Getrennt 11
Ich schluckte schwer, während mein Blick zu Roman schweifte, der mir nicht in die Augen schauen konnte. Er fixierte einfach nur den Teller vor sich.
Ich schluckte abermals als ich meinen Blick wieder auf Timo richtete, dessen Tränen mittlerweile übergelaufen waren und vereinzelt über seine Wange rannten.
Mein Schweigen war wohl Antwort genug, denn er drehte das Gesicht schmerzverzerrt von mir und strich sich verzweifelt mit der Hand durch die Haare.
"Warum, Simon? Warum er?!", kam es mit schwacher Stimme von meinem Ex-Freund. Er wollte aufgebracht klingen, aber seine von den Tränen mitgenommene Stimme machte das nicht mit.
Warum? Es gab kein warum.
"Es ist einfach passiert.", flüsterte ich mit belegter Stimme und räusperte mich leise um zu meiner normalen Stimme zurückzufinden.
"Es ist einfach passiert?!", schoss Timo und erhob sich urplötzlich vom Stuhl. "Man schläft nicht einfach so mit dem besten Freund seines Partners!" In seinen Augen konnte man den Schmerz noch sehen, aber seine Gesichtszüge hatten sich in Sekundenschnelle wütend verzogen.
Ich schluckte. Ich wusste selbst, dass es nicht richtig war.
"Ich weiß.", antwortete ich schwach und wand den Blick ab. Ich konnte ihn nicht ansehen. Ich wusste, dass es falsch war, dass ich das nicht hätte tun dürfen, aber im Nachhinein konnte ich es nicht mehr ändern. Und schön reden, dass wir getrennt waren, änderte daran auch nichts. Joni war einfach sein bester Freund, ob wir nun in einer Beziehung waren oder nicht.
"Ich hätte das nicht tun dürfen.", fügte ich hinzu. "Aber es ist passiert."
Ein herablassender Laut kam von Timo, der energisch den Kopf schüttelte.
Plötzlich ging ihm ein Licht auf, denn er hielt abrupt inne und sah mir aus großen, wutverzerrten Augen entgegen.
"Dein Arsch ist es, warum er plötzlich Interesse an Männer hat!", kombinierte er und entließ einen wütenden Schrei, der mich ungewollt zusammenzucken ließ.
"Du hattest mit ihm Sex im Auto?! Und unterhältst dich dann auch noch mit mir darüber, als wenn du nichts davon wüsstest! Und dann sagst du ICH habe kein Niveau, weil ich Sex auf einer Toilette hatte?!", warf er mir mit lauter, bebender Stimme an den Kopf.
"Nein, wir hatten keinen Sex im Auto!", zischte ich von seinen Worten verletzt zurück. "Er hat dir das einfach nur erzählt um von mir abzulenken!", stellte ich richtig und schüttelte selbst langsam wütend werden den Kopf. "Und ja, ich finde es niveaulos einen fremden Mann auf einer Toilette zu ficken, während man genau weiß, dass der Partner zuhause auf einen wartet! Ich habe wenigstens mit ihm geschlafen, während wir BEIDE Single waren! Ich bin niemandem fremdgegangen und habe niemandes Selbstwertgefühl kaputt gemacht!", rief ich wütend und biss mir im nächsten Moment fest auf die Wange. Ich musste meine Tränen zurückhalten. Ich wollte nicht zu weinen anfangen. Gerade war nicht der Moment für Tränen.
"Toll. Schön, dass ihr euch so gegen mich verschworen habt. Willst du mir vielleicht noch etwas beichten? Hattet ihr schon öfter Sex? Seid ihr gerade mit eurem Techtelmechtel fertig geworden als ich dazu gekommen bin?!", brüllte er ohne auf meine vorherigen Worte wirklich einzugehen. "Willst du mir vielleicht noch sagen, dass du dich in ihn verliebt hast oder dass der Sex mit ihm besser war als mit mir?!"
"Jetzt mach mal halblang!", knurrte ich wütend. "Wenn ich mich in ihn verliebt hätte, würde ich wohl kaum Zeit mit dir verbringen!"
"Wer weiß!", keifte er. "Vielleicht spielt ihr ja schon ewig ein verquertes Spiel mit mir. Deswegen hat er dich auch letztens in Schutz genommen! Wie lange läuft das schon zwischen euch?!"
"Wir hatte einmal Sex, Timo! Ein einziges Mal!"
"SEI EHRLICH! Wie lange?!"
"EIN MAL!", brüllte ich mit schnell schlagenden Herzen. Er glaubte mir nicht und das schmerzte beinahe mehr als alles andere.
Ein herablassendes Schnauben kam von Timo, ehe er sich wegdrehte.
"Weißt du was?!" Mit vor Wut rotem Kopf wirbelte er wieder zu mir herum und deutete mit dem Finger auf mich. "Wir lassen das einfach bleiben! Du brauchst deine Sachen gar nicht mehr hierher bringen. Nimm am besten gleich deinen restlichen Scheiß auch noch mit!"
Schmiss er mich gerade raus? Aus unserem Haus?! Irritiert schüttelte ich den Kopf. Das konnte doch nicht sein ernst sein!
"Du kannst mich nicht rausschmeißen! Das ist genauso mein Haus wie es deines ist!", brüllte ich und erntete dafür nur ein Kopf schütteln.
"ICH KANN UND ICH WERDE!", schmiss er mir an den Kopf, drehte sich weg und verschwand aus der Küche.
Perplex sah ich ihm hinterher. Hatte er gerade? Hatte er gerade wirklich sämtliche Hoffnung, dass zwischen uns wieder alles gut werden konnte, weggeschmissen? Hatte er einer gemeinsamen Zukunft wirklich ein Ende gesetzt?
Ungläubig starrte ich weiter auf den Punkt, an dem er gerade noch gestanden hatte.
Wars das jetzt? Waren zehn Jahre jetzt wirklich dahin?
"Simon-", fing Roman an. Ihn hatte ich völlig vergessen.
"DU KANNST DICH SOWIESO SOFORT VERPISSEN!", rief ich mit Tränen in den Augen und schüttelte energisch seine Hand ab, die er auf meine Schulter gelegt hatte.
"Simon-" "Nichts Simon. Du hast mich schon verstanden, Roman."
"Ich wollte nur-" "Du wolltest mir nur etwas Gutes tun, ich weiß!", knurrte ich und wich seiner Hand erneut aus. "Das hat abermals nicht funktioniert!", murmelte urplötzlich erschöpft und strich mir mit der Hand über die Augen um die weiterhin aufkeimenden Tränen wegzustreichen.
"Woher weißt du überhaupt davon?", fragte ich ernsthaft interessiert nach und sah ihn aus strengen Augen entgegen. Als er erneut den Blick von mir abwand und mir nicht in die Augen schauen konnte, wusste ich, dass er noch etwas falsches getan hatte.
"Ich habe zufällig dein Telefonat mit Joni mitbekommen.", antwortete er kleinlaut.
Ich schnaubte.
"Und dann? Was hast du dir dann gedacht? Ich mach einfach mal schnell alles kaputt, was mein bester Freund sich die letzten zehn Jahre aufgebaut hat?!", rief ich aufgebracht und konnte mich nur von dem Menschen, der sich mein bester Freund schimpfte, abwenden. "Und sowas nennt sich besten Freund.", murmelte ich enttäuscht.
"Nein. Ich habe mich gefreut, dass du meinen Rat angenommen hast. Joni wäre nicht unbedingt meine erste Wahl gewesen, aber er war immerhin besser als nichts. Ich wollte es für mich behalten. Ich wollte dich auch nicht darauf ansprechen, aber als du dann plötzlich wieder mit diesem Idioten angekommen und dann auch noch nicht nach Hause gekommen bist, wusste ich, dass ich etwas machen musste. Du hättest es ihm nie gesagt und wärst ihm nur wieder hinterher gedackelt.", versuchte Roman seinen Fehler zu rechtfertigen.
"DAS IST MEIN LEBEN, ROMAN! DU HAST DA KEIN MITSPRACHERECHT!", brüllte ich lauthals und drehte mich wutentbrannt wieder zu ihm. "Selbst wenn ich mit ihm von einer Brücke gesprungen wäre, wäre des immer noch MEINE ENTSCHEIDUNG gewesen!"
"ICH MUSSTE DOCH IRGENDWAS MACHEN, SIMON! Du warst doch nicht mehr du! Du hast die letzten Monate so gelitten! Du hast dich selbst aufgegeben nur um es diesem Arschloch recht zu machen! Du willst irgendwas machen, was du willst, worauf du dich wirklich freust, aber er will nicht, deswegen macht ihr es nicht. Du planst etwas, er plant spontan etwas anderes und interessiert sich dabei gar nicht dafür, wie es dir dabei geht. Er verbringt lieber Zeit mit seinen Freunden als mit dir. Er stellt dich vor anderen bloß, nimmt dich nicht ernst, wertschätzt deine Meinung nicht, interessiert sich nicht für deine Interessen und was du möchtest. Er denkt nur an sich und daran, dass es IHM gut geht und du machst das auch noch mit! Du willst in den Urlaub, er aber nicht, deswegen fliegt ihr nicht. Du willst heiraten, er aber nicht, deswegen heiratet ihr nicht. Du willst Kinder, er aber nicht. Ihr habt völlig verschiedene Vorstellungen von eurem Leben, Simon! Das KANN gar nicht funktionieren, aber das verstehst du ja nicht! Du gibst einfach immer mehr von dir selbst auf, nur um es IHM recht zu machen, damit es IHM gut geht, damit er dich nicht verlässt. Du hast doch so große Angst davor, ihn zu verlieren, dass du ihm sogar verzeihst, dass er einen anderen, einen fremden Mann dir vorgezogen hat! MACH ENDLICH DIE AUGEN AUF, SIMON! Diese Beziehung ist ZU ENDE. Das war sie schon lang, aber du wolltest das nicht sehen. Du hast dich so sehr auf die wenigen guten Dinge verbissen, dass dir die schlechten und ihre Tragweite gar nicht mehr aufgefallen sind, aber MIR sind sie aufgefallen! ICH war derjenige, der dich getröstet hat, der dir gut zugesprochen hat, der für dich da war, wenn er es nicht war, wenn er dich wieder mit seinem Egoismus und seiner Ignoranz zum weinen gebracht hat! Du hast so viel geweint, Simon! Dass er dir fremdgegangen ist, ist lediglich die Spitze des Eisbergs."
Seine Worte schnürten mir regelrecht die Luft ab. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und meine Tränen brannten schmerzhaft in meinen Augen.
"RAUS!", brüllte ich wütend und deutete mit zitterndem Finger in Richtung Haustür. "Verschwinde einfach, Roman!", setzte ich leiser hinterher und deutete energischer zur Tür.
"Simon-" "Nein! Ich will kein Simon hören.", knurrte ich und zeigte erneut in Richtung Tür.
Roman seufzte leise und wand sich nickend von mir ab. Mit langsamen Schritten und hängenden Schultern verließ er die Küche und hoffte seinem Tempo nach zu urteilen wohl, dass ich ihn doch noch aufhalten würde, aber den Gefallen würde ich ihm nicht tun. Ich sah ihm einfach stumm hinterher, bis er aus meinem Sichtfeld verschwunden war.
Erst dann ließ ich meine Tränen überschwappen und sackte an der Küchenzeile hinunter auf den Boden. Schluchzend zog ich meine Knie an die Brust und barg mein Gesicht in meinen Händen.
Was hatte ich nur getan? Warum musste ich auch mit Joni schlafen? Warum hatte ich diesen niederen Gelüsten nachgeben? Warum konnte ich ihn nicht einfach abweisen?
Warum musste ich jemanden wie Roman in meinem Leben haben, der meine Entscheidungen nicht akzeptierte und der Meinung war sich einmischen zu müssen?
Ich wusste nicht, wie lange ich weinend am Küchenboden saß, aber irgendwann spürte ich sämtliche Knochen schmerzen, was mich dazu ermutigte aufzustehen.
Von Timo hörte ich nichts mehr. Das Haus lag einfach still vor mir, als ich zumindest Handy und Geldbeutel einsteckte und ohne mich weiter um etwas zu kümmern das Haus verließ.
Ernüchternd stellte ich dabei fest, dass mein Auto bei Roman stand, weil Timo mich gestern von dort abgeholt hatte. Was bedeutete, dass ich mir wohl aber übel ein Taxi rufen musste, da ich kaum Timo oder Roman fragen konnte, ob sie mich holen beziehungsweise hinfahren konnten.
Ich rief also ein Taxi und ließ mich auf dem kalten Bordstein nieder, streckte mein Beine erschöpft auf die Straße und starrte einfach stur gerade aus, während der kalte Herbstwind um meine Person pfiff, bis gute zwanzig Minuten später, das Taxi vor mir hielt.
Ich nannte dem Taxifahrer Romans Adresse, immerhin waren dort meine meistens Sachen sowie mein Auto, und seufzte erleichtert auf, als dieser die Heizung einschaltete, damit meine ausgekühlten Glieder wieder warm werden konnten.
Meine Hände zitterten als ich mein Handy aus meiner Hosentasche zog und die einzige Nummer wählte, von der ich wusste, dass er mich niemals im Stich lassen würde.
"Hey, Simon!", erklang seine erfreute Stimme.
Ein gequältes Lächeln schlich sich auf meine kalten Lippen und nervös schluckte ich, bereitete mich mental darauf vor ihm jetzt sagen zu müssen, was passiert war.
"Hey...", erwiderte ich und versuchte dabei zumindest etwas positiver zu klingen als ich mich fühlte.
"Du klingst nicht gut. Ist alles in Ordnung?" Die Besorgnis in seiner Stimme ließ meine Tränen wieder aufkeimen und ein leises Schluchzen kam über meine Lippen. Leider jedoch nicht leise genug, denn selbst der Taxifahrer warf mir trotz laufendem Radio einen prüfenden Blick durch den Rückspiegel zu.
"Nein.", brachte ich schwer ohne noch einmal zu schluchzen heraus. "Nichts ist in Ordnung."
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