
Kapitel 58
Die Schwärze um mich herum wurde schnell von einem Bild vertrieben, welches sich in meine Sicht schob. Es zeigte einen Raum. Einen ziemlich großen Raum, um genau zu sein - Saal traf es schon eher. Er hatte viele Fenster, die ihn hell erleuchteten und einem das Gefühl gab, man wäre in einem Palast. Trotzdem wirkte zwar sehr prunkvoll, aber gleichzeitig modern.
Alles wurde wieder schwarz. Die Schönheit des Raumes wurde von etwas anderem, neuen verdrängt.
Ein Schluchzen war zu hören. Ein neues Bild schob sich in mein Sichtfeld. Viel war nicht zu sehen. Nur ein Mädchen. Ein Mädchen in einem weißen Kleid. Sie saß mit dem Rücken zu mir, sodass ich weder ihr Gesicht, noch sonstiges erkennen konnte. Alles was man sah, war dieses Kleid. Mit seinen Perlen ähnelte irgendwie einem Hochzeitskleid.
Als wenn jemand das Bild am Computer verkleinerte, wurden langsam auch der Hinterkopf, mit den langen braunen Haaren sichtbar. Ein klatschen war zu hören. Im Hintergrund tauchte eine weitere Person auf.
Weiterhin in die Hände klatschend, lief der Neuankömmling auf das Mädchen zu. Als die Person näher kam, konnte man erkennen, dass es ein Mann war. Sein Kopf wurde vom Bildende „abgeschnitten". Erst als er sich herunterbeugte, erkannte ich ihn. Er war derselbe, den ich auch in meinem letzten Traum gesehen hatte. Es war mein Großvater.
Er griff nach dem Kinn der Sitzenden, zwang sie nach oben zu sehen. „Heul nicht." Ein weiteres Klatschen war zu hören. Dieses Mal flog der Kopf der Braunhaarigen zur Seite.
Auch dieses Bild verschwamm. Zum Glück.
Dunkelheit machte sich wieder breit, bis das Nächste auftauchte. Es hielt nicht lange. Nur für wenige Sekunden war das leuchtend grüne Auge zu sehen, aus dem langsam eine Träne floss.
Als wenn sich das Bild auf diese fokussiert hatte, wanderte es mit ihr. Sie floss über die Wange, am Kinn entlang und tropfte schlussendlich in Zeitlupe auf den Boden. Auf diesem hatte sich bereits ein See aus vergossenen Tränen gebildet.
Ich tauchte ab. In den See, in die Tränen, ins Nichts.
Der Raum tauchte wieder vor mir auf. Doch dieses Mal aus einer anderen Perspektive. Anders als beim letzten Mal, sah ich nur einen kleinen Ausschnitts des Zimmers.
Es war eine der Ecken. In dieser saß das Mädchen in dem Kleid. Um sie herum wuselten dieses Mal vier Frauen. Während ich das Mädchen immer noch nur von hinten sehen konnte, kamen mir der Gesichter der anderen nicht bekannt vor. Sie zupften am Kleid herum, schminkten sie, erstellten eine aufwendige Frisur.
Als sie ihr eine zarte, silberne Krone aufsetzten, wurde mir eine Sache bewusst. Das sah nicht nur so aus, wie ein Hochzeitskleid, das war eins.
Das Mädchen nahm einen Spiegel in die Hand, betrachtete sich, ihr Gesicht, ihre Haare. Doch alles, was ich aus meiner Perspektive sehen konnte, war das grüne Auge des Mädchens. Sie weinte nicht mehr. Doch strahlte trotzdem pure Traurigkeit aus.
Nachdem auch diese Situation verschwand und ein neues Bild sichtbar wurde, bemerkte ich, dass ich diesen Raum kannte. Es war derselbe, in dem ich auch das letzte Mal „gewesen" war. Derselbe, große Saal, mit dem selben glänzenden Marmorboden.
Auch mein Großvater stand wieder alleine und starrte Löcher in die Luft. Ich blickte im Prinzip von der Decke, direkt über der Tür auf das Geschehen. Deshalb war es für mich immer noch nicht möglich einen Blick auf das Gesicht der Braut zu werfen, als diese durch die große Tür schritt, über der ich schwebte.
„Da bist du ja." Ob er eine Antwort erwartete oder nicht, war ich mir nicht sicher. Jedenfalls bekam er keine. Mit schnellen Schritten kam er auf das Mädchen zu. „Komm jetzt." Sie hob etwas ihren Kopf, welchen sie die gesamte Zeit auf den Boden gesenkt hatte. „Bitte, ich... ich will das nicht." Der Gesichtsausdruck meines Großvaters blieb unverändert. „Das ist mir egal." „Aber..." „Nichts aber. Komm jetzt. Ich zeig dir etwas, was deine Meinung ändern wird."
Ohne auf eine Antwort der Braunhaarigen zu warten, zog er sie durch die gegenüberliegende Tür aus dem Raum. Mit dem Knall der zuschlagenden Tür, wurde ich in die Dunkelheit zurückgezogen.
Im Unterschied zu den letzten Bildern, war es in meiner neuen Umgebung ziemlich dunkel. Alles, was sich in dem kleinen Raum befand, war ein runder Spiegel auf einem Tisch, dessen Oberfläche silbrig schimmerte.
Eine Tür, die ich vorher nicht bemerkt hatte, wurde geöffnet. Und wer trat ein? Das Mädchen, gezogen von meinem Großvater. Er zeigte harsch auf den Spiegel. „Schau da hinein." Wie befohlen machte sie einen Schritt in die Mitte des Raumes.
Kaum hatte sie ihren Blick leicht gehoben, wurde ein weiteres Bild im Spiegel sichtbar. Eine Straße, mit einem schwarzhaarigen Mädchen, welches glücklich Musik hörte. Und dieses Gesicht würde ich unter tausenden wiedererkennen!
Emily!
„Du willst doch nicht, dass ihr etwas passiert?!" Hysterisch schüttelte die Braut ihren Kopf. „Lass sie in Ruhe." Sie wurde vom Spiegel weggezogen und so gedreht, dass sie ins Gesicht meines Großvaters schauen musste. Dieser umfasste ihr Kinn grob mit seiner Hand. „Dann sei still und tu das, was ich dir sage, verstanden?" So gut es ging, nickte sie. „Gut. Und jetzt komm endlich, wir trödeln schon viel zu lange." Als ich wieder von der Dunkelheit umgeben war, kam mir eine Frage in den Sinn.
Wer war diese Mädchen, dass ihr meine beste Freundin so wichtig war? Eine ihrer neuen Freunde? Aber was hatte diese dann wiederum mit meinem Großvater zu tun?
Ich hatte keine Zeit, um mir darüber Gedanken zu machen, denn schon tauchte das nächste Bild vor meinen Augen auf.
Ein langer Gang. Auf seinem Boden ein roter Teppich. Auf diesem lief das Mädchen. Langsam. Am Ende konnte ich eine riesige Holztür erkennen, die mit großen Spiegeln versehen war.
Wie eine Drohne folgte das Bild dem Mädchen durch den Gang. Desto näher sie der Tür kam, desto langsamer wurde sie. Bis sie schließlich vor den Spiegeln stehen blieb.
Sie sah in diese. Und endlich konnte ich durch den Spiegel das Gesicht erkennen. Ich stockte. Hielt förmlich die Luft an. Und auch wenn das Bild nicht lange hielt, da sich die schweren Türen öffnete, wollte es einfach nicht aus meinem Gehirn verschwinden.
Das Licht des dahinter liegenden Saals blendete mich. Das letzte, was ich sah, bevor ich endgültig ins Nichts gezogen wurde, war das Gesicht eines sehr bekannten Jungen.
Direkt hinter der Tür, am Rand des weiterführenden Teppichs, stand Yoongi und sah traurig in Richtung der Braut, in meine Richtung, bevor sich ein Messer durch seinen Bauch bohrte und er umkippte.
Julias Sicht:
Mit einem schrillen Schrei wurde ich aus dem Traum und zurück in die Realität befördert. Während ich versuchte, meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen, wollten die Bilder einfach nicht mehr aus meinem Kopf verschwinden. Das Mädchen... das... das war ich gewesen. Ich hatte meine eigene Hochzeit gesehen. Meine gezwungene Hochzeit... bei der Yoongi getötet wurde...
Da ich immer noch das Gefühl hatte, als würde ein Elefant auf meiner Brust einen Mittagsschlaf halten, rappelte ich mich auf und ging zum Fenster. Mit zitternden Fingern umschloss ich den Griff und atmete wenig später gierig die frische Luft ein, die mein Zimmer förmlich zu fluten schien.
Endlich verschwand das beklemmende Gefühl in meiner Brust ein wenig, sodass ich mich dazu bewegen konnte, mich seitlich auf die breite Fensterbank zu setzten. Meine Knie winkelte ich an, während mein Kopf an den Rand des Fensters gelehnt war. Seufzend sah ich in die klare Nacht hinaus, immer noch darauf fokussiert, mein Gesehenes zu verarbeiten.
Felix hatte gesagt, was ich träumte, könnten sowohl Sachen sein, die in der Vergangenheit passiert sind, als auch noch passieren werden. In diesem Fall war es wohl eher ein Blick in die Zukunft. Aber er hatte auch gesagt, es käme darauf an, welche Entscheidungen man traf. Was, wenn ich die falschen traf? Was, wenn das alles Realität werden würde?
Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Ein Zucken ging durch meinen Körper. Vor Schreck fiel ich seitlich von der Fensterbank, schloss die Augen, machte mich schon auf den Aufprall bereit. Doch so weit kam es nicht.
Bevor ich auf dem Boden aufkommen konnte, wurde ich von zwei starken Armen aufgefangen. Der Fremde, dessen Erscheinen ich erst bemerkt hatte, als es bereits zu spät war, hatte mich aufgefangen. „Ich bin's doch nur, Sweetie. „
Der Ältere nahm mich im Brautstyle hoch und setzte mich zurück auf die Fensterbank. Mit dem Unterschied, dass ich nun nichtmehr an die Wand, sondern an Yoongi gelehnt war, der sich ebenfalls auf der Fensterbank niedergelassen und mich danach zu sich gezogen hatte.
„Hattest du einen Alptraum?" Immer noch darauf konzentriert, meinen Pils zu regulieren, nickte ich. Wieso kam Yoongi eigentlich mitten in der Nacht in mein Zimmer?
Wie, als wenn er Namjoon 2.0 wäre, beantwortete mir Yoongi keine zwei Sekunden später meine unausgesprochene Frage. „Ich war gerade unten, als ich deinen Schrei gehört hatte, deshalb dachte ich, ich schau mal, ob es dir gut geht." Verstehend nickte ich. Dieses Mal mit den Gedanken präsenter im Geschehen.
„Willst du mir erzählen, was du geträumt hast?" Ich zögerte. Mal wieder. Doch nicht so lange wie sonst. Und ehe ich mich versah, hatte ich mich einfach fallen gelassen, mich in das Wissen gestürzt, dass ich Yoongi vertrauen konnte. „Es ging um eine Zwangshochzeit." Ich atmete einmal tief ein und aus. „Um meine."
Zwei Arme schlangen sich von hinten um mich, sodass ich mich noch besser an den Vampir kuscheln konnte. „Es waren immer wieder einzelne Szenen. Und mein Großvater hat... er hat..." Ich brach ab. Erst jetzt, wo ich es aussprach, realisierte ich, was das Ganze so wirklich bedeutete.
Yoongi drehte meinen Kopf mit einer Hand zur Seite, sodass ich ihm direkt in die Augen sah. „Was hat er?" „Er hat mich geschlagen." Zum Ende hin wurde ich so leise, dass anscheinend sogar Yoongi, trotz seines verbesserten Gehörs, Schwierigkeiten hatte, es zu verstehen. „Was hat er gemacht?" Er war zurück. Yoongis befehlerischer Ton war zurück. Kurz zuckte ich zusammen, weshalb ich direkt näher an den Jungen gedrückt wurde und eine Hand über meinen Rücken streichelte. „Er hat mir eine Backpfeife gegeben." Dieses Mal sprach ich zwar lauter, senkte meinen Blick allerdings nach unten, da ich dem intensiven meines Gegenübers nicht mehr standhalten konnte.
Die Hand entfernte sich von meinem Kinn. Stattdessen schloss auch diese sich wieder um mich, sodass ich mehr oder weniger in seinen Armen gefangen war. Ich drehte meinen Kopf wieder nach vorne. „Er hat gedroht, Emily etwa anzutun."
Ich hatte es nicht für möglich gehalten, doch ich wurde noch stärker an Yoongis Brust gezogen, kaum das ich es ausgesprochen hatte. Und irgendwie... half es. Auf seine eigene Weise. Ich fühlte mich nicht so alleine, ich fühlte mich etwas stärker.
„Und dann..." Wieder brach ich ab. Dieses Mal ließ der Blonde mir mehr Zeit, weiter zu sprechen, doch als ich dies nicht tat, spürte ich seinen Atem an meiner Schulter. Erst dachte ich, er wolle mich, wie die letzten Male, beißen, weshalb ich mich augenblicklich anspannte, doch ich musste wenig später feststellen, dass er nur leichte Küsse auf dieser verteilte. „Was ist passiert, hm?"
Ich blieb still. Wie sollte ich Yoongi auch sagen, dass er selber im Traum gewesen und in diesem gestorben war?
Wieder drehte der Ältere meinen Kopf, diese Mal allerdings so, dass er seitlich zu seinem war. Eine Gänsehaut überkam mich, als ich seinen Atem an meinem Ohr spürte. „Redest du mit mir, Sweetie?" Ich senkte den Kopf. Oder besser gesagt, wollte es. Denn dieser wurde von Yoongi starr in seiner Position gehalten.
Langsam fing er wieder an, sich vom Ohr zu meinem Mundwinkel herunter zu küssen. Als der Vampir dort angekommen war, hörte er wieder kurz auf. „Oder muss ich dich dazu bringen?" Ich musste schlucken.
„Du warst im Traum."
Diesen Satz ratterte ich so schnell herunter, dass sogar Yoongi kurz innehielt, um wahrscheinlich mein Gesagtes in Gedanken zu wiederholen und den Sinn dahinter zu verstehen. Dann drehte er meinen kompletten Körper so, dass wir uns gegenüber saßen und ich ihn ansehen musste, ob ich wollte oder nicht. „Und weiter?"
Ich merkte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Wie sollte ich ihm das sagen? Was wenn der Traum Realität wurde? Dann würde ich ihm von seinem wirklichen Tod erzählen!
Ohne groß darüber nachzudenken, ließ ich mich in Yoongis Arme fallen, versteckte meinen Kopf an seiner Halsbeuge und schlang meine Arme um ihn. Er reagierte sofort und legte seine Arme enger um mich und hielt mich dadurch in dieser Position. Genau wie beim letzten Mal, fühlte ich mich sicher und wohl. Und am liebsten hätte ich mich wahrscheinlich auch nie wieder von ihm gelöst. Dafür war es einfach viel zu schön.
Ich hörte seine Stimme an meinem Ohr. Er versuchte mich zu beruhigen. Und es funktionierte. Nicht sofort. Doch als er sich sicher war, dass ich mich einigermaßen unter Kontrolle hatte, drückte er mich ganz vorsichtig ein Stück von sich und sah mir tief in die Augen. „Was ist passiert?" Seine Stimme war wieder angenehm ruhig geworden. Augenblicklich wurde mir etwas leichter ums Herz.
„Du..." Mein kläglicher Versuch, es meinem Gegenüber doch zu erzählen scheiterte, bevor er wirklich begonnen hatte. Der Blonde legte den Kopf schief und ein kleines, aber liebevolles Lächeln schlich sich auf dieses. „Was kann denn so schlimm sein, dass du es mir nicht erzählen kannst? Hm?" Ich seufzte, schloss einmal kurz meine Augen, bevor ich ihm wieder in seine sah. Noch einmal holte ich tief Luft, nur um meinen ganzen Mut zusammenzunehmen und es auszusprechen.
„Du bist gestorben."
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