5. Kapitel
Jetzt
Ich bin früher wach als Kendra und ich blicke durch die Holzlatten nach draußen. Die Sonne geht auf und die ersten Sonnenstrahlen leuchten in die Hütte hinein.
Was soll ich hier schon großartig machen, außer die Holzwände anglotzen, oder in alten Erinnerungen von mir schwelgen? Eine weitere Unterhaltung mit Kendra kann ich auch nicht führen, da diese immer noch tief und fest am schlafen ist.
In Gegensatz zu den anderen Nächten zuvor, scheint, als würde sie sich ausnahmsweise sicher genug fühlen und ruhiger schlafen. Ob es daran liegt, dass wir beide uns endlich unterhalten haben und sie weiß, dass von mir keine Gefahr ausgeht? Weil sie weiß, dass ich ein Polizist bin?
Ach, keine Ahnung. Meine Gedanken schweifen schon wieder ganz durcheinander in meinem Kopf und ich versuche irgendwas zu finden, irgendeine Kleinigkeit, die mir eine Flucht ermöglichen kann.
Aber, alles ist beim Alten, genauso wie meine Ideen, wie ich mich aus dieser bescheuerten Situation befreien kann. Mir fällt einfach nichts ein.
Noch nie habe ich mich so hilflos in meinem Leben gefühlt, wie jetzt. Nicht bei Tristans Tod, nicht mal bei den härtesten Fällen die ich durchmachen musste. Das hier, ist schlimm genug, alleine, weil ich Kendra nicht helfen kann.
Auch wenn ich meinen Mund aufreiße, hält es den Maskenmann, der vermutlich Pastor Abrahams ist, nicht von seinem abendlichen Vorhaben ab sich an Kendra zuvergehen.
Es verstreichen einige Minuten, vermutlich auch einige Stunden, denn die Sonne ist ein wenig über die Hütte gewandert und mein Zeitgefühl ist sowieso für die Tonne, da erwacht auch endlich Kendra aus ihrem tiefen Schlaf.
»Ich dachte schon, ich muss heute Selbstgespräche führen«, grüße ich erleichtert, als sich das Mädchen mit der blassen Haut auf der quietschende Pritsche aufsetzt.
Irritiert blickt sie zu mir. »Ich bin gerade erst aufgewacht. Texte mich nicht voll, Sam«, fleht sie verschlafen und wirft mir einen genervten Blick zu.
Beschämend weicht sie meinen Blick aus, als sie die Decke über ihre entblößte Brust zieht und auch ich schaue weg. Das Letzte was ich will, dass sie mich als perversling abstempelt.
»Sorry, mir ist nur so langweilig«, gestehe ich und starre an die Wand in der gegenübergesetzten Richtung von Kendra.
»Wir können ja gleich auf unseren Pferden ausreiten«, kommentiert Kendra sarkastisch. Ich wende vorsichtig meinen Blick zu ihr. Kendra sitzt in der Decke eingewickelt auf der Pritsche und lässt ihre dünnen Beine von der Pritsche fallen, während sie mir einen nachdenklichen Blick zu wirft. »Aber vorerst bin ich dir dankbar, wenn du dich mit dem Rücken zu mir drehst, weil ich... nunja... pinkeln muss.«
Eindringlich blickt mich das Mädchen an. »Nur weil wir gleich mit den Pferden ausreiten werden. Ausnahmsweise«, stöhne ich, als ich mich unter Schmerzen mit dem Rücken zu dem Mädchen drehe.
»Ich hab immer... immer wenn du geschlafen hast, habe ich gepinkelt. Mir ist das zu peinlich. Könntest du irgendwas singen, oder so?«
Ich schnaube belustigt. »Ich singe alles bis auf Taylor Swift, oder One Direction.«
»Was hast du gegen One Direction? Das ist die beste Boyband auf den Planeten und das sage ich nicht nur als Fangirl.«
»Natürlich, sagst du das nicht als Fangirl und du haust da einige Widersprüche an sich raus, Kendra.« Ich atme tief durch. »Okay, welches Lied von denen?«
»Warte«, gluckst sie. »Du kannst diese Band nicht ausstehen, so angewidert, du gerade den Namen gesagt hast, aber kennst einige Lieder von denen?«
»Na, auf Streife und ich Radio bleibt halt einen nichts anderes übrig«, gestehe ich. »Und gefühlt spielen Radiosender immer nur dieselben zehn Lieder. Also...«
Kendra scheint nachzudenken, während irgendwas über den dreckigen Holzboden gezogen wird. »Naja, mein momentanes Lieblingslied ist Story Of My Life. Kennst du das?«
»Das läuft noch immer im Radio rauf und runter.«
»Selbst schuld. Wer hört heutzutage noch Radio? Es gibt Spotify und der Kram. Da kannst du dir aussuchen, was du hören willst. Nur alte Menschen, hören Radio.«
»Falls du es vergessen hast. Ich bin einunddreißig. In deinen Augen schon alt und ranzig. Und das Letzte was das Chicago Police Department seinen Mitarbeitern bezahlt, ist ein Spotify Premium Abo. Wir müssen selbst die eigene Dienstwaffe kaufen- und die Zweitwaffe.«
»Schön. Singst du heute noch, oder muss meine Blase explodieren?«, fragt sie genervt.
Widerwillig fange ich an dieses verhasste Lied, welches sich ganz gut in sämtliche Hirne bohren konnte, an zu singen. Dabei versuche ich, sämtliche Geräusche von Kendra zu überhören, was nicht sonderlich gut klappt, aber ich lasse mich davon nicht aus der Reihe bringen und singe weiter.
»Danke«, sagt sie kleinlaut. Ich höre abrupt auf zu singen und warte auf ein weiteres Zeichen, dass ich mich wieder umdrehen kann. Sie schiebt wieder irgendwas von sich weg und dann quietscht die Pritsche unter der Bewegung von Kendra.
»Deine Stimme ist gar nicht mal so schlecht.«
Ich drehe mich wieder um und zucke gleichgültig mit den Schultern. »Kann sein. Interessiert mich nicht wirklich.«
»Du musstest deinen Sohn bestimmt oft vorsingen, als er ein Baby war, oder?«
Ich seufze und kratze mir die Nasenspitze, während ich mich zurück an die Wand lehne und Kendras bohrenden Gesicht ausweiche. »Ich habe Tristan erst zu mir geholt, da war er fünf. Er hat vorher bei seiner unfähigen Mutter gelebt.«
»Hört sich so an, als hätte sie sich nicht sonderlich gut um ihn gekümmert?«
Ich nicke. »Melissa ist keine sonderlich gute Mutter gewesen. Tristan ist in Chicago aufgeblüht, man sah ihn an, dass eine gesunde Familie und Umgebung ihn wirklich gut taten. Er liebte meine Schwester und meine Eltern abgöttisch... Melissa ist wie ihre Familie ein hoffnungsloser Fall gewesen.«
»Ähm, du redest von ihr in der Vergangenheitsform. Ist sie ebenfalls...«
»Sie starb letztes Jahr. Eine lange Geschichte.« Ich mache eine Handbewegung die zeigen soll, dass ich nicht wirklich über Melissa reden will, aber Kendra will das Gespräch noch nicht beenden.
»Wenn du nicht über deine Ex-Freundin reden willst, rede mit mir über was anderes. Wer weiß, wie lange wir hier noch sitzen werden. Erzähl mir etwas von deiner Familie, über dein Leben, deiner Arbeit, irgendwas. Ich will nicht vor Langeweile sterben müssen.«
Ich denke nach. »Was willst du denn über mich wissen. Ich sagte dir meinen Namen, mein Alter, woher ich komme, was mein Beruf ist und ich erzählte dir ein wenig von meinem Sohn. Mein Leben ist nicht sonderlich spannend.«
Kendra schnaubt und schüttelt den Kopf. »Ich glaube, ich habe mich verhört. Dein Leben hört sich spannender an als meins und auch wenn dein Privatleben langweilig sein sollte, was es ja offensichtlich ist, will ich etwas über deine spannende Arbeit als Cop erfahren.«
Leise lachend gebe ich nach. »Du bist ganz schön hartnäckig.«
Sie zuckt mit den Schultern. »Kann sein. Fang an. Erzähl mir etwas über deine Arbeit. Seit wann bist du Cop, wie bist du Detective geworden, wie sind deine Kollegen so drauf und gab es da die ein oder andere Affäre mit einer Arbeitskollegin?«
»Oh, die Affären gab es. Ich bin direkt nach der Highschool zur Police Academy und habe es mit einem Lauf geschafft, genau wie die Detective Prüfung. Bin seit einigen Jahren in einer speziellen Unit und arbeite für einen Freund meines Vaters. Mein Dad ist ebenfalls Polizist. Sergeant genaugenommen.«
»Deine Schwester... ist die auch ein Cop?«
Ich verneine kopfschüttelnd. »Meine jüngere Schwester ist Krankenschwester.«
»Wie viele Jahre seid ihr auseinander?«
»Zwei Jahre. Sie ist wirklich die beste kleine Schwester auf den Planeten und jetzt geht sie vermutlich durch die Hölle.«
Kendra mustert mich kurz. »Genau wie deine Eltern.« Sie blickt nachdenklich auf ihre lackierten Fingernägel. »Glaubst du sie suchen bereits nach uns?«
»Das will ich doch hoffen. Ich bin eine Ewigkeit nicht mehr auf der Arbeit erschienen und ich habe noch nie so lange unentschuldigt gefehlt. Ich weiß, dass mein Boss und meine besten Kollegen alles tun, um mich zu finden. Dafür lege ich meine Beine ins Feuer.«
»Ja, ich weiß noch nicht mal, wo wir sind. Ich hoffe, sie haben dort besseres Glück, um uns überhaupt zu finden.«
»Das hoffe ich auch.«
Kendra schaut auf und stellt mir wieder eine Frage. »Hat deine Schwester einen Freund oder lebt sie ihr Leben als Single?«
»Wir müssten den zwanzigsten Juli haben?«
»Ungefähr.«
»Dann ist sie in weniger zwei Monaten seit einem Jahr verheiratet.« Ich kann mir kein Lachen verkneifen. »Meine Schwester und ihr Freund wollten tatsächlich ohne Freunde und Familie ganz spontan im Standesamt heiraten. Hätte ich keine Kontakte dort, wäre das alles ohne uns abgelaufen. So schnell habe ich noch nie einen Teil der Familie und Freunde eingesammelt.«
»Hauptsache das hält zwischen den beiden.«
»Och, ich bin mir sicher, dass wird bis auf Ewigkeiten halten. Die beiden waren schon in der Highschool ein Paar, ihre Wege trennten sich für ein paar Jahre, man traf sich wieder und alles ging von vorne los. Sie haben bereits einen Sohn.«
»Das ist schön. Wie heißt er?«
»Jackson. Er ist vor einen Monat vier geworden. Ein Sonnenschein und der lernt schnell den Blödsinn den ich ihm beibringe.«
Und ich werde im Leben nicht mehr froh werden, wenn ich nicht weiter Teil von Jacksons Leben sein darf... oder dem von meiner kleinen, nervigen Schwester. »Wie auch immer. Erzähl mir mal etwas über dich. Tilden Highschool, also, Schülerzeitung... bist du in noch irgendwelchen AGs?«
Ich will nicht weiter über mein Leben reden, weil es mich innerlich einfach nur zerreißt und mir weh tut.
Alles was ich will, ist, nur nach Hause zu kommen, zu meiner Familie, zu meinen Freunden und diesen ganzen Mist der hier gerade abläuft vergessen.
Ich muss hier rauskommen. Ich muss Kendra und mich hier rausbekommen und Hilfe holen. Während Kendra über ihr Leben an der Highschool erzählt und ich zwischendurch interessiert Fragen einwerfe, kommt mir tatsächlich eine Idee, wie ich uns hier rausbekommen könnte.
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