4. Kapitel
September 2008
Es ist nicht mal einen Monat her, als ich Tristan aus Detroit abholte und er nun ein beständiger und tagtäglicher Teil meines Lebens ist, und ich muss gestehen, dass aller Anfang zwischen uns schwer gewesen ist, aber mittlerweile haben wir uns ziemlich gut eingeordnet.
Die anfänglichen chaotischen und nervigen Morgen sind mittlerweile abgeebbt und manchmal nur selten, Tristan und ich ein gutes und fast eingespieltes Team.
Auch diesen Morgen werde ich vor dem nervigen Klingeln meines Weckers wach und ehrlich gesagt, habe ich diese Nacht nicht wirklich ein Auge zubekommen.
Ich bin viel zu nervös, da heute ein Essen bei meiner Eltern ansteht und diese wissen noch nichts von Tristans Einzug, geschweige denn, dass ich überhaupt einen Sohn habe, dessen Vaterschaft mir mittlerweile rechtlich anerkannt wurde.
Wieder drehe ich mich im Bett hin und her und versuche mich überhaupt zu motivieren aufzustehen und den kommenden Tag zu bestreiten. Jedoch wird mir meine Entscheidung abgenommen, als jemand an die geschlossene Zimmertür klopft. »Dad, bist du schon wach?«, höre ich Tristan verschlafen fragen.
»Mehr oder weniger«, entgegne ich und versuche ich nicht allzu genervt von meinem wenigen Schlaf und meiner absoluten Nervosität zu sein.
Die Zimmertür öffnet sich und Tristan tritt, gekleidet in seinem heißgeliebten, Jurassic Park-Schlafanzug ins Zimmer. »Guten Morgen«, grüßt er mich. »Hast du gut geschlafen?«
Ich verziehe die Lippen zu einem Schmunzeln, als Tristan sich am Rand meines Bettes stellt und mich mit zerzaustem, dunklen Haar beobachtet. »Ich habe, ehrlich gesagt, ein bisschen unruhig geschlafen.«
Tristan legt den Kopf schräg, dann nickt er. »Tante Holly meint, dass wir heute bei Grandma und Grandpa essen gehen werden. Sie wollen mich auch kennenlernen.«
Ich setze mich auf und lehne meinen Rücken an die Bettlehne, während ich versuche nicht wieder zurück ins Kissen zu sinken, um versuchen noch ein wenig Schlaf zu bekommen. »Grandma und Grandpa wissen noch nicht mal, dass du bei mir bist... Ich habe den beiden noch nicht mal erzählt, dass es dich gibt. Aber heute, werden wir das machen. Sie werden dich kennenlernen.« Ich stehe aus dem Bett auf und richte meine lange Boxershorts. »Und du wirst die beiden kennenlernen. Der Braten von Granny Sally ist so toll, darin wirst du dich verlieben.«
Ich wuschle Tristan durch das weiche und dicke Haar, als er mich wissen lässt, dass er Braten cool findet und sich schon auf heute Abend freut. »Dann mach dich mal für die Schule fertig. Haare kämmen, waschen, frühstücken und dann Zähne putzen.«
Tristan seufzt theatralisch. »Das weiß ich doch, Dad.« Er verschwindet im Badezimmer und ich lasse mich rücklings auf mein gemütliches Bett fallen. Nach dem mein Wecker sich zu Wort meldet, lasse ich diesen verstummen und mache mich ebenfalls für den heutigen Freitag fertig.
Wenn nichts dazwischen kommt, habe ich immerhin morgen einen freien Tag.
Nach meiner Arbeit fahre ich direkt nach Hause und bin seit dem Einzug von Tristan dankbar, dass mir meine kleine Schwester so sehr unter die Arme greift. Hollys Arbeitszeiten sind regelmäßiger, als meine und so schafft sie es wenigstens Tristan aus dem Kindergarten abzuholen und zu mir nach Hause zu bringen.
»Danke, kleine Schwester«, sage ich erleichtert, als ich meine Wohnung betrete. Holly muss mich anscheinend schon an der Tür gesehen und an der Wohnungstür gewartet haben. Auch sie scheint es eilig zu haben und steht mit Sack und Pack bereit. Ich drücke ihr einen flüchtigen Kuss auf die Schläfe.
»Wir sehen uns nachher bei Mom und Dad«, entgegnet sie und verabschiedet sich von Tristan, der bereits am Esstisch sitzt und zu Mittag isst.
Nicht nur, dass meine Schwester meinen Sohn aus dem Kindergarten abholt- sie hat ihn auf der schnelle auch noch etwas zu Essen gemacht. Normalerweise bleibt Holly noch eine Weile und das sie es so eilig haben kann, verstehe ich auch nicht wirklich.
Noch bevor ich Holly fragen kann, wo sie hin will, ist sie bereits verschwunden. Irritiert drücke ich die Wohnungstür mit dem Hintern zu und lasse meine Tasche neben dem gefüllten Schuhregal auf den Boden fallen. »Und wie war der Kindergarten?«, will ich wissen.
»Wie immer«, antwortet Tristan unbeeindruckt und beißt von seinem Sandwich ab. »Für dich hat Tante Holly auch ein Sandwich gemacht. Steht im Kühlschrank.« Er macht eine kleine Kopfbewegung in Richtung Küche.
»Wir müssen uns echt was einfallen lassen, damit wir uns gebührend bei Tante Holly bedanken können.«
»Für was?«
Dafür, dass sie mir hilft und stillschweigend bewahrt. Dafür, dass sie ihr eigenes Leben nach hinten schiebt, damit ich das mit Tristan hinbekomme und sich deswegen schon oft genug mit Kelly in den Haaren hatte. Für einfach alles.
»Na, dafür, dass Tante Holly mir hilft. Sie holt dich aus dem Kindergarten ab, sie kocht uns was zu Essen, oder passt lange auf dich auf, wenn ich länger arbeiten muss. Dafür.« Ich öffne den Kühlschrank und blicke auf einen Teller mit einem geteilten Sandwich.
Am Teller klebt eine Notiz: Friss nicht so viel. Das Essen bei Mom und Dad. Lieb dich, du Kohlkopf. Deine weltbeste kleine Schwester.
Ich grinse, als ich den Teller hinaus nehme. Meine weltbeste kleine Schwester. Das ist Holly wirklich. Ohne sie wäre ich aufgeschmissen und das so ziemlich.
***
Vor dem Wohnhaus meiner Eltern bleibe ich noch eine kurze Zeit im Auto sitzen und blicke auf die Antwort meiner Schwester, die gerade per Nachrichten Messenger auf meinem Bildschirm aufleuchtet.
Holly
Du kannst das nicht!? Ich kann das nicht! Andauernd mit der Lüge herumlaufen und zu tun, als wäre nichts! Du bewegst deinen Arsch sofort ins Haus. Mom und Dad warten auf dich und haben es auch mal verdient die ganze Wahrheit zu hören. Wenn du nicht sofort klingelst, komme ich raus und zieh' dir die Eier so lang, bis diese nach Mexiko reichen.
Die einzige Antwort, die ich meiner Schwester gebe, ist, ob sie irgendwie schlecht gelaunt ist. Trotzdem steige ich aus und gehe ziemlich nervös mit Tristan zum Haus meiner Eltern.
Holly öffnet mir genervt die Haustür. »Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«, frage ich spöttisch, obwohl mir ziemlich die Muffe geht.
Meine Schwester antwortet nicht, sondern hält noch weiterhin die Tür auf. »Ich bin super drauf«, antwortet sie und wendet sich mit einem plötzlichen Lächeln zu Tristan. »Lange nicht gesehen.«
»Voll lange nicht mehr«, lacht Tristan belustigt und umarmt seine Tante für einen kurzen Augenblick.
Vermutlich durch Tristans ansteckendes und nicht gerade leises Kinderlachen, tritt mein Vater aus der Küche hinaus und blickt mehr als verdutzt zwischen uns her.
Der alte Mann braucht nicht lange, um zu kapieren, was hier vor sich geht, dass sehe ich an seinem sich veränderten Gesichtsausdruck. »Liege ich mit meiner Vermutung richtig?«, hakt er noch einmal nach, nachdem er mich mehrmals gefragt hat, ob Tristan irgendwie mein Sohn sein könnte.
Ich bin absolut nicht in der Lage ein Wort hinauszubekommen, sondern nicke. »Ja, wir haben euch eine Menge zu erzählen«, sagt Holly und drückt die Haustür endlich zu.
Dad schneidet eine Grimasse. »Da nutzt wohl nur etwas Härteres«, kommentiert er stumpf und verschwindet schon wieder in der Küche.
Ich atme hörbar laut aus und entgegne verzweifelt den skeptischen Blick meiner Schwester. Das wird ja gleich noch etwas werden: sobald wir meinen Eltern, vor allen Dingen meiner Mutter, Rede und Antwort stehen werden.
Ich. Ich muss meiner Mutter Rede und Antwort stehen, ihr alles erklären und wieso ich es für mich behielt, dass Tristan existiert.
Das ich Vater bin, einen Sohn habe und all die Jahre davon wusste, ja, sogar heimlich Kontakt zu ihm hatte.
Vermutlich ist es meine Angst gewesen, meine Eltern... vor allen Dingen meine Mutter, würde wieder mit etlichen Vorurteilen kommen, was mein lockeres Sexualleben angeht. Sie würde mich fragen, wieso ich Tristan nicht schon vorher zu mir geholt hätte.
Soll ich die Wahrheit sagen, dass ich damals absolut keine Lust auf kein Kind gehabt habe, oder lügen und sagen, es würde an der Mutter des Kindes liegen?
Ich kann es nicht verhindern, dass meine Mom, und vielleicht auch mein Dad ausrasten wird.
Holly legt mir eine Hand auf die Schulter. »Ich bin da. Sei einfach nur ehrlich.« Aufmunternd blickt sie mich an.
Dann wendet sie sich zu Tristan, der unbeholfen vor mir steht und sich mit großen Augen umsieht. »Hier sind dein Dad und ich aufgewachsen. Soll ich dir unsere alten Zimmer zeigen?«, fragt sie ihn, um ihn ein bisschen abzulenken.
Tristan nickt stumm, zieht sich auf Hollys Kommando die Schuhe und die Sweatjacke aus und folgt ihr hastig nach oben.
Nur ich bleibe wie angewurzelt stehen und warte darauf, dass mein Vater aus der Küche, oder meine Mutter aus dem Wohnzimmer kommt.
Letztendlich gehe ich in die Küche und sehe, wie Dad sich eine ganze Flasche Jägermeister in seine übergroße »Bester Dad«-Tasse, die ungefähr 2 Liter hat.
Mom steht neben ihn und blickt ihn fragwürdig an. »Unsere Kinder sind zum Essen da. Kannst du es mal sein lassen?«, fährt sie ihn an.
Dad antwortet nicht, stellt die leere Flasche Kräuterlikör ab und greift nach der Tasse. Dann blickt er zu mir. »Willst du heute noch anfangen?«, fragt er mich.
Mom folgt seinem Blick und zieht eine Augenbraue hoch. »Was ist denn los?«
Mein Hirn rattert alle möglichen Antworten ab, aber das einzige was ich krächzend herausbekomme, ist: »Ich habe einen Sohn!«
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