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Das Gedränge war dicht, als Jasper, Noah und Lily sich durch die Menge schlugen, um zu dem Landeplatz der Portschlüssel zurückzukehren. Sie hievten ihre Koffer hinter sich her, die Sonne brach durch die Wolkendecke und brachte sie zum Schwitzen.
Sie redeten nicht viel, Noah hatte irgendetwas im Zelt vergessen, Jasper verbot ihm, zurückzulaufen. Am Wegrand verkauften Händler Vergrößerungsgläser und Fanartikel für das Spiel. Kleine Figuren aus Messing bildeten die unterschiedlichen Quidditchspieler nach und es gab Hüte, die laut die Nationalhymnen grölten.
„Denkst du, du wirst es bereuen, das Spiel nicht zu sehen?", fragte Lily als sie bemerkte, wie starr Jasper versuchte, an den Auslagen der Verkäufer vorbei zu blicken. Er antwortete ihr nicht, sondern zuckte nur mit den Schultern. Noah, der ein paar Schritte hinter ihnen ging, schob sich neben Lily. „Ich denke nicht, dass ich es bereuen werde. Quidditch war noch nie so mein Fall." „Aber du gehst immer hin", wandte Lily sich jetzt an ihn. „In Hogwarts, meine ich. Bei einem Spiel habe ich dich das erste Mal gesehen, du hast Jasper zu gewinkt. Ich dachte, du wärst ein Hufflepuff, du hattest so einen Schal an."
Noah fasste sich an die Stirn. „Stimmt, das hatte ich schon ganz vergessen. Das war, als du noch gar nicht wusstest, dass wir Brüder sind." Er stieß Jasper spielerisch mit dem Ellenbogen in die Seite. Lily schnaubte leise. „Ja, auf die Idee mir das mitzuteilen ist er erst ein bisschen später gekommen."
„Er schlägt vor, dass wir aufhören herumzualbern und so tun, als dürften wir alleine mit dem Portschlüssel verreisen." Hinter Jaspers Rücken zog Noah eine warnende Grimasse in Lilys Richtung. Die Schlange für die Portschlüssel zurück nach London war um einiges kürzer, als die der Anmeldungen für den Zeltplatz zur Weltmeisterschaft.
Der alte Zauberer, der sie bediente, wirkte übermüdet und setzte ihre Namen im Schneckentempo auf eine Liste, bevor er sie in eine zweite Schlange dirigierte. Zu Lilys Erleichterung mussten sie sich nicht ausweisen, sondern konnte einfach so weitergehen.
„Woher hast du das Geld?", wisperte Noah, nachdem Jasper einer noch erschöpfteren Hexe ein paar Sickel und Galleonen in die Hand gedrückt hatte. „Familienkasse", gab Jasper nüchtern zurück und Noah zog missbilligend die Augenbrauen zusammen. Während sie noch darüber diskutierten, ob Jasper das Geld gestohlen oder ausgeliehen hatte, blinkte der Portschlüssel auf. In letzter Sekunde bekamen Noah und Jasper ihn noch zu fassen, dann drehte sich die Welt.
In der Küche der Hauselfen in Hogwarts hatte Lily einmal dabei zugesehen, wie Abby und die anderen Nudeln machten. Man stellte einen Teig her, der hinterher durch eine Presse gedrückt wurde. Mit dem Portschlüssel zu reisen fühlte sich genauso an. Man wurde in die Luft geschleudert, dann wurde die Kurbel gedreht und man flog durch Raum und Zeit.
Die Luft in London war anders als auf der großen Wiese. Sie landeten in dem weißen Raum, von dem aus sie in den Winterferien nach Blanche neige aufgebrochen waren. Es wurde langsam Abend, als sie mit ihren Koffern vor dem Eingang einer Mietswohnung in der Nähe des Eingangs zur Winkelgasse standen.
Mit aufgeblasenen Backen legte Jasper den Kopf in den Nacken und sah an der Fassade empor. „Wir müssen in den vierten Stock und haben keinen Schlüssel", stellte er trocken fest. Lily besah die Glasfenster der Eingangstür. „Wir könnten die einschlagen und durchklettern", überlegte sie laut und verzog das Gesicht. „Aber wir sind noch in einem Muggeldistrikt. Das bedeutet, wenn wir hinterher Reparo verwenden, ist das ziemlich auffällig." „Und Alohomora funktioniert auch nicht. Das erste, was Dad bei Türen macht, ist, sie vor Alohomora zu schützen."
Resigniert ließ Lily sich auf ihren Koffer fallen. An der Fassade führte eine Regenrinne empor, aber es wirkte geradezu lächerlich, zu versuchen, daran hochzuklettern. Jasper kratzte sich am Hinterkopf, nur Noah sah zuversichtlich aus.
Kopfschüttelnd ging er zur Haustür und begutachtete das kleine Brett mit Knöpfen, das an der Wand daneben angebracht war. „Was machst du?", fragte Jasper misstrauisch. „Ich war Dad häufiger besuchen als du", sagte Noah abwesend und drückte auf einen der Knöpfe. „Mrs. Smitth hat einen Zweitschlüssel."
Wenig später standen sie in der Wohnung im vierten Stock. Durch die großen Fenster hatte man einen beeindruckenden Blick über die Silhouette Londons. Eine Wand aus groben Ziegelsteinen trennte das geräumige Wohnzimmer von dem Flur, von dem aus Türen ins Bad und in ein Schlaf- sowie Ankleideraum freigaben. Das Wohnzimmer ging offen in eine Küche mit vorgelagerter Bar und Barhockern über.
„Nicht schlecht", bemerkte Lily anerkennend. Noah war inzwischen ins Schlafzimmer vorgegangen. „Das Bild steht nicht mehr auf dem Nachttisch", sagte er nur, als er wiederkam. Sein Blick war unnahbar geworden.
Jasper blinzelte und wich Noahs Blick aus. Lily tat so, als würde sie sich auf einmal brennend für die großformatigen Fotografien interessieren, die im hinteren Teil des Wohnzimmers die Wände einnahmen.
Man bemerkte erst nach einigen Sekunden, dass es magische Fotografien waren, sie bewegten sich kaum. Es war viel mehr ein leises Flimmern, was ihren wahren Ursprung verriet. Sie dachte an das Foto, was aus Jaspers Buch gefallen war. Und an den Brief von Rosalie. Lily hörte, wie sich Noah und Jasper leise unterhielten und sah sich die Bilder noch einen Moment länger an.
Am Abend kochte Jasper etwas aus den Resten, die sie in der Küche gefunden hatten. Es schmeckte überraschend gut, auch wenn Noah behauptete, wegen der Mahlzeit für den Rest seines Lebens nach Knoblauch riechen zu müssen.
Als Lily schließlich alleine im Dunkeln auf dem Sofa im Wohnzimmer lag, fühlte sie sich, als neige sich ein unendlich langer Tag dem Ende. Am Morgen war sie noch in Albanien gewesen und jetzt befand sie sich in London und war in eine Wohnung eingebrochen.
Jasper hatte ihr angeboten, mit ihr zu tauschen und ihr das Bett zu überlassen, aber Lily war gerne auf die Couch ausgewichen. Es klang wie aus einem Artikel des Klitteres in der Abteilung Verschwörungstheorien, aber im Moment hatte sie das Gefühl, bei Jasper und Noah in einer Wolke aus drückender Energie gefangen zu sein. Obwohl es alleine auf dem Sofa auch nicht besser war.
Lily wälzte sich hin und her und fand keine Position, in der sie einschlafen konnte. Einige Minuten, vielleicht waren es auch Stunden gewesen, döste sie ein. Aber die Bilder an der Wand erinnerten im Dunklen an schwarze Löcher und wenn sie aufschreckte, hatte sie das Gefühl, von ihnen angezogen zu werden.
Ihr Flirren und mysteriöses Schimmern erinnerte Lily an den Kreis, den sie mit Jasper beim Saubermachen der Boote entdeckt hatte. Der Kreis gegenüber von dem Spiegel, der nach einer Berührung entzwei gebrochen war.
Sie verspürte einen großen Kloß im Hals und konnte kaum noch schlucken. Alles schien enger zu werden und auf sie zu zurasen. Lily massierte sich die Schläfen und setzte sich auf. Draußen, hinter den durchscheinenden Vorhängen und den Fensterscheiben lag London mit all seinen blinkenden Lichtern. Und Kilometer entfernt saß vielleicht Sev im Spinners End in seinem Ohrensessel und las ein Buch. Und auf dem Gelände der Weltmeisterschaft hatten sich die Gewinner vielleicht schon entschieden.
Noahs und Jaspers Eltern musste es schon aufgefallen sein und auf der Liste der Portschlüssel würden sie ihre Namen entdecken. Lily fragte sich, was sie unternehmen würden. Was Sev an ihrer Stelle getan hatte. Sie seufzte leise und spürte, wie ihr ein Schauer über den Nacken lief.
Der Raum erschien ihr plötzlich zu stickig und sie öffnete ein Fenster. Auf Zehenspitzen, um Noah und Jasper nicht zu wecken, machte sie sich auf den Weg ins Bad, um ein paar Schlucke zu trinken und sich etwas Wasser ins Gesicht zu spritzen.
Sie hätte beinahe einen lauten Schrei ausgestoßen, als schon jemand auf der Toilettenschüssel saß, als sie die Tür aufstieß.
Die Toilettenschüssel war geschlossen und soweit es Lily erkennen konnte, trug Noah noch vollständig seinen Schlafanzug, trotzdem blieb sie im Türrahmen stehen. „Na, kannst du auch nicht schlafen?", fragte er mit einem müden Lächeln und zog die Beine an.
„Nicht wirklich", gab Lily zurück. „Das ist nicht fair, Jasper schläft schon seit Stunden wie ein Murmeltier." Sie lachte leise. „Essen, Schlafen und Quidditchspielen. Darin ist Jasper gut." „Man könnte fast sagen, in allen wichtigen Bereichen des Lebens", bemerkte Noah spöttisch. „Und dann gibt es da noch andere Bereiche des Lebens, da hat er nichts drauf", führte Lily seinen Satz weiter und lehnte sich gegen den Türrahmen.
„Du bist ihm wichtig, Noah. Jasper kann das nur nicht so gut zeigen", sprach sie weiter. Ein unbenutzt aussehender Becher stand auf einem der Regalböden neben Waschbecken und Spiegel. Lily nahm ihn und hielt ihn unter den Hahn. „Nicht so gut", wiederholte Noah ihre Worte und schnaubte amüsiert. „Zugegeben, das ist eine Untertreibung. Aber du weißt schon, was ich meine", pflichtete Lily ihm lächelnd bei und kehrte an ihren Platz im Türrahmen zurück.
„Denkst du, das wird sich wieder geben?", fragte er nach einer Weile. Lily ließ sich Zeit, bevor sie antwortete. „Ich denke, es wird besser werden, wenn die Schule wieder anfängt. Quidditch, Malfoy und der Verwandlung bei McGonagall... Du weißt schon, das hebt die Stimmung." Sie zwinkerte ihm zu. „Gute Nacht, Noah. Und ich bin froh, dass du mitgekommen bist."
Selbst im Dunklen erkannte Lily, wie er die Augen verdrehte. „Wir wissen beide, dass Jasper niemals zugelassen hätte, dass ich mitkomme, wenn du ihn nicht überredet hättest." Sie zog die Schultern hoch. „Auch wieder wahr", grinste Lily, bevor sie sich umdrehte und Noah wieder alleine im Bad zurückließ.
Das Sofa war nicht halb so bequem wie es aussah und gerade als sie meinte, endlich eingeschlafen zu sein, taperte Noah vom Bad zurück ins Schlafzimmer. Am nächsten Morgen erwachte Lily mit der Sonne und einem klatschenden Geräusch. Über die verglaste Balkontür zog sich Vogeldreck, eine Feder segelte zu Boden. Draußen lag eine neue Ausgabe des Tagespropheten auf einem Stapel weiterer Zeitungen.
Widerstrebend schälte Lily sich aus der warmen Bettdecke und öffnete mit einem leisen Knarzen die Tür. Sie hatte eine große Verkündigung des Quidditch-Weltmeisters erwartet, als sie die Titelseite in der Hand hielt, glaubte sie zunächst, sich im Tag geirrt zu haben. Aber es war ohne Zweifel das richtige Datum. Sie las die Schlagzeile: Szenen des Grauens bei der Quidditch-Weltmeisterschaft. Darunter prangte ein körniges Bild des Dunklen Mals über den Baumspitzen.
Lily spürte, wie sich auf ihren Armen eine Gänsehaut ausbreitete. Das Dunkle Mal. Sie hatte es auf Sevs Unterarm gesehen. Präzise gesetzte Nadelstiche. Das Foto zeigte ein waberndes Wolkenkonstrukt, das den Nachthimmel zum Glühen brachte. Mit angehaltenem Atem überflog sie den Artikel.
Nach Stunden des Feierns bricht Panik aus ... mehrere vermummte Gestalten überfallen Muggel und Muggelstämmige ... Augenzeugen berichten von Leichen ... das Zaubereiministerium zeigt sich überfordert ... unzureichende Sicherheitsvorkehrungen ... keine Festnahmen ... Sprecher kündigte an, bei zukünftigen Veranstaltungen Sicherheitstrolle ...
Lily schluckte und ließ die Zeitung zitternd sinken. Ihre Augen sprangen zum nächsten Absatz. Interviews von Augenzeugen siehe Seite fünf ... Haben die Todesser unsere Kinder verschleppt? Unsere Sonderreporterin Rita Kimmkorn berichtet.
Sie musste Sev schreiben. Fahrig fuhr Lily sich durch die Haare. Aber sie hatte keine Eule. Und es dauerte zu lange. Er war bestimmt schon außer sich vor Sorge. Oder ganz im Gegenteil. Lily erstarrte. Was, wenn er davon gewusst hatte?
Kaum hatte der Gedanke in ihrem Kopf Gestalt angenommen, verwarf sie ihn wieder. Dann hätte er sie niemals alleine zurückgelassen. Und außerdem, Sev hatte keinen Kontakt mehr zu alten Freunden. Das versuchte Lily sich zumindest einzureden, während sie jede Überlegungen über Lucius Malfoy auf später vertagte.
Suchend irrte ihr Blick durch das Wohnzimmer. Neben dem Kamin stand ein kleines Porzellangefäß. In blauen Lettern trug es die Aufschrift Flohpulver. Lilys Herz trommelte gegen ihre Brust, als sie sich dem Kamin näherte und ihre Fingerspitzen kribbeln spürte. Noah und Jasper schliefen noch. Sie musste das Risiko eingehen, es würde schon nicht schief gehen.
Kurzerhand nahm Lily ein paar der alten Zeitungen vom Balkon, knüllte sie zusammen und entfachte ein Feuer. Nachdem es eine ausreichende Größe erreicht hatte und aus dem Schlafzimmer immer noch kein Mucks zu hören war, streute Lily eine Prise Flohpulver in die Flammen.
Sie färbten sich grün und Funken stoben zu allen Seiten. „Spinners End", flüsterte sie, dann kniete Lily sich hin und steckte ihren Kopf in die Flammen. Die Hitze stieg ihr ins Gesicht, ein Luftzug ließ sie Asche einatmen. Ein Husten unterdrückend, murmelte Lily wieder „Spinners End". Dann verschwamm die Glut vor ihr und die Kamine Londons glitten an ihr vorbei.
In nächster Zeit werde ich nicht die Zeit finden, mir die Kapitel vor der Veröffentlichung ein zweites Mal durchzulesen und alle Fehler zu korrigieren. Ich hoffe, der Schreibstil leidet nicht zu sehr darunter und die Rechtschreibfehler halten sich noch einigermaßen in Grenzen :) Schönen Sonntag, euch allen. Sonntag, ja ich weiß. Der Upload kam leider 38 Minuten zu spät :D
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