Kapitel 67
Julias Sicht:
Egal, wie sehr ich mich angestrengt hatte, ich kam einfach nicht vom Fleck. Jedes Mal, wenn ich die Augen wieder öffnete, war alles, was ich sah, die Wiese aus meiner Kindheit.
Nach etlichen Versuchen, gab ich schließlich auch das letzte Fünkchen meiner Hoffnung auf und wählte verzweifelt Namjoons Nummer. Es wurde glücklicherweise sofort abgenommen, sodass ich den Jungs meine Lage erklären konnten. Dabei war ich froh, dass Namjoon mir seine Jacke gegeben hatte. Ohne diese wäre ich längst zu einem Eisblock mutiert.
Gerade hatte der eben genannte Besitzer mich gefragt, wie lange man von mir zu ihnen brauchen würde. Mit dem Auto wusste ich das. Die Strecke war ich ja schließlich schon einmal gefahren. Dann stellte ich auf laut und wollte nach Zügen und Bussen schauen.
Ich kam nicht einmal so weit, um die App auf meinem Handy auszuwählen. Eine Hand schloss sich auf meinen Mund und ich wurde gegen jemanden gedrückt. „Das ist ja eine nette Überraschung." Ich zappelte hin und her, versuchte mich vergebens zu befreien. Doch es brachte alles nichts.
Aus meinem Handy waren die Rufe der Jungs zu hören, doch abgesehen davon, dass ich nicht antworten konnte, war ich mit meinen Gedanken auch mehr bei der unbekannten Person hinter mir.
Mein Gezappel interessierte den Neuankömmling relativ wenig und ziemlich schnell wurde mir mein Handy aus der Hand genommen. Ich ging davon aus, dass die Person auflegte, sicher war ich mir allerdings nicht.
Mit einem Ruck wurde ich umgedreht, der Griff um meinen Oberarm lockerte sich dadurch jedoch keineswegs. Ohne auf das Gesicht der Gestalt zu achten, stellte ich erfreut fest, dass ich eine gewisse Beinfreiheit hatte.
Ich dachte gar nicht nach, sondern rammte meinen Fuß zwischen die Beine des Fremden. Sofort wurde ich losgelassen und keine Sekunde später sah ich mich querfeldein über die Wiese rennen. Mein Ziel? Das Heim. Dort wäre ich wenigstens etwas in Sicherheit.
Schnelle Schritte waren hinter mir zu hören, weshalb ich reflexartig noch mehr Gas gab. Als ich endlich die Anfänge des Dorfes erreicht hatte, bog ich in eine kleine Seitengasse ab. Hier hatte ich definitiv einen Vorteil. Durch Emilys und meine nächtlichen Touren, kannte ich an diesem Ort gefühlt tausende Verstecke und verborgene Wege. Wenn ich mich geschickt anstellte, könnte ich es tatsächlich bis zu meinem alten Zuhause schaffen, ohne dabei gesehen, geschweigenden erwischt zu werden. Ich musste nur aufpassen, höllisch gut aufpassen.
Gesagt, getan. So leise es ging, setzte ich einen Fuß vor den anderen, immer weiter in die Dunkelheit der Gasse. Nichts war zu hören, außer meinem schnellen, flachen Atmen. Jeden Moment rechnete ich damit, wieder losrennen zu müssen.
So schlich ich langsam die Straßen entlang, um zum einen das Risiko, entdeckt zu werden zu verringern und zum anderen ein wenig zu verschnaufen.
Ich hielt es kaum für möglich, doch nach bestimmt 20 Minuten konnte ich tatsächlich die Dächer des Heimes sehen. Jetzt kam allerdings die schwierigste Stelle. Alles, was mich jetzt von dem Gebäude trennten, war ein großer, geziegelter Platz. Egal, wie ich es anstellte, komplett außen rum kam ich nicht. Ich musste ihn Wohl oder Übel einmal überqueren.
Okay, Julia, tief ein und ausatmen. Du schaffst das. Du musst nur schnell genug sein und dann über das Tor klettern. Das war zum Glück keine Schwierigkeit. Jedenfalls war es das früher nie für mich gewesen.
Und drei, zwei, ein... Lo-
Noch während ich zum Sprint ansetzten wollte, viel mir glücklicher Weise aus dem Augenwinkel auf, wie eine Person den Platz betrat. Oh Fuck. Sofort bremste ich ab.
Gerade noch rechtzeitig konnte ich mich gegen eine Hauswand pressen und blieb somit von der Dunkelheit verdeckt. „Komm schon, Kleines, ich weiß, dass du da bist." Nein. Nein. Nein. Das durfte doch nicht wahr sein. Da war ich meinem Ziel so verdammt nahe. Aber warte mal...
die Stimme kannte ich doch...
Irgendwo hatte ich sie schon einmal gehört, da war ich mir zu 100% sicher. Ich kam nur gerade nicht drauf, wo. Im Angesicht der Tatsache, dass die Person nicht schien, als wollte sie sich nur ein bisschen mit mir unterhalten, machte die Frage für mich allerdings relativ irrelevant.
Gemächlich schritt der Unbekannte in die Mitte des Platzes, weshalb ich mich noch stärker gegen die Wand drückte. Da kam mir eine Idee. Wenn er jetzt hier war, dann konnte ich doch einfach den Weg zurücklaufen und aus diesem verdammten Dorf verschwinden. Der Plan war nicht perfekt, aber besser, als nichts. Und los.
In meiner Theorie wollte ich ganz langsam und leise durch dieselben Gassen wieder zurück schleichen. In der Praxis sah das ganze leider ziemlich anders aus. Aber woher sollte ich auch wissen, dass genau neben mir Gasflaschen lagen, die wunderbar klirrten, wenn man sie anrempelte?
Jedenfalls ging ich jetzt nicht mehr - von schleichen war schon lange nicht mehr die Rede -, sondern rannte. Doch auch dieser Zustand hielt nicht lange. Nach wenigen Metern wurde ich auch schon gegen eine der Hauswände gepresst. Schmerzhaft zischte ich auf. Jetzt stand ich hier, in der hinterletzten Ecke, mit diesem Typen. Besser konnte es nicht werden.
Denkste.
„Schau mich an." Wie hatte ich ihn nicht erkennen können? Weder an der Stimme, noch vorhin? Wie?
Vor mir stand Jason Monts, höchstpersönlich und grinste mich auf eine Art und Weise an, dass mir beinahe die Chips von vorhin wieder hochkamen.
„Du willst doch nicht schon wieder abhauen." Das war jetzt Ansichtssache. Trotz meiner entschlossenen Einstellung gab ich ihm Keine Antwort. Was auch?
Zu meinem Glück schien er auch keine zu erwarten, denn er redete einfach weiter. „Mach nicht so ein Gesicht. Alles was ich will ist, dass du nach Hause kommst und glücklich wirst." Pah. Glücklich. Der einzige Ort, wo ich wirklich glücklich war, war bei den Jungs.
„Tut mir leid, aber das wird gleich etwas weh tun. Wärst du von alleine mit mir gekommen, wäre es schmerzfreier gegangen." Ohne, dass ich noch irgendetwas sagen konnte, ließ er meinen einen Arm los und legte seine Hand, wie schon einmal, auf meine Wange.
Bevor ich wegen der nun aufkommenden Schmerzen aufschreien konnte, hatte er auch schon, genau wie beim letzten Mal, seine Lippen auf meine gelegt und dämpfte somit meinen Schrei ab. Mit dem Unterschied, dass heute kein Yoongi in der Nähe war, der mir helfen konnte.
Langsam aber sicher wurde mir schwarz vor Augen. Der Braunhaarige löste sich von mir. Meine komplette Kraft hatte mich verlassen. Ohne irgendein Gefühl, sackte ich zusammen.
„Yoongi." Es war nur ein Flüstern. Zu mehr war ich nicht im Stande.
„Wir sehen uns später, Baby."
Jungkooks Sicht:
Ich weiß nicht, zum wievielten Male, wir jetzt schon ihre Nummer wählten. Doch jedes Mal wurden wir von der mechanischen Stimme des Anrufbeantworters vertröstet. Nicht nur ich, auch alle anderen wurden sichtlich immer nervöser.
„Das bringt doch nichts." Namjoon nahm sein Handy zu sich. Er hatte ja Recht, das würde zu nichts führen. „Und was machen wir jetzt?" Die ebenfalls ratlosen Blicke der anderen waren alle auf mich gerichtet.
„Na was wohl? Wir suchen sie." „Und wo willst du anfangen?" Jin blickte kritisch zum Orangehaarigen. „Wir teilen uns auf. Wir MÜSSEN sie suchen."
„Bis wir bei dieser Wiese sind, ist es viel zu spät." Wenn man mit dem Auto fuhr hatte Jimin Recht, aber es gab ja noch andere Möglichkeiten... "Wie meinst du das, Kookie?" „Was wäre, wenn wir durch die Portale nach Hause und durch ein anderes wieder in diese Welt reisen? Aber dann halt an einer anderen Stelle. Da muss doch auch irgendwo in der Nähe ein Übergang zwischen den Welten sein." Augenblicklich erhellte sich das Gesicht des Silberhaarigen. „Das ist genial. Warum sind wir nicht früher darauf gekommen?" Auch die anderen schienen Feuer und Flamme.
So kam es, dass wir uns schließlich in drei Gruppen aufteilten. Während Namjoon mit Hoseok durch die Portale in diese Stadt „reisten", würden Taehyung, Jin und Jimin in der anderen Welt bleiben und dort ihr Glück versuchen. Ich für meinen Teil, musste unter Protest hierbleiben. Die Begründung hierfür war, dass es wichtig wäre, wenn jemand da wäre, wenn Yoongi wiederkäme, um ihm die gesamte Situation zu erklären.
Warum ausgerechnet ICH das machen musste, wusste ich selber nicht wirklich. Doch am Ende hatte wir schon genug Stress, weshalb ich schnell nachgab und mich der Sache fügte.
* * * * *
Ich konnte Yoongi schon spüren, bevor er die Tür geöffnet hatte. Auf das, was gleich folgen würde, hatte ich definitiv keine Lust, aber eine große Wahl hatte ich natürlich auch nicht. Nervös ging ich die Treppe herunter, bei welcher ich den Blonden auch schon entdeckte.
„Kookie, was ist hier los?" Stocksteif blieb ich stehen. Anscheinend hatte er schon bemerkt, dass hier etwas nicht stimmte. Wobei das, bei dieser bedrückenden Stimmung im Haus auch nicht so schwer war...
„Es tut mir leid."
Ich wusste, ich hätte erst einmal alles erklären sollen, doch in dem Moment rutschte es mir einfach raus. Das löste natürlich das aus, was ich eigentlich hatte vermeiden wollen: Panik.
Mit schnellen Schritten lief der Ältere auf mich zu und blieb direkt vor mir stehen. „Was ist passiert? Wo sind die anderen?" Ich zwang mich ihm in die Augen zu schauen, bevor ich tief Luft holte und das aussprach, was ich selber nicht wahrhaben wollte. „Julia, sie ist weg."
* * * * *
Ohne, dass ich unterbrochen wurde, erzählte ich Yoongi alles, bis zu dem Punkt, als die Anderen losgegangen waren, um seine Freundin zu suchen. Nun lief der Blonde, wie ein aufgescheuchtes Reh hin und her. So nervös hatte ich ihn noch nie gesehen. Sonst war er ja immer die Ruhe in Person. Die Tatsache, dass sogar er unglaublich nervös war, beruhigte meine Nerven natürlich in keinster Weise.
Der Klingelton meines Handys riss uns beide aus den Gedanken und Yoongi stoppte sogar seinen Dauerlauf. Wie gebannt starrte er auf mein Handy, welches ich nun aus der Hosentasche nahm und anschaltete.
Namjoon
Haben leider garnichts und kommen jetzt zurück😪
Was ist mit Yoongi? 🤨
Ich
Okay, dann bis gleich...
Der ist inzwischen da
Ich hab ihm alles erzählt und naja... die Stimmung kannst du dir ja denken😕
Namjoon
Ja... kann's mir vorstellen
Gib uns ca. ne halbe Stunde
Seufzend packte ich mein Handy wieder weg. „Und?" „Nichts. Namjoon und Hoseok kommen in ungefähr einer halben Stunde."
Verzweifelt ging Yoongi sich durch die Haare. Ich wollte nicht wissen, was gerade in seinem Kopf vorging, doch ich konnte mir vorstellen, dass er sich ziemlich viele Vorwürfe machte, weshalb ich schließlich beschloss, zu ihm zu gehen und ihn einmal feste zu drücken. „Wir finden sie schon."
Auch wenn der Ältere selber seine Arme bei sich behielt, konnte man spüren, dass er gerade eine Umarmung gebraucht hatte. Keine Ahnung, wie lange wir so dastanden, doch irgendwann löste ich mich wieder vorsichtig von ihm.
„Denkst du, dein Vater könnte uns helfen?" Der Vampir zuckte mit den Schultern und ließ sich auf einen der Sessel fallen. „Wenn sie dort ist, wo ich denke, dass sie ist..." Er seufzte einmal, bevor er weitersprach. „Wahrscheinlich eher nicht."
„Aber wir können ihn doch trotzdem Fragen oder?" Als mein Freund nickte, breitete sich in mir etwas Hoffnung auf. Immerhin war Yoongis Vater der Vampirkönig. Das musste doch irgendetwas bringen...
Auf einmal kam Bewegung in Yoongi. Ohne etwas zu sagen stand er auf und lief zur Haustür. „Wo willst du hin?" „Na, wohin wohl. Zu meinem Vater." Schnell folgte ich ihm in den Flur. „Denkst du nicht, wir sollten auf die anderen warten." „Und was tun? Ich werde hier ganz bestimmt nicht noch länger herumsitzen." Beruhigend legte ich ihm eine Hand auf die Schulter. „Wenigstens bis Namjoon und Hobi hier sind. Bitte."
Nachdem er mir ein paar zweifelnde Sekunden schweigend in die Augen gesehen hatte, seufzte Yoongi zu meiner Erleichterung schließlich. „Na schön." Wenigstens. Es half meiner Meinung nämlich nichts, wenn wir jetzt auch wieder wo anders herumliefen.
* * * * *
Es herrschte eine schreckliche Stille, bis ich endlich spüren konnte, dass sich zwei mir äußerst bekannte Vampire in der Nähe befanden. Auch Yoongi schien es trotz seiner äußerlichen Abwesenheit bemerkt zu haben, denn er richtete sich schlagartig auf.
Das Schlagen der Tür war zu hören, dann Schritte. Dann war alles still. Ich sah die ganze Zeit schon zu Boden, weshalb ich nur vermuten konnte, dass sie jetzt bei uns im Wohnzimmer standen.
„Yoongi... Ich... Es tut mir leid." War das wirklich möglich? Weinte Namjoon etwa?
Nun blickte ich doch auf, weshalb sich meine Vermutung bestätigte. dem Silberhaarigen liefen tatsächlich ein paar Tränen über die Wangen.
Während ich diese Tatsache noch nicht ganz begriffen hatte, war Yoongi schon aufgestanden und auf seinen Kumpel zugegangen. Dort tat er etwas, was ich jetzt irgendwie gar nicht erwartet hatte. Der Blonde nahm ihn in den Arm. Und so standen die beiden eine gefühlte Ewigkeit, sich gegenseitig fest umschlungen.
„Es ist nicht deine Schuld." Das war alles, was ich hörte, bevor Namjoon den Älteren von sich wegdrückte. „Doch. Ich habe dir versprochen, dass wir auf Julia aufpassen und sie niemand mitnehmen wird. Und ich habe mich nicht daranhalten können." Yoongi machte wieder einen Schritt auf den, für ihn Jüngeren, zu und legte seine Hände auf Namjoons Schultern.
„Wir wussten alle, dass wir Julia nicht ewig hätten verstecken können. Es war doch nur eine Frage der Zeit. Ich denke, wir sollten unseren Streit von vorhin komplett vergessen und jetzt nicht darüber diskutieren, wer Schuld hat, sondern überlegen, wie wir sie zurückholen." Mit diesen Worten schlossen sich die beiden in eine weitere, brüderliche Umarmung.
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