auf dessen Schulter.
Lloyd wollte zurückweichen, aber der Griff auf seiner Schulter verstärkte sich.
„Aber, aber", sagte Ejahl. „Ihr wolltet doch wissen, was der Preis ist, damit Ihr in die Katakomben gehen dürft." Er hielt Lloyd seine Pfeife hin.
Lloyd betrachtete sie nur. Er konnte sich vorstellen, mit welcher Substanz sie gefüllt war.
„Ihr wollt nicht?", fragte Ejahl und führte die Pfeife an seinen eigenen Mund. Den Rauch blies er dem Elfen ins Gesicht.
Vom Geruch wurde Lloyd übel. Benommenheit machte sich in ihm breit. Seine Gliedmaßen wurden schwächer. Hatte er gerade noch gegen Ejahls Griff angekämpft, gab er nun den Widerstand auf.
„Da gibt es noch eine andere Sache, die Ihr mir geben könnt", sagte der Meisterdieb. „Doch diese Wände haben Ohren. Ich möchte nicht, dass jemand außer Euch davon erfährt, also müsst Ihr näher kommen."
Lloyd hörte diese Worte wie durch einen Schleier. Als wäre er losgelöst von seinem Körper und würde nun in die Höhe schweben.
Und so bemerkte er kaum, dass er sich auf sanften Druck Ejahls hin zu ihm neigte.
Wärme breitete sich von seinen Lippen aus. Einige Augenblicke bemerkte er nicht, wodurch dies ausgelöst wurde. Seine Lider halbgeschlossen, ließ er sich fast von der Schläfrigkeit übermannen.
Doch nur fast. Im nächsten Moment riss er seine Augen auf und stieß Ejahl von sich. Er sprang auf die Füße, um noch weiter zurückzuweichen, doch seine Knie wackelten noch so sehr, dass er sich an der Wand abstützen musste.
Mit einem leisen Klonk landete die Pfeife auf dem Boden. Ejahl beugte sich, um sie aufzuheben. Doch statt sie sich wieder in den Mund zu stecken, behielt er sie nur in der Hand und prüfte, ob sie einen Kratzer davongetragen hat.
„Was sollte das?" Lloyds Stimme trug keinen Hauch Benommenheit mehr.
Ejahls Blick richtete sich auf ihn, als hätte er schon fast vergessen, dass er überhaupt im Raum war. Mit seinem Daumen strich er an seiner Lippe entlang, ehe er entgegnete: „Wann wollt Ihr die Katakomben betreten?"
Lloyd stützte sich weiterhin an der Wand ab, aber er richtete sich ein Stück auf und schüttelte die Verstörung wegen Ejahls Tat ab. „Morgen", antwortete er.
Der Meisterdieb nickte. „Dann werden wir uns morgen wohl wiedersehen."
Lloyd nahm es als Verabschiedung und verschwand sofort aus dem Raum. Keine Sekunde länger wollte er noch in dem Haus bleiben und diesen süßlichen Rauch einatmen.
Draußen gaben seine Knie nach. Er fing sich mit den Armen ab und verharrte einige Augenblicke. Seine Lunge füllte sich mit frischer Luft, die langsam die Benommenheit aus seinen Gliedern vertrieb.
Dann rappelte er sich wieder auf und eilte zum Gasthaus zurück. Den ganzen Weg kroch dieses Gefühl, als würde ihn jemand beobachten, seinen Rücken herunter. Erst als er die Tür seines Zimmers hinter sich schloss, ließ das Unwohlsein nach.
Das Stimmengewirr aus dem Gasthaus wurde von den dünnen Wänden nur gedämpft aber keineswegs verschluckt. Als Brummen hörte Lloyd es noch. Gemurmel, in dem er keine Worte mehr verstehen konnte, doch um es auszublenden, war es noch zu laut.
Er streifte seine Stiefel ab, hängte seinen Umhang über einen Stuhl und fiel ins Bett. Das Holz knarzte so laut, dass er kurz befürchtete, es würde unter seinem Gewicht nachgeben.
Doch als es ihn hielt, schloss er seine Augen und versuchte die Stimmen von unten auszublenden.
Ähnlich wie das Brodeln des Donners, der das Gewitter begleitete. Ähnlich dem Brausen, wenn der Wind sich zu einem Sturm sammelte. Geräusche, die er stets mit Gefahr in Verbindung setzte und so bedeutete das Stimmengewirr auch jetzt, dass sich ein Unwetter zusammenbraute. Denn nach wie vor war er hinter den Reihen des Feindes und auch wenn sich einige Menschen als überraschend kooperationsbereit herausgestellt hatten, wollte er sich nicht vorstellen, was geschehen konnte, sollte er von den falschen Leuten entdeckt werden.
Lloyd schreckte aus seinen Gedanken. Er hatte vergessen abzuschließen. Hastig sprang er aus dem Bett, eilte zur Tür und drehte den Schlüssel um. Er atmete erleichtert durch. Sein Blick schweifte durch den Raum, aber er war allein. Nur die Schemen der Nacht leisteten ihm Gesellschaft.
Er legte sich wieder ins Bett und schloss die Augen. Ruhig atmen, sagte er sich, konzentriere dich auf nichts anderes.
Doch kurz darauf verschlangen ihn wieder seine Gedanken. Stundenlang lag er noch wach, ehe der Schlaf ihn einlud.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro