Kapitel 3
Ein Rütteln an meiner Schulter zog mich ruckartig aus dem Land der Träume zurück in die Realität. Als ich es wagte, meine Augen dem grellen Tageslicht auszusetzten und sie vorsichtig zu öffnen, konnte ich orangene Haare, zwei braun funkelnde Augen und ein breites Grinsen erkennen. Es war zwar nicht die Grinsekatze, der ich diesen Weckruf zu verdanken hatte, doch wie ich schon gestern festgestellt hatte, machte ihm Hoseok bei diesem Titel deutlich Konkurrenz.
Als der besagte Konkurrent bemerkte, dass ich wach war, wurde sein Grinsen noch breiter und er lehnte sich wieder zurück, sodass der Orangentraum aus meinem Sichtfeld verschwand und der Besitzer dieser Haare wieder aufrecht an meiner Bettkannte saß. „Jin hat gesagt ich soll dich wecken, da es gleich Frühstück gibt. Außerdem wollen wir dir ja noch das Internat zeigen." Ohne auf eine Antwort von mir zu warten, sprang er auf und ließ mich perplex im Zimmer zurück. Das war ein... unerwarteter Wecker gewesen...
Nachdem ich es geschafft hatte den Generator meines Gehirnes beim Duschen wenigstens ein bisschen ins Laufen zu bekommen, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf den Spiegel im Bad. Meine blauen Augen wirkten trüb und kalt, als sie meinen Körper scannten. Ich wusste, dass ich viel zu dünn war. Um gegen meine Essstörung anzugehen war ich lange in Therapie gewesen und auch jetzt nahm ich immer noch Tabletten, doch ganz wollte sie einfach nicht verschwinden. Im Heim hatte ich aufgehört zu Frühstücken. Ich hatte das Essen nicht mehr runter bekommen und da ich so auch einer Gruppen–Mobbing–Attacke aus dem Weg gehen konnte war nicht zu Frühstücken für mich die beste Lösung. Doch was sollte ich den Jungs sagen? "Hey Leute, also ich wollte euch nur sagen, dass ich ein Psycho bin, der mal Magersüchtig war und immer noch nicht genug isst und ich deshalb nicht mit euch Frühstücken werde!?"
Nein! Das kam gar nicht in Frage!
Frustriert schüttelte ich den Kopf. So zu starten, wäre mehr als nur etwas dämlich. Also gut, dann musste ich mich wohl überwinden. Allein bei dem Gedanken an das was gleich kam, wurde mir schlecht. Scheiß Körper. Das war mein letzter Gedanke, bevor ich mir einen langärmligen Pulli überstreifte und mich auf den Weg nach unten machte.
Anders als gestern saßen heute nur der Schwarzhaarige Junge, welcher sich als Jimin herausgestellt hatte, Hoseok, der sich durch den Weckruf auch ganz gut in mein Gedächtnis gebrannt hatte - es musste ja auch etwas Gutes dran gewesen sein - und Jin, bei dem es mich nicht wunderte, dass er kerzengerade seinen Kaffee trank, am Tisch.
Mit einem „Guten Morgen" setzte ich mich dazu. Vor mir auf dem Tisch stand Brot, Aufschnitt, sowie Cornflakes und Milch. Ich musste nicht lange überlegen und nahm mir ein paar Cornflakes, die ich dann mit sehr viel Milch aufgoss, sodass es für mich leichter sein sollte diese zu essen. Ich konnte die ganze Zeit einen Blick auf mir spüren. Als ich mich endlich traute, aufzusehen, blickte ich in Jimins eiskalte Augen, die mir für einen Moment eine Gänsehaut verpassten.
Schließlich brach er das unangenehme Schweigen. „Gut geschlafen?" „Ja, sehr gut sogar", log ich. Er musste ja nicht wissen, dass ich die ganze Nacht Alpträume gehabt hatte ... "Und bei deiner Freundin ist auch alles gut?" „J ... Ja, wi ... wieso?" „Weil ihr gestern noch so lange telefoniert habt, darum." Nun schauten mich auch die anderen beiden am Tisch an. „Also bist du gestern doch nicht direkt ins Bett gegangen", lachte Hoseok. Er sah nicht wütend aus, mehr als hätte er es sich schon gedacht. „Ja, ich habe gestern noch mit meiner besten Freundin telefoniert, aber ihr geht es gut." Das war zum Glück nicht einmal gelogen, denn IHR ging es ja gut...
Flashback:
Nachdem ich in mein Zimmer gegangen war, war ich schnell ins Bad gehuscht, mich danach umgezogen und mein Handy rausgesucht. Die Nummer meiner besten Freundin hatte ich schnell gewählt und keine 2 Sekunden später hörte ich Emilys vertraute Stimme.
E: Hallo, beste Psycho Freundin.
J: Oh Gott, Emmy ich vermiss dich jetzt schon.
E: Ja, ich dich auch. Aber jetzt erzähl, wie es so ist. Hast du schon neue Freunde gefunden?
J: Mensch Emmy, ich bin nicht einmal einen Tag hier, du weißt doch, wie ich bei sowas ticke.
E: *seufz* Ja, ich weiß das vermutlich am besten. Aber du musst doch irgendjemanden kennengelernt haben!
J: Ich lebe mit 7 Jungs zusammen, die scheinen fast alle ganz nett. Nur drei wirken ein wenig distanziert...
E: *lacht* Also schlimmer als du können die nicht sein, was das Thema Distanz angeht.
J: Du weißt genau, dass ich Angst habe, dass sie mich nicht mögen und alles von vorne losgeht.
E: Natürlich weiß ich das, aber warum sollten sie dich nicht mögen?
J: Emily komm schon, du kennst meine Vergangenheit besser als jeder andere.
E: Ja... Schon... Aber vielleicht hilft es dir ja mal mit jemandem zu reden. Ich möchte doch einfach nur, dass du glücklich wirst.
J: Ich weiß. Aber-
E: Kein aber. Rede mit ihnen. Sie werden dich sicher verstehen, wenn du ihnen die ganze Geschichte erzählst.
J: Nein Emmy! Ich will nicht, dass sich irgendjemand Sorgen um mich macht. Ich werde einfach versuchen wie ein normales Mädchen zu sein.
E: *lacht* Du und normal? Das war der Witz des Tages!
J: *seufzt* Ja, ich weiß. Es war eine beschissene Idee hier her zu kommen.
E: Es tut mir leid. Du weißt, dass ich das so nicht gemeint habe. Und wenn die Jungs nett sind, dann gib ihnen eine Chance und Versteck dich nicht gleich. Okay?
J: Wie denn? Schon als sie mich vorhin nach meinen Eltern gefragt haben habe ich kaum ein Wort rausbekommen und gelogen, wie soll ich ihnen dann bitte alles erzählen?
Während wir telefoniert hatten, hatte ich angefangen zu weinen. Ich konnte das einfach nicht.
E: Du musst versuchen ihnen zu vertrauen und einfach mal loslassen. Ich verspreche dir, das hilft!
J: Nein, ich denke es ist besser, wenn ich es verschweige.
E: *seufz* Wie du meinst... Aber jetzt beruhig dich erstmal und hör auf zu weinen. Stell dir vor ich wäre jetzt bei dir und nehme dich ganz fest in den Arm!
J: Danke Emmy!
E: Wofür?
J: Dass du immer für mich da bist. Einfach weil du trotz allem zu mir gehalten hast und meine Freundin bist!
E: Ich hab' dich lieb!
J: Und ich dich erst. Ich geh jetzt schlafen, die Jungs wollten mir morgen das Gelände zeigen.
E: Na dann viel Glück und vor allem viel Spaß morgen und gute Nacht!
J: Nacht Emmy!
Nachdem ich aufgelegt hatte stand ich noch eine Weile am Fenster und sah in den Himmel. Stumm liefen mir immer noch die Tränen die Wangen runter. Schnell wischte ich sie weg und drehte mich um. Den Blick lies ich dabei auf dem Boden. Meine Motivation war zu gering, als das ich mich jetzt noch in dem großen Spiegel anschauen wollte.
Flashback Ende
„Julia, alles okay?" Ich wurde durch eine Hand, die vor meinem Gesicht rum wedelte aus meinen Gedanken gerissen. „J... Ja, al... alles gut." „Sicher?", fragte Hoseok, welcher seine Hand jetzt von meinem Gesicht weggenommen hatte. Ich nickte nur. „Und warum weinst du dann?" Ich blickte zu Jimin, der mich mit einem skeptischen Blick musterte. Erst jetzt fiel mir auf, mir tatsächlich einzelne Tränen aus den Augen gelaufen waren, doch bevor ich etwas sagen konnte betrat Namjoon - den sich durch seine silbernen Haare doch ganz gut von den anderen unterscheiden lies - den Raum und schaute prüfend zwischen mir und Jimin hin und her.
„Julia, warum weinst du?", wollte nun auch er wissen. Doch anders als bei Jimin hörte ich bei ihm Sorge in seiner Stimme. Ich wurde immer nervöser. „Es ist alles gut, wirklich" Ich versuchte so selbstsicher, wie möglich zu klingen, doch bei meinem ach so großen Vorrat an Selbstvertrauen scheiterte, das natürlich. Namjoon zog eine Augenbraue hoch und auch die anderen Jungs schauten mich weiterhin an.
„I... Ich... Ich..." Scheiße, was soll ich sagen... Warum können Sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Das ist doch alles was ich will, Ruhe! Ruhe vor meiner Vergangenheit. - Dann muss ich halt doch erzählen, es sei was mit Emily...
„Du?" Jimins Stimme riss mich aus meinen Gedanken. „Meiner besten Freundin geht es nicht so gut und ich vermisse sie halt" Das war nicht einmal gelogen. Ich vermisste Emily schrecklich. Auch wenn das nicht der Grund war, weshalb ich weinte.
Jimin schaute kurz zu Namjoon. Ich glaubte, aus dem Augenwinkel erkennen zu können, wie dieser ganz leicht den Kopf schüttelte - sicher war ich mir allerdings nicht. Der skeptische Blick des Schwarzhaarigen haftete sich wieder auf mich, lenkte damit auch meine Konzentration von dem eventuell kopfschüttelnden Namjoon aus sich. „Auf einmal?"
Ich konnte nicht mehr. Ich musste hier weg.
Ohne nachzudenken stand ich auf und rannte in mein Zimmer. Die Tür schloss ich. Schnell. Und doch leise. Ich schob sie wie eine Mauer zwischen mich und den Fragen, den skeptischen Blicken, den Lügen.
In meinem eigenen persönlichen Save-Raum, in welchem all diese Dinge nicht existierten, ließ ich mich an der Wand hinuntergleiten und winkelte die Beine an. Mein Gesicht versteckte in meinem Schoß, meine Arme schlang ich um meine Knie. Jetzt war es zu spät für mich. Jetzt, wo ich hier so saß, hatte ich keine Kraft mehr, den Schwall an Tränen aufzuhalten.
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