9. Türchen
Heute erwartet euch der OS der Lieben @Schneestern37
Viel Spaß beim Lesen!
»Mr Wood, Mr Flint!«
Professor McGonagalls Stimme hallte durch den Korridor und ließ Oliver Wood und Marcus Flint mitten in der Bewegung innehalten - die Zauberstäbe erhoben und einander taxierend - Flint mit einem gehässigen Grinsen im Gesicht, Wood mit hochrotem Kopf, der die größte Mühe hatte sich zu beherrschen. Hinter ihnen segelten die Fetzen eines Wandteppichs zu Boden, der von einem ihrer Flüche getroffen worden war.
»Was wird das, wenn ich fragen darf?«, fragte die Professorin mit scharfer Stimme.
»Duell«, knurrte Flint, den Zauberstab noch immer auf Oliver gerichtet.
Oliver ließ den Slytherin nicht aus den Augen und machte ebenso wenig Anstalten, den Zauberstab wegzustecken.
»Sie beide dürften inzwischen wissen, dass das Duellieren auf den Korridoren strengstens verboten ist. Die Zauberstäbe weg.«
Oliver gehorchte nur widerwillig und steckte den Zauberstab langsam in den Umhang, Flint ihm gegenüber tat es ihm gleich.
Sie wandte sich Oliver zu und sah ihn wütend an. »Gerade von Ihnen, Wood, hätte ich mehr erwartet.«
»Ich wurde provoziert, Professor«, erwiderte Wood zähneknirschend.
»Oh, und wir alle wissen von Ihrem ruhigen und ausgeglichenen Gemüt«, sagte Professor McGonagall mit schneidender Stimme. »Herrgott, Wood, dann reißen Sie sich zusammen!« Sie wandte sich nun Flint zu. »Sie können sich darauf verlassen, dass ich Professor Snape darüber in Kenntnis setzen werde.«
Flint grinste selbstsicher. Er wusste genau so gut wie Oliver, dass Snape seinen Schülern alles durchgehen ließ.
»Außerdem werden Sie beide nachsitzen«, fuhr Professor McGonagall fort.
Flints wurde sein Grinsen aus dem Gesicht gewischt. Oliver entgleisten alle Gesichtszüge. »Aber Professor, in einer Woche ist das Quidditchspiel! Die Gryffindors müssen trainieren!« Wenn sie das Spiel gegen Slytherin verlieren würden, wenn er gegen Flint verlieren würde, konnten sie den Quidditchpokal so gut wie vergessen.
Auch Professor McGonagall schien das durch den Kopf zu gehen. Eine Weile musterte sie die beiden Schüler vor sich scharf. »Nun gut«, sagte sie schließlich. »Ich sehe ein, dass Sie beide als Kapitäne trainieren müssen. Ich werde Sie nicht nachsitzen lassen.«
Oliver atmete erleichtert aus.
»Sie beide werden gemeinsam trainieren.«
»WAS?!«, riefen Wood und Flint gleichzeitig.
»Keine Widerrede!«, sagte Professor McGonagall streng, »Morgen Abend werde ich sie trainieren sehen.« Sie wandte sich zum Gehen. »Und, bei Merlin, lassen Sie das Quidditchfeld heil!« Mit diesen Worten war sie verschwunden und ließ die beiden Kapitäne zurück, die ihr fassungslos hinterhersahen.
~ ★ ~
Oliver war am nächsten Abend gerade auf dem Weg zum Quidditchfeld, als Marcus Flint ihm von den Treppen entgegenkam, die von den Kerkern heraufführten. Wie Oliver selbst trug er seinen Quidditch-Umhang und hatte seinen Besen geschultert. Ein selbstsicheres Grinsen lag auf seinem Gesicht. »Ich hoffe du hast dich warm angezogen.«
Olivers Laune erreichte einen neuen Tiefpunkt. Er sah Flint missmutig an, als sie durch das Schlossportal traten. »Wir sollen gemeinsam trainieren. Wir sollen uns nicht die Zähne ausschlagen, Flint.«
Den ganzen Tag über hatte es heftig geschneit. Das Schlossgelände lag unter einer dicken Schneedecke und noch immer trieben einige Flocken über den trüben, grauen Himmel.
»Und wie stellst du dir das vor?«, fragte Flint, der neben ihm durch den Schnee stapfte. »Ich bin Jäger, du bist Hüter. Natürlich spielen wir gegeneinander.«
»Das mein ich nicht. Ich meine, dass wir, wenn wir schon miteinander trainieren müssen, das wenigstens auch sinnvoll nutzen sollten. Teamplay. Nicht so ... naja, wie wir eben immer gegeneinander spielen.«
»Aggressiv, ehrgeizig? Um jeden Preis gewinnen wollen? Genau das ist doch das beste Training. Ich bin der beste Jäger der Schule. Du bist der - naja ... du bist ein ganz passabler Hüter. Voller Einsatz für uns beide.«
Oliver unterdrückte ein Grinsen.
»Was?«, fragte Flint.
»Nichts.«
»Was?«
»Das war jetzt aber knapp. Beinahe wär' dir ein Kompliment rausgerutscht, Flint.«
»Halt die Klappe, Wood.«
Sie trainierten verbissen. Bereits nach einer Stunde war Oliver heiser - teils von der Kälte, teils von den Phasen, in denen er und Flint sich gegenseitig angeschrien hatten. Doch er bemerkte, was Flint gemeint hatte: Das Training mit Flint forderte ihn wie kaum eines seiner Gryffindor-Trainings. Flint war ihm absolut ebenbürtig - vielleicht sogar ein bisschen mehr als das - und beanspruchte seine Fähigkeiten als Hüter mehr als er hätte zugeben wollen. Außerdem hielten ihn die gelegentlichen Wutausbrüche warm.
Trotz allem war er eine weitere Stunde später mehr als durchgefroren. Außerdem begann es immer stärker zu schneien.
Sie einigten sich auf ein letztes Match. Zehn Würfe. Nach den ersten vier hatte Flint zwei Quaffel verwandelt - zwei hatte Wood gehalten.
»Zusatzbedingung!«, rief Flint durch den Schnee zu ihm hinüber. »Der Verlierer finanziert dem Gewinner einen Besuch in den Drei Besen.«
Ein Grinsen breitete sich auf Olivers Gesicht aus. Jetzt wurde es spannend. »Abgemacht.«
~ ★ ~
»Flint!« Wood stapfte wütend durch das Schneetreiben, dem dunklen Haarschopf in grünem Slytherin-Umhang hinterher, sich seinen Weg durch die dichte Schneedecke bahnend.
Marcus Flint wandte sich zu ihm um, lief ein paar Schritte rückwärts. »Was ist los, Wood? Bist du eingeschneit?« Er grinste.
Oliver schnaubte und beschloss, nichts zu erwidern. Morgen würde er ohnehin heiser sein, er spürte bereits die sich anbahnende Erkältung. Er richtete den Blick fröstelnd gen Himmel. Schneeflocken trieben dicht über den dunkler werdenden Himmel, legten sich auf ihre Schultern und Kapuzen und schneiten das kleine Dorf vor ihnen ein.
Flint vor ihm war stehengeblieben, wartete, bis Oliver aufgeschlossen hatte und sie wieder schweigend nebeneinander her liefen. Oliver war zu durchgefroren, um sich darüber zu wundern. Er warf Flint lediglich einen kurzen Blick zu, ehe er sich wieder nach vorne wandte. »Das war eine hundsmiserable Idee von dir, Flint«, sagte Wood und zog zitternd seinen Umhang enger um seine Schultern.
»Hör auf zu jammern, Wood«, erwiderte Flint. »Du wirst es mir noch danken. Wenn wir erst einmal in den Drei Besen sind -«
»Woher willst du wissen, dass es überhaupt noch offen hat?«, unterbrach ihn Oliver.
Flint sah ihn verständnislos an. »Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«
Oliver zog fragend die Augenbrauen hoch.
Flint lachte und trat gegen einen Schneehaufen. »Du warst noch nie abends in Hogsmeade? Hast du dich nie heimlich in die Drei Besen geschlichen?«
Oliver schüttelte widerwillig den Kopf. Er richtete den Blick auf die ersten verschneiten Häuser des Dorfes und wartete auf einen dummen Kommentar seitens des Slytherin-Kapitäns.
»Du verpasst echt was«, sagte Flint schlicht, dann verfielen sie wieder in Schweigen.
Das Gasthaus war bereits vorweihnachtlich geschmückt. Tannenzweige zierten die Fenster, über dem Eingang rankte sich eine magische Lichterkette und an dem Schild über der Tür hing ein Mistelzweig.
Flint warf einen kurzen Blick nach oben und grinste fast unmerklich, ehe er schwungvoll die Tür aufstieß.
Warme Luft schlug ihnen entgegen, als sie dicht hintereinander das Gasthaus betraten. Oliver streifte die Kapuze vom Kopf und klopfte Schnee von seinem Umhang. Flint schüttelte sich den Schnee aus den Haaren. Olivers Blick blieb kurz an Flints Händen hängen, dann wandte er sich schnell ab.
Oliver kannte die Drei Besen nur tagsüber; stickig und gerappelt voll mit Schülern. Doch nun war es viel ruhiger hier. Nicht so überfüllt, dafür aber gemütlicher. Sie steuerten einen Tisch in einer Ecke des Pubs an, ganz hinten neben einem der aufgestellten Tannenbäume, der etwas Sichtschutz bot.
»Manchmal kommen abends noch Lehrer hier rein«, sagte Flint und sah sich aufmerksam um, ehe er sich hinsetzte.
Oliver sah ihn einen Augenblick lang an. »Ich hol uns mal Butterbier«, sagte er schließlich.
»Tu das«, erwiderte Flint während Oliver in Richtung Tresen verschwand.
Fünf Minuten später kehrte Oliver mit zwei Krügen heißen Butterbiers zu ihrem Tisch zurück. Er ließ sich gegenüber von Flint nieder und schob ihn einen der Krüge hinüber. Sie stießen an, und als Oliver trank, hatte er das Gefühl, zum ersten Mal wieder richtig aufzutauen, während sich die Wärme des Butterbiers in seinem Körper ausbreitete.
Es herrschte eine seltsame Atmosphäre; nicht feindselig, nicht die übliche geladene Spannung. Oliver war überrascht, wie gut sich miteinander reden konnten. Zuerst noch über Quidditch, die Liga, die Schulsaison, nach dem zweiten Krug Butterbier auch über andere Themen; Belangloseres, Persönlicheres. Nach einer hitzigen Diskussion, wer Nachschub holen würde, knobelten sie aus. Oliver gewann die Runde Klatscher-Besen-Schnatz, und Marcus erhob sich, wenn auch widerwillig. Oliver lehnte sich zurück und beobachtete ihn mit einem breiten Grinsen. Marcus warf ihm einen Blick zu, kniff die Augen leicht zusammen und sah ihm durchdringend in die Augen. Oliver konnte seinem intensiven Blick nicht lange standhalten und sah zur Seite. Marcus' Lächeln bemerkte er nicht. Und auch nicht, dass Marcus ihn eine Sekunde länger ansah als nötig.
Als Marcus zum Tisch zurückkehrte, hatte er ein breites Grinsen im Gesicht und schwenkte eine Flasche in der Hand. »Feuerwhiskey«, verkündete er stolz und ließ sich auf die Bank fallen.
Oliver entging nicht, dass er nun neben ihm saß, nicht mehr gegenüber, doch er ließ es unkommentiert und nahm die Flasche entgegen, die Marcus ihm hinhielt. Er genoss das leicht brennende Gefühl des Feuerwhiskeys und reichte die Flasche an Marcus weiter, während er den Kopf gegen die Wand hinter sich lehnte. Angenehm schummrige Wärme breitete sich in ihm aus. Eine Weile blieb er in dieser Position, bis er Marcus neben sich leise lachen spürte. Seit wann war er denn so nah? »Was?«, fragte er und sah Marcus an.
Dieser schüttelte nur den Kopf. »Ich hätte nur nie gedacht, dass ausgerechnet wir beide mal hier sitzen und uns eine Flasche Feuerwhiskey teilen.« Er grinste ihn an und Oliver spürte in diesem Moment die Wärme des Feuerwhiskeys stärker denn je.
Irgendwo in der Ferne schlug eine Kirchturmuhr. Marcus wandte den Blick von ihm ab. Sie beide sahen aus dem Fenster in Richtung des Schlosses. »Mitternacht«, sagte Marcus leise.
Draußen vor dem Fenster schneite es. Es war ruhig geworden in den Drei Besen. Friedliche Stille und angenehm schwere Wärme umgaben sie. Und Oliver konnte nicht sagen, warum, doch in diesem Moment fühlte er sich einfach geborgen.
Leicht vernebelt durch den Feuerwhiskey sah er zu Marcus, der nach wie vor gedankenverloren nach draußen blickte. Eine Weile betrachtete er sein Gesicht. Die kantigen Gesichtszüge, die im warmen Licht plötzlich ganz weich wirkten. Die schwarzen Haare, ein wenig unordentlich. Leichte Röte auf den Wangen, ob von der Wärme oder dem Whiskey konnte Oliver nicht sagen. Die dunklen Augenbrauen, die dunklen Augen, die doch nicht schwarz waren. Oliver hatte es im Laufe des Abends bemerkt. Dunkelgrün, nicht schwarz.
Als Marcus ihn ansah, konnte Oliver nicht schnell genug reagieren, um rechtzeitig wegzusehen. Er spürte Marcus' Blick auf sich, erwiderte ein vorsichtiges Grinsen, und dann - ach, scheiß drauf - schlang er einfach einen Arm um Marcus' Schulter und zog ihn näher zu sich. Wieder spürte er Marcus' Lachen und für einen kurzen Moment legte Marcus den Kopf auf seine Schulter und hielt mit einer Hand sein Handgelenk fest.
»Nich' übel, Wood«, nuschelte er neben ihm.
»Hm?«
»Du bist gar nich' ma' so übel. Hab's mir schlimmer vorgestellt.«
Oliver grinste in sich hinein, für den Moment irgendwie glücklich. Neben ihm rührte sich Marcus plötzlich und sah sich um. »Oh. Ich glaub' wir sin' die letzten.«
Auch Oliver ließ seinen Blick durch die Drei Besen schweifen. Bis auf sie beide war das Gasthaus leer. Irgendwo vorne im Schankraum wischte die Wirtin die Tische.
»Wir sollten langsam hoch«, sagte Marcus und blickte wieder aus dem Fenster auf das verschneite Dorf in der Dunkelheit. Hogwarts konnten sie durch das Schneetreiben nicht erkennen.
Oliver vergrub lachend das Gesicht in den Händen. »Wir sin' so dumm, Flint.«
»Das kann ich so nur für dich bestätigen«, erwiderte Marcus und hob die Hand, um der Wirtin zu bedeuten, dass sie zahlen wollten.
Oliver überging den verbalen Seitenhieb. »Weiß' du, wir sind grad' so vom Nachsitzen davongekommen, und dann schleichen wir uns direkt nachts nach Hogsmeade.«
Marcus verschluckte sich an dem letzten Rest Feuerwhiskey, musste husten und gleichzeitig lachen. Oliver beobachtete ihn amüsiert, bis Marcus sich wieder eingekriegt hatte und ihn mit leicht tränenden Augen ansah. »Mann, Wood«, beschwerte er sich mit heiserer Stimme.
Die Wirtin trat an ihren Tisch. »Ein Slytherin und ein Gryffindor ...«, sagte sie. »Das seh' ich hier nicht oft.« Marcus und Oliver warfen einander einen kurzen Blick zu. »Also gut. Ihr wollt zahlen, nehm' ich an?«
Marcus deutete breit grinsend auf Oliver. »Er will zahlen.«
»Bitte?!«, rief Wood entrüstet. »Es war unentschieden, Flint!«
»Und ich hab den Matchball gewonnen«, erwiderte Flint unschuldig lächelnd. »Jetz' hab dich nich' so. Wettschulden sin' ... Dings.«
»Ehrenschulden«, knurrte Oliver, kramte ein paar Münzen aus seinem Umhang und knallte sie auf den Tisch. Dann stand er auf. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass auch Flint sich erhoben hatte. »Du bist eine miese, hinterhältige Schlange«, machte Oliver seinem Frust Luft, während sie zur Tür gingen. »Das war kein Matchball. Du hast den Ring geworfen, als ich schon wieder am Boden war.«
»Für mich war es ein Matchball«, erwiderte Flint mit einem unbeschwerten Grinsen. »Ich dachte, das wär' klar.«
Oliver warf ihm einen vernichtenden Blick zu, dann riss er die Tür auf.
»Wood.« Flint hielt ihn am Arm zurück.
»Was?«, sagte Wood wütend und wandte sich zu ihm um.
Flint sah nach oben. Oliver folgte seinem Blick und sah etwas grünes - der Mistelzweig über der Tür. Als Oliver seinen Blick wieder senkte, stand Marcus plötzlich dicht vor ihm. Olivers Herz setzte einen Schlag aus. Sein vernebelter Verstand schien nur langsam zu reagieren; Marcus' Nähe, sein Geruch, seine ganze Präsenz - das alles schien zu einer allumfassenden Wärme zu verschmelzen, die Oliver die Kälte um sich vergessen ließ und es ihm schwer machte, klar zu denken.
Dann fiel mit einem lauten Geräusch die Tür hinter ihnen ins Schloss. Oliver schreckte zusammen, und Marcus grinste. »Das nächste Mal zahl ich.«
Oliver brauchte einen Moment um zu verstehen, was Marcus meinte. Das nächste Mal? »Das will ich auch hoffen«, erwiderte er schließlich und schloss zu dem Slytherin auf. Marcus sah ihn an und lächelte. Oliver bildete sich ein, einen leichten Rotschimmer auf seinen Wangen zu erkennen - ob von der Kälte oder aus einem anderen Grund, konnte Oliver nicht sagen.
»Der Feuerwhiskey wär' nicht mehr nötig gewesen«, murrte Oliver. »Das Zeug is' teuer.«
Marcus lachte und legte einen Arm um Olivers Schulter. »Ich weiß. Mir war klar, dass du zahlst.«
»Saufkopf«, murmelte Oliver und schubste ihn sanft von sich.
»Hey!«, nuschelte Flint, als er leicht zur Seite taumelte und stieß seinerseits Oliver mit der Schulter an. Oliver stieß zurück. Marcus schwankte und hielt sich an Olivers Umhang fest. »Vorsicht, Marcus, du erwürgst mich«, lachte er und befreite sich von Marcus' Klammergriff. Erst als er Flint ansah, begriff er, was er gerade gesagt hatte.
Marcus sah ihn mit großen Augen an. »Wie hast du mich genannt?«
Oliver schwieg und wich seinem Blick aus.
»Seit wann nennst'n du mich Marcus?«
»Ich hab nich' ›Marcus‹ gesagt, ich hab ›Saufkopf‹ gesagt«, erwiderte Oliver und versuchte sich an einem Grinsen. Marcus machte Anstalten, etwas zu sagen, doch Oliver unterbrach ihn. »Sauf. Kopf«, wiederholte er und wuschelte Marcus durch die schwarzen Haare.
»Ey, nimm das zurück«, rief Marcus und machte einen Schritt auf ihn zu, doch Oliver war bereits einige Schritte rückwärts gewichen. Er lachte, als er Marcus' säuerliche Miene sah.
»Na warte«, sagte Marcus und lief auf ihn zu. Oliver rannte lachend rückwärts, strauchelte, und konnte sich mit einem überraschten Aufschrei gerade noch an Marcus festhalten. Einen Moment später lagen sie beide im Schnee.
»Du Trottel!«, lachte Marcus und versuchte, aufzustehen, wurde jedoch von Oliver daran gehindert, der sich noch immer kichernd an ihm festhielt. »Ey, lass mich los!«
Oliver schüttelte nur lachend den Kopf und reagierte sonst gar nicht. Marcus ließ sich zurück in den Schnee sinken, sodass er wieder halb auf ihm lag, die Hände neben Oliver in den Schnee gestützt. Doch die Kälte spürte er kaum. Langsam erstarb das Lachen des Gryffindors unter ihm, bis er ihn schließlich losließ und seine Hand neben ihm in den Schnee sinken ließ. Marcus machte keine Anstalten aufzustehen. Er sah, wie sich Olivers Gesichtsausdruck unter ihm veränderte, als wäre ihm Marcus' Nähe gerade eben erst bewusst geworden. Marcus beobachtete fasziniert die so unterschiedlichen Gefühle, die sich im Gesicht des Gryffindors widerspiegelten, als er sich näher beugte. Verwirrung, Unsicherheit. Und doch schien ihn Marcus' Nähe vollkommen in den Bann zu ziehen. Als Oliver die Augen schloss, stolperte Marcus' Herzschlag. Diese eine Reaktion brachte ihn aus der Fassung, so untypisch schien sie für den Gryffindor. Oliver schien ihm voll und ganz zu vertrauen, übergab ihm kampf- und widerstandslos die absolute Kontrolle über die Situation. Marcus hielt inne, dicht über Olivers Gesicht, und versuchte, seinen Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bekommen. So sehr er auch davon überzeugt gewesen war, alles unter Kontrolle zu haben, so sehr verunsicherte ihn Olivers Reaktion in diesem Moment.
»Marcus -«, murmelte Oliver unter ihm leise, ohne die Augen zu öffnen.
Und dieses eine Wort veranlasste ihn dazu, alle Bedenken über Bord zu werfen, selbst die Augen zu schließen, und den letzten Abstand zwischen ihnen zu überbrücken.
Einen Moment später spürte Oliver Marcus' Lippen an seinen; kalt, und ein wenig rau, und so unglaublich weich, dass ihm für einen Moment die Luft wegblieb. Trotz der Kälte ihrer Gesichter strahlte der Kuss eine unglaubliche Wärme aus, die sich kribbelnd bis in seine Fingerspitzen zog und ihn sogar den Schnee um sie herum vergessen ließ. Marcus küsste ihn erstaunlich schüchtern, fast schon unsicher, wie er es nie von ihm erwartet hätte. Einem plötzlichen inneren Impuls folgend schlang er sanft die Arme um Marcus' Schultern und zog ihn näher, während er sich ganz in den Schnee sinken ließ. Marcus Hände, mit denen er sich zuvor im Schnee abgestützt hatte, legten sich an Olivers Seiten, während er sich behutsam mit seinem Körpergewicht auf ihn sinken ließ. Oliver musste unwillkürlich in den Kuss lächeln. So kannte er Flint gar nicht.
Als sie sich langsam wieder voneinander lösten, musterte er Marcus fasziniert. Noch nie hatte er seine Gesichtszüge so offen und sanft gesehen. Langsam löste Oliver die Arme von Marcus' Schultern und legte stattdessen die Hände an sein Gesicht, das nach wie vor nur Zentimeter von seinem entfernt war. Über ihnen schneite es. Oliver strich Marcus ein paar Schneeflocken aus den Haaren. Marcus sah ihn an, lächelte, und es war dieses Lächeln, das alles in Oliver kribbeln ließ. Dann küsste er ihn erneut. Nur flüchtig diesmal; ihre Lippen streiften einander nur kurz, bevor Marcus sich wieder aufrichtete. Er setzte sich im Schnee auf und streckte Oliver beide Hände entgegen, um ihm aufzuhelfen. »Du zitterst.«
Oliver stellte verwundert fest, dass er Recht hatte. Er ließ sich von Marcus hochziehen, dessen Hände genauso eiskalt waren wie seine eigenen, und klopfte sich den Schnee von seinem Umhang. Auch Marcus' Umhang war an den Ärmeln voller Schnee, und immer mehr Schneeflocken verfingen sich in seinen Haaren.
Sie liefen dicht nebeneinander zum Schloss hoch; immer noch ein wenig unsicher auf den Beinen und leicht schwankend, aber vor allem frierend. Oliver wunderte es fast, dass das Schlossportal noch offen war; halb hatte er schon damit gerechnet, die Nacht draußen in der Kälte verbringen zu müssen. Wärme empfing sie, als sie die Eingangshalle betraten. Oliver beobachtete mit einem Lächeln im Gesicht, wie Markus sich den Schnee aus den Haaren schüttelte, während er selbst seine Kapuze abstreifte. Sie waren bereits auf der Hälfte der Treppe, als sie hinter sich ein Räuspern vernahmen. Marcus und Oliver blieben wie angewurzelt stehen und sahen sich einen Augenblick lang unbehaglich an. Dann drehten sie sich gleichzeitig um, um in das strenge Gesicht Professor McGonagalls zu blicken, die dort unten in der Eingangshalle stand. Oliver machte sich auf das Schlimmste gefasst.
»Wie ich sehe, haben Sie trainiert«, sagte die Professorin mit betont ruhiger Stimme, die erkennen ließ, wie wütend sie wirklich war. »Ich will Sie nie wieder um diese Zeit außerhalb des Schlosses sehen, haben Sie mich verstanden?«, sagte sie mit scharfer Stimme.
Marcus und Oliver nickten schuldbewusst.
»Und jetzt sehen Sie zu, dass Sie in Ihre Betten kommen, bevor Mr Filch noch sieht, welche Unmengen an Schnee Sie hier großzügig in der Eingangshalle verteilt haben. Und ziehen Sie sich um Merlins Willen etwas anderes an! Wir können Sie nicht krank beim nächsten Spiel gebrauchen.«
Sie waren gerade am oberen Absatz der Treppe angekommen. Ihre Hände streiften einander, als sie ein erleichtertes Grinsen tauschten, das Olivers Herz höher schlagen ließ.
Hinter ihnen erklang noch einmal Professor McGonagalls Stimme. »Ach, und Mr Flint?«
Marcus wandte sich um.
»Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, lagen die Schlafsäle der Slytherins noch in der Kerkern ...« Sie zwinkerte, und war verschwunden.
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