|| Kapitel Neun ||
|| Kapitel Neun ||
~ Kane ~
Es war zwölf Uhr in der Nacht und ich konnte kein bisschen Schlafen. Ich hatte Solin noch mal geschrieben, dass Joshua mich dort hingezerrt hatte, aber sie reagierte gar nicht auf meine Nachricht. Ich brauchte ein wenig frische Luft. Ich stand auf und schlüpfte in Joggingklamotten. Als ich mein Zimmer verließ, blickte Tina zu mir, die auf der Couch saß und ein Buch las.
„Wo willst du denn hin?", fragte sie mich.
„Ein bisschen an die frische Luft."
„Um Mitternacht?"
„Ja."
„Das würde ich an deiner Stelle nicht tun. Dann bist du auf dem Präsentierteller für die ganzen unterbelichteten Gangs."
„Na gut."
„Wenn du einen freien Kopf bekommen willst, kann ich dir dabei helfen."
„Wieso schläfst du eigentlich nicht?"
„Ich lese immer gerne um Mitternacht Bücher. Das hat irgendwas Magisches an sich, weißt du?"
„Nee, ich bin nicht so der Bücherwurm."
„Was machst du gerne, wenn du kreativ wirst?"
„Fahrräder lackieren."
Tina runzelte die Stirn. „Alter, was? Rede normal mit mir."
„Sprayen oder Malen."
„Hast du noch ein paar Flaschen hier?"
„Im Keller."
„Zieh dir etwas Schwarzes an und wir sprayen ein paar Züge voll. Ich kenne da eine Stelle, wie du auf den Güterbahnhof kommst."
„Echt jetzt?"
„Ja, ich hab damals auch ein wenig gesprayt."
„Okay, komm", sagte Tina und kletterte unter dem Zaun runter. Ich kletterte ihr nach und klopfte meine schwarze Jogginghose vom ganzen Staub ab. Dann schlichen wir uns über den dunklen Güterbahnhof und blieben wenig später an einen noch unbesprühtem Zug stehen. „Dann lass mal deine Kreativität freien Lauf."
Um kurz vor drei war ich endlich mit meinem Bild fertig. Ich ging ein paar Schritte zurück und begutachtete mein Werk, während Tina immer noch am sprayen war. Ja, mein Kunstwerk sah schon ziemlich gut aus. Zufrieden nickte ich.
„Und?", fragte sie mich und stellte sich neben mich. „Wow. Dein gebrochenes Herz, oder das von Soso?"
„Unsers", sagte ich und blickte auf das Bild. Ich hatte zwei Hände auf den Zug gesprayt, die ein Herz auseinanderrissen. Das hatte ich freischnauze drauf geklatscht und irgendwie tat es wieder gut ein bisschen zu sprayen. Ich blickte zu Tinas Bild. Sie hatte dort Donald Duck mit einer Spraydose hingeklatscht.
„Wir sollten gehen", sagte ich und wischte noch mal mit meinem Shirt über die Sprühdosen. Auch wenn wir Handschuhe trugen, wollte ich keine Fingerabdrücke hinterlassen. Ich schmiss die Dosen in ein Gebüsch und schnappte mir mein Rucksack. Tina stopfte die Handschuhe in den Rucksack und dann schlichen wir uns wieder vom Gelände.
„Ein kleiner Burger für zwischendurch?", fragte sie mich, als wir an Burger King vorbeigingen.
Ich schüttelte nur meinen Kopf. Ich war müde und wollte einfach nur noch Hause.
„Gute Nacht", sagte ich zu Tina, als ich in mein Zimmer ging.
„Schlaf gut", entgegnete sie. Ich schlüpfte aus meinen Klamotten und legte mich nur in Boxershorts ins Bett. Und es dauerte keine paar Minuten, bis ich endlich einschlief.
„Diese behinderten Medien sind echt nicht mehr ganz dicht in der Birne", bemerkte Mohammed. „Und jetzt ist deine Ex sauer auf dich, oder was?"
„Ja, ich hab ihr auch nicht mehr geschrieben, weil eh nur ‚nerv mich nicht' zurückkommt."
„Dann lass sie doch mal für ein paar Tage in Wut schmorren. Du hast keine Stripperin gevögelt und so. Und wenn, dann ist das nicht mehr ihr Business. Ihr wart zusammen gewesen."
„Ich würde genauso reagieren, wenn sie mit ihren Freundinnen in einem Stripclub geht. Ich verstehe sie da schon", sagte ich.
„Es reicht mir langsam. Schlag dir dieses Mädel endgültig aus dem Kopf und suche dir eine andere." Joshua packte mich am Nacken und schüttelte mich ein wenig durch. „Das kann doch langsam nicht mehr wahr sein."
„Ihr beiden habt die Probleme ja nicht", sagte ich. „Du bist die ewige Jungfrau, wegen deinem Vater und du poppst doch eh alles, was nicht Niet und Nagelfest ist. Also lasst mich doch einfach in Ruhe, ja?", fragte ich und verließ die Umkleidekabine in Richtung Trainingsplatz.
„Kane, du sollst zu Zidane ins Büro", sagte Senior zu mir, als ich auf dem Trainingsplatz kam. Ich blieb direkt stehen und drehte mich wieder um. Wollte gar nicht erst nachfragen, was wieder das Problem ist.
„Wohin?", fragte Joshua mich.
„Zidane."
„Wieso?"
„Keine Ahnung", brummte ich.
Ich kam mir schon ein wenig bescheuert vor, dass ich in Trainingskluft zum Bürogebäude rüberlaufen musste, aber hey, bin ich ja schon mal. Mal gucken, ob meine Mutter wieder auftauchen wird.
„Kane Reus, Zidane wollte mich sprechen", sagte ich und versuchte nicht allzu genervt zu klingen, als ich vor der ersten Empfangsdame stand.
„Fahren Sie schon mal hoch. Ich gebe das eben durch."
„Danke", sagte ich und ging in Richtung Fahrstühlen.
Ich fuhr in dem obersten Stockwerk und als sich die Tür öffnete, blickte die Botoxvisage von Empfangsdame lächelnd zu mir.
„Da bist du ja schon wieder", sagte sie erfreut.
„Yeih", meinte ich.
„Soll ich das nächste Mal mit Konfetti bewerfen?", fragte sie mich und dackelte mir hinter her.
„Nein, danke", winkte ich ab und ging direkt zum Büro von Zidane.
„Man, deine Oberarme werden ja immer breiter. Kannst bestimmt eine kleine zierliche Frau hochheben, oder?"
„Kommt drauf an, wie viel das Botox in ihrem Gesicht wiegt", entgegnete ich trocken.
Ihr Grinsen verschwand und sie nickte nur. „Hab schon verstanden. Du stehst eher auf Natur."
„Richtig, hundert Punkte."
„Ist ja schon gut", motzte sie herum und ging wieder zu ihrem Schreibtisch. Ich klopfte an die Tür.
„Herein!", hörte ich Zidane bellen.
Ich trat in das Büro und begrüßte ihm.
„Tür zu und setzen", sagte er. Ich knallte die Tür zu und blickte zu ihm. Er hasste es, wenn man Türen zuknallte. Da würd er am liebsten eine Kopfnuss nach der andren verpassen. Typisch. Ich setzte mich auf den Stuhl und schaute ihn fragend an.
„Wo drückt denn jetzt der Schlüpper?", fragte ich nett.
Zidane schob mir einen Umschlag über den riesigen Glastisch entgegen.
„Bei mir bald nicht mehr", meinte er. „Zur nächsten Saison bist du Vereinslos. Du kannst gehen. Aber solange machst du keine Scheiße mehr und spielst diese zwei Monate noch für uns und dann auf nimmer wieder sehen."
Ich konnte mir ehrlich kein Grinsen verkneifen.
„So glücklich habe ich dich damals nicht kennengelernt, als du das Ding unterschrieben hast. Unterschreib deine Kündigung und dann kannst du schon wieder gehen."
„Super", nickte ich und riss den Umschlag auf. Ich unterschrieb die Kopie der Kündigung für mich und die für den Verein und sprang auf.
„Wie lange bin ich denn jetzt gesperrt?"
„Gar nicht."
„Prima."
„Viel Glück, was auch immer du jetzt vor hast", meinte Zidane, als ich aus dem Büro lief.
Ich war frei. Ich konnte hier endlich weg. In zwei Monaten werde ich wieder bei meiner Familie sein.
Ich schmiss das dicke Kündigungsschreiben in meine Trainingstasche und schmiss diese in meinem Spind, dann machte ich mich auf dem Weg zum Trainingsplatz.
„Was grinste denn so behindert?", fragte er mich. „Hat sich Solin gemeldet?"
„Nee, besser."
„Sag doch", sagte Joshua.
„In zwei Monaten bin ich nicht mehr hier. Ich darf gehen."
Ich ließ Joshua beim Torwarttraining zurück und klinkte mich in der Reihe der Männer ein, die gerade in der letzten Runde vom Warmlaufen waren.
„Ja, ich habe die frohen Nachrichten schon gelesen", sagte Mama, die meinen Anruf entgegennahm.
„Waren die Medien schon wieder schneller?"
„Und wie die das waren. Was soll ich sagen, die Vereine auch."
„Wie viele haben Angerufen?"
„Die Frage ist, wie viele haben nicht angerufen", antwortete Mama und seufzte. „Selbst Scheiße 04 ist an dir interessiert."
„Wäre nah dran an Dortmund, aber aus Prinzip sage ich da, lieber Sackratten, als Schalke."
„Selbst die Bauern haben Interesse an dir."
„Lieber Hodenlos und Hirnlos, als Bayern."
„Gladbach?"
„Nein."
„Köln?"
„Bin ich schwul?"
„Bremen?"
„Nee."
„Braunschweig?"
„Ja, würde ich. Aber ist wieder so weit weg."
„Hamburg?"
„Nee."
„Hannover?"
„Biste bekloppt?"
„Die Radkappen?"
„Nein."
„Barcelona?"
„Liegt das in der Nähe von Dortmund?"
„Nein."
„Da haste meine Antwort."
„Okay, das letzte Angebot eines Erstligisten in der Nähe von uns, wäre der VFL Bochum, kann ich dich dazu bewegen? Aktuell Tabellenplatz 7. Drei unter Dortmund. Nur eine halbe Stunde von uns entfernt. Die A40 wird uns dann verbinden. Ist die schnellste Route."
„Okay, das hört sich schon mal nicht so schlecht an. Was will Bochum bieten?"
„Ablöse 13 Millionen. Monatsgehalt dann nur noch 30.000 Euro, anstatt wie deine 80.000. Du machst aber noch Werbung weiter, oder?"
„Ja."
„Okay. Willst du dann in Dortmund oder in Bochum wohnen?"
„Wenn, dann noch Bochum. Hab immer keine Lust zur Arbeit zu fahren."
„Soll ich mich mit Fabian Götze in Verbindung setzen?"
„Der Bruder von Götze trainiert da?", fragte ich.
„Ja, ist das schlimm?"
„Nee", meinte ich.
„Du könntest auch zweite Liga nach Düsseldorf gehen. Da wartet Gabriel Bittencourt auf dich, als Trainer."
„Nee danke, wenn dann schon erste Liga. Du kannst dich ruhig erstmal mit Papa besprechen, oder wir halten nachher eine Skype-Konferenz ab."
„Papa ist auch für Bochum."
„Na, dann setz dich mit Fabi in Verbindung."
„Da biste dir zu hundert Prozent sicher?"
„Zu zweihundert Prozent, Mama."
„Gut, dann lege ich jetzt auf und setze mich mit Fabian in Verbindung. Lass dein Handy auf laut. Ich gebe ihm dann deine Nummer durch, damit er sich dann bei dir melden kann."
„Okay, danke, Mama."
„Dafür bin ich da. Ich muss auch auflegen. Mittagspause ist vorbei und Autos reparieren sich nicht von alleine."
„Okay, Mom. Hab dich lieb."
„Ich dich auch, Großer."
Damit war das Gespräch auch schon wieder beendet. Ich machte die Tastensperre rein und legte mein Handy auf die Kücheninsel, ehe ich mir aus dem Kühlschrank eine kleine Wasserflasche raussuchte und mich mit einem Grinsen auf die Couch setzte.
Ich schaute ein wenig Two And A Half Men auf Spanisch. Ich verstand zwar wirklich nur spanisch, aber trotzdem musste ich lachen, weil ich die Folgen eh schon alle Inn und Auswendig kannte.
Nach zwei Stunden bekam ich endlich den langersehnten Anruf.
„Kane Reus", hörte ich Fabi am anderen Ende sagen. „Schön, dass du endlich die Schnauze voll von den Königlichen hast. Und du willst wirklich freiwillig zu mir?"
„Klar, ich bin in der Nähe von zu Hause und ich helfe immer gerne."
„Okay, der Vorstand ist auch einverstanden, du musst eigentlich nur noch zum Medizin Check kommen. Wir setzen uns mit deinem bald nicht mehr Boss in Verbindung und machen einen Termin für den Check hier in Bochum aus, okay?"
„Hört sich gut an. Man freue ich mich schon auf die Stadionwurst."
„Spanisches Essen penetriert so richtig die Rosette, kenne ich. Meine in bald Exfrau ist Spanierin. So wie ich geschissen habe, könnte ich als Umweltfreundliche Lachgaseinspritzung durchgehen."
„Du sprichst mir aus der Seele", lachte ich. „Also rufst du mich an, wegen dem Check-Up, oder muss ich damit noch mit Zidane sprechen."
„Ich kann dir auch Bescheid geben", sagte er. „Haste Angst vor einer Kopfnuss, oder was?"
„Ein bisschen."
„Okay, ich fahre dann jetzt zum Vorstand und rede mit denen. Die wollen dich auch haben und dann klären wir das auch schon alles. Ich melde mich dann bei dir."
„Alles klar und danke."
„Nee, ich danke dir. Bis die Tage, oder Stunden."
„Bis die Tage, oder Stunden", antwortete ich. Fabian legte auf und ich ließ mich zurück auf die Couch fallen. Nur noch bis kurz vor Weihnachten und ich kann endlich gehen. Besser kann es für mich nicht laufen.
Am Abend kam dann auch schon der Anruf von Fabian, dass ich nächste Woche Montag einen Check-Up in Bochum hatte. Sonntagabend, sollte ich schon los fliegen. Einen Tag nach dem Spiel gegen Barcelona. Das Classico. Wenn ich bis Mittwoch bleiben würde, könnte ich noch meiner Schwester ein Geschenk überreichen. Ah. Ich komme bald nach Hause.
Zehn Minuten nachdem ich den Anruf hatte, rief mich Zidane an, um mir das gleiche zu sagen. Sie bezahlen sogar den Flug und den Müll. Dann meinte er noch frech, dass er froh ist, dass ich „Pickel am Arsch", bald weg bin. Ich bedankte mich dafür und legte einfach auf, obwohl er noch irgendwas sagen wollte.
Dann ging ich auf Whatsapp und schrieb Joshua, ob er rum kommen wolle.
Joshi: Nee, stecke gerade in Jula.
Sofort machte ich die Tastensperre rein und legte das Handy weg. Wieder ein bisschen verstört, aber was soll's. Irgendwann werde ich da schon Immun von. Ich schmiss meine XBOX an und zockte ein bisschen FIFA 20. Dortmund gegen Real Madrid und die Königlichen bekamen von den Bienen so richtig einen auf die Fresse.
„Fick dich, Senior!", brüllte ich.
„Ja, fick dich, Senior", sagte Tina, die in die Wohnung kam. Sie trug die typische Krankenschwesterkluft und machte die Tür zu. „Ich habe es schon gelesen, wieso du so abgegangen bist. Glückwunsch."
„Danke." Ich pausierte das Spiel. „Was machen wir dann mit dir?", fragte ich sie.
„Ich gehe erstmal duschen und dann reden wir."
„Alles gut?"
„Ziemlich blöden Tag gehabt."
„Was war denn?"
„Nen Schulbus ist eine Klippe runtergestürzt."
„Alter Schwede."
„Von zwanzig Kindern, sind neun sofort tot gewesen. Und wir haben jetzt die Schwerverletzten bei uns. Das sind Grundschulkinder. Das hatte ich noch nie gehabt."
„Tut mir leid."
„Das ist mein Job", sagte Tina und verschwand im Badezimmer.
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