12. Kapitel
06. September 2014
Ich halte am Hintereingang des 21ten. Jay ist mittlerweile komplett außer sich vor Wut. Er flucht, motzt und beleidigt mich in einer Tour - ich höre ihn schon längst nicht mehr zu, steige aus und gehe um das Auto herum.
Als ich die Beifahrertür aufreiße, fängt er schon wieder an. »Dir brennt wohl der Helm!«, motzt er lauthals. »Muss ich dir das vortanzen, dass ich nichts mit Erin am Laufen habe? Willst du deiner Schwester den Tag ruini...«
Jay kreischt wie ein kleines Mädchen auf, als ich ihn grob am Kragen packe und mit voller Wucht aus dem Wagen zerre, dabei landet er auf den dreckigen Boden.
Mir ist es egal, ob sein Anzug dreckig wird, oder ob er sich dabei wehgetan hat. Ich will doch nur die Wahrheit wissen. Kurz blickt er mich entsetzt an. Das Entsetzen in seinen Augen, wandelt sich aber schnell um.
Jay spannt den Kiefer an, beginnt innerlich gefährlich zu kochen und nur einige Sekunden später bricht der Hitzkopf auf.
Er springt mir viel zu schnell auf, packt nun mich grob und mit Leichtigkeit und pfeffert mich so auf die Motorhaube meines Autos, dass die Alarmanlage anspringt.
Mit aller Kraft stemmt Jay sein Gewicht auf mich, während er seinen Arm gegen meinen Hals drückt und sein Knie in meine Rippen.
»Du willst das so klären? Kein Problem. Dann wiederholen wir das von damals.«
Wütend und fluchend drücke ich mit einer Hand gegen Jays Gesicht und mit der anderen versuche ich den Griff am Hals los zuwerden.
Jay ist im Gegensatz zum letzten Mal viel stärker geworden und ich befürchte, ich habe keine Chance gegen ihn.
Ich muss ihn von mir runterbekommen, aber ihn grundlos ins Gesicht schlagen ist, noch, keine Option für mich.
Noch bevor ich mich weiter zur Wehr setzen kann, wird Jay mit einem Ruck von mir weggezerrt und landet schwungvoll auf den Füßen neben meinem Auto. Er blickt entsetzt zu Kevin Atwater, der Jay in Breite und Größe überragt. Der selbst mich überragt. »Seid ihr nicht mehr ganz reisefertig?«, will er uns von uns wissen.
Ich setze mich brummend auf der Motorhaube meines piependen Wagens auf und muss mich wirklich zurückhalten. »Frag nicht mich. Er hat angefangen«, rechtfertigt Jay sich wie ein kleiner Junge vor seiner Mom und deutet mit dem Zeigefinger auf mich.
»Er hat angefangen«, ahme ich ihm nach, rutsche von der Motorhaube und stelle die Alarmanlage aus. Dann wende ich mich zu Kevin. »Brauchst dich nicht einmischen. Jay und ich klären das allein. Familiending.«
»Scheißdreck! Ich will mir die Scheiße nicht geben, wie ihr Idioten euch die letzte funktionierende Gehirnzelle rausprügelt. Wow, und das von angesehenen Detectives.« Kevin schneidet eine Grimasse. »Habt ihr schon mal versucht, Worte zu benutzen, anstatt wegen jeder Kleinigkeit auszuflippen und euch die Gesichter zu zerkratzen, Ladies?«
Kevin erhält weder von mir noch von Jay eine Antwort. Während Jay, die Hände zu Fäusten ballt und in den Hüften stemmt, mich noch immer vor Wut kochend anstarrt, ignoriere ich ihn und grinse. »Das werde ich berücksichtigen. Ich will mir doch nicht die Fingernägel abbrechen.«
Kevin schaut mich genervt an. »McGowan, ich meine es ernst. Ihr beiden habt eine Vorbildfunktion für uns kleinen Officer. Sowas ist nicht cool.«
Ich verdrehe die Augen. »Jaja, lass uns allein. Ich werde Worte benutzen, meinen Mund und Halstead so die Meinung geigen. Keine Gewalt. Vorbildfunktion. Verstanden.«
Kevin geht zurück zum halb offen stehenden Garagentor. »Meine Fresse, scheuert der Tampon oder so?«, höre ich ihn nuscheln, aber ich reagiere nicht darauf.
Jay verschränkt die Arme vor der Brust. Ich jedoch schließe mein Auto ab und gehe direkt auf das Tor der Garage zu. Solange ich nicht die Wahrheit erzählt bekomme, kann Jay auf meinen Fahrdienst in Richtung Standesamt verzichten.
»Ich muss zum Standesamt!«, ruft er mir hinterher.
Ich lasse das Tor hochfahren und als es offen ist, blicke ich ihn an. »Du gehst erst, bis ich die Wahrheit erfahre. Keine Lügen.«
Jay verzieht das Gesicht. »Ist das dein Ernst? Nur weil deine Eltern... nur weil deine Mutter ein untreues Miststück ist, und du etliche Zweifel an ihr hegst, lässt du das jetzt allen ernstes an mir aus? Unterstellst mir, ich würde deine Schwester bescheißen? Die Frau für die ich über Leichen gehen würde, die mein Kind geboren hat?« Jay schreitet auf mich zu und bleibt direkt vor mir stehen. Eindringlich starrt er mich an. »Ich würde mich umbringen, mich selbst bestrafen, WENN ich untreu wäre. Aber ich bin es nicht. Werde es nie sein. Sowas würde ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können. Niemals. Nenn mich altmodisch, aber ich will bis ich alt und schrumpelig bin, mit deiner Schwester zusammen sein. Ich will sie heute heiraten, weil mein Gewissen rein ist. Du malst dir wieder Dinge aus, die keinen Sinn ergeben.«
Unsere einseitige Unterhaltung wird unterbrochen, als jemand ein helles Räuspern von sich gibt.
Jay weicht zurück. Ich folge seinem Blick. Nadia.
»Wir unterhalten uns, könntest du bitte gehen?«, frage ich höflich.
»Nein«, sagt sie fest, ihre dunklen Augen sind auf mich gerichtet. »Ich gehe nicht. Ich habe eure Kabbelei mitbekommen. Es geht um Erin, richtig?«
Ich verenge die Augen. »Wenn du sagen willst, dass ich mit meiner Behauptung richtig...«
»Deine Behauptung ist kompletter Bullshit!«, fährt Jay mich an.
»Halt die Fresse«, zicke ich zurück.
»Halstead hat recht. Sie ist kompletter Bullshit«, ruft Nadia und schaut sich um. Dann kommt sie langsam zu uns. »Was aber kein Bullshit ist, dass Erin sich gegenüber Ihnen beschissen verhält.« Sie blickt Jay an. »Und das tut Sie nur wegen... Gott, sie bringt mich um... Gefühle. Verliebt. Erin hat sich verliebt...«
»In mich?«, stößt Jay entsetzt aus.
»In ihn?«, frage ich genauso entsetzt.
Nadia räuspert sich, blickt Jay wieder an, nachdem sie mir einen abwertenden Blick zu geworfen hat. »In Ihre Frau... zukünftige Frau. Deshalb kann sie Sie nicht sonderlich leiden. Eifersucht. Sie ist eifersüchtig. Auf Sie. Wegen Holly.«
»Ernsthaft!?«, schnaube ich. »Meine Schwester hat Erin umgepolt? Was ist das für eine bescheuerte Lüge, Nadia?«
Nadia blickt mich an und zieht eine Augenbraue hoch. »Selbst ich würde...«, antwortet Nadia und schneidet eine Grimasse. »Ihre Schwester sieht nicht nur gut aus, sondern hat öffentlich mehr im Hirn als Sie und das macht sie automatisch attraktiver.«
»Wie wahr.«
»Bei Gott, Jay, halt's Maul!«, knurre ich und wende mich zu Nadia. »Erin steht auf meine Schwester? Ist plötzlich Homosexuell?«
Ich bin fassungslos, kann es nicht glauben. Zwischen Erin und mir war doch einst was gewesen. Hat sie mich damals am Ferienhaus meiner Tante abblitzen lassen, weil sie da schon etwas für Holly empfunden hat?
»Nur weil Sie Erin mal gevögelt haben... sie ist schon immer Bisexuell gewesen. Nur wissen Sie davon aus gutem Grund nichts.«
»Aus gutem Grund?«
»Ihre Vorliebe für Dreier. Hätte Erin Ihnen das erzählt, hätten Sie gefleht und gebettelt...«
»Wow«, rufe ich. »Dreier? Um Gottes Willen. Nicht die Dreier. Autos, aber okay«, stammle ich. Ich will von mir ablenken. Ist schon peinlich genug, dass Nadia etwas aus meinem Sexleben weiß und nun auch noch mein Schwager. »Weiß Holly das?«
Nadia schüttelt ihren Kopf. »Nein. Erin traut sich nicht, weil sie Angst hat, damit ruiniert sie die Freundschaft zu Holly. Sie leidet still und heimlich, wie man das eben so tut. Da waren wir doch alle mal an der Stelle.« Nadia seufzt. »Die Unterhaltung ist nie passiert. Ich komme in Teufels Küche, wenn Erin das mitbekommt. Sie bringt mich um - und das wird das harmloseste sein, was sie mit mir machen wird.«
Flehend blickt Nadia zwischen Jay und mir hin und her. Jay ist noch immer ziemlich sprachlos, während ich am liebsten in lautes Gelächter ausbrechen würde.
Nadia bleibt aber stehen und kratzt sich den Nacken, ehe sie sich an Jay wendet. »Sie heiraten heute also?«, hakt sie vorsichtig nach.
Jay nickt. »Ja. Ganz spontan. Eigentlich wollte ein Kumpel von mir heiraten, der hat kalte Füße bekommen und wir haben den Termin übernommen.«
»Und Sie wollen ohne Ihre Familie, Freunde und Kollegen heiraten?«
»Das ist der Plan, ja.«
»Ekelhafter Plan«, mische ich mich ein. »Ihr wollt noch nicht mal Trauzeugen haben?«
»Nur Holly und ich. Deshalb wäre ich froh darüber, wenn wir zurück zum Standesamt fahren können, damit ich heute noch heiraten kann.« Jays Blick liegt eindringlich auf meinem knallrotem Gesicht.
Ich rolle die Augen. »Lass mich, verdammt noch mal, dein Trauzeuge sein, oder ich schmeiße die Ringe in den Chicago River!«
Jay starrt mich an und ich ihn. »Holly will das aber nicht. Nur sie und ich und du glaubst doch nicht wirklich, dass du nach der Sache von gerade mein Trauzeuge werden wirst? Tickst du noch ganz sauber?«
Ich ignoriere Jay, der motzend zum Auto geht. Als er aus der Hörweite ist, wende ich mich zu Nadia. »Ich rufe Natalie an«, sagt sie leise.
Sie kennt Natalie über Holly und sie sind wohl mal hier und da einen Trinken gewesen.
Nadia kommt zu mir und redet leise weiter. »Soll ich denen von der Intelligence bescheid geben, oder flippt Halstead dann komplett aus?«
Ein Blick zu Jay, der sich schmollend auf den Beifahrersitz schmeißt und lautstark die Tür zu zieht. Er starrt zu uns.
»Wenn Trudy mitbekommt, dass Jay ohne sie heiratet, brennt ganz Chicago nieder.« Ich denke nach. Wenn Holly, dass wirklich nicht will, sollte ich das wohl beachten. Reicht ja, wenn Natalie, meine Wenigkeit und Tante Gloria dort auftauchen werden. »Kein Wort zu niemanden. Es hört sich doch nicht mehr so toll an, Holly ans Bein pinkeln zu wollen. Nur Nat. Niemand sonst. Hast was gut bei mir.«
Nadia nickt und zieht ihr Handy hervor. Sie fragt mich nach der Adresse des Standesamtes und ich gebe sie ihr. »Ist das Größte hier. Nicht zu verfehlen. Sie soll da hinkommen, so schnell sie kann. Die Zeit drängt nämlich so langsam.«
»Verstanden.« Sie tippt auf ihrem iPhone herum und hält sich wenig später das Handy ans Ohr, während ich meines hervor ziehe und dabei im Schnellformat bei Tante Gloria anrufe.
»Sammy, wo drückt der Schuh?«, grüßt sie mich freudig.
»Es passiert«, sage ich.
»Was passiert?«
»Das!«, wiederhole ich. »Das Upgrade zur Halstead! Das große Stande...«
Tut, tut, tut, tut.
Fassungslos starre ich auf mein Bildschirm. Gloria hat einfach das Telefonat beendet. Noch bevor ich zurückrufen kann, blicke ich zu Jay, der mich noch immer anstarrt und eine Geste macht, die so viel bedeutet, das ich mich verdammt noch mal beeilen soll.
***
Jay sitzt die Fahrt über zum Standesamt mit verschränkten Armen neben mir und ignoriert mich vollkommen.
Ja. Ich weiß, dass ich ihn mit meiner hirnrissigen Aktion mächtig an den Karren gepisst habe und das eine Entschuldigung wirklich angebracht wäre, aber irgendwie bekomme ich meinen Mund die ganze Fahrt über nicht auf.
Selbst als wir beide das Standesamt betreten, ignoriert Jay mich, und als ich im Fahrstuhl den Mund auf machen will, faucht er mich an, dass ich ja die Schnauze halten soll. »Oder ich haue dir einen rein.«
Ich presse zähneknirschend die Zähne aufeinander und nicke. »Halt du mal die Klappe«, sage ich lauthals. »Ich will mich bei dir für mein Verhalten entschuldigen. Ich hatte nur Angst, dass du meine Schwester bescheißt. Das mit meinen Eltern hat mich nur abgefuckt.«
Er blickt die Fahrstuhltür an. »Tut es doch noch immer. Sonst hättest du nicht so reagiert. Kann ja verstehen, dass du Angst davor hast, dass ich Holly verletze. Aber wieso sollte ich?« Jay blickt zu mir. »Sie ist das Beste was mir jemals widerfahren ist. Meine eigene Familie, ist das Beste was mir jemals widerfahren ist. Wieso sollte ich das kaputt machen? Wieso traust du ausgerechnet mir so was zu?«
Ich weiche seinen bohrenden Blick aus. »Ich hätte das niemals meinen Eltern zugetraut. Vor allen Dingen meiner Mutter nicht. Ich denke, ich habe Angst, dass es bei dir genauso sein wird. Ich traue es dir nicht zu, aber genau diesem Gedanken... der Sicherheit, dass du meine Schwester nicht betrügen würdest... keine Ahnung, was ich hier von mir gebe.« Ich atme tief durch. »Meine Mom hat mich eines Besseren belehrt.«
»Gerade die, von denen du so ein Verhalten am wenigsten erwartest, enttäuschen dich eben mit diesem befürchteten Verhalten?«, fragt er mich. »Ist es das, was du mir versuchst zu sagen?«
Ich nicke. »Ich halte echt viel von dir. Nicht nur als Fast-Ehemann meiner kleinen nervigen Schwester, oder als Vater meines Neffen, sondern auch als Cop, als Kollege... und Kumpel.«
»Hm«, brummt Jay. »Bist auch ganz okay.«
Ich denke nach, über all den Scheiß den Jay und ich Jahrzehnte lang gemeinsam durchgemacht haben, die ernsten und nicht so ernsten Gespräche. Ich bin für ihn da gewesen und er für mich. »Hört sich zwar ekelhaft an, aber irgendwie bist du wie ein Bruder für mich.«
»Gott, hör einfach auf zu schleimen. Ist ja unerträglich«, schaudert Jay.
Der Fahrstuhl kommt zum stehen, die Türen öffnen sich und Jay ist der erste der aus dem Fahrstuhl tritt.
Ich atme noch einmal tief durch und folge ihm. »Bist du sauer, wenn ich dir sage, dass ich Gloria und Natalie hier herbestellt habe?«, forsche ich vorsichtshalber nach, als ich zu ihm aufgeschlossen habe. »Ich meine, wenn ich hier bin und dein Trauzeuge sein darf, braucht Holly eine Trauzeugin und Nat...« Jays genervterer Blick verunsichert mich ein bisschen. »Und Tante Gloria habe ich angerufen, weil sie uns alle umbringen wird, wenn sie nicht dabei sein darf.«
Er atmet hörbar laut ein und aus. »Mach das mit deiner Schwester aus. Sie hat im besten Fall die Hosen an.«
»Und im un-besten Fall hast du die Hosen an, oder wie?«, frage ich spöttisch.
Jay schüttelt leicht seinen Kopf. »Im aller-besten Fall hat weder Holly noch ich die Hosen an.«
Er grinst nur und geht schneller voran. »Ist ja ekelhaft.«, rufe ich lachend hinterher und versuche mit ihm Schritt zu halten. »Was is'n jetzt mit der Trauzeugen-Sache?«
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