Der Feinde Freundschaft I
Lloyd sprang ein Stück zur Seite, damit er notfalls wegsprinten konnte, solange das Ungeheuer Tavaren fraß. Aber er bemerkte schnell, dass es sich um den Wolf handelte, der oft in der Begleitung des Wächters war. Dies machte für Lloyd die Situation allerdings keinen Deut besser, denn er kannte Geschichten von Begebenheiten mit diesem Wolf, in denen die Elfen nur haarscharf dem Tod entronnen waren.
Der Wolf leckte quer über Tavarens Gesicht. „Dasan", hielt er ihn zurück. „Hey, Junge, lass mich los", sagte er lachend und befreite sich. Dasan japste schuldbewusst und ließ von ihm ab, sodass er sich aufrichten konnte.
Er wischte sich mit einem „Wah!" über das Gesicht, doch das Lächeln war auch danach nicht verschwunden.
„Junge", tadelte er den Wolf halbernst. „Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mich nicht so begrüßen sollst?" Dasan hörte auf mit seinem Schwanz zu wedeln und ließ den Kopf hängen. Aus mitleidserweckenden Augen sah er den Wächter an.
„Was ist, wenn ich hohen Besuch bekomme?", fuhr Tavaren mit seiner Standpauke fort. „Dann kannst du mich doch nicht so anspringen."
Dasan stieß noch einmal einen kläglichen Laut aus. Er hob eine Pfote und kratzte leicht an dem Stiefel des Wächters.
„Nein", wiederholte Tavaren, aber seine Stimme hatte an Nachdruck verloren. Das Wort zog er ein wenig zu lang und seine Betonung ging am Ende in die Höhe, sodass es fast wie eine Frage klang.
So wenig tadelnd es auch klang, bei Dasan zeigte es seine Wirkung. Er stellte seine Pfote wieder auf den Boden und ließ die Ohren hängen.
„Och, ich hab dich doch trotzdem lieb." Auf die Veränderung in Tavarens Ton reagierte Dasan sofort. Er hüpfte nun wieder wie ein Gummiball um ihn herum.
„Na komm her, Kleiner." Tavaren machte eine Handbewegung, auf die der Wolf hin ihn wieder ansprang. Er legte seine riesigen Pfoten auf Tavarens Schultern, sodass dieser ihm den Brustkorb kraulen konnte.
Lloyd hatte das Schauspiel aus einigen Schritten Entfernung beobachtet. Es wunderte ihn gar nicht, dass Dasan es nicht lernte, Tavaren nicht anzuspringen.
„Na, aber jetzt runter mit dir", wies Tavaren den Wolf an und schob ihn sanft von sich. Ohne erneut zu quengeln, gehorchte Dasan.
„Darf ich Euch vorstellen: Dasan.", sagte Tavaren.
Von Lloyd schien der Wolf nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Er warf ihm nur einen kurzen Blick zu, gähnte und heftete sich wieder an Tavarens Fersen.
Der Wächter klopfte sich, so gut es ging, den Staub und die Wolfshaare aus der Kleidung, ehe er weiterging. Und Lloyd mit ihm. Der Elf wollte es nicht riskieren, sich zu weit von Tavaren zu entfernen. Die Geschichten, die er über Dasan gehört hatte, klangen ihm immer noch in den Ohren.
Links und rechts des Weges, der so breit war, dass auf ihm zwei Kutschen ohne Schwierigkeiten aneinander vorbeifahren konnten, waren Blumenbeete und Hecken angelegt. Die Büsche waren noch grün, aber bald würden sie anfangen sich bunt zu färben und ihre Blätter zu verlieren. Denn die Blumenbeete waren schon leer. Oder immer noch. Hier im Norden gelang es kaum jemandem, Blumen zum Gedeihen zu bringen.
„Außer Dasan könntet Ihr noch meine Schwester und meine Mutter treffen", sagte Tavaren. „Aber... Nun, wir sollten einfach hoffen, dass sie schon schlafen."
Lloyd nickte. „Sie sind wohl nicht sonderlich erfreut, dass Ihr einen fremden Elfen hierher bringt?"
„Meine Mutter nicht", antwortete Tavaren. „Aber Luana, meine Schwester... Sie würde sich sofort auf Euch stürzen und sicherstellen, dass Ihr das Anwesen nicht eher verlasst, bis Ihr um ihre Hand angehalten habt. Sie hatte schon immer eine Vorliebe für alles Elfische." Mit einem Lächeln fügte er noch hinzu: „Aber ich kann Euch selbstverständlich beschützen."
„Habt Ihr etwa Ambitionen, mein Schutzengel zu werden?", fragte Lloyd.
„Als ‚Engel' würde ich mich nicht bezeichnen, aber ich werde nicht umsonst ‚Wächter' genannt."
Mittlerweile hatten die beiden und Dasan, der fröhlich an Tavarens Seite entlangtrabte, den Eingang des Hauses erreicht. Wobei ‚Haus' eine Untertreibung war. So aus der Nähe glich es eher einem Schloss.
Fünf Stufen führten zu einer Flügeltür aus Ebenholz. Das Herrenhaus hatte ‚nur' drei Stockwerke, dafür schien es sich aber endlos nach hinten zu erstrecken. Ein Balkon, der es fast gesamt umrundete, wurde von hohen Säulen getragen. In den hohen Fenstern spiegelte sich das Mondlicht. Nur in einem Raum brannte noch Licht.
Lloyd sah an den Mauern hoch. „Hier wohnt Ihr? Nur mit Eurer Mutter und Eurer Schwester?"
„Sicher" antwortete Tavaren schulterzuckend. „Bei Euch ist es doch ähnlich."
Lloyd erstarrte. Eine kalte Faust bohrte sich in seinen Magen, packte seine Gedärme und wand sie in seinem Inneren, bis ihm übel wurde. Tavaren wusste es. Er wusste alles.
Doch als der Elf einen Blick auf ihn warf, schien er nicht halb so erschüttert, wie Lloyd es war. Nein, er wirkte nicht einmal so, als hätte er bemerkt, was er gerade verkündet hatte.
Stattdessen drückte er die Klinke herunter und öffnete die Tür. Nichts von dem, was Lloyd draußen gesehen hatte, hätte ihn auf das Innere des Anwesens vorbereiten können. Das Vorzimmer war dunkel getäfelt und zwei Stockwerke hoch. Von einem Geländer im oberen Stock aus, konnte man die ankommenden Gäste beobachten. Die Kerzen im Kronleuchter entzündeten sich, als Tavaren eine Handbewegung machte. Nun konnte Lloyd an den hohen Wänden die überlebensgroßen Gemälde der vorherigen Wächter betrachten. Mindestens zwanzig an der Zahl sahen auf die Ankömmlinge herab. Die Rahmen dieser Bilder waren mit Blattgold verziert. Zumindest hoffte Lloyd, dass es Blattgold und kein massives Gold war.
Er brauchte nicht lange, um Tavarens Abbild zu finden. Der Gemälde-Tavaren sah jünger aus, die Haare in einem geordneten Knoten zurückgebunden. Mit stolzem Blick betrachtete er seine Umgebung.
Der Wächter verfolgte den Blick des Elfen. „Ich war neunzehn, als es gemalt wurde", sagte er und beantwortete damit Lloyds Frage, ehe er sie überhaupt gestellt hatte. „Das ist jetzt..." Er überlegte kurz. „Sechs Jahre her."
„So lange schon", murmelte Lloyd.
„Tavaren", erklang eine weitere Stimme, von der die beiden aus ihrem Gespräch gerissen wurden. Eine Frau kam aus einem der unzähligen Zimmer. Sie wankte sehr stark, sodass sie sich im Türrahmen abstützen musste, um nicht hinzufallen. Ihre dunklen Haare waren mit grauen Strähnen gespickt, das einst einmal schöne Gesicht mit Falten durchzogen und von tiefen Ringen, die sich unter die Augen gegraben hatten, entstellt.
„Wie siehst du denn aus?", lallte sie. Der beißende Geruch nach Alkohol umnebelte sie.
Tavaren seufzte. Hin waren seine Hoffnungen, dass er Lloyd einfach unbemerkt in das Haus schleusen könnte. „Wie viel hast du getrunken?", fragte er seine Mutter.
Madam Kestrel wollte einen Schritt auf ihren Sohn zugehen, aber ohne Stütze konnte sie sich kaum auf den Beinen halten, sodass sie doch lieber in dem Türrahmen stehen blieb.
„Es war nur ein Glas", antwortete sie. „Oder zwei... vielleicht auch drei... drei?" An den Fingern zählte sie ab und kam dabei auf weit mehr als drei Gläser.
Tavaren seufzte noch einmal.
Seine Mutter richtete ihren Blick wieder auf ihn. Erst jetzt bemerkte sie auch den Elfen, der neben Tavaren stand. Sein Gewicht verlagerte er von einem Bein auf das andere, als sich ihr Blick in ihn bohrte.
Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Was hast du schon wieder so ein dreckiges Biest hineingelassen?", fragte sie.
Lloyd wusste sofort, dass sie nicht Dasan meinte, der mit den beiden in das Anwesen geschlüpft war.
„Mutter", griff Tavaren ein, doch seine Worte zeigten keine Wirkung.
Sie sprach nun unbeirrt direkt Lloyd an: „Bist du hier um meinen Sohn zu fi—"
„MUTTER!", unterbrach Tavaren sie nun lauter. „Das ist es nicht. Sprich mit ihm nicht über solche Dinge."
Nun kicherte Madam Kestrel trunken. „Ich darf solche Dinge nicht in den Mund nehmen, aber du darfst sein Di—"
Wohlwissend wohin diese Unterhaltung führte, ergriff Tavaren Lloyds Arm. „Ihr solltet das nicht anhören müssen", sagte er und zog ihn hinter sich her. Erst in eine Tür hinein, dann einen Gang entlang, bis sie außer Hörweite waren.
Hier ließ er den Ärmel los. „Verzeiht, dass Ihr das hören musstet. Ich hatte wirklich gehofft, dass sie schon schläft."
Lloyd winkte ab. „Mir wurde schon weit Schlimmeres entgegengeworfen. Auch Ihr nanntet mich bei unserer ersten Begegnung einen ‚dreckigen Elfen'." Für die letzten beiden Wörter malte er Anführungsstriche in die Luft, damit auch ja deutlich wurde, dass dies die genauen Worte des Wächters gewesen waren.
Beklemmende Stille breitete sich zwischen den beiden aus. Tavaren stocherte verlegen im Teppich herum und Lloyd wies sich innerlich zurecht, weshalb er seinen Mund nicht gehalten hatte.
Nach einigen Augenblicken sagte Tavaren: „Ich sollte Euch das Bad zeigen." Er ging voran und führte den Elfen durch einige Flure. Die Schritte der beiden wurden von dicken Teppichen verschluckt. Auch hier waren die Wände mit Gemälden verschiedenster Art geschmückt. Landschaften mit bunten Blumenwiesen und tiefen Wäldern. Hohe Gebäude wie Kirchen und Türme, aber auch kleine Hütten, die am Wegesrand standen. Harmlose Kaninchen und Füchse, die sich an diese anpirschten.
Schließlich kamen die beiden vor einer Tür an.
„Wenn Ihr fertig seid", sagte Tavaren, „dann könnt Ihr in die Bibliothek kommen. Ich werde dort auf Euch warten. Der Weg dahin ist ganz einfach. Ihr müsst nur den Korridor entlang. Dann links abbiegen. Dort durch die zweite Tür auf der rechten Seite gehen..."
Während Lloyd der Wegbeschreibung lauschte – die alles andere als ‚einfach' war – versuchte er sich alles einzuprägen... und scheiterte. Als Tavaren am Ende angekommen war, hatte Lloyd die ersten Schritte schon vergessen.
„Wir sehen uns dann", verabschiedete sich der Wächter und ließ ihn in diesem Labyrinth zurück.
Lloyd seufzte und drückte die Klinke zum Badezimmer herunter. Irgendwie würde er den Weg schon finden.
Langsam glitt Lloyd in die Wanne. Das heiße Wasser löste ein wohliges Brennen auf seiner Haut aus. Die Anspannung in seinen Gliedern fiel langsam ab. Er legte seinen Kopf auf den Rand der Wanne und schloss die Lider.
Vor zwei Wochen war er aus seiner Heimat losgezogen. Ebenso lange war es her, dass er zum letzten Mal warmes Wasser genossen hatte. Er wusste genau, was er als erstes machen würde, wenn er nach Hause zurückkehrte. Die heißen Quellen im Großen Wald hatte er schon kurz nach seinem Aufbruch vermisst.
Er spürte ein kleines Stechen in seinem Herzen, als er an seine Heimat zurückdachte. Bald, redete er sich ein, bald würde er wieder heimkehren. In höchstens einer Woche sollten seine Verbündeten und er den Auftrag vollbracht haben. Und dann stand der Rückkehr nichts mehr im Wege.
Er tauchte mit dem Kopf unter Wasser. So verharrte er, konzentrierte sich nur darauf, seine Luft so lange wie möglich anzuhalten. Er wollte alle Gedanken verschwinden lassen. Diejenigen an den Großen Wald, die nur Heimweh verursachten, aber auch einige, die ihn nicht weniger schmerzten. Wenn er nämlich in seine Heimat zurückkehrte, dann müsste er Tavaren verlassen.
Seine Lungen fühlten sich an, als würden sie jeden Augenblick platzen. Das Wasser brannte auf seiner Haut, aber er wollte nicht auftauchen.
Bei Euch ist es doch ähnlich.
Er war sich sicher, dass Tavaren wusste, woher er kam. Und wenn nicht, dann musste der Wächter zumindest eine Ahnung haben. Doch weshalb Tavaren ihn dann nicht einsperrte und stattdessen sogar unterstützte, war ihm ein Rätsel.
Letztlich gewann Lloyds Überlebensinstinkt und er tauchte wieder aus dem Wasser auf. Er strich sich seine nassen Haare aus dem Gesicht. Von den Strähnen tropfte das Wasser und spülte dabei den Ruß mit hinaus. Mit jedem leisen Plong, das erklang, wenn ein Tropfen die Oberfläche traf, schwärzte sich das Wasser. Es nahm alle Spuren des Feuers von ihm und löste allen Schmutz von seinem Körper.
Er tauchte seine Hände in das Wasser und spritzte es sich ins Gesicht, um den Ruß von seinen Wangen zu waschen. Diese Gelegenheit musste er nutzen, solange das Wasser noch einigermaßen sauber war. Denn es dauerte nicht lange, da konnte das Wasser ihn nicht mehr reinigen. Doch noch einige weitere Minuten blieb er in dem Bad. Zumindest ein wenig wollte er das warme Wasser noch genießen.
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