Eine verhängnisvolle Verwechslung
Lily saß auf dem kleinen Sofa ihrer Einzimmerwohnung, die Beine angezogen, die Hände um ihre fast leere Kaffeetasse geklammert. Der Raum war erfüllt von einer Anspannung, die sie beinahe erstickend fand. Sie war es gewohnt, ihr Leben unter Kontrolle zu haben, doch nun schien alles aus den Fugen geraten zu sein.
Vor ihr, in ungewohnter Stille, saßen sieben Männer, die sie nicht kannte. Sie wirkten müde, angespannt und wachsam. Ihre Gesichter kannte Lily nicht – sie hatte sie nie zuvor gesehen. Sie sprachen eine Sprache, die sie nicht verstand; wahrscheinlich Koreanisch. Manchmal warf einer von ihnen ihr einen kurzen, forschenden Blick zu, nur um dann den Kopf wieder abzuwenden und leise mit den anderen zu flüstern. Keiner von ihnen sprach Deutsch, und nur einer, Namjoon, versuchte es mit etwas Englisch.
Lily hatte nie besonders viel mit Musik am Hut gehabt, schon gar nicht ausländische Bands. Vielleicht hätte sie sonst etwas an ihnen erkannt – sie schienen eine gewisse Präsenz zu haben, als wären sie es gewohnt, im Rampenlicht zu stehen. Doch Lily hatte keine Ahnung, wer sie waren. Für sie waren es einfach sieben fremde Männer, die durch ein tragisches Missverständnis in ihre Wohnung gelangt waren.
Ihr Handy lag noch immer auf dem Couchtisch, stumm und reglos. Kein Anruf von James, keine rettende Nachricht. Lily hatte geglaubt, James' Plan zu folgen, doch stattdessen war sie mit einer ganz anderen Gruppe aneinandergeraten. Sie hatte die Männer in ihr Auto gelassen, weil sie glaubte, es handle sich um die Leute ihres Bruders – doch sie hatte sich getäuscht, und jetzt saßen sie hier, in ihrer Wohnung, beide Seiten ratlos und nervös.
Namjoon, der offensichtlich als einziger ansatzweise Englisch sprechen konnte, trat vorsichtig einen Schritt auf sie zu. Sein Blick war aufmerksam, aber auch skeptisch. Er wählte seine Worte mit Bedacht: „This... misunderstanding," begann er langsam, „we thought you... were our driver. We had to change car... for safety." Er rang sichtbar nach den richtigen Begriffen.
Lily nickte, unsicher. „I... I thought you were someone else," gab sie zurück, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „I had reasons not to stop." Sie wollte nicht allzu tief ins Detail gehen – ihre Angst vor der Polizei, vor Enthüllungen über James' Pläne, ging diese Fremden nichts an. Aber sie hoffte, sie würden wenigstens verstehen, dass sie nicht mutwillig so gehandelt hatte.
Namjoon presste die Lippen aufeinander, dann versuchte er zu erklären: „Our real driver... was late. We saw your car. We got in. We thought it's arranged. When we understood it's not... it was too late. You didn't stop." Sein Tonfall war nicht anklagend, eher sachlich und bemüht, die Situation klarzustellen.
Lily atmete flach. So war es also gelaufen. Beide Seiten hatten sich gegenseitig für jemanden anderen gehalten. Sie schauten sich unsicher an. Von draußen drang nur der ferne Klang einer vorbeifahrenden Tram. Die Nacht war still, und die Männer vor ihr wirkten so fehl am Platz in ihrer kleinen, schäbigen Wohnung.
Auf einmal flammte eine leise Diskussion unter den Männern auf. Ihre Stimmen waren gedämpft, aber hektisch. Sie sprachen auf Koreanisch, und Lily verstand kein Wort. Sie konnte nur am Tonfall erahnen, dass sie angespannt waren, vielleicht stritten sie über den nächsten Schritt. Einer der Männer, den Lily vorhin dabei beobachtet hatte, wie er nervös mit den Fingern tippte, zog sein Handy hervor. Er sagte etwas, offenbar ein Vorschlag.
Namjoon drehte sich sofort um und hob abwehrend die Hand. „아니, 지금 연락하면 더 큰 문제야," hörte Lily ihn sagen, und obwohl sie die Worte nicht verstand, klang es nach einem deutlichen Nein. Der andere Mann wirkte verunsichert, steckte sein Handy aber zögerlich wieder weg. Vielleicht wollte er jemanden anrufen, einen Manager oder eine Vertrauensperson, doch Namjoon schien dagegen zu sein.
Lily spürte, wie ihr Herzschlag erneut anstieg. Sie wusste nicht, um wen es ging, wen diese Männer kontaktieren wollten. Manager? Vielleicht waren sie Musiker, eine Band oder ein Ensemble, das auf Tour war. Das würde erklären, warum sie so sehr darauf bedacht waren, unentdeckt zu bleiben. Aber sie kannte sie nicht, und sie war nicht besonders vertraut mit Popkultur oder internationalen Stars. Für sie waren es einfach fremde Reisende, die in einer brenzligen Lage steckten.
Jemand räusperte sich. Ein anderer Mann, etwas älter wirkend, sagte etwas Leises auf Koreanisch, dabei klang seine Stimme ein wenig beruhigend. Die Stimmung schien sich ein wenig zu glätten. Lily wollte sie verstehen, wollte wissen, warum keiner von ihnen nach Hilfe rufen durfte, doch ihr fehlten die Worte und das Verständnis für ihre Hintergründe.
Sie hob vorsichtig wieder den Blick zu Namjoon. „What... now?" fragte sie leise. „What do we do?" Ihre Angst vor der Polizei, ihre Ungewissheit wegen James, all das drückte schwer auf ihre Brust. Aber sie wusste auch, dass es keinen Sinn hatte, die Männer vor die Tür zu setzen. Das würde nur Chaos auslösen. Und sie konnten ja auch nichts dafür. Beide Seiten waren Opfer eines Missverständnisses.
Namjoon überlegte. Er blickte zu den anderen, die ihn aufmerksam betrachteten, als warte die ganze Gruppe auf sein Wort. Dann sagte er langsam: „We... must wait. Morning, maybe. We find a solution. No calls now. Too dangerous. For both sides." Sein Englisch war gebrochen, aber verständlich genug. Lily nickte stumm. Ein weiterer Mann seufzte leise, als sei er resigniert, aber gefügt.
Sie saßen da, die Sekunden zogen sich. Niemand wusste so recht, was als Nächstes geschehen würde. Lily versuchte, sich vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn die Sonne aufging. Würde sie dann eine Lösung haben? Würden die Männer einen Weg finden, ihre Reise fortzusetzen, ohne Aufsehen zu erregen? Würde James sich melden und alles erklären?
In diesem Moment schien es, als müssten sie einfach miteinander auskommen, so seltsam die Situation auch war. Lily war nicht glücklich darüber, aber sie begriff, dass dies kein Moment für Schuldzuweisungen war. Sie waren alle in einem heiklen Balanceakt gefangen: Sie wollte keinen Ärger mit der Polizei, sie wollten keinen öffentlichen Aufruhr. Und so hingen sie zwischen Angst, Missverständnis und unfreiwilliger Gemeinsamkeit.
Langsam ließ Lily ihre Schultern sinken. Sie war erschöpft. Auch die Männer sahen müde aus. Vielleicht war es besser, einfach durch die Nacht zu kommen und am Morgen weiterzusehen. Immerhin waren sie hier drinnen sicher – sicher vor Paparazzi, Fans oder was auch immer die Männer beunruhigte, und sicher vor Polizeikontrollen auf offener Straße, vor denen Lily so viel Angst hatte.
So verharrten sie, jeder auf seiner Seite der Sprachbarriere, mit nur wenigen gestammelten englischen Worten als Brücke. Eine Verwechslung hatte sie zusammengeführt, und nun musste die Zeit zeigen, ob sie den Weg auseinander wiederfanden, ohne dass alles im Chaos endete.
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