*calm Resonance - Homestead (reicht nicht fürs ganze Kapitel aber für die Beschreibung von Veniza :))
Von Gott hatte Amira nie viel gehalten. In Zinambra fanden sich oft religiöse Fanatiker, die jedoch in völligem Kontrast zu dem Zustand der Stadt standen. Viele dort waren arm und hatten schwere Schicksalsschläge erleiden müssen. In diesen Situationen gab es keinen Gott, keine höhere Macht oder Schicksal, dass diesen Menschen half. Alles was in diesem Moment zählte, war die Stärke es alleine daraus zu schaffen. Die Kraft, um die Trauer und den Schmerz zu besiegen, war das, was die Menschen in Zinambra am Leben erhielt und nicht irgendein idealisierter Mann, der über das Schicksal entschied. Vielleicht war diese Denkweise etwas, was sie und Castile verband, denn so, wie er über Gott oder "Nenevith", wie er ihn genannt hatte, sprach, zeigte wohl recht deutlich, dass er alles andere als Gut von ihm dachte.
Die nächsten zwei Tage passierte erstaunlich wenig. Amira ritt meistens vor sich hin und hing ihren Gedanken nach, während Castile ähnlich beschäftigt mit sich selbst zu sein schien. So langsam hatten sie sich aneinander gewöhnt und Amira sah ihn nicht mehr als Bedrohung an, auch wenn sie vorsichtig war. Vielleicht begann sie allmählich ihm zu vertrauen, was die Zusammenarbeit anging, doch die junge Diebin würde dafür sicher nicht ihre Wachsamkeit vernachlässigen.
*
Gerade hing sie wieder in ihren Gedanken, als plötzlich umrisse am Horizont auftauchten. Anfangs konnte man nur graue, lange Striche erkennen, die wohl Mauern waren, je näher die beiden jedoch kamen, desto klarer wurden die Umrisse einer richtigen Stadt. Veniza. Der Ort, an dem ihr Zielobjekt lebte.
"Ist das Veniza?" fragte Amira an Castile gewandt, auch wenn sie die Antwort eigentlich schon kannte. Dennoch wollte sie es wissen, denn falls dies die Stadt war, zu der sie unterwegs waren, dann hieß das, dass die beiden in wenigen Stunden endlich ihr Ziel erreicht hatten und somit der Auftrag begann, der die beiden zusammengeführt hatte.
"Ja das ist sie. Veniza, die Stadt der 100 Häfen" meinte der Engel und als er ihren verwirrten Blick bemerkte, begann er schmunzelnd zu erklären. "Veniza hat keine 100 Häfen, jedoch ist die Stadt direkt an der Küste gebaut. Sie wurde in einem Krieg zerstört und dadurch gab es mehrere Stadtteile, die sich getrennt voneinander entwickelten und somit auch viele verschiedene Häfen. Heute ist es eine zusammenhängende Stadt, doch man nennt sie noch immer so".
Interessiert nickte Amira. Sie kannte sich mit der Geschichte dieser Welt nicht sonderlich gut aus, jedoch musste Castile das ja nicht wissen. Vielleicht war es ihr Stolz oder einfach der Fakt, dass sie sich selbst immer schützen wollte, doch sie brachte es nicht über die Lippen zu fragen. Das musste sie auch gar nicht, denn Castile schien sehr mitteilungsfreudig zu sein.
"Hier in diesem Gebiet gab es Jahrhunderte lang Kriege. Meist waren es nur kleinere, zwischen irgendwelchen Städten, die mehr Land haben wollten, doch ein Krieg zerstörte hier fast alles. Veniza hat eine wirklich gute Lage und als Handelsstadt war sie schon immer sehr reich und voller Menschen. Ein König aus einem anderen, längst vergangenen Reich griff genau hier an, weil sie wussten, dass Veniza schweren Schaden davontragen würde. Dieser Krieg war vor 200 Jahren, doch die Stadt hat sich nie ganz davon erholt" fuhr er seine Erzählungen fort und Amira hörte gespannt zu. 200 Jahre ist das bereits her?
"Und wie ist Veniza heute?" fragte sie dann und musterte den Engel neugierig. Wie alt er wohl war? Hatte er vom Himmel aus diese Kriege selbst gesehen? War er vielleicht dort gewesen und hatte... ja was taten Engel eigentlich? Es gab auch darüber viele Legenden, doch was konkret ihre Aufgaben im Himmel und der Menschen Welt waren, dass wusste Amira nicht. Wenn sie so mächtig waren, dann ließ Gott sie doch wohl kaum nur im Himmel rumsitzen, oder?
"Veniza ist eine wunderschöne Stadt. Sie hat sich prächtig entwickelt nach dem Wiederaufbau. Es gibt viele Hafen und Schiffe, die Täglich in den Hafen einfahren und neue, exotische Güter bringen. Viele Menschen dort leben auch von der Fischerei, zudem gibt es viele Gasthäuser und Tavernen, um die Leute zu bewirtschaften, die nur auf der Durchreise sind. Durch diese Umstände gibt es einige sehr reiche Menschen in der Stadt, die so gut wie alles kontrollieren. Was nur wenige wissen, ist, dass nach dem Krieg einige reiche und mächtige Geschäftsleute die Gelegenheit genutzt haben, um ihre Macht zu sichern. Sie bezahlten die Bauarbeiter und das Material für den Wiederaufbau. Heutzutage sind es nur noch Enkel oder Großenkel, die der Blutlinie dieser Männer entsprangen, doch sie sind noch viel mächtiger. Die Allgemeinheit glaubt, dass die Menschen in Veniza frei sind, allerdings ist das Gegenteil der fall. Sie müssen hohe Steuern und abgaben zahlen auf alles was sie einnehmen. Natürlich sind die Bewohner der Stadt meistens nicht arm, doch trotzdem leiden sie unter diesen machtgierigen Männern" erzählte der Engel ihr. Wow. In Zinambra waren die Leute zwar oft arm, doch sie waren alle frei. Sie schuldeten niemandem irgendwas, doch die Leute in Veniza...
"Das klingt nach einem sehr düsteren Leben" murmelte Amira und blickte in die Ferne, zu den Umrissen der Stadt. "Und wir sollen nun einen dieser Männer töten vermute ich" lenkte sie das Gespräch in Richtung ihres Auftrags. Sie wollte endlich mehr darüber erfahren, was die beiden machen mussten und vor allem, wie gefährlich dieser Auftrag war.
"Richtig ti vòlè. Sein Name ist Theodore Levine, ein Sprössling eines alten Familienclans in Veniza. Er kontrolliert vor allem den Handel und die Häfen. Seine Machenschaften gehen schon lange, doch scheinbar ist er nun jemandem ein Dorn im Auge. Man sagt über ihn, dass er gnadenlos ist und seine Diener öfter zum Spaß foltert" erwiderte Castile und fuhr sich durch das dunkle Haar. Auch wenn er völlig ruhig zu sein schien, Amira bemerkte durchaus, dass er sich bei seinen Erzählungen immer mehr anspannte. Auch für ihn schien klar zu sein, dass falls etwas schief ging, dass die beiden mit Sicherheit nicht so leicht aus dieser Sache raus kamen.
"Verstehe" gab Amira nachdenklich zurück. "Lebt er in der Stadt? Hat er viele Wachen? Oder hält er sich lieber im Versteckten?" fragte sie weiter. Wenn sie wirklich solch eine Mission durchziehen wollten, dann brauchte sie alle Informationen. Alle.
"Gute Frage. Ich war selbst bereits einige Male hier und die reichen dieser Stadt verstecken das gut. Meist besitzen sie ein Haus in der Stadt, was zwar groß ist, jedoch nicht sehr prunkvoll oder ausgestattet mit vielen Wachen. Zumindest keine Sichtbaren. Wenn sie nicht in der Stadt sind, dann haben sie jedoch große Landhäuser, die die ganze Pracht ihres Reichtums darstellen und auf denen es auch hin und wieder Bälle und Bankette für ausgewählte Kreise gibt" antwortete Castile ihr und sah ebenfalls in die Ferne. In Zinambra hatten die Reichen ihre Lebensstandards zu gerne den ärmeren unter die Nase gerieben und Amira war davon ausgegangen, dass das überall der Fall war.
"Und wo ist er jetzt? Wenn er in einem seiner Landhäuser ist, dann wäre es sicher um einiges schwieriger ihn zu töten" brummte die junge Diebin und sah ihn kritisch an. Sie hatte keine Lust erneut mehrere Tage umherzureisen und wollte sicher nicht riskieren in ein Landhaus voller Wachen einzubrechen.
"Mein Auftraggeber hat mir versichert, dass Levine noch 6 Tage in der Stadt bleiben will. Er kann uns allerdings keinerlei Informationen über das Haus geben, weshalb wir morgen Abend einen Informanten treffen werden. Er wird uns alles sagen, was wir wissen müssen. In der Nacht werden wir das Haus dann etwas auskundschaften und einen Plan entwickeln, wie wir am besten hineinkommen. Am nächsten Abend ist das Lichterfest in Veniza, wo er sich mit Sicherheit aufhalten wird, was bedeutet, dass wir ihn erst in der darauffolgenden Nacht töten können" erläuterte Castile ihr den Plan, woraufhin sie ihn verwundert ansah.
"Was ist das Lichterfest" fragte Amira neugierig und bekam sogleich eine Antwort. "Das Lichterfest soll das Ende des großen Krieges feiern. Sie zünden überall Kerzen an und die ganze Nacht lang gibt es Lieder, stände mit leckerem Essen und Tänze, die die Toten ehren sollen aber genauso auch genauso den Frieden feiern sollen. Es ist eine lange Tradition und mein Auftraggeber hat ausdrücklich darum gebeten, dass wir in dieser Nacht nichts tun. Er... Er ist selbst ein wichtiger Teil dieser Stadt und möchte nicht, dass wir den Menschen diese heilige Nacht ruinieren". So war das also. Nun, selbst Amira wusste, dass für die Menschen solche feste unglaublich wichtig waren und ein Tag mehr in Veniza zu verbringen war wohl auch nicht so schlecht. Vielleicht konnten sie ja sogar...
Zögerlich drehte sie sich zu Castile und musterte ihn einen Moment, bevor auch er sie ansah. Er schien zu spüren, dass sie ihn etwas fragen wollte, denn er sah die junge Diebin einfach nur an und wartete geduldig auf die Frage.
"Könnten wir vielleicht auch zu diesem Lichterfest gehen?" sprach Amira ihren Wunsch aus und wartete auf eine Reaktion. Kaum merklich zuckten erst die Augenbrauen des Engels und dann seine Mundwinkel. Er würde sich darüber lustig machen, das hätte sie wissen müssen. Gut, dann würde sie eben alleine gehen.
"Mit dir aufs Lichterfest?" wiederholte er die Frage und keine Sekunde später zischte Amira "Dann geh ich eben alleine. Ich brauche keinen Aufpasser". Vielleicht hatte sie zu schnell geurteilt, doch diese Frage war ihr nun mal nicht leicht gefallen und sie würde sicher nicht zulassen, dass jemand sich über sie lustig machte.
Castile schien nichts darauf sagen zu wollen, also schwiegen die beiden einfach. Sie konnte prima alleine klarkommen und brauchte keinen dummen Engel, der sie begleitet. Dass ihr der Gedanke daran mit ihm zu solch einem fest zu gehen eigentlich gefiel, würde Amira sich sicher nicht eingestehen, also blickte sie einfach stur in Richtung des Horizonts.
Immer näher kamen sie ihr. Stunde um Stunde verging und dann erreichten sie sie endlich.
Veniza, die Stadt der 100 Häfen.
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