Getrennt 9
"Vor Kurzem?", fragte ich dümmlich nach.
Mein Körper fühlte sich taub an und die Menschenmassen, die laute Musik, der dröhnende Bass um uns herum war urplötzlich verschwunden. Zurück blieben nur ich und der Fremde, der mit Timo geschlafen hatte.
Der Grund, warum ich ausgezogen war.
Nein. Korrektur.
Der Grund, warum ich ausgezogen war, war ganz allein Timo, der seinen Mund über seinen Seitensprung nicht aufbekommen hatte.
Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Meine Augen huschten nervös über mein gegenüber, der mir weiterhin mit sturem Blick entgegen sah.
Er hatte normale braune Haare, normale braune Augen, einen normalen gepflegten Bart. Sein Körperbau wirkte normal und seine Klamotten waren auch normal.
Der Kerl vor mir war so durchschnittlich, dass ich mir dagegen wie eine eindeutige elf auf einer Skala von ein bis zehn vorkam.
"So vor zwei Monaten oder so." Er zuckte mit den Schultern und deutete mit einer flapsigen Handbewegung dem Barkeeper an, dass er etwas trinken möchte.
Vor zwei Monaten? Das müsste die Zeit gewesen sein als Timo mit Joni und den anderen nach Amsterdam war.
Also war das vor mir wirklich der Typ mit mich mein langjähriger Lebensgefährte betrogen hatte.
Ich hatte ihn mir anders vorgestellt. Besonders. Hübscher.
Nicht so nullachtfünfzehn. Nicht so langweilig.
"Er hat geweint?", fragte ich weiter nach und versuchte den immer größer werdenden Kloß in meinem Hals zu verdrängen. Meine Stimme glich einem Krächzen und es verlangte mir jegliche Selbstbeherrschung ab, den Kerl vor mir einfach ins Gesicht zu schlagen.
Sicher war er nicht Schuld an dem Ganzen. Er wusste wahrscheinlich nicht einmal, dass Timo in einer Beziehung war, aber die unbändig Wut, die in meinem Kreislauf zirkulierte, machte es mir wirklich schwer, ihn nicht der einfachheitshalber als Sündenbock zu nehmen.
Das war er also der Typ.
Der Typ, den Timo mir vorgezogen hatte.
Mein Gegenüber begann herzhaft zu lachen und nickte energisch. Kurz bedankte er sich beim Barkeeper, der ihm ein Getränk hinstellte, und wand sich mit einem weiterhin sehr breiten Grinsen zu mir. "Geflennt wie ein Kind.", schmunzelte er. "Keine Ahnung, warum. Er hat irgendwas von einem 'Simon' gestammelt. Wahrscheinlich eine unerwiderte Liebe.", grinste der Typ und hielt mir dann sein Glas hin, damit ich mit ihm anstoßen konnte.
Zögerlich hob ich mein halb volles Glas ebenfalls an.
"Ich bin übrigens Manuel.", stelle er sich mit seinem breiten Grinsen vor und zwinkerte mir vielsagend zu.
"Simon."
Augenblicklich fiel seine heitere Laune, sein Gesichtsausdruck änderte schlagartigen von fröhlich, zu irritiert, zu verwirrt, bis sich plötzlich die Erkenntnis auf seinen Zügen ausbreitete.
"Fuck, du bist Simon. Der Simon?", quetsche er perplex hervor und nahm sofort einen tiefen Schluck von seinem Getränk. Er starrte mich über den Glasrand hinaus an, schluckte mehrmals das ziemlich sicher alkoholhaltige Getränk und schüttelte dann den Kopf als wollte er seine Gedanken sortieren.
"Also? Ist die Liebe unerwidert?", fragt er nach einigen Augenblicken mit vor Interesse glitzernden Augen und lehnte sich weiter in meine Richtung um mich besser verstehen zu können.
"Nein.", antwortete ich plump und drehte mich etwas von ihm weg.
Er sollte einfach weggehen.
Die Vorstellung, dass Timo diesen normalen Durchschnittsmann mir vorgezogen hatte, sagte doch schon alles.
Wenn dieser Langweiler mit seinen Qualitäten besser überzeugen konnte als ich, was sagt das dann über mich aus?
Lag ich unter dem Durchschnitt?
"Sondern? Hältst du ihn hin und er musste Druck ablassen?", äußerte mein Nebenmann seine zweite Vermutung. Sein ekelhaftes Lachen, das darauf folgte, jagte mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken.
Wie konnte Timo mit dem schlafen?
"Nein.", antwortete ich nur wieder, schüttelte den Kopf und drehte mich ihm etwas ruckartig zu, denn er zuckte sichtlich überrascht zurück.
"Er war mein Freund.", zischte ich und presste die Zähne schmerzhaft aufeinander.
"War?", kam es verwirrt von dem Fremden, den offenbar nicht zu interessieren schien, dass ich nicht mit ihm reden wollte.
"Ja, war!", schoss es mit Nachdruck aus mir heraus. "Bis er dachte, es sei eine gute Idee, einen Fremden auf einer Toilette zu ficken!"
Mein Gegenüber zuckte unter meinem forschen Tonfall sichtbar zusammen und machte einen vorsichtigen Schritt zurück.
"Er hat nicht gesagt, dass er in einer Beziehung ist.", kam es erstaunt von dem Normalo. Der sich im nächsten Moment bestürzt zu mir lehnte und seine Hand auf meine Schulter legte. "Das tut mir so leid. Fuck und ich rede auch noch so über ihn." Er sah mir aus großen Augen entgegen. "Falls es dich beruhigt. Der Sex war auch bevor er abgebrochen hat nicht sonderlich gut. Er hat sich angestellt wie eine Jungfrau.", erzählte er und drückte meine Schulter als wollte er mich beruhigen. Als sollten seine Worte eine beruhigende Wirkung haben.
"Das beruhigt mich nicht wirklich.", murmelte ich wage und schob seine Hand von meiner Schulter.
Ich wollte nicht von ihm berührt werden.
"Dude, es tut mir echt leid.", wiederholte und ich nickte nur, in der Hoffnung, er würde mich dann endlich alleine lassen.
"Hey, Joni ist-" Timo stoppte sich selbst, als er meinen Nebenmann sah und spannte sich augenblicklich an.
Er machte zögerlich einen weiteren Schritt in meine Richtung, legte den Arm vorsichtig um meine Taille und nahm sein Getränk, das bis dato in meiner Obhut gestanden hatte.
Schwerfällig nippte er daran, räusperte sich.
"Wieso fickst du mich, wenn du in einer Beziehung bist?!", knurrte der Fremde und lehnte sich an mir vorbei in Richtung Timo, der nur grimmig die Augenbrauen zusammenzog. Er antwortete nicht und ich war mir ehrlich nicht sicher, ob ich darüber froh sein oder mir Gedanken machen sollte.
Timos Affäre schnaubte verächtlich, schüttelte vielsagend den Kopf und legte plötzlich seine Hand viel zu weit oben auf meinen Oberschenkel und ließ sie ungefragt langsam zwischen meine Schenkel rutschen.
"Warum zahlen wir es ihm nicht heim?", schmunzelte er und ließ seine Hand noch weiter hoch wandern. Viel zu hoch und viel zu nah an meinem Schritt.
Augenblicklich packte ich seine Hand, drückte sie deutlich von mir und erhob mich von der Wut getrieben vom Barhocker.
"Als ob dein Niveau höher ist als sein.", stieß ich hervor und machte ein knappe Handbewegung über meine Schulter hinweg zu Timo. "Wer lässt sich hier denn von Fremden auf irgendwelchen Toiletten ficken?!", warf ich dem Fremden an den Kopf, dessen Aura sich daraufhin auch sofort änderte.
Er öffnete bereits den Mund um etwas zu erwidern, presste ihn aber sofort wieder zu und machte mit einer schwungvollen Drehung kehrt und verschwand in der Masse.
Einen Moment sah ich ihm noch hinterher und froh, dass er endlich weg war, atmete ich auf.
Ich wollte ihn nie wieder sehen.
"Simon, ich-" "Lass es gut sein, Timo.", murmelte ich ausgepowert. Schlapp fiel ich neben Timo wieder auf den Barhocker und trank mein Glas mit einem Schluck leer.
Timo hielt daraufhin tatsächlich seine Schnauze. Eine Weile saßen wir in unangenehmer Stille nebeneinander, bis Timo vorsichtig seine Hand auf mein Knie legte und sanft zudrückte.
Die kleine Annäherung seinerseits ließ mich zufrieden Seufzen und mit gehobenen Mundwinkel legte ich meine Hand auf seine, wobei sich unsere Hände automatisch verschränkten.
"Wollen wir tanzen?", fragte er mit einem hoffnungsvollen Lächeln. In seinen Augen konnte ich seine Unsicherheit und Angst sehen. Er befürchtete, dass mein Aufeinandertreffen mit diesem Normalo wieder eine Loch in unsere langsam wieder wachsende Zutraulichkeit gerissen hatte.
Ich nickte, konnte mir ebenso ein kleines Lächeln nicht verkneifen und hoffte ihm damit zu zeigen, dass sich deswegen zwischen uns nichts geändert hatte.
Timo hatte mir die letzten Tage gezeigt, dass ich ihm wirklich etwas bedeutete. Dass ich kein Durchschnittsnormalo war, wie dieser Kerl.
Und an diese Zuversicht klammerte ich mich fest mit beiden Händen.
Timo schenkte mir daraufhin ein zufriedenes Lächeln, griff nach meiner Hand und führte mich auf die Tanzfläche, wo er gleich zärtlich seine Arme um mich legte und begann seinen Körper zur Musik zu bewegen.
"Der Typ war so normal.", sprach ich nach einigen Minuten dennoch meine Bedenken an und legte meine Arme fester um sein Genick, presste mich wie von selbst enger an ihn und inhalierte seinen Eigengeruch gemischt mit seinem Duschgel und Schweiß.
Mhhh. Ich liebte diese Kombination bei ihm.
Timo antwortete darauf nicht. Er drückte mich lediglich ebenfalls enger an sich.
"Bin ich auch so durchschnittlich?", wisperte ich in sein Ohr und biss mir im nächsten Moment auf die Lippen.
Nüchtern hätte ich diese Bedenken niemals laut ausgesprochen, aber der Alkohol, der mittlerweile in großer Maße in meinem Blut kursierte, ließ mich gesprächig werden.
"Durchschnittlich? Du bist alles, aber nicht durchschnittlich.", zischte Timo und drückte mich plötzlich etwas von sich weg.
"Du bist perfekt, Simon. Du bist schlau und witzig und so unglaublich sexy. Allein dich in dieser Jeans zu sehen, bringt mich um den Verstand.", knurrte er mit Nachdruck gegen meine Lippen, da die Musik so laut war, dass ich ihn wohl anders nicht verstanden hätte. Sein Blick dabei fest auf mich gerichtet.
"Glaubst du mir, jetzt wo du ihn gesehen hast, dass der Sex nicht gut war?", fragte beinahe flehend und bohrte seine Finger in meine Hüfte.
"Der Sex war grausam.", verdeutlichte er weiter und sah mir ernst entgegen.
Ich wusste selbst nicht so genau, warum ich plötzlich zu lachen anfing, aber Timos Verbissenheit darauf, mir mitzuteilen, wie schlecht der Sex war und zu wissen, wie das Gegenüber aussah, ließ mich so viel Heiterkeit auf einmal erleben, dass mir nach wenigen Augenblicken bereits der Bauch weh tat.
"Ist gut, Timo.", japste ich und klammerte mich an seiner großen Statur fest. "Ich habe es verstanden und ich glaube dir.", gluckste ich und blinzelte zu ihm hinauf.
Ein erleichterter Gesichtsausdruck machte sich auf seinen Zügen breit, ehe er zu lächeln begann.
"Gut."
"Sehr gut."
"Wie der Sex mit dir.", schmunzelte mein Ex-Lebensgefährte und näherte sich meinem Gesicht noch weiter.
"Schleimer.", grinste ich und kam ihm etwas entgegen, sodass noch immer ein kleiner Abstand zwischen unseren Lippen war. Wir sahen uns fest in die Augen, lächelte uns sanft an, hielten uns gegenseitig in den Armen und genossen den Moment der vollkommenen Zweisamkeit.
"Ich liebe dich, Simon.", säuselte Timo gegen meine Lippen und obwohl die Musik und der Bass in meinen Ohren dröhnten, hörte ich seine Worte als würde er sie mir ins Ohr flüstern.
"Ich liebe dich, Timo.", antwortete ich ehrlich und schlug für einen kurzen Moment die Augenlider nieder. "So sehr und... und ich verzeihe dir. Und ich würde gerne wieder zuhause einziehen."
Vorsichtig hob ich wieder den Blick und sah einem freudestrahlenden Timo, der sichtbare Tränen in den Augen hatte. Mehrmals öffnete er den Mund um etwas zu erwidern, ehe er sich anders überlegte und stattdessen seine Lippen sanft, aber mit spürbaren Nachdruck auf meine drückte.
Ich konnte mir ein erleichtertes Keuchen nicht verkneifen. Seine Lippen nach so langer Zeit wieder auf meinen spüren zu können, beförderte mich in den Himmel und brachte mein kleines Herz fast zum platzen.
Seine Lippen waren klebrig von seinem vorherigen Cocktail, schmeckten süß und ein Hauch von Minze und Limettensaft erfüllte meinen Gaumen.
Die Zärtlichkeit in diesem Kuss, die entschleundigte Art, die federleichten Berührungen, zeigte mir mehr als deutlich, welche Gefühle er für mich hegte und wie glücklich ihn meine Worte stimmten.
Mit zärtlichen Bewegungen ließ er seine erhitzte Zunge über meine Unterlippe gleiten, biss spielerisch in das weiche Fleisch und abermals entwich mir ein Keuchen. Automatisch wanderten meine Hände in seine Haare, krallten sich in die bekannten Strähnen fest, wodurch der Abstand zwischen uns nur weiter verringert wurde.
Der Kuss wurde fordernder, ohne jedoch an Zärtlichkeit zu verlieren und als wir uns schwer atmend voneinander lösten, sah ich in seinen Augen das, was ziemlich sicher in meinen auch zu sehen war.
"Ich suche Joni.", ließ Timo mich wissen und presste seine Lippen zu einem weiteren heißen Kuss auf meine. Seine Zunge fuhr zwischen meine Lippen, animierte damit meine, sodass wir ein kurzes Duell ausführten, ehe wir und schwerfällig wieder voneinander lösten.
"In zehn Minuten draußen?", fragte ich außer Atem und konnte nur hingerissen auf Timos leicht geschwollene Lippen achten.
Timo nickte, hauchte mir einen weiteren, verboten süßen Kuss auf die Lippen und verschwand mit einem Lächeln in der Menge.
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