|| Kapitel 51 ||
|| Kapitel 51 ||
- Kane –
Ich saß gelangweilt in meinem Krankenzimmer, ließ Musik über die Kopfhörer laufen und spielte auf meinem Handy irgendein blödes Spiel. Wieso es blöd war und ich es trotzdem spielte?
Weil ich hier kein verdammtes WLAN hatte und mir nichts anderes runterladen konnte.
Als es gegen 10 Uhr an der Zimmertür klopfte, zog ich die Kopfhörer aus meinen Ohren und rief: „Herein!"
Die Tür ging auf und meine Schwester kam rein.
„Hallo", sagte sie und machte die Tür wieder zu, als sie mein irritiertes Gesicht sah. Musste Madam nicht normalerweise in der Schule sein?
„Hi? Keine Lust auf Schule, oder was?", fragte ich sie.
„Nee. Ich wollte nur mit dir reden", sagte sie und schob sich einen Stuhl neben dem Bett. Ich ging aus dem Spiel raus und legte mein Handy beiseite.
„Aber erstmal wie geht's dir?"
„Die Kopfschmerzen sind dank der Medikamente nicht mehr so schlimm. Und drei Rippen mussten bei mir gerichtet werden. Und wenn du die anderen Kratzer siehst, siehst du Aua."
„Hm", sagte Mina.
„Willst du mir irgendwas sagen?", fragte ich.
Vielleicht nahm sich Mina jetzt endlich mal den Mut zusammen und sagt es wenigstens mir, dass sie in Ömer verschossen war. Papa hatte so merkwürdige Andeutungen gemacht und da konnte ich einfach nur Eins und Eins zusammenzählen. Ich meine, es ist niedlich, wenn meine Schwester verliebt ist, aber um Gottes Willen doch nicht in einen fünf Jahre älteren Typen.
„Worauf willst du denn hinaus?", stellte sie die Gegenfrage und runzelte die Stirn.
„Bist du verliebt?"
„Wie kommst du denn auf den Bullshit? Steckt irgendwo noch eine Glasscheibe in deinem Hirn, oder was?"
„So wie du wieder abgehst, Mina, ist das doch offensichtlich. Und wer ist die arme Sau?"
„Du bist so ein Arsch, Kane", schnaubte sie beleidigt.
„Hallo, brüderlicher Beschützerinstinkt, Mina. Ich hasse automatisch jeden Kerl, der Interesse für dich zeigt, oder für den du Interesse zeigst..."
„Kann sein, aber sag davon nichts Papa und Mama. Die haben eh schon mit anderen Sachen zu kämpfen."
„Was meinst du?", fragte ich und legte die Stirn in Falten.
„Keine Ahnung. Mama und Papa haben nur Streit und Papa pennt bei Opa und Oma. Ich glaube, dass Solin von dem Grund Bescheid weiß, sonst würde sie uns nicht so unter den Armen greifen, seitdem Papa weg ist."
Ich legte meine Hand an die Stirn, da meine Kopfschmerzen wieder schlimmer wurden. „Okay. Hast du gewusst, dass Tugba mir Blut gespendet hat? Wieso nicht Mama und Papa?"
„Keine Ahnung. Vielleicht ging das nicht mit ihrem Blut oder so. Hast du in Biologie nicht aufgepasst?"
„Nur bei Sexualkunde", gab ich zu.
„Wow."
„Japp. Hopfen und Malz verloren", sagte ich und zeigte auf mich.
„Schon immer", sagte Mina und rümpfte die Nase. „Hast du gefurzt?"
„Nein, vielleicht mein Zimmernachbar, diese behinderte Sau."
Mina blickte mich an. „Bist du behindert, der kann dich hören."
„Der hat einen Hörsturz. Der hört nichts, außer ein Piepen."
„Krass."
„Ja."
„Ich kann es immer noch nicht glauben, dass nach dem Anschlag zwei Tage danach das Spiel nachgeholt wurde."
„Ich auch nicht", sagte ich. „Wir sind ja schließlich keine Maschinen. Aber für die zählt ja nur wieder das Geld. Wie dem auch sei. Jetzt hör einfach mal auf, dass Thema zu wechseln. Wie heißt der Kerl?"
„Ist einer aus meiner Klasse. Aber der interessiert sich eh nicht für mich. Bin dabei ihn zu vergessen. Wieder Themenwechsel. Was ist mit Mama und Papa. Weißt du irgendwas?"
„Nein, ich hab davon auch erst gehört. Okay, mag sein, dass ich mich schon gefragt habe, wieso die nicht zusammen kommen. Aber entweder kann Mama nicht, oder Papa nicht. Und ich merke ja selber, dass Papa irgendwie komisch zu mir ist. Aber so richtig merkwürdig. Als hätte ich ihn irgendwas getan, oder so."
„Ach man", sagte Mina. „Ich kann ja mal ein bisschen Mäuschen spielen. Vielleicht finde ich was heraus."
„Das wäre nett", sagte ich. „Ich frage mal Solin, ob sie eine Ahnung hat, was mit meinen Eltern los ist. Du meinst ja, dass die Möglichkeit besteht, dass sie über den Grund Bescheid weiß." Ich schnappte mir mein Handy und schrieb Solin eine Nachricht, dass sie heute noch ins Krankenhaus kommen sollte, da ich dringend mit ihr reden will. Sie schrieb noch nicht mal „Warum", sondern nur ein „Okay, bin in einer Stunde da."
„Sie ist in einer Stunde da."
„Soll ich hier bleiben? Ich will es schließlich auch wissen."
„Nein, fahr du mal in die Schule. Du weißt wie Mama und Papa sind."
„Du hältst mich aber auf den Laufenden, oder?", fragte Mina mich.
Ich nickte nur. „Mach ich."
Mina drückte mir einen Kuss auf die Stirn und verließ dann das Krankenzimmer und ich zerbrach mir weiter den Kopf darüber, was mit Mama und Papa auf einmal war.
„Guten Morgen, Kane. Wie geht es dir?", fragte der Arzt, als er ins Zimmer kam.
„Nur der Kopf", sagte ich.
„Ich bring dir gleich noch Kopfschmerztabletten."
„Ich hab da mal eine Frage", sagte ich.
„Was gibt es denn?"
„Wieso konnte mir Tugba Sahin Blut spenden? Aber meine Eltern nicht."
„Du hast Blutgruppe 0. Deine Mutter hat A und dein Vater AB", fing er an. „Dein Vater hat AB und kann somit nur an Leuten mit AB spenden. Deine Mutter hat A und kann nur an A und AB spenden."
„Okay", meinte ich. „Aber war da nicht, was mit der Blutvererbung."
„Was soll da gewesen sein?", fragte er mich.
„Naja, wenn meine Mutter A hat und mein Vater AB, welche Blutgruppe kommt da denn raus?"
„Das weiß ich jetzt nicht so genau. Das habe ich noch nie wirklich in mein Hirn bekommen. Und ich bin seit zwanzig Jahren Arzt."
„Aha", meinte ich.
„Ich hole dir nur schnell die Kopfschmerztabletten und eine Krankenschwester kommt in ein oder zwei Stunden und schaut sich die Platzwunde an und die anderen Wunden an und reinigt diese, wechselt die Pflaster und desgleichen. Bis gleich."
„Bis gleich?", fragte ich irritiert und griff sofort nach meinem Handy, nachdem dieser Nichtsnutz vom Arzt verschwunden war.
Wenn der Arzt das nicht weiß, frag ich eben einen anderen Arzt.
„Was gibt es denn?", fragte Solins Vater Thomas mich am anderen Ende.
„Ich hab da mal eine Frage diesbezüglich Blutgruppen und deren Vererbung für Mina in Biologie. Die traut sich nicht dich zu fragen."
„Ich bin gerade auf dem Weg zum OP, aber hau raus."
„Soll ich dich später zurückrufen?"
„Der stirbt mir schon nicht weg, auch wenn der Arm ab ist. Wenn man zu blöd ist mit dem Motorrad zwischen zwei LKW's zu fahren und sich dabei den Arm abreißt... uhm. Okay. Also was ist die Frage?"
„Okay, sie hat hier eine Aufgabe. Und zwar Elias Mutter hat Blutgruppe A und sein Vater AB, welche Blutgruppe hat Elias?"
„Na, das ist ganz einfach", sagte Thomas. „Elias kann nur A, B und AB haben."
„Echt?"
„Ja."
„Und was ist, wenn er 0 hat?"
„Ist das die nächste Frage?", lachte Thomas.
„Ja, genau. Das ist die nächste Frage. Also."
„Dann war seine Mutter sicherlich untreu."
„Untreu?"
„Ja, anders kann ich mir das nicht erklären."
„Das Kind auch entführt sein...", murmelte ich.
Wieder lachte Thomas. „Das kann auch sein. Das Kind hat Blutgruppe 0? Wie du gesagt hast?"
„Ja."
„Ja, eben. AB kann egal mit welcher Blutgruppe keine Blutgruppe 0 bilden. 0 und AB würden nur A und B erbringen. Ich kann es mir nur so erklären, dass Elias Mutter damals einen kleinen Seitensprung hatte. Sie hat A und dann muss Elias richtiger Erzeuger 0, ebenfalls A, oder B haben."
„Alter ist das kompliziert", sagte ich und rieb mir die Stirn.
„Ja, Elias Vater ist nicht sein richtiger Vater. Das ist ziemlich ausgeschlossen. Wenn du das wissen willst."
„Ja, danke. Das war alles.", sagte ich. „Dann rette mal den Arm des Typen."
„Mach ich. Bei weiteren Fragen, schreib mir eine Nachricht. Mich gucken meine Kollegen wieder bescheuert an. Ich weiß, dass ich hier nicht Telefonieren darf. Aber ich darf das. Ich bin Chefarzt. Guck nicht so blöd Rina. Musst du dich nicht weiter erfolglos hochvögeln."
Dann war das Gespräch beendet. Ich machte die Tastensperre rein und legte das Handy auf dem Tisch neben mir.
Hm.
Elias war in dem Fall meine Wenigkeit. Kann da nicht ein Fehler vorliegen? Ich würde das gar nicht glauben, wenn Papa nicht mein Papa sein sollte.
Ich bekam schon wieder ziemliche Kopfschmerzen, aber bekam es gerade noch so hin meinen Eltern getrennt zu schreiben, dass sie um 15 Uhr zu mir sollen. Papa schrieb nur „Okay", während Mama mir schrieb, dass es knapp werden würde.
Es war mir egal. Die sollen hier einfach auftauchen und gut ist. Dann saß ich einfach nur da und wartete auf Solin, die immer noch frei hatte. Diese kam dann völlig entnervt ins Zimmer, ohne weiter anzuklopfen, während die Krankenschwester meine Wunden reinigte und neue Pflaster, beziehungsweise bei den größeren Wunden Verbände draufklatschte. Man war die nett und liebevoll zu ihren Patienten.
„Was gibt es denn? Über was wolltest du mit mir reden?", fragte Solin und setzte sich auf den Stuhl neben meinem Bett.
„Warte", meinte ich nur und wartete darauf, dass die Krankenschwester endlich fertig war. Und gesprächig war die auch. Nachdem sie alle Sachen in den Müll pfefferte, schob sie ihren Wagen wieder raus und verschwand aus dem Zimmer.
Solin blickte zu mir. „Also, was ist los? Weißt du schon, wann du endlich wieder raus kommst?"
„Was ist mit Mama und Papa?", stellte ich sofort die Gegenfrage und blickte Solin streng an.
„Genauer?"
„Mina war hier und hat mir erzählt, dass Mama und Papa sich nicht mal mehr mit den Arsch angucken und Papa bei seinen Eltern pennt. Weißt du was?"
„Nein."
„Und wieso pennst du dann bei uns im Gästezimmer und bringst Aleyna zum Kindergarten und holst sie wieder ab?"
Solin seufzte und rieb sich die Schläfen. „Ich hab denen versprochen nichts zu sagen. Die wollen das selber machen."
Ich lehnte mich nach hinten und legte meine Hand auf die Wange. „Also weißt du es?"
„Ja."
„Und du hältst es nicht mal für nötig, mir irgendein Zeichen zu geben, dass es Stress zwischen meinen Eltern gibt?"
„Du warst wegen dem Attentat schon ziemlich durch den Wind und du redest schon zwischendurch mit einem Psychologen darüber. Ich wollte dich nicht überfordern."
„Du weißt, dass ich das nicht mag, wenn man mir etwas vorenthält. Und wenn es noch um mich geht, dann weiß ich auch nicht. Das ist ziemlich Scheiße."
Dann blickte ich zu Solin, die auf ihr Handy schaute.
„Mein Dad", sagte sie. „Wieso hast du ihn über Blutgruppen ausgefragt?"
„Für Mina in Biologie", log ich.
„Mina hat momentan ein anderes Thema, Kane. Lüg mich doch nicht an."
„Du lügst mich doch an."
„Ich lüge dich nicht an!", brummte sie.
„Doch, du weißt den Grund wieso meine Eltern momentan nicht auf sich zu sprechen sind. Aber willst ihn mir nicht sagen."
„Ich sollte gehen", sagte sie und stand von dem Stuhl auf.
„Sag mir doch einfach, dass mein Vater nicht mein Vater sein kann. Dann brauch ich heute meinen Eltern nicht sehen. Dann hab ich meine Antwort."
„Ich hab gesagt, dass sie es machen sollen..."
„Also ist es so. Also kann Marco nicht mein Papa sein?"
Solin nickte nur. „Ja."
„Kann da nicht ein Fehler vorliegen?"
„Klammer dich nicht an die Hoffnung, Kane. Die haben zwei Mal die Blutproben miteinander verglichen und da kam beides Mal das gleiche Ergebnis bei raus", dann setzte sie sich wieder hin. „Marco hat deswegen einen Test machen lassen."
„Einen Test?", hakte ich nach und runzelte die Stirn.
„Einen Vaterschaftstest."
„Ich kann mir schon denken was rauskam", murmelte ich. „Dass er zu hundert Prozent nicht mein Vater sein kann, oder?"
Wieder nickte Solin und griff nach meiner Hand. „Es tut mir leid, Kane. Ich kann mir zu gut vorstellen, wie sauer du jetzt bist."
„Ich bin nicht sauer", murmelte ich und unterdrückte es nicht in Tränen auszubrechen. „Einfach nur enttäuscht und traurig."
„Unterdrück es nicht. Das habe ich dir schon mal gesagt", sagte Solin. „Wenn du weinen willst, weine und friss es nicht wieder in dich hinein. Und es tut mir leid, dass ich dir das nicht sofort gesagt habe. Aber ich wollte deinen Eltern eine Chance geben, dass sie dir das sagen."
„Hm", machte ich nur und riss mich weiter hin zusammen. „Haben die schon irgendwie erwähnt, wer mein Vater sein soll?"
Solin sagte nichts und ich blickte zu ihr, wischte mir die Tränen aus den Augenwinkel. Sie zögerte einen Moment. „Deine Mom hat mir da was erzählt. Sie war zu dem Zeitpunkt nicht Marco zusammen, also kann sie ihn auch nicht hintergangen haben."
„Und hat sie auch gesagt, mit wem sie neben Papa auch noch was gehabt hatte?"
„Soll dir das nicht lieber deine Mom erzählen?", fragte Solin mich.
Ich schnappte mir mein Handy und schrieb meinen Eltern, dass die heute doch nicht kommen brauchten. Ich hatte keine Lust auf die beiden und wollte die nicht sehen. Ich brauchte erstmal Zeit für mich.
Weshalb ich sie doch nicht sehen wollte, schrieb ich nicht.
„Nein, sag du mir das", sagte ich.
„Was hast du da geschrieben?", fragte Solin.
„Meine Eltern abbestellt. Die will ich heute nicht sehen. Beide nicht."
„Okay. Ich hoffe nur nicht, dass sich das zu einen großen Familienstreit entfacht."
„Kann ich nicht sagen. Solange ich die Wahrheit erfahre, wird sich von meiner Seite aus nichts ändern. Wer auch immer mein richtiger Vater ist, kann mich in dem Sinne mal. Marco war all die Jahre für mich da und da wird's sich auch nichts dran ändern, dass er für mich mein Vater ist. Mir tun nur Mina und Aleyna nach. Wenn sie überhaupt sie überhaupt Marcos Töchter sind."
„Okay", sagte Solin. „Und übertreib es nicht. Deine Mutter ist deinen Vater nie fremdgegangen und wird das auch nicht tun, Kane. Ich hab dir doch gesagt, dass es in der Pause zwischen den beiden so war. Und wenn du deine Mom jetzt beschuldigst, dein Vater war in der Zeit mit dieser Caro zusammen und hatte was mit der gehabt. Also sind beide nicht mit klaren Wasser gewaschen."
Da hatte sie auch wieder Recht. Aber in dem Fall, war Mama diejenige die Papa all die Jahre angelogen hatte.
„Aber Mama hat Papa angelogen."
„Du hattest das blonde Haar und warst ein Blassgesicht. Ganz wie dein Vater damals. Da hat deine Mom sich ihren Teil gedacht und war sich sicher, dass du Marcos Sohn bist."
„Wie konnte ich ihn als Kind ähnlich sehen und blondes Haar haben, wenn er nicht mein Vater ist."
„Der Vater deiner Mutter. Er hatte als Kind auch blondes Haar und war blass. Er sah auch ein bisschen aus wie Marco und der Vater deines leiblichen Vaters war ebenfalls zu Anfang blond."
„Und wer ist es jetzt?", fragte ich.
„Willst du das ehrlich nicht von deinen Eltern hören?", fragte Solin mich und knibbelte an ihren Fingernägeln herum. Ich hasste sowas. Ich hasste es auch, wenn Leute abgeknabberte Fingernägel hatten, oder Dreck dort runter und sie es mit einer Messerspitze oder was herauspuhlten. Ich könnte davon einfach nur kotzen.
„Ich möchte das gerne von dir hören. Sonst würde ich dich nicht fragen", sagte ich und musterte Solins Gesicht.
„Deine Mom ist sich sicher, dass dein Vater nur Marcel sein kann."
Ich starrte Solin einfach nur an. Mein Patenonkel? Mein Onkel? Der Typ, der mit mir jeden Scheiß gemacht hat? Der war nicht nur mein Onkel, sondern mein leiblicher Vater. Ich ließ mich im Bett zurücksinken und starrte an die Decke.
Eigentlich hätte ich jetzt keinen richtigen Vater. Mein leiblicher Vater ist tot und der, der all die Jahre für mich mein Vater war, würde mich bestimmt nicht mehr wie seinen Erstgeborenen behandeln. Vermutlich würde Marco mich nicht mal mehr mit dem Arsch angucken. Meine Mom und mich.
„Kannst du mich alleine lassen?", fragte ich Solin.
„Sicher?"
„Ja, sicher", nickte ich und blickte sie kurz an.
„Wann soll ich wiederkommen? In einer Stunde?"
„Ich melde mich bei dir?"
„Also soll ich nach Hause?"
„Ja. Wie gesagt, ich melde mich bei dir, wenn ich irgendwen sehen will."
„Ich kann nichts dafür, dass weißt du."
„Das hab ich noch nicht mal gesagt", sagte ich. „Ich möchte einfach nur alleine sein, okay?"
„Okay, ruf mich an, wenn du jemanden zum reden brauchst", sagte Solin und stand vom Stuhl auf. Dann drückte sie mir einen Kuss auf die Wange und fuhr mir vorsichtig durchs Haar, ehe sie das Zimmer verließ.
Kaum war die Tür zu, brach es aus mir heraus. Ich konnte es nicht mehr zurückhalten und brach völlig in Tränen aus.
Gegen viertel vor vier hatte ich mal auf die Uhr geschaut und war erstaunt, dass meine Eltern nicht aufgetaucht waren. Papa hatte mir zurückgeschrieben und meinte, dass er eh keine Zeit hätte, weil Opas Bandscheibe wieder am herumzicken war. Mom hatte noch nicht mal meine Nachricht gelesen und schon stand sie im Zimmer. Ich machte die Tastensperre rein und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht weg.
„Was ist denn los?", fragte sie mich und schmiss ihre Tasche am Fußende hin. Dann drückte sie mir einen Kuss auf die Stirn. „Wieso hast du geweint. Hast du Schmerzen?"
Ich schüttelte nur meinen Kopf. „Ich hab dir doch geschrieben, dass du nicht mehr kommen brauchst", schniefte ich.
„Mensch, joah, ich hab gekocht und Mina hat mich erschreckt. Mein Handy ist in den Kochtopf mit blubbernden Nudelwasser geflogen. Musste mir erstmal ein neues Handy holen. Das ist noch nicht eingerichtet."
Mama setzte sich neben mich ans Bett und griff nach meiner Hand. „Und wieso hast du geweint?"
„Wie sauer ist Papa auf dich?", stellte ich die Gegenfrage und blickte Mama an.
„Sauer auf mich?", sie stellte sich einfach dumm und ich riss meine Hand unter ihrer Hand weg.
„Stell dich nicht so dumm, Mama. Ich weiß es. Ich weiß, dass Papa nicht mein Papa ist, aber Onkel Marcel."
„Oh man", murmelte Mama und hielt sich die Hand an die Stirn. „Woher?"
„Ich hab zur Abwechslung mal in Biologie aufgepasst. Mir kam es Spanisch vor, dass Tugba mir Blut spenden konnte. Papa und du nicht. Das mit den Blutgruppen passt nicht. Das hat auch Thomas gesagt."
„Welcher der zehntausend?"
„Solins Papa."
„Ja, du bist nicht Marcos Sohn. Marco hat einen Vaterschaftstest machen lassen und da wurde das noch mal bestätigt."
„Solin hat es mir gesagt."
„Hm."
„Wehe du machst sie deswegen an, oder so. Ich hab das Puzzle angefangen und sie hat mir dabei geholfen, dass ein Stück zu beenden."
„Dann hat sie dir sicherlich auch erzählt, dass Papa bei Oma und Opa lebt und ich mir jeden Tag beleidigen anhören muss, obwohl es..."
„In der Pause mit Papa war. Er soll nicht so tun, als wäre er unschuldig", motzte ich herum. „Er hat damals mit Caro gevögelt und du eben mit Marcel."
„Das weißt du auch."
„Ja."
Mama wollte wieder nach meiner Hand schnappen, aber ich zog diese zurück. Frustriert schaute sie mich an und dann wieder weg. „Ich kann verstehen, wenn du sauer auf mich bist und du mich erstmal nicht sehen willst."
„Bin nur enttäuscht und traurig. Mein richtiger Vater ist tot und der Typ, der mich all die Jahre aufgezogen hat, ist gar nicht mein richtiger Vater. Ist total beschissen. Vor allen Tagen, wenn vor mehr als einer Woche jemand versucht hat meine Mannschaft und mich in die Luft zu jagen."
„Darf ich dich bitte in den Arm nehmen?", fragte Mama mich unsicher und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkel.
„Ich bitte dich darum", sagte ich und rutschte zu Mama, die sofort ihre Arme um mich schlang. Ich schlang meine Arme um ihre Hüfte und drückte mich an sie. „Ich hasse dich nicht, Mom. Ich liebe dich."
„Ich liebe dich auch, mein Schatz", flüsterte Mom und drückte mir einen Kuss aufs Haar. „Soll ich dir deine Haare waschen? Nicht das die aus der Küche, die ausquetschen, um an Fett für die Fritteuse zu kommen."
Ich liebte meine Mom einfach. Auch wenn mir gerade nicht zum Lachen zu Mute war und ihr auch nicht, versuchte sie es. Sie versuchte, ein bisschen Positives in die Situation zu bringen. Das machte sie schon immer. Und das liebte ich an ihr. Denn dann sind für ein paar Sekunden die Sorgen vorbei und war für einen kleinen Augenblick glücklich.
Ich konnte meine Mutter nicht hassen. Ich konnte es einfach nicht. Ich war nicht sauer auf sie, ja, ich war enttäuscht, dass ich doch nicht Marcos Sohn war, sondern von Marcel. Ich war traurig, dass Marcel das niemals erfahren würde. Ich wüsste auch gar nicht, wie sich das auf die Freundschaft zwischen Marco und Marcel ausgeübt hätte. Für manche war mein Verhalten gerade unverständlich. Vor allen Dingen, dass ich nicht wütend auf meine Mutter war und ihr eine Szene machte. Ich verstand sie. Sie war deswegen selber total fertig und brauchte keine weitere Person die sie fertig machte. Und vor allen Dingen nicht ihren ersten Sohn, der sie auf einmal verabscheute. Was ich nicht tat. Jeder Mensch macht Fehler, jeder. Und? Wir können doch verzeihen, oder? Und ich hoffte, dass Dad sich dann zusammen riss, wenn ich das schon kann. Wie gesagt. Ich liebte meine Mom. Mit all ihren Macken und Kanten, auch wenn sie mich damals ziemlich genervt hatte. Aber ich kann sie um Himmels Willen nicht hassen. Nein, was wäre ich für ein widerlicher Sohn, wenn ich es täte.
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