Einfach warten
Von dem Gold hatte sie sich eine heiße Suppe gekauft und ein leib Brot, den sie als Proviant zum Landsitz mitnehmen würde. Die Nacht hatte sie in ihrem kleinen, alten Unterschlupf verbracht, auch wenn sie kaum schlafen konnte. Sie war nervös. Natürlich war sie schon oft in irgendwelche Häuser eingestiegen aber die Burg eines Adligen... das war eine ziemlich große Nummer. Im Kopf hatte sie sich die ganze Nacht versucht einen Plan zurechtzulegen. Vor etwa 3 Jahren war sie einmal an dieser Burg vorbeigekommen, als sie in eine nahegelegene Stadt ritt. Lord Ramires besaß ein großes Schloss, dessen Mauern sie sich genaustens einprägt hatte. Es dauerte nur ein bisschen, bis sie das Bild, welches sie tief in ihren Erinnerungen vergraben hatte, wieder hervor holen konnte. Mit diesem Bild konnte sie zumindest einen groben Plan schmieden, bevor sie doch ins Land der Träume versank.
Die Sonne stand noch sehr tief am Horizont, da war Amira bereits wach. Heute war der große Tag. Sie würde bald in Gold baden können, wenn sie es tatsächlich schaffte diese Burg auszurauben. Bei dem Gedanken daran, zuckten die Mundwinkel ihrer vollen Lippen zu einem wohlwollenden Lächeln.
Ohne weiter nachzudenken, stand sie auf und nahm sich eine alte Bürste, welche nur noch die Hälfte der Borsten, die sie vorher einmal gehabt hatte. Damit kämmte sie ihr hellblondes Haar, bis es einigermaßen ordentlich war und dann band sie es zu einem Zopf zusammen. Sie streifte sich ein enges, schwarzes Shirt über und zog ihre alltägliche, schwarze Hose an, welche an einigen Stellen bereits etwas zerrissen war. Darüber zog sie einen dunklen Mantel, den sie in einer abgelegen Gasse gefunden hatte. Sie band sich eine alte Stofftasche um und steckte sich den Dolch unter ihren braunen Ledergürtel. Mehr trug sie nicht, denn sie hatte nicht mehr. Aber das würde sich bald ändern. Sie würde sich gute Klamotten leisten können und genug zu essen.
Nachdem sie sich bereit gemacht hatte, verließ sie ihren kleinen Unterschlupf und machte sich auf den Weg zu den Ställen. Die Gassen waren noch immer so leer wie gestern und es schien als würden die meisten noch schlafen. Sicherheitshalber hatte sie dennoch die Kapuze ihres Mantels tief ins Gesicht gezogen, da sie wusste, dass um diese Zeit die Bauern und Handwerker bereits wach waren und sicherlich auch bald auf den Straßen unterwegs waren. Sie musste sich also beeilen.
Nach 5 Minuten hatte sie die Ställe erreicht. Es war eine Anlage mit mehreren Stallungen, die die Pferde der unteren Klassen beinhalteten. Viele Bauern und Kaufleute hatten Pferde, die für sie die Karren zogen oder Lebensmittel transportierten. Pferde waren zwar viel Wert, doch da sie nur den ärmeren Leuten gehörten, wurden sie nicht großartig bewacht, wodurch es für Amira ein Kinderspiel war eins der Pferde zu klauen.
Als sie im Stall ankam, hörte sie ein vertrautes Schnauben. Es war das einer wunderschönen Fuchsstute, welche sie jedes mal "ausborgte". Wie sie hieß, das wusste Amira nicht, doch sie hatte ihr den Namen Thalia gegeben. Anfangs war die Stute noch etwas misstrauisch ihr gegenüber aber mittlerweile hatten sich die beiden aneinander gewöhnt und Thalia vertraute ihr. Auch wenn die blonde den Besitzer nicht kannte, war sie sich doch sicher, dass der Besitzer wusste, dass sie Thalia immer wieder sicher nach Hause brachte.
Sie griff sich also das Halfter von der Stute und schlüpfte in die Box. Mit geübten Handgriffen hatte sie ihr das Halfter angezogen und die Boxentüre so leise wie möglich geöffnet. Möglichst unauffällig führte sie Thalia aus der Box, durch die Stallgasse bis hinaus an die Tore. Diese führten zu einigen großen Wiesen, auf denen die Pferde tagsüber grasen konnten, weshalb sie eher abgelegen waren. Manchmal holte sie Thalia ganz früh morgens aus der Box um mit ihr über die Wiesen zu galoppieren. Es war das beste Gefühl auf erden.
Nun hatte sie aber keine Zeit in Erinnerungen zu schwelgen. Schnell stieg sie auf das Pferd auf und spürte sofort die angenehme Wärme der Stute. Sie nahm die provisorischen Zügel in die Hand und setzte sich gerade hin. Schon früh hatte sie gelernt ohne Sattel zu reiten und war es nicht anders gewohnt, weshalb sie sich problemlos ausbalancieren konnte, als die Stute loslief. Es würde ein recht langer ritt werden, doch sie war sich sicher, dass Thalia das schaffte. Normalerweise wurde die etwas kräftigere Stute dafür eingesetzt um den Pflug zu ziehen, weshalb sie kräftig bemuskelt war.
Die Reise führte sie vor allem durch den Wald. Es war ein großer Wald, der auch der Wald der Fürsten genannt wurde. Eigentlich war der Name völlig unpassend, denn die Fürsten und Adligen wagten sich nur selten in diese Gebiete. Natürlich wurden hin und wieder Hetzjagten veranstaltet, doch auch bei diesen Spielerein gingen sie immer auf Nummer sicher, dass sie nicht aus versehen zu tief in den Wald ritten. Warum? Nun, es gab viele Legenden über die Fürsten, die früher über dieses Land herrschten. Sie sollen gnadenlos mit den Bauern umgegangen sein, was dazu führte, dass diese irgendwann gegen sie rebellierten. In dieser Rebellion gelang es den Bauern einige der Fürsten und Adligen gefangen zu nehmen und sie brachten sie tief in diesen Wald. Was dann passierte, wusste niemand so genau, allerdings waren sich alle einig bei einer Sache: Dieser Wald war verflucht. Einfache Bauern und Kaufleute hatten jedoch nichts zu befürchten, so hieß es in den alten Legenden, weil sich der Zorn des Waldes nur gegen die Adligen richtete. Ob das der Wahrheit entsprach oder nur ein weiteres Ammenmärchen war, wusste Amira nicht, doch sie war schon oft durch diesen Wald geritten und nie war ihr etwas zugestoßen.
Nach 6 Stunden hatte sie den großen Wald endlich durchquert. Noch immer hing der Duft von feuchtem Laub in der Luft, den sie und Thalia so liebten. Jedes Mal, wenn sie zu diesem Wald kamen, konnte sie spüren, wie Thalia etwas flotter wurde und freudig schnaubte, als würde sie alleine der Gedanke an einen Waldausritt glücklich machen.
Jetzt war es jedoch Zeit für eine Pause, was Amira der Stute mit einem sanften ziehen am rechten Zügel, zu verstehen gab. Diese reagierte sofort, in dem sie die Richtung anpasste und dann auf einer Wiese am Waldrand zum stehen kam. Die Wiese war grün und eigentlich wunderschön, wäre sie nicht so voller Matsch vom Unwetter. Thalia schien das jedoch nicht zu stören, denn sobald die junge Frau abgestiegen war, begann sie zu grasen und schnaubte zufrieden. Wie niedlich. Lobend klopfte Amira der kaltblutstute auf den Hals und drehte sich dann in Richtung der Berge, die nur einige Meilen von den beiden entfernt waren. Majestätisch erhoben sie sich über die Landschaft, als wüssten sie genau, dass nichts und niemand ihnen etwas anhaben konnte. Solche Aussichten hatten sie schon immer bezaubert. Ihr Leben war trüb und grau, doch die Vorstellung von solch wundervolle Landschaften, brachte etwas Farbe in ihre trostlosen Gedanken. Schon vor Jahren hatte sie aufgehört daran zu glauben, dass sie eines Tages als Herzogin in einem wunderschönen schloss in den Bergen leben würde, doch sie träumte dennoch davon eines Tages in solch einer Gegend ein angenehmes Leben zu führen. Dazu hatte sie heute die Chance. Sie konnte sich vielleicht schon morgen solch ein Leben kaufen.
Mit einem aufgeregten Kribbeln im Bauch spazierte sie durch die Wiesen, die den Wald von den Bergen trennten. Berge, die die Sicht auf den Landsitz von Lord Ramires, versperrten. Aber nicht mehr lange, dann würde sie es wiedersehen. Sie würde erneut dieses wunderschöne Schloss hinter den Bergen sehen und sie würde es ausrauben. Sie. Eine einfache Diebin. Unwillkürlich musste sie Grinsen, als sie zurück zu Thalia ging.
"Na meine Schöne, genug ausgeruht?" fragte sie mit einer sanften Stimme, die so gar nicht zum Bild der herzlosen Diebin passte, welches sie eigentlich vermitteln wollte. Für Menschen hatte sie längst kein Herz mehr aber für Tiere... Niemals könnte sie einem Tief etwas zu leide tun, wenn es nicht notwendig fürs Überleben war. Ja, das Überleben stand für sie über allem. Jeglicher Grundsatz nutzte ihr gar nichts mehr, wenn sie tot war. Das war die Regel der Straße und sie würde sich daran halten.
Die Stute hob den Kopf und sah sie mit ihren treuen Augen an. Ob sie Amira nun verstand oder nicht, sie schien bereit zu sein, weiter zu reiten, also schwang sich die blonde Frau erneut auf den flauschigen Rücken der Kaltblutstute. Diese schnaubte nochmal kurz und schnappte nach einem letzten Büschel Grass, auf dem sie dann genüsslich herumkaute, als sie sich in Bewegung setzte.
Nach weiteren sechs Stunden, in denen sie an Flüssen, Bergen und Tälern vorbeikamen, erreichten sie endlich den Landsitz. Vor Amira erstreckte sich eine große, mächtige Burg. Die Mauern waren hoch und noch recht gut bewacht. Um die Burg herum tummelten sich Kaufleute, große Karren von anderen Adligen und andere Leute, die alle zu dem Fest wollten. Ein Fest welches heute Abend beginnen würde.
Heute Abend würden sie alle feiern, während sie diese Burg ausraubte. Nun musste sie sich jedoch einen Plan zurechtlegen und dafür lenkte sie Thalia geradewegs zu einem abgelegenen Platz, der nah an den Bergen war. Hier könnte sie hinter einigen Felsen ein kleines Lager aufschlagen, bis das Fest losging.
Nach einer halben Stunde hatte sie genug Holz für ein kleines Feuer gesammelt, dass sie höchstwahrscheinlich nicht anzünden würde. Es war viel zu auffällig, wenn man in der Nähe des Schlosses Rauch aufsteigen sah. Jedoch wollte sie auf jedes mögliche Ereignis vorbereitet sein. man wusste nie was passiert und ehrlich gesagt hatte sie ja auch nichts besseres zu tun. Thalia graste gemütlich auf der Wiese und Amira hatte sich auf einen trockenen Stein gesetzt. Nun würde sie warten.
Einfach warten.
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