Würde er sie verraten?
*I'll be good - Jaymes Young (ist recht weit hinten im Kapitel)
Amira war froh, dass Castile nichts mitgekriegt hatte von ihrem Traum. Mitten in der Nacht war sie hochgeschreckt und hatte einige Sekunden gebraucht um zu realisieren, was sie da geträumt hatte. Den rest des Tages war sie meist nur halb anwesend. Meistens dachte sie darüber nach, wieso sie ausgerechnet heute von Milan geträumt hatte. War das vielleicht eine Warnung gewesen, dass sie Castile nicht so leicht vertrauen sollte? Oder hatte das einen anderen Grund?
"Na komm schon kleines, wir müssen los. Wir wollen doch schließlich nicht zu spät zum treffen mit dem Informanten kommen hm?" forderte Castile sie auf. Amira verdrehte bloß die Augen und steckte dann ihre letzten Dolche ein. Nur für den Fall, dass dieses Treffen nicht so verlief, wie die beiden das wollten.
"Schlechte Laune?" fragte Castile, doch Amira schüttelte bloß den Kopf und gab ein "unwichtig" von sich, ehe sie das Zimmer verließ. Sie dachte normalerweise nicht viel über solche Situationen nach, doch heute war sie nachdenklich. Irgendwas an diesem Traum ließ sie einfach nicht los und sie wusste nicht was.
Nachdem die beiden 10 Minuten lang schweigend durch die Stadt gelaufen waren, kamen sie endlich an einem kleinen Geschäft an. Überall hingen Stoffe und die Tür war nur locker angelehnt. Castile hatte gesagt, dass die beiden hier ihren Informanten treffen würde. War dieser Informant etwa der Verkäufer?
Neugierig trat Amira vor und nachdem sie sich kurz umgesehen hatte, öffnete sie diese. Sofort schlug ihr der Duft von verschiedenen Kräutern und Pflanzen in die Nase aber auch kräftigere Dämpfe, die wohl alle zu verschiedenen Färbungsmitteln gehörten. Ihre hellblauen Augen suchten den dunklen Raum ab, doch mehr als Stoffe und verschiedene Maschinen konnte sie nicht erkennen. Niemand war hier? War das etwa eine Falle?
"Guten Abend" raunte plötzlich eine weibliche Stimme und innerhalb einer Sekunde hatten beide ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Frau gerichtet, die gerade aus dem hinteren Teil des Ladens kam. Sie war recht groß, schlank und sicherlich erst in ihren Zwanzigern. Ihr markantes Gesicht wurde perfekt umrahmt von ihren braunen, langen Haaren, die bis zu ihren Brüsten gingen. Sie war wirklich hübsch. Fast etwas zu hübsch.
"Sollen wir sie hier treffen?" fragte Castile hinter ihr und trat nun auch in den Laden ein. Er sah sich kurz im Laden um, vermutlich, weil auch er die interessante Aura dieses Ortes spürte. Irgendwas hier war fremdartig und besonders, doch Amira konnte es nicht ganz einordnen. Vielleicht nur die Färbemittel.
"Sie sind die zwei Reisenden, richtig? Folgt mir nach hinten" meinte die Frau mit gesenkter Stimme und führte die beiden anschließend in ein kleines Hinterzimmer, welches nur spärlich beleuchtet war. Überall lehnten Stoffe und ähnliche Textilien an der Wand, doch es gab weder fenster noch andere Türen. Hatte sie etwa Angst, dass jemand etwas davon mitbekam?
"Uns wurde gesagt, dass sie uns etwas über Theodore Levine sagen können" begann Amira vorsichtig. Falls das hier eine Falle war oder sie nicht die Richtige war, dann wollte sie nicht zu viel sagen. Der Mann war einflussreich und in dieser Stadt konnten sie ihm wohl nicht entkommen, falls er von ihrem Plan Wind bekam.
"Richtig..." meinte die junge Frau und ihre Stimme war dabei so leise, dass Amira sich anstrengen musste sie zu verstehen. "Was müssen sie wissen?" fragte sie weiter nach und sah die beiden musternd an. Wahrscheinlich wollte auch sie herausfinden, ob sie den beiden wirklich trauen konnte.
"Sein Sicherheitspersonal, wann er sich in seinem Haus befindet und andere wichtige Informationen" erklärte Castile, woraufhin die Frau nickte. Sie trat einen Schritt näher an die beiden heran und sah sich unsicher um. Dann begann sie zu sprechen.
"Er hat 8 Wachleute. Zwei befinden sich vor dem Haus, immer in Alltagskleidung. Die anderen 6 sind im Haus verteilt und patrouillieren regelmäßig die Zimmer sowie die Gänge. Sie alle sind bewaffnet und gut ausgebildete Soldaten, die ihr Leben für ihn geben würden. Theodore ist jedoch nur nachts da, tagsüber ist er meist in oder außerhalb der Stadt unterwegs. In der Dämmerung kommt er zurück und widmet sich anderen Dingen" erzählte sie leise und so schnell wie möglich. Gut, also würden sie wohl die Dämmerung ausnutzen.
"Ist er nachts alleine in seinem Zimmer?" erwiderte Castile und blickte sie neugierig an. Es schien, als würde sein Kopf bereits arbeiten, was bei Amira nicht anders war. Sie beide waren gerade dabei einen Plan zu entwickeln, jeder für sich, doch eins war klar: Am Ende würde Levine sterben.
"Nein. Er hat meist Gesellschaft durch Mädchen. Er bezahlt sie oder bedroht ihre Familien, damit sie mit ihm schlafen" flüsterte die Frau. Dann musterte sie Amira. "Blonde Mädchen mag er besonders gern" fügte sie dann noch hinzu und plötzlich wurde der jungen Diebin bewusst, worauf sie hinaus wollte. Amira sollte sich auf die Weise in sein Haus schleichen.
Auch Castile schien diese Idee gekommen zu sein, denn er blickte kurz zu ihr runter. "Gut zu wissen" murmelte er und für einige Sekunden trafen sich ihre Augen. Sie sollte also zu Theodore Levine ins Schlafzimmer gehen. Der Gedanke rief in ihr Ekel hervor, doch das ließ sie sich nicht anmerken. Nicht vor ihm.
"Ich danke dir für deine Informationen" meinte er dann an die blondhaarige Frau gerichtet. Diese nickte bloß und schenkte den beiden ein sanftes Lächeln. "Ich wünsche euch beiden viel Glück, bei dem was ihr vorhabt" hauchte sie. Sie war wirklich nett. Woher sie wohl all diese Informationen hatte? Und dann wünschte sie ihnen noch Glück... Wie viel wusste sie?
Auch als die beiden den Laden verlassen hatten, dachte sie noch darüber nach. Mittlerweile waren sie auf dem Weg zu Levines Haus, das nur etwa 5 Minuten von hier entfernt war. Beobachtete sie das Haus etwa öfter? Oder kannte sie ihn persönlich? Aber würde sie ihn dann so verraten?
"Du denkst heute viel nach ti vòlè" raunte Castile plötzlich von der Seite. Ihm war das aufgefallen? Nun ja, er war schließlich ein Engel. Hatten die vielleicht ein besonderes Gespür für sowas?
"Na und? Ich überlege einfach, wie wir am besten in das Haus reinkommen" erwiderte Amira und sah Castile nicht an. Dafür fühlte sie sich dann doch zu ertappt. Sie dachte wirklich schon den ganzen Tag nach, Hauptsächlich über Milan aber auch über vieles andere.
"Wir könnten dich als Lockvogel benutzten" schlug Castile genau das vor, was ihr solch eine Angst machte. Natürlich war ihr klar, dass sie dafür nicht mit Theodore schlafen musste aber vielleicht würde er sie küssen oder anfassen...
"Du müsstest mit ihm mit gehen" begann er und musterte Amira kurz. War ihm klar, dass sie das irgendwie beängstigend fand? Wusste er, dass ihr bei dem Gedanken daran bereits schlecht wurde? Sicher. Er war schließlich nicht dumm.
"Ich weiß. Ich schaffe das schon" meinte die junge Diebin und versuchte so ausdruckslos wie möglich zu schauen. Hauptsache er bemerkte nicht, wie aufgewühlt sie deshalb war. Amira wollte nicht, dass er solch eine Schwäche bei ihr sah.
Eine Weile schwiegen die beiden und liefen einfach nur nebeneinander her. Vermutlich hing Castile genauso seinen Gedanken hinterher, wie Amira. Was er wohl dachte? Es war das erste mal, dass sie sich tatsächlich fragte, was in seinem Kopf vorging. Noch immer konnte sie ihn nicht einschätzen.
Dann kamen sie endlich an dem Haus an. Es war in der Tat groß und nicht zu vergleichen mit den anderen Häusern in der Stadt. Es hatte zwei Stockwerke und ein Dach was ebenfalls um einiges größer als normale Dächer war. Die Fassade war ein helles Grau und es gab einige Fenster, manche zwei Meter lang und andere nur einen halben. Dieser Theodore war wohl wirklich reich.
Auf einem gegenüberliegenden Dach hatten die beiden schnell einen sehr guten Aussichtspunkt gefunden. Das Dach selbst war flach, jedoch mit einer Mauer, die etwa einen Meter in die Luft ragte, was wohl eigentlich als eine Art Terrasse dienen sollte. Hier konnten sie den Rest der Nacht verbringen und sich selbst ein Bild von den Wachen und deren Gewohnheiten machen.
Nach etwa einer Stunde, in der die beiden bloß herumsaßen, begann Castile endlich zu reden. Die ganze Zeit hatte sich nichts bewegt, außer die Wachen, die wie zufällig in einem 20 Minuten Rhythmus um das Haus liefen. Dementsprechend war sie froh um jede Ablenkung.
*
"Du bist heute Nacht hochgeschreckt. Wovon hast du geträumt ti vòlè?" fragte er und sah sie dabei ganz direkt an. Amiras Blick war noch immer stur auf das Haus gerichtet, dennoch zuckte ihr Augenbraue kurz. Er hatte es also gemerkt? Sie hatte gehofft, dass, falls er es gemerkt hatte, er es einfach ignorieren würde, doch dem war scheinbar nicht so.
"Keine Ahnung. Ich erinnere mich selten an meine Träume" log Amira kalt. Sie wollte nicht darüber sprechen, besonders, da seine Worte der Auslöser für ihren Alptraum gewesen waren.
"Das ist gelogen und das wissen wir beide. Wovon hast du geträumt? Es hat dir Angst gemacht, das hab ich gespürt Amira" meinte Castile und musterte sie weiterhin mit seinem durchdringenden Blick. Er hatte ja recht, doch sollte sie ihm davon erzählen? Was brachte ihr das?
"Ich hab von einem Kindheitsfreund geträumt, mehr nicht. Es war nichts besonderes und ich hatte sicherlich keine Angst, also lass mich in Frieden" gab Amira genervt zurück. Sie mochte es nicht, wenn jemand wusste, wie sie sich fühlte. Das machte sie verwundbar.
"Was ist passiert in deinem Traum Amira. Erzähl es mir" hauchte er sanft. Wieso war ihm das so wichtig? "Ich will nicht jede Nacht sehen, wie du hochschreckst und dann den ganzen Tag in deinen Gedanken hängst. Das gefährdet unseren Auftrag" erklärte er. Den letzten Satz sprach er mit nicht halb so viel Überzeugung aus, wie die vorher. Machte er sich etwa sorgen? Irgendwo ganz tief in ihr drin berührte sie das doch.
"Ich habe von einem Jungen geträumt, den ich früher kannte. Wir haben uns kennengelernt, als wir sechs waren und naja, er war mein bester Freund. Ich habe ihm immer vertraut und wusste, dass er auf mich aufpasst. Wir haben oft Mist gebaut und an einem Nachmittag haben wir einen neuen Händler in der Stadt beklaut..." begann Amira zu erzählen, ehe sie ins Stocken geriet. Sollte sie dem Engel wirklich davon erzählen?
Als hätte er ihre Unsicherheit gespürt, begann er liebevoll zu lächeln. "Du bist nicht schwächer, nur weil du mir deine Fehler zeigst. Im Gegenteil, es macht dich viel stärker" sprach er einen von diesen Sprüchen, die dazu dienten einen zu ermutigen. Normalerweise lachte Amira über sowas, doch jetzt half es ihr tatsächlich.
"Er hat mich an eine Bande verraten. Der Händler gehörte zu ihnen und für ein paar dumme Taler hat Milan mich verraten. Sie schlugen mich zusammen und alles was ihm wichtig war, war das Geld" beendete sie ihre Erzählung. "Davon habe ich geträumt. Von seinem Verrat damals und ich weiß nicht wieso. Das hat mich nun mal beschäftigt, weil ich lange nicht an ihn gedacht habe" meinte Amira. Dann lehnte sie den Kopf an den kalten Stein und sah ihn an. "Zufrieden?" fragte sie nun doch etwas bissig. So war sie eben.
Castile schwieg einen Moment. Er hatte ihr aufmerksam zugehört und währenddessen hatte sie einen kleinen Riss in seiner ach so perfekten Fassade gesehen. Es hatte ihn überrascht, auch wenn er das nicht zeigen wollte.
"Und du glaubst ich verrate dich auch?" fragte der Engel dann mit rauer Stimme. Es war nicht zu übersehen, dass ihn die Antwort tatsächlich interessierte, auch wenn er ganz lässig an der kleinen Mauer lehnte. Es war ihm wichtig, was sie dazu sagte.
"Wieso denn nicht? Schließlich hättest du dann das Geld für dich. Ich habe die Drecksarbeit gemacht und du kassierst" brummte Amira. Sie meinte das Todernst. Sie wusste, wie eiskalt und verräterisch Menschen und vermutlich auch Engel sein konnten.
"Weißt du kleines..." begann Castile und lehnte sich kurz zu ihr rüber. "Vielleicht will ich dir auch gar nichts böses. Vielleicht ist mir das Geld egal und du nicht. Oder vielleicht nutze ich dich auch nur aus. Wer weiß?"
Und mit diesen Worten begann erneut ein Schweigen.
Nun war sie wieder allein mit ihren Gedanken und der Frage "Würde er sie verraten?"
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