Feyre
Als Feyre an diesem Morgen aufwachte, schien alles ganz normal zu sein. Ein Arm hielt sie von hinten fest umschlungen und gab ihr das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. Es hatte lange gedauert, bis sie diese Gefühle wieder spüren konnte, doch seit sie Rhys kennengelernt hatte, war es, als sei sie endlich zu Hause angekommen. Doch nicht nur er, auch Velaris, die Hauptstadt des Hofes der Nacht, war zu ihrem Zuhause geworden. Nach dem Krieg gegen Hybern hatte es eine Weile gedauert, bis sich die Lage wieder beruhigt hatte, doch so langsam konnten alle Menschen hier wieder zu ihrem alten Leben zurückfinden. Und auch sie selbst hatte sich so langsam an all die Aufgaben gewöhnt, die es als High Lady der Nacht zu erledigen gab, wenn nicht gerade Krieg herrschte. Sie wusste, dass auch Rhys Zeit gebraucht hatte, sich an den Frieden zu gewöhnen, der so lange nicht mehr in Prythian geherrscht hatte. Doch sie genossen ihn in vollen Zügen.
Vorsichtig versuchte Feyre aufzustehen, ohne Rhys zu wecken, doch sie hatte sich nur ein wenig erhoben, als Rhysand leise brummte, den Arm noch fester um sie schlang und sie wieder zu sich heranzog. Feyre verdrehte die Augen, wehrte sich jedoch nicht dagegen. "Du weißt, dass wir noch jede Menge Aufgaben zu erledigen haben, Rhys", flüsterte sie. Doch diese gähnte nur. "Die laufen uns nicht davon. Wir nehmen uns heute mal einen freien Tag." Augenverdrehend, aber mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, lies Feyre sich wieder in die Kissen sinken und schloss noch einmal die Augen.
Ein paar Stunden später begaben die zwei sich hinunter in das Esszimmer, um zu frühstücken. Doch noch bevor sie fertig waren, kam Mor ins Haus gestürmt. Etwas keuchend kam sie vor dem Esstisch zum Halt. "Cassian lässt rufen. Die Illyrianer haben irgendetwas ganz tolles an der Grenze zum Frühlingshof entdeckt ." Rhys runzelte die Stirn und musterte seine Cousine, die wie immer umwerfend aus sah, wenn auch etwas übermüdet. "Dir auch einen schönen guten Morgen", sagte er langsam. "Wir fliegen zu ihnen, wenn wir mit frühstücken fertig sind. Möchtest du auch was?" Mor zögerte kurz, schüttelte dann aber den Kopf. "Cassian meinte, es sei sehr dringend. Ihr solltet also besser schnell kommen." Die Falten in Rhys Stirn vertieften sich. "Bei Cassian ist alles immer gleich sehr dringend." Doch Feyre stand auf. Irgendetwas in Mors Blick zeigte ihr, dass es dieses Mal vielleicht wirklich dringend sein könnte. Komm schon, meinte sie stumm zu Rhys, wir sollten und das mal anschauen. Dieser zögerte, gab aber schließlich nach und folgte ihr aus dem Haus heraus. Vor dem Haus verwandelte sich Feyre und lies sich Flügel wachsen. Auch Rhys Flügel, die davor verborgen gewesen waren, erschienen nun und er hob Mor hoch. Auch Feyre schwang sich in die Lüfte und genoss das Gefühl der Leichtigkeit, das sich immer in ihr breitmachte, wenn sie flog. Es hatte lang gedauert, bis sie diese Leichtigkeit beim Fliegen verspüren konnte. Es hatte viel Training gebraucht, bis sie sich überhaupt mühsam in der Luft halten konnte ohne direkt wieder abzustürzen. Doch inzwischen fühlte es sich völlig normal an zu fliegen.
Etwas später kamen sie in der Nähe der Grenze an. Dort wurden sie bereits von Cassian und Azriel erwartet. "Was gibts?", fragte Feyre die beiden. Es war Cassian der antwortete. "Ein paar Späher sind auf einem Patroullienflug auf etwas seltsames gestoßen. Wir haben es uns schon angeschaut. Es ähnelt einem... Wie soll ich es sagen? Es ist wie ein Riss, ein Riss in der Atmosphäre, die diese Welt von anderen trennt. Es ist eine Art Portal, vermuten wir. Wir wissen leider nur nicht, wo es hinführt oder wie es dort hingekommen ist." Rhysand nickte langsam. "Zeigt es uns", verlangte er und erhob sich, immer noch mit Mor im Arm, in die Lüfte. Cassian flog vorraus und führte sie zu der Grenze des Frühlingshofes, zu dem Teil, der direkt am Meer lag. Bei dem Anblick, der sich ihr dort bot, kam Feyre ins Straucheln und konnte gerade noch so zu einer etwas ungeschickten Landung ansetzen. Die anderen landeten neben ihr und betrachteten ebenfalls das vor ihnen liegende Naturschauspiel. Feyre hätte nicht gewusst, wie sie dass, was sie sahen, in Worte fassen sollte, wenn sie irgendjemand danach fragen würde. Vor ihnen schwebte ein Riss, ein Portal, dass hier ganz sicher nicht hingehörte. An den gezackten Rändern sah es so aus, als würden sich mehrere Welten überlappen und es veränderte ständig die Form. Hinter diesem Riss meinte Feyre den Umriss eines grünen Waldes zu erkennen. "Wo um alles in der Welt führt das hin?", flüsterte Mor. "Das konnten wir leider auch noch nicht herausfinden."
Feyre fuhr herum zu der Stimme, die ihr leider viel zu vertraut war. Der Mann, der dort stand, sah kränklich und heruntergekommen aus. Seine einst strahlend goldenen Haare hingen strähnig und ohne jeglichen Glanz herunter. Unter seinen eisblauen Augen waren tiefe Augenringe und seine Körperhaltung war eingefallen und gekrümmt. "Tamlin", zischte Rhys hinter ihr. "Was macht Ihr hier?" Tamlin versteifte sich und wandte seinen Blick, der zuvor auf Feyre geruht hatte, Rhys zu. Seine Haltung wurde etwas aufrechte, als würde er mit aller Kraft versuchen, einen standhaften Eindruck zu machen. "Die Frage ist wohl eher, was macht ihr hier? Das letzte Mal, als ich nachgesehen habe, war dieses Gebiet hier das des Frühlinghofes. Also habe ich wohl alles Recht hier zu sein, während Ihr, Rhysand, wohl wieder keine Gelegenheit auslasst, Euch in fremde Angelegenheiten einzumischen." Rhys runzelte die Stirn. "Mit Verlaub, aber wenn aus dem Nichts Risse in unserer Realität auftauchen, ist das nicht nur die Angelegenheit des Frühlinghofes, sondern unser aller Angelegenheit." Tamlin verzog den Mund, erwiderte jedoch nichts darauf. Er blickte auch Feyre kein zweites Mal an, als er auf das Portal zuschritt und es näher begutachtete. "Wir müssen erfahren, wohin das Portal führt. Und ich fürchte, die einzige Möglichkeit, wie wir das herausfinden können ist, selbst hindurchzugehen." Er wandte sich nun an Feyre. "Wir müssen umbedingt herausfinden, ob es eine Gefahr für das Reich darstellt." Rhysand stellte sich zwischen sie. "Rede nicht mit ihr!", zischte er. Doch Feyre antwortete ruhig. "So schwer es mir auch fällt, ihm zuzustimmen, er hat Recht, Rhys. Wir müssen herausfinden, was dort ist." Rhysand machte ein nachdenkliches Gesicht. "Du hast Recht, Liebling. Wir gehen durch das Portal, sehen uns das an und kommen dann so schnell wie möglich wieder zurück. In der Zwischenzeit soll Amren über den Hof wachen, ich habe ihr gedanklich schon eine Botschaft übermittelt." Tamlin nickte zögernd. "Ich komme mit euch." "Nein!", entfuhr es Feyre und Rhys gleichzeitig. "Du hast schon genug zerstört", knurrte Rhys, "Bleib hier und pass auf deinen Saustall von einem Hof auf." Tamlins Augen begannen wütend zu glühen. "Nein! Ich habe genug Berater, die liebend gern auf den Hof aufpassen, doch ich werde mitgehen. Wie schon gesagt. Diese Angelegenheit betrifft uns alle." Und noch bevor Rhys etwas erwidern konnte, war Tamlin durch das Portal gesprungen. Cassian seufzte. "Was für ein Arschloch!" Dann folgten er, Azriel, Mor und schließlich auch Rhysand und Feyre Tamlin durch das Portal.
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