#10 Spa-Day
Mittwoch, 01. November – 13:01 Uhr
Ich stieg aus der wohltuenden heißen Dusche und wickelte mich in meinen Bademantel. Das Badezimmer war voller Dampf und die Spiegel waren beschlagen. Ich fuhr mit der Hand durch meine nassen Haare, um sicherzustellen, dass ich die Haarmaske, die mir Hannah in die Haare geschmiert hatte, gründlich ausgespült hatte. Ein Blick an mir hinunter auf meine rötlichen Arme und Beine verriet, dass das auch das Körperpeeling bereits erste Wirkung zeigte. Mit einem Handtuch rubbelte ich durch meine Haare, bis sie nur noch etwas feucht waren. In der Wohnung hatte es wohlige 24 Grad, wodurch ich mir das Föhnen sparte. Ich schlüpfte in meine gemütlichsten Jogginghosen und einen Oversized-Hoodie und begab mich zurück ins Wohnzimmer, das meine Freundin und ich kurzerhand zu einer Wellnessoase umfunktioniert hatten. Ich hatte meinen Luftbefeuchter auf das Wohnzimmertischchen gestellt, um alle paar Minuten eine frische Duftnote im Zimmer zu verteilen. Im Radio lief eine CD mit instrumentaler Entspannungsmusik, die Hannah sich von Leo geliehen hatte. Wie es aussah, meinte er es tatsächlich ernst, dass er Fan von klassischer Musik war. Neben dem Luftbefeuchter lag ein kleiner Haufen Illustrierte und verschiedene Packungen Pralinen, die wir alle gleichzeitig geöffnet hatten, um jede einzelne zu verköstigen.
Hannah kam mit einem Handtuchturban auf dem Kopf und Kuschelsocken an den Füßen aus meiner Küche. In der Hand hielt sie einen Teller mit Gemüsesticks, eine Quarkcreme und ein paar Gurkenscheiben. Ich schnappte mir eine Karotte und tunkte sie in die Quarksoße, wofür ich mir einen entsetzten Blick von Hannah einholte.
Ich verzog mein Gesicht. "Dieser Dip schmeckt irgendwie... komisch."
"Liegt vielleicht daran, dass es unsere Gesichtsmaske ist!", antwortete sie amüsiert.
"Wie bitte?!"
Hannah lachte. "Keine Sorge, da sind nur natürliche Zutaten drin: Magerquark, Honig und Zitronensaft. Also halb so schlimm. Wenn was übrig bleibt, kannst du gerne weiter dippen. Ansonsten würde ich dir empfehlen, bei den Gemüsesticks zu bleiben. Ich habe mir gedacht, wir sollten auch etwas Gesundes snacken, nur Süßes schaffe ich nicht. Ach ja, und die Gurkenscheiben sind für Schritt zwei", erklärte sie und zeigte auf letztere.
Hannah hatte mir erklärt, dass zu optimaler Entspannung bei einem homemade Spa-Day mindestens drei Schritte befolgt werden müssen.
Schritt eins: eine heiße Dusche. Hierbei wird mit dem Körperpeeling und der Haarmaske unsere Haut und unsere Haare "tiefengereinigt" - Hannahs Worte, nicht meine.
Zweiter Schritt: Gesichts- sowie Hand- und Fußmaske.
Und dritter Schritt: Mit der besten Freundin oder dem besten Freund tiefgründige Gespräche führen und über das Leben philosophieren. Dabei dürfen Tee und Snacks natürlich nicht fehlen.
Da wir nun beide Schritt eins erfolgreich beendet hatten, stand nun also Schritt zwei auf dem Programm. Nachdem wir uns gegenseitig die Quarkmaske aufgetragen hatten, zogen wir uns die Hand- und Fußmasken über. Diese fühlten sich an, als ob man sich nasse Socken und Handschuhe überziehen würde. Obwohl ich dies nicht wirklich als "entspannend" bezeichnen würde, spielte ich mit. Hannah griff abschließend noch nach den Gurkenscheiben, lehnte sich auf dem Sofa zurück und platzierte die grünen Scheiben auf ihren Augen. Etwas skeptisch tat es ihr gleich. Nachdem ich es mir ebenfalls gemütlich gemacht hatte, verkündete die selbsternannte Wellnessexpertin neben mir: "So! Und jetzt kommt das Schwierigste!"
"Und das wäre?"
"Leise sein und nicht bewegen!"
Ich schnaubte amüsiert. Jetzt verstand ich, was Hannah meinte, als sie sagte, entspannen sei anstrengend.
Mittwoch, 01. November – 14:54 Uhr
Inzwischen waren wir seit gut einer Stunde bei Schritt drei angelangt. Die Gemüsesticks hatten wir bereits alle verputzt und auch von der Schokolade war nicht mehr so viel übrig.
Ich musste zugeben, dass so ein Wellnesstag tatsächlich was hatte. Auch wenn ich auf das Peeling und Masken-Zeugs hätte verzichten können, war es schön, einfach mal nichts zu tun. Nur mit einem hatte Hannah recht: einfach war es nicht. Die Schwierigkeit für uns lag jedoch in verschiedenen Bereichen. Während es Hannah schwer fiel, absolut nichts zu tun und in der Stille zu liegen, war es für mich vor allem schwierig, dass es in meinem Kopf nie so wirklich leise war. Ständig prasselten Gedanken auf mich ein, denen ich in diesem Moment keinen Platz einräumen wollte. Aber immer wenn ich einen Gedanken beiseite schob, bahnte sich der nächste seinen Weg in mein Bewusstsein. So kam es, dass ich doch mehr über die Jay und Anton Sache nachdachte, als beabsichtigt.
"Hannah?"
"Ja?" Sie sah von ihrem Horoskop hoch und musterte mich.
"Hast du mitbekommen, worüber sich Jay und Anton gestern genau gestritten haben?"
Sie legte ihre Zeitschrift beiseite und setzte sich gerade auf. Ihre Beine verschränkte sie im Schneidersitz und legte zugleich ihren Kopf schief.
"Hmm...", brachte sie nachdenklich hervor. "Nicht so ganz! Als Leo und ich von der Bühne zurück an unseren Tisch gingen, war Jay gerade dabei, seine Sachen zusammenzupacken...
"Du hattest kein Recht dazu!" Jay trank seinen Cocktail in einem Zug leer und stellte ihn schwungvoll auf den Tisch zurück. Er funkelte Anton an. So hatte ich ihn noch nie gesehen.
"Das ist allein meine Sache, was ich Tim erzähle und was nicht. Ich hatte meine Gründe und du hast kein Recht, nach dem, was du ihm angetan hast, hier aufzutauchen und eine erneute Aussprache mit ihm zu verlangen."
Anton verschränkte die Arme vor der Brust. "Was bildest du dir ein, mir sagen zu können, wann und wo ich mit Tim spreche? Oder läuft da was zwischen euch?"
"Das, was zwischen Tim und mir ist, geht dich gar nichts an." Jay riss seine Jacke von der Stuhllehne und wollte an Anton vorbei gehen. Dieser stellte sich ihm jedoch in den Weg. "Also ist da was?"
"Geh mir verdammt noch Mal aus dem Weg!" Jays Körper spannte sich an. Er biss seine Zähne zusammen, sodass seine Kiefermuskulatur klar hervortrat.
"Hör zu! Ich weiß, dass ich Scheiße gebaut habe! Das zwischen Tim und mir war etwas besonderes, ich habe es nur zu spät gerafft. Aber du weißt selbst ganz genau, dass du daran Schuld hast, dass ich mich damals auf Sarah eingelassen und Tim verlassen habe. Ich möchte es wieder gut machen und jetzt stellst ausgerechnet du dich mir in den Weg?"
Jay ließ die Luft geräuschvoll auf der Nase entweichen und fragte ironisch: "Ist das gerade echt dein scheiß ernst?"
"Ich werde um Tim kämpfen. Diesmal lass ich mir das nicht von dir kaputt machen!"
Jay schloss die Augen und atmete tief durch. Seine Hände bereits zu Fäusten geballt, kostete es ihn jegliche Selbstbeherrschung Anton nicht an Ort und Stelle eine rein zu hauen.
"Glaubst du im Ernst, dass Tim sich nochmal von dir verarschen lässt?"
"Du meinst, so wie du ihn die ganze Zeit verarschst! Wieso lässt du Tim nicht einfach selbst entscheiden, ob er mir noch eine Chance geben will?"
"Inwiefern habe ich Tim jemals schlecht behandelt, geschweige denn verarscht? Weißt du was, glaub doch, was du willst. Ich schreibe Tim nicht vor, mit wem er sich treffen darf und mit wem nicht, also versuch ruhig dein Glück. Aber dir sollte dabei eines bewusst sein: Es liegt ganz alleine an dir, wenn er dich erneut zurückweist. Übernimm endlich Verantwortung für dein Verhalten und hör auf, mir die Schuld zu geben, dass du ein scheiß Feigling bist!" Mit diesen Worten schob Jay Anton beiseite und ließ ihn am Tisch stehen.
Das ist alles, was ich mitbekommen habe. Danach war auch Jay weg."
Ich fuhr mir durch die inzwischen fast trockenen Haare. "Ich... ich muss wissen, was da genau zwischen den beiden vorgefallen ist." Ich hoffte insgeheim, dass das alles ein Missverständnis war. Ich hoffte, dass Jay mir nichts vormachte und ich hoffte, dass alles, was ich fühlte und glaubte in Jay zu sehen, echt war. Ich konnte nur die Wahrheit herausfinden, wenn ich mich dem Ganzen stellte und das mit dem Risiko, dass ich das, was ich herausfand, vielleicht gar nicht hören wollte. Nach all dem, was ich bis jetzt aber erreicht hatte, wusste ich, dass ich auch damit irgendwie umgehen konnte. Ich war vielleicht nicht der Tim von früher, wusste auch nicht, ob ich das jemals wieder sein würde, geschweige denn ob ich das überhaupt wieder sein wollte, aber ich war der neue Tim. Und dieser würde sich der schwierigen Situation stellen.
Ich atmete tief durch und verkündete: "Ich werde mit ihm reden!"
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