Grund 31
Nach diesem katastrophalen Abend, der darauffolgenden schlaflosen Nacht, einem mehr als unangenehm Gespräch mit Roman und dem absolute beschissenen Arbeitstag kam ich Nachmittags zu einem leeren Haus nach Hause.
Timo war wie gewöhnlich noch in der Arbeit, was mir etwas Zeit gab mich zu akklimatisieren, bevor ich ihm unter die Augen treten musste.
Einerseits wollte ich unbedingt das Gespräch mit ihm suchen und versuchen, dass zwischen uns zu klären, andererseits wollte ich es so lang wie möglich hinauszögern.
Ich hatte sogar schon in Betracht gezogen noch eine Nacht bei Roman zu verbringen, aber ich wollte den beiden bei ihren Kinderplänen nicht im Weg stehen. Immerhin trieben sie es zurzeit wie die Karnickel.
Ich verräumte meine Tasche, machte die Wäsche und brachte generell wieder etwas Ordnung in unser Haus. Wobei Timo gestern anscheinend noch einiges gemacht hatte, denn es war überraschend aufgeräumt.
Nach einer heißen Dusche machte ich es mir schlussendlich auf dem Sofa bequem und nahm ein Buch zur Hand, welches mich hoffentlich etwas von meinen Gedanken ablenken würde.
Kaum hatte ich jedoch die zweite Seite fertig gelesen und war schon völlig in der Geschichte gefangen, klingelte es an der Haustür.
Kurz spielte ich mit dem Gedanken, denjenigen einfach stehen zu lassen bis er gehen würde, aber als es ein zweites Mal klingelte erhob ich mich murrend vom Sofa.
»Jonathan?«, fragte ich überrascht als ich den Dunkelhaarigen vor der Haustür entdeckte. Er hatte die Kapuze seines großen Pullovers über den Kopf gezogen und drückte sich unter unsere kleine Überdachung über der Haustüre, da der Regen wieder in Strömen herunterschüttete.
»Hey.«, lächelte er und machte einen Schritt näher an die Tür heran.
»Hey... Timo ist nicht da.«, informierte ich ihn gleich, was er jedoch nur mit einem Schulterzucken abtat.
»Ich wollte eh zu dir.«, lächelte er knapp, ehe er mit einer fragenden Handbewegung andeutete das Haus zu betreten.
»Zu mir?«, fragte ich perplex und machte einen Schritt zur Seite, damit Timos bester Freund eintreten konnte.
»Ja.«, kam es nur wieder von Joni, der aus seinen Schuhen schlüpfte und seinen feuchten Pullover über den Kopf zog.
»Bah, ich hasse Regen.«, murrte er und strich sich die nassen Strähnen von der Stirn, ehe er kurz überprüfte, ob der Heizkörper in unseren Flur warm war und dann seinen Pullover zum trocknen darüber hängte.
»Was gibts?«, fragte ich weiterhin von seiner Anwesenheit überrascht nach und folgte ihm ins Wohnzimmer als wäre ich der Gast und er der Hausherr.
»Ich muss mit dir reden.« Er seufzte hörbar, während er sich ungeniert aufs Sofa setzte. Sein Blick fiel kurz auf das Buch, das ich eben gelesen hatte, welches noch auf der Couch lag, ehe er es vorsichtig beiseite legte und dann auf den frei gewordenen Platz klopfte damit ich mich zu ihm setzte.
Mehr als irritiert ließ ich mich langsam neben ihm nieder ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. Er hielt meinem Blickkontakt stand und abermals entging mir das Glitzern in seinen Augen nicht.
War das früher auch schon da?
»Was gibts?«, wiederholte ich meine Frage von vorhin und zupfte unwissend wie ich mit dieser Situation umgehen sollte an meinem Oberteil herum, bis es meiner Meinung nach ordentlich saß.
»Ich... ähm... das ist eine schwierige Situation für mich, weil ich Timo eigentlich nicht in den Rücken fallen will, aber ich habe ihm genügend Zeit gegeben und... naja...« Seine feste, vor Selbstbewusstsein strahlende Stimme passte nicht zu seiner halb gestotterten Aussage. Es verwirrte mich und verunsicherte mich auch irgendwo, ihn so zu erleben.
So kannte ich ihn nicht.
»Ok, hör zu. Ich habe ihm gesagt, dass er es dir sagen soll und er will es dir auch eigentlich sagen, aber er schiebt es jetzt schon zu lange vor sich her.« Er seufzte, strich sich durch die Haare, welchen man langsam ansehen konnten, dass sie trockneten, und sah mir dann wieder fest entgegen.
»Ich weiß, dass wir nicht unbedingt die besten Freunde waren oder sind oder wie auch immer, aber ich will ehrlich gesagt nicht weiter zuschauen und–«
»Hör auf um den heißen Brei zu reden.«, brummte ich jetzt eher genervt als verunsichert und musterte Timos besten Freund genau.
Dieser tat das selbe bei mir und diesmal fiel mir neben dem Glitzern in seinen Augen auf, dass seine Irden eine besondere Farbe hatten.
»Timo ist dir fremdgegangen.«
Stille.
Joni sagte nichts mehr.
Mein Kopf war leer.
Seine Aussage wollte nicht in meinem Kopf ankommen. Ich wollte nicht hören, was er gerade gesagt hatte.
Wieso sagte er sowas? Warum? Wieso hat er es nicht für sich behalten?
Warum musste er meinen Verdacht bestätigen? Wieso musste er meine größte Angst real werden lassen?
»Wann?«, kam es tonlos über meine Lippen. Es war nur ein Hauch, aber Joni verstand mich trotzdem.
»Kurz bevor wir nach Amsterdam sind.«, antwortete er knapp.
Ich nickte langsam.
»Mit wem?« Meine Stimme war nur noch ein Flüstern und die Tränen, die in meinen Augen brannten, breiteten mir jetzt schon Kopfschmerzen.
»Das weiß ich nicht. Irgend ein Kerl, den er im Club kennengelernt hat.«
Ich nickte wieder.
Mein Lebensgefährte, mein Partner, mein Freund hatte mit einem anderen, einem fremden Mann Sex.
Ob es ihm gefallen hat? War es besser als mit mir? Hat er es genossen?
Hat er Vergleiche zwischen uns gezogen? Wenn ja, zu welchem Ergebnis war er gekommen?
Fragen über Fragen kursierten in meinem Kopf und lenkten mich derart ab, dass ich nicht spürte, wie sich die erste Träne löste.
Joni hatte ich auch schon völlig ausgeblendet.
Bis der Dunkelhaarige plötzlich an mich heran rutschte und mich vorsichtig in den Arm nahm.
Unter normalen Umständen hätte ich einer Umarmung nie zugestimmt, aber in diesem Moment konnte ich nicht anders als mich an ihm festzuklammern und mein Gesicht in seine Halsbeuge zu drücken.
Er hielt mich einfach stumm im Arm, strich mir versucht beruhigend über den Rücken und ließ mich an seiner Schulter ausheulen. Ich war ihm dankbar, dass er es nicht kommentierte oder versuchte durch irgendwelche Worte besser zu machen.
Er war einfach nur da und hielt mich bei sich.
Irgendwann wanderte seine Hand in meine Haare und kraulte sanft meinen Hinterkopf bis auch die letzten meiner Tränen versiegt waren und ich nur noch mit stockenden Atemzügen gegen ihn gepresst saß.
Es störte ihn offenbar nicht, dass ich sein Oberteil spürbar nass gemacht hatte oder dass ich schniefte wie ein Weltmeister. Er hielt mich einfach bei sich und kraulte meine Haare.
»Du hättest es viel früher erfahren sollen. Das tut mir leid.«, murmelte er irgendwann und drückte mich dabei nochmal fester gegen sich.
Ich nahm es Joni nicht übel, dass er jetzt erst zu mir gekommen war. Ich konnte verstehen, warum er mit sich gehadert hatte und ich rechnete es ihm hoch an, dass er schlussendlich doch zu mir gekommen war.
Es hätte mich auch nicht gewundert, wenn er der Freundschaft zu Timo zuliebe nichts gesagt hätte.
»Dich trifft keine Schuld.«, antwortete ich mit kratziger Stimme und versuchte durch Schlucken meine Kehle wieder etwas zu befeuchten. »Ich bin froh, dass du es mir überhaupt gesagt hast.«
Ich löste mich zögerlich von ihm und strich mir dann mit beiden Händen durchs Gesicht, ehe ich mich schwerfällig vom Sofa erhob.
»Du weißt, wo die Tür ist.«, murmelte ich plump und ging ohne ihn noch einmal anzusehen in de ersten Stock hinauf.
Ich schämte mich für meine Tränen und dafür, dass ich Timos Hin und Her so lange mitgemacht hatte.
»Simon, warte. Was... machst du jetzt?«, fragte Joni, der mir den halben Weg bis zur Treppe gefolgt war.
»Was ich jetzt mache?« Ich drehte mich langsam zu ihm um und sah ihm aus schmerzenden Augen entgegen. Es sollte mir unangenehm sein, dass er mich so verheult sah, aber in diesem Moment war es mir absolut egal.
Gerade war mir alles egal.
»Ich werde meine Sachen packen und dann mit einem Glas Wein auf Timo warten um ihm zu sagen, dass ich ausziehe.«, antwortete ich neutral und wollte mich wieder abwenden als ich die Panik in Jonis Zügen sah.
»Simon, bitte. Rede erstmal sachlich mit ihm. Er bereut es. Wenn er könnte würde er es rückgängig machen und er hat es dir nur noch nicht gesagt, weil er eben vor dieser Reaktion Angst hat. Er lie–« »Sag nicht, dass er mich liebt! Er behauptet es vielleicht, aber er zeigt mir eindeutig, dass dem nicht so ist!«, brüllte ich vielleicht etwas zu aufgebracht, denn Joni wich sichtbar überrascht zurück.
Diesmal wand mich endgültig von ihm ab.
»Simon?«, kam seine tiefe Stimme vom Treppenaufgang.
»Was?!«, schepperte ich und plusterte mich ungewollt auf.
Wenn er mir jetzt nochmal erzählen wollte, wie leid es Timo tat und wie sehr dieser mich liebte, dann könnte ich für nichts mehr garantieren.
»Wenn du was brauchst. Hilfe oder so oder eine Couch zum schlafen, dann naja... du hast meine Nummer.« Er schenkte mir ein kleines Lächeln, wodurch seine Augen sogar über die Treppe bis zu mir hoch glitzerten und strahlte dabei eine gewisse Ruhe aus, die mich langsam durchatmen ließ.
Wer hätte geglaubt, dass gerade er mich etwas zur Ruhe kommen ließ. Gerade er, mit dem ich seit wir uns kannten irgendwie auf Kriegsfuß stand, weil er nie ein Befürworter unserer Beziehung war.
Bis heute wusste ich nicht warum.
Seine Worte überraschten mich und freuten mich zugleich, sodass auch auf meinen Lippen ein wackliges Lächeln erschien.
»Danke, Joni. Wirklich... danke.«
Er nickte, weiterhin mit dem kleinen Lächeln auf den Lippen, ehe er zum Abschied die Hand hob und dann das Haus verließ und mich mit neuen Tränen in den Augen allein zurückließ.
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